Der Kampf um politische Meinungen wird in Deutschland oft mit historischen Argumenten geführt. Geschichtsbilder beeinflussen unser Denken und Handeln. Aber wer besitzt eigentlich die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte? Wie erlangt und benutzt er sie? Darüber muss öffentlich diskutiert werden. Der renommierte, auf die Geschichte des Widerstands spezialisierte Zeithistoriker Peter Steinbach untersucht emotionalisierende öffentliche Debatten der letzten Jahrzehnte. Politische Reden konnten zum Ereignis werden oder Karrieren beenden. Gedenken wurde inszeniert. Ausstellungen, Museen und Filme boten Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen in der Presse. Der Streit bedurfte der Medien, er beeinflusste unser Weltbild und Weltverständnis. Geschichte wurde dabei schließlich selbst zum Politikum. Dieser brillante Essay stellt klar: Wer sich von berufsmäßigen Geschichtsdeutern nicht manipulieren lassen will, muss auf der Hut sein. Aufklärung tut not.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2012Hofhistoriker
Peter Steinbachs Warnung
Seit Mitte der achtziger Jahre leitet Peter Steinbach die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand". Parallel dazu hatte er Lehrstühle inne in Passau, Berlin und Karlsruhe, von wo aus er samt Stelle nach Mannheim ausgewichen ist. Vom Typ her wollte er es anfänglich allen recht machen, musste aber bald erkennen, dass es die Bendlerblock-Funktion mit sich brachte, als Prügelknabe für Zeitzeugen und Politiker herhalten zu müssen. Für einen autobiographischen Rückblick ist es ihm offensichtlich zu früh. So befasst sich der 64 Jahre alte Zeithistoriker allgemein mit Fragen, wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren, wie "Regierungs- oder Hofhistoriker" sich Vorurteilen, Stimmungen und Erwartungen der Politiker anpassen. Als "Sinn-Lieferanten" und "Begriffe-Besetzer" dienten sie jenen, "die historische Kontroversen nutzen, um Macht zu erringen oder sie zu behaupten". Doch Ross und Reiter nennt er nur selten.
Das an sich spannende Thema wird in 25 Abschnitten - als wär's früher ein Vorlesungsmanuskript gewesen - relativ leblos abgehandelt. Steinbachs Held ist Richard von Weizsäcker, in der Rede vom 8. Mai 1985 sieht er den "Versuch, die Vielfalt der Erinnerungen und Deutungen, das Nebeneinander gleichzeitiger Erfahrungen und Erlebnisse zu ordnen und zu klären". Als Schurken treten jene Professorenkollegen auf, die Helmut Kohl im Zusammenhang mit historischen Museen in Bonn und Berlin zur "Stärkung der bundesrepublikanischen Identität" berieten. Nach 1990 wäre es besser gewesen, "die Leistungen der ehemaligen DDR-Bürger bei der Bewältigung ihres Alltags stärker zu würdigen". Laut Steinbach scheitern geschichtspolitische Reflexionen, "wenn sie gleichbedeutend sind mit Anklagen, Ausgrenzungen oder der Anprangerung kollektiven Fehlverhaltens".
RAINER BLASIUS
Peter Steinbach: Geschichte im politischen Kampf. Wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2012. 163 S., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Steinbachs Warnung
Seit Mitte der achtziger Jahre leitet Peter Steinbach die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand". Parallel dazu hatte er Lehrstühle inne in Passau, Berlin und Karlsruhe, von wo aus er samt Stelle nach Mannheim ausgewichen ist. Vom Typ her wollte er es anfänglich allen recht machen, musste aber bald erkennen, dass es die Bendlerblock-Funktion mit sich brachte, als Prügelknabe für Zeitzeugen und Politiker herhalten zu müssen. Für einen autobiographischen Rückblick ist es ihm offensichtlich zu früh. So befasst sich der 64 Jahre alte Zeithistoriker allgemein mit Fragen, wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren, wie "Regierungs- oder Hofhistoriker" sich Vorurteilen, Stimmungen und Erwartungen der Politiker anpassen. Als "Sinn-Lieferanten" und "Begriffe-Besetzer" dienten sie jenen, "die historische Kontroversen nutzen, um Macht zu erringen oder sie zu behaupten". Doch Ross und Reiter nennt er nur selten.
Das an sich spannende Thema wird in 25 Abschnitten - als wär's früher ein Vorlesungsmanuskript gewesen - relativ leblos abgehandelt. Steinbachs Held ist Richard von Weizsäcker, in der Rede vom 8. Mai 1985 sieht er den "Versuch, die Vielfalt der Erinnerungen und Deutungen, das Nebeneinander gleichzeitiger Erfahrungen und Erlebnisse zu ordnen und zu klären". Als Schurken treten jene Professorenkollegen auf, die Helmut Kohl im Zusammenhang mit historischen Museen in Bonn und Berlin zur "Stärkung der bundesrepublikanischen Identität" berieten. Nach 1990 wäre es besser gewesen, "die Leistungen der ehemaligen DDR-Bürger bei der Bewältigung ihres Alltags stärker zu würdigen". Laut Steinbach scheitern geschichtspolitische Reflexionen, "wenn sie gleichbedeutend sind mit Anklagen, Ausgrenzungen oder der Anprangerung kollektiven Fehlverhaltens".
RAINER BLASIUS
Peter Steinbach: Geschichte im politischen Kampf. Wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2012. 163 S., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hermann Theissen bespricht zwei Bücher, die sich mit der deutschen Erinnerungskultur befassen: Peter Steinbachs "Geschichte im politischen Kampf" und "Das Menschenmögliche" von Dana Giesecke und Harald Welzer. Steinbach beschäftige sich in seinem Buch mit der Rolle, die Geschichte in der politischen Rhetorik spielt, berichtet der Rezensent. Der Autor komme zu dem Schluss, dass sie in Argumentationen nur selten der Wahrheitsfindung dient und häufiger auf Emotionen und Legitimation zielt. Besonders spannend findet Theissen Steinbachs Kapitel zu den achtziger Jahren und Helmut Kohl: der Autor bezeichne Kohls Geschichtspolitik als "Höhepunkt und Scheitern gouvernementaler Geschichtspolitik", anschaulich gemacht am Versuch der symbolischen Versöhnung auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg.
© Perlentaucher Medien GmbH
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