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Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert in 10 Bänden herausgegeben von Ulrich Herbert Marie-Janine Calic schlägt in diesem Buch analytische Schneisen in die faszinierende Geschichte Jugoslawiens und legt die erste Gesamtdarstellung in deutscher Sprache seit der Auflösung des Vielvölkerstaates vor.
Warum ist Jugoslawien zerfallen? War der gewaltsame Untergang unvermeidlich? Warum hat der heterogene Staat dann überhaupt so lange überlebt? Dieses Buch analysiert, warum und unter welchen Umständen Jugoslawien entstand, was den Vielvölkerstaat über siebzig Jahre zusammenhielt und weshalb er
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Produktbeschreibung
Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert in 10 Bänden herausgegeben von Ulrich Herbert
Marie-Janine Calic schlägt in diesem Buch analytische Schneisen in die faszinierende Geschichte Jugoslawiens und legt die erste Gesamtdarstellung in deutscher Sprache seit der Auflösung des Vielvölkerstaates vor.

Warum ist Jugoslawien zerfallen? War der gewaltsame Untergang unvermeidlich? Warum hat der heterogene Staat dann überhaupt so lange überlebt? Dieses Buch analysiert, warum und unter welchen Umständen Jugoslawien entstand, was den Vielvölkerstaat über siebzig Jahre zusammenhielt und weshalb er sich schließlich gewaltsam auflöste. Im Mittelpunkt stehen die um die Wende zum 20. Jahrhundert einsetzenden fundamentalen Wandlungsprozesse, die die Ideologien, politischen Systeme, wirtschaftlich-sozialen Beziehungen sowie die Lebensweisen in ganz Europa nachhaltig prägten und auch Jugoslawien im Laufe des 20. Jahrhunderts von einer Agrar- in eine moderne Industriegesellschaft verwandelten. Dadurch wird die jugoslawische Geschichte in die europäische Geschichte mit all ihren wechselseitigen Verflechtungen eingebettet und das Klischeebild des rückständigen, mit unauflösbaren Nationalitätenkonflikten belasteten Balkans korrigiert.
Autorenporträt
Marie-Janine Calic ist Professorin für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2010

Warum Jugoslawien in den neunziger Jahren im Bürgerkrieg unterging
Mit der Schlacht auf dem Amselfeld hatte es jedenfalls nichts zu tun – Marie-Janine Calic zeigt die wahren Gründe, die zu den ethnischen Kämpfen führten 
Endlich, so möchte man sagen, ein Buch, welches eine stringente Gesamtdarstellung Jugoslawiens bietet – von seiner ersten Gründung im Jahre 1918 über seine erste Auflösung nach Hitlers Einmarsch 1941, von seiner Neugründung durch Titos Kommunisten 1945 bis zu seinem unabänderlichen Zerfall in den 1990er Jahren. Und endlich eine historische Interpretation, die nicht, wie das oft geschieht, „balkannotorische Unverträglichkeit“ und „ewigen Völkerhass“ – so sagt die Autorin Marie-Janine Calic – ungeprüft übernimmt.
Stattdessen konstatiert die Professorin für Geschichte Ost- und Südosteuropas in ihrer bemerkenswerten Analyse: „Wer, warum, unter welchen Umständen und wie ethnische Identität und Diversität zu einem Konfliktgegenstand machte“, sei „die zentrale Frage dieses Buches“. Es gehe darum „Interessen, Weltauffassungen und Motive der Handelnden“ darzulegen, „sozialökonomische Entwicklungen“ zu beachten sowie „kulturhistorische Dimensionen kollektiver Erfahrungen“ zu berücksichtigen.
Calics Darstellung der ersten 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist eindrucksvoll. In der Zeit zogen 5,5 Millionen Menschen vom Dorf in die Stadt, wo sie, zum Beispiel in Belgrad, als „fliegende Händler, Hausierer, Wandermusiker, Scherenschleifer, Lumpensammler, Schuhputzer, Losverkäufer, Maiskolbenröster“ zu überleben versuchten – Entwurzelte im Paradies des Sozialismus. Tödlich war dann die Wirtschaftskrise, die sich lange vor Titos Tod im Mai 1980 anbahnte und die dann vollends ausbrach. Das Wachstum, einst sechs Prozent, wurde zu einem Minuswachstum. Finanziert war der vorherige Boom durch umfängliches Schuldenmachen, mit dem Tito in seinen letzten Jahren die Bevölkerung ruhiggestellt hatte.
Doch es gab auch positive Entwicklungen, die sich allerdings nun ins Gegenteil kehrten. Die Ausweitung der höheren Bildung hatte dazu geführt, dass es 1980 einen Nachwuchsakademiker auf 50 Einwohner gab, in der Zwischenkriegszeit war das Verhältnis 1:1000. Zehntausende fanden keine Arbeit, die sozialen Spannungen nahmen zu. Und nun beantwortet die Autorin explizit ihre eingangs gestellte Frage, welche Faktoren den Rückgriff auf ethnische Kategorien bedingten: Die ökonomische Krise führte zur Krise zwischen den Teilrepubliken – und zum Erstarken des Zwistes zwischen den Völkern. Bei den reichen Slowenen etwa habe sich „eine Art kollektiver Wohlstandsegoismus“ breitgemacht, der „keine Rücksicht mehr auf die Folgen für den Gesamtstaat nahm“.
Zusammen mit den Kroaten weigerten sich die Slowenen, die gesetzlich fixierten Gelder in den Finanzausgleich zwischen den Teilrepubliken zu zahlen, die vor allem dem armen Kosovo zugutekamen. So wurde der Streit um den Kosovo zu einem der vielen Auslöser des jugoslawischen Todeskampfes. Jahrzehntelang hatte die Föderation das Armenhaus des Südens reichlich subventioniert. Und doch: Während die Provinz 1947 noch 52 Prozent des gesamtstaatlichen Wohlstandes erreicht hatte, waren es 1980 nur noch 28 Prozent. Einer der Gründe für dieses gefährliche Gefälle war die hohe Geburtenrate im Kosovo; sie machte jeden Fortschritt zunichte.
Der Unmut wuchs. In dieser explosiven Lage erschien ein politischer Aufsteiger: der damals 44-jährige Slobodan Milosevic. Der wie ein nationaler Rettungsengel der Serben empfundene politische Egoman instrumentalisierte die Unzufriedenheit der serbischen Minderheit im Kosovo mit „kaltem Machtinstinkt“ für seine eigenen Zwecke. Milosevic sei das „typische Produkt eines in Auflösung befindlichen Systems, das technokratische Macher ganz nach oben beförderte“, schreibt Professorin Calic. Milosevic fand sein chauvinistisches Ebenbild im kroatischen Nationalisten Franjo Tudjman. Mit Tudjman schacherte er über die Aufteilung Bosniens. Bundesdeutsche Politiker zeigten sich überrascht, weil sie Tudjman fälschlicherweise für eine Art lupenreinen Demokraten hielten.
Die katholische Kirche Kroatiens trat Tudjman zur Seite, sie sah in der Krise des als atheistisch empfundenen Staates die Chance zur „Re-Institutionalisierung des Religiösen in Kombination mit nationalpolitischen Zielen“. So führte die sozial-ökonomische Krise endgültig zum Ausbruch eines schwelenden ethnischen Konflikts.
„Reale Probleme, diffuse Ängste und emotionale Faktoren heizten auf beiden Seiten die nationalen Leidenschaften und Phobien an“, schreibt die Autorin. Bei den Wahlen von 1990 setzten sich in vielen Republiken die Nationalisten durch. Deren Wahlkampfrhetorik mit Begriffen wie „Volk“ und „Nation“ hatte, schreibt die Autorin weiter, „keinen kausalen Bezug zu den realen Problemen“, aber viele hätten sich von den einfachen Botschaften angesprochen gefühlt.
Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt zum Furchtbarsten, das dieser Krieg gebar. Mit seiner Ausweitung „trat eine vergessen geglaubte Form von Massenverbrechen in das Bewusstsein der schockierten Öffentlichkeit: die ,ethnischen Säuberungen‘“, schreibt die Autorin. Die Kriegführenden hätten ihre jeweiligen Feinde nicht nur vertreiben oder vernichten wollen. Kriegsziel sei auch gewesen, ihre „kulturellen Überbleibsel“ verschwinden zu lassen. So seien historische Innenstädte, Kirchen, Moscheen, Klöster, Friedhöfe, Bibliotheken, Archive beschädigt oder zerstört worden.
„Ethnische Säuberungen“, schreibt Calic, hätten sich mithin auch gegen „sozialkulturelle Systeme, gegen Identitäten, kollektive Erinnerungen und Lebenswelten“ gerichtet. Das allgemeine Chaos habe „gescheiterte Existenzen, Kleinkriminelle, Hooligans und Wochenendkämpfer“ an die Oberfläche gespült, die sich daran berauscht hätten, plötzlich Herren über Leben und Tod geworden zu sein. Und welche Rechtfertigung gaben die Hauptverantwortlichen für ihr Handeln? Radovan Karadzic etwa „griff in die Mottenkiste der Folklore, indem er sich als Nachfahre des Sprachreformers Vuk Stefanovic Karadzic ausgab und sich in bizarrer Pose und historischer Verkleidung filmen ließ“.
Als die Gräuel ein Ende fanden, waren viele tausend Menschen tot, verkrüppelt, vertrieben, ihrer Existenz beraubt. Ein Staat, Jugoslawien, das Land der Südslawen, war zum zweiten Mal und jetzt endgültig zerstört. Und die Zukunft? Heute sei das ehemalige Jugoslawien ein weißer Fleck auf der politischen Landkarte, schreibt die Autorin; der Wohlstand der Einwohner erreiche maximal ein Drittel des EU-Durchschnitts. Die meisten Menschen suchten im Beitritt zur EU ihr Heil, sie wollten nicht mehr als „Schmuddelkinder und notorische Unruhestifter vom Balkan angesehen werden“.
Man kann dieses Ende eines exzellenten Buches, das eine historische Tragödie scharfsinnig analysiert, durchaus als Plädoyer für eine beschleunigte Annäherung der neuen „Balkanstaaten“ an Kerneuropa interpretieren. HEIKO FLOTTAU
Marie-Janine Calic
Geschichte Jugoslawiens
im 20. Jahrhundert
Verlag C.H. Beck, München 2010.
409 Seiten, 26,95 Euro.
Kroaten und Slowenen
weigerten sich, den Kosovo
weiterhin zu unterstützen
Ein typisches kosovarisches Haus nach dem Einsatz internationaler Militärkräfte 1999. Sehr viele Flüchtlinge, einerlei welcher Volksgruppe sie angehören, sind nicht mehr „nach Haus“ zurückgekehrt. Foto: David Brauchli /Corbis, Sygma
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2011

Und immer wieder nur Patrioten . . .
Eine leidenschaftliche Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert mit manchen Widersprüchen

Die Reihe "Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert" soll Differenzen und Ähnlichkeiten im Kontext der europäischen Entwicklung sichtbar machen. Dieser innereuropäische Vergleich ist zweifelsohne lohnend, setzt aber Kenntnisse über die Geschichte so ziemlich aller "anderen" Staaten voraus, über die kaum ein Autor verfügt. Dieses Unterfangen ist besonders kompliziert, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - gar nicht um eine Nationalgeschichte handelt, sondern um einen Vielvölkerstaat, der keiner sein wollte, und um eine Nationsbildung, die innerhalb des stokavischen Dialekts entlang konfessioneller Bruchlinien verläuft. "Alles, was religiös ist, ist gleichzeitig auch national." Jedoch wird dieses Thema nicht systematisch aufgegriffen.

Nationen eigne "keine transhistorische Existenz", man könne sie deshalb auch nicht einfach zurückprojizieren - so heißt es eingangs. Doch kaum ist diese Pflichtübung beendet, verfällt die Darstellung in schon fast wieder unterhaltsamer Weise in die soeben noch verdammten nationalen Stereotypen: Der jugoslawische "Patriotismus" wird sehr wohl in die Zeit vor 1918 zurückprojiziert. Selbst der einfachste serbische Bauer sei vom Glauben an die nationale Mission erfüllt gewesen. Der Erste Weltkrieg gerät zur Heldenlegende, übertroffen bloß noch von den hymnischen Passagen, die sich Titos Vorkriegs-KP widmen. 1918 brechen die Serben durch - hatten sie nicht auch ein paar Franzosen dabei? Quellenkritik gilt der Autorin offenbar als bürgerliches Vorurteil. So erfährt man über die Mlada Bosna, jene Organisation, aus der die Attentäter von Sarajevo hervorgingen: "Fast alle versuchten sich als Literaturkritiker oder Autoren, übersetzten Kierkegaard, Strindberg, Ibsen, Wilde oder Poe." Was ja nun wieder sehr für die Qualität der altösterreichischen Gymnasien spräche, die solche unerreicht schöngeistigen Terroristen züchteten.

Das zentrale Thema wird beschrieben und doch wiederum geleugnet. Die kroatische Bauernpartei von Stjepan Radic wird - neben den Kommunisten - zur fundamentalen Herausforderung für das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen nach 1918 erklärt, um zwei Seiten später linientreu zu verneinen, dass es dieser historische Gegensatz zwischen Serben und Kroaten war, welcher den Staat lähmte. Was den Krieg aller gegen alle nach 1941 betrifft, wehrt sich die Autorin gegen die "populäre Legende", dass "sich Serben, Kroaten und Muslime schon immer hassten". Richtig: Hass ist nun einmal keine sehr vielversprechende Kategorie historischer Analyse. Der Historiker verfügt über kein Instrumentarium, um retrospektiv derlei emotionale Befindlichkeiten eines Massenpublikums abzufragen. "Ethnische Säuberungen funktionierten nicht von selbst, sondern auf Befehl." Die rhetorische Frage drängt sich auf, was der Reihenherausgeber Ulrich Herbert einem Autor antworten würde, der Hitlers Anordnungen in ähnlicher Weise externalisieren wollte? Divide et impera versuchten die Deutschen auch anderswo im besetzten Europa zu spielen; auch Rivalitäten zwischen den Widerstandsbewegungen gab es anderswo - aber eben nicht in dieser Intensität. Der nicht eingelöste europäische Vergleich rächt sich.

Auf interessante Einsichten stößt man dort, wo die Autorin auf eigene Forschungen zurückgreifen kann, bei der Sozialgeschichte Serbiens: der Zusammenhang von Übervölkerung und Großfamilie, die frühes Heiraten erlaubte; die höchste Bevölkerungsdichte Europas, gemessen an der produktiven Ackerfläche; die muslimische Stadtbevölkerung, die im 19. Jahrhundert mit den osmanischen Garnisonen abzog - und eine Lücke hinterließ, die für den lange Zeit eher dörflichen Charakter der Städte verantwortlich war; ja auch noch die Passagen der Zeitzeugin über Stimmungen, Moden und Schlager der vergangenen Jahrzehnte. Auch bei der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte stößt die Darstellung allerdings bald an ihre Grenzen. Dem Leser wird das Elend der Landbevölkerung meist mit dem Adjektiv "unbeschreiblich" präsentiert; wenn es dann doch an den Versuch einer Beschreibung geht, werden ihm dafür als Resultate der Weltwirtschaftskrise genau jene Symptome vorgeführt, die ihm bereits einige Seiten vorher bei der Beschreibung der zwanziger Jahre begegnet sind.

Altachtundsechziger mag vielleicht noch der Rückgriff auf Versatzstücke marxistisch-leninistischer Diktion versöhnen: Die KP-Erfolge 1920 - nach sechs Jahren kriegsbedingter Kommandowirtschaft - werden mit dem obligaten Hinweis auf "die periodischen Krisen der bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung" eingeleitet, auch wenn die hohen Prozentsätze der Kommunisten in Makedonien und Montenegro klar erkennen lassen, dass die KP in erster Linie als Surrogat verpönter nationaler oder regionaler Sonderbestrebungen reüssierte. Die Massaker aller Seiten 1941 bis 1945 werden mit einschlägigen blutrünstigen Zitaten illustriert; über die Tito-Partisanen erfährt man hingegen, dass sie in den slowenischen Wäldern 1943/44 sogar noch Zeit fanden, "das Kreditwesen zu ordnen". Da sollte sich der Weltwährungsfonds ein Beispiel nehmen!

Ohne jede Ironie - oder zumindest Anführungszeichen - ist vom "demokratischen Arbeiter- und Bauernstaat nach sowjetischem Vorbild" die Rede. Die Kommunisten propagierten Humanismus und Weltoffenheit; dabei, so liest man, genossen patriotische Tugenden, Kampfgeist und Heldentum hohe Priorität - ein Katalog, der Weltoffenheit vielleicht auch für andere Regimes leichter erschwinglich macht. Die Enteignung der Bauernschaft nach 1945 gerät zum bloßen Kommunikationsversagen. Denn "die Informationskampagne für die Kollektivierung mündete ins Desaster, weil die Parteikader auf dem Land mit der ausgeklügelten Argumentation ihrer Führung wenig anfangen konnten". Dass der Zusammenbruch des Sozialismus mit der postindustriellen Gesellschaft zu tun hat, ist nicht so falsch. Für Frau Calic ist damit jedoch gleich auch ein Sündenbock für den Zerfall Jugoslawiens gefunden, ausgelöst nicht zuletzt durch eine "neoliberale Gewaltkur" 1988/90. Der Nationalismus entspringt offenbar wieder nur Managementfehlern, denn er sei Produkt, nicht Ursache des Kollapses des Post-Tito-Reiches gewesen. Da verwundert es dann freilich nicht, dass bei Frau Calic auch der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und die Frankfurter Allgemeine Zeitung schlecht wegkommen.

Um bei den Marxschen Termini zu bleiben. "Falsches Bewusstsein" charakterisiert über weite Strecken den Duktus der Darstellung, die zwischen zeitgeistig überhöhten theoretischen Anforderungen und einer unreflektierten "Jugostalgie" changiert. Einer Autorin, die nicht in ihrer Muttersprache schreibt, wird man einiges nachsehen, Wendungen wie das "kollektive Zusammensitzen" oder das mysteriöse "geheime Plebiszit", das angeblich 1919 in Dalmatien stattfand. Ein umsichtiges Lektorat hätte so manche repetitive Passagen, überflüssige Fehler oder unklare Begrifflichkeiten (wie die allgegenwärtigen "Patrioten") vielleicht korrigieren können. Die im Vorwort angekündigte Leidenschaft der Autorin in allen Ehren - aber stellenweise raubt ihr naives Pathos sogar Feststellungen, die im Prinzip richtig sind, die Überzeugungskraft.

LOTHAR HÖBELT

Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. C.H. Beck Verlag, München 2010. 415 S., 26,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Doris Akrap gefällt sehr gut, was die Münchner Geschichtsprofessorin Marie-Janine Calic zur Geschichte Jugoslawiens im letzten Jahrhundert schreibt. Sie lobt, dass Calic zum Beispiel mit dem "Mythos" aufräume, das Land sei ein ethnisch zu heterogenes, "künstliches Gebilde" gewesen. Stattdessen analysiert sie die tatsächlichen Konfliktlinien und wirtschaftlichen Probleme des Landes, die dann erst von den Konfliktparteien in "ethnonationale" Kategorien umgedeutet wurden. Das Land ist nicht an jahrhundertealten ehtnischen Konflikten zerbrochen, lernt Akrap, sondern aus aktuellen sozioökonomischen. Das findet sie zugleich "komprimiert" und "facettenreich".

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