Im Zuge der vielbeschworenen Krise der Vernunft hat die Philosophie den Mythos einerseits als ihre geschichtliche Quelle, andererseits als ihr koexistierendes Anderes neu entdeckt. Für das gewachsene Interesse am Mythos lassen sich global drei Gründe anführen: das Krisenbewußtsein der Wissenschaften angesichts der unübersehbaren Probleme in vielen Feldern gesellschaftlicher Praxis, eine postmoderne Sinnkrise als Folge einer über das Subjekt hereinbrechenden unstrukturierten Informationsflut, schließlich interne Begründungsprobleme der Wissenschaften mit der Diskussion um Wahrheit, Vernunft und Rationalität. In den Beiträgen zu einer - systematisch erst noch auszuarbeitenden - philosophischen Mythostheorie ist Schellings Philosophie bislang nur marginale Aufmerksamkeit geschenkt worden, obwohl sie, wie in diesem Jh. z.B. Cassirer und Heidegger herausgestellt haben, einen wesentlichen Beitrag zur Mythosthematik in der Moderne darstellt. Das Thema der Mythologie kann als eine kontinuierliche Leitlinie der gesamten Philosophie Schellings betrachtet werden. Ihre Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion liegt vor allem in einer systematischen Konzeption, in welcher der Mythos nicht als überwundenes historisches Dokument einer geschichtlichen Entwicklung betrachtet wird, sondern als komplementäres Anderes der Vernunft, das als mythisches Bewußtsein immer gegenwärtig ist. Philosophische Mythostheorie setzt dem methodologischen Apriori des Rationalitätsparadigmas ein qualitatives Apriori entgegen, der logischen Formalstruktur einen Wert-Sinn-Kontext, dem Ziel Objekt-orientierter Objektivität den Anspruch auf ein Subjekt-bezogenes Orientierungswissen und der begrifflichen Abstraktion der Objekterkenntnis die narrative Erzählung als Individuationsform. Von dieser Konstitution des Subjekts her wird systematisch eine praktische Philosophie entworfen, deren Wesenseigenschaft Freiheit ist und in der Geschichte, Kunst und Mythos für Schelling die "Potenzen des subjektiven Geiste" darstellen.
Nachdem in dem einleitenden Plädoyer für eine philosophische Mythostheorie von der gegenwärtigen Diskussionslage her die Perspektive auf Schellings Werk eröffnet worden ist, werden die Leitideen von Geschichte, Kunst und Mythos in ihrer werkgenetischen Entwicklung dargestellt und in ihren wesentlichen Aspekten entfaltet. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei in jedem Kapitel der Selbstkonstitution des subjektiven Bewußtseins, die sich als Synthesis in den drei genannten Seinsbereichen vollzieht. In der Geschichte erweist sich die Synthesis des Ich nicht im Staat, sondern in einer temporalen Grundstruktur, die jede Bewegungsform, auch die Selbstkonstitution des Ich, bestimmt. Auch in der Kunst kann eine Synthesis nicht in der Hervorbringung ästhetischer Produkte eingefordert werden, sondern sie zeigt sich als ästhetische Erfahrungsmodalität im Verhältnis von ästhetischer Tätigkeit und Produkt. In der Mythologie schließlich zeigt sich die Synthesis als selbstreflexiver Akt des subjektiven Bewußtseins, dem allein es in der Moderne gelingen kann, in einem allerdings internen Prozeß eine nicht vollständig diskursiv vermittelbare Synthesis zu vollziehen. In der Zusammensicht aller drei Bereiche der praktischen Potenzen des subjektiven Geistes wird evident, daß in jenen drei Leitideen das gleiche Moment der Selbstkonstitution des Ich aufzudecken ist, das einer allgemeinen Bewegungstheorie folgt. Die Grundannahme der praktischen Philosophie mit ihrer Fundierung in einem Prinzip Realität bestätigt sich, indem das Ich in seinem In-der-Welt-sein notwendig immer mit dem Anderen seiner Vernunft konfrontiert wird und so beide Momente Selbstbewußtsein und Realität, Logos und Mythos - unmittelbar an der Subjektkonstituierung beteiligt sind. Zugleich wird deutlich, daß der Mythologie - nicht als historisches Dokument, sondern als organisierendes Prinzip subjektiven Bewußtseins - bei der Synthesis als dem Seinsollenden eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, denn nur das mythologische Potential des Selbstbewußtseins vermag die Kluft zwischen Begriff und Realität, den Spannungsbogen zwischen Gegenwärtigkeit und Zumalsein, symbolisch zu überwinden.
Zum Autor/Herausgeber: Lothar Knatz studierte Kunstpädagogik, Kunstgeschichte, Geschichte, Pädagogik und Philosophie in Marburg, Braunschweig und Bremen. Promotion 1984 in Bremen mit einer Arbeit über "Utopie und Wissenschaft", seit 1985 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Kulturwissenschaften an der Universität Bremen, Mitherausgeber der Philosophischen Entwürfe und Tagebücher F.W.J. Schellings.
Zielgruppe: Philosophen, alle an der Philosophie Schellings und der Mythos-Theorie Interessierte
Nachdem in dem einleitenden Plädoyer für eine philosophische Mythostheorie von der gegenwärtigen Diskussionslage her die Perspektive auf Schellings Werk eröffnet worden ist, werden die Leitideen von Geschichte, Kunst und Mythos in ihrer werkgenetischen Entwicklung dargestellt und in ihren wesentlichen Aspekten entfaltet. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei in jedem Kapitel der Selbstkonstitution des subjektiven Bewußtseins, die sich als Synthesis in den drei genannten Seinsbereichen vollzieht. In der Geschichte erweist sich die Synthesis des Ich nicht im Staat, sondern in einer temporalen Grundstruktur, die jede Bewegungsform, auch die Selbstkonstitution des Ich, bestimmt. Auch in der Kunst kann eine Synthesis nicht in der Hervorbringung ästhetischer Produkte eingefordert werden, sondern sie zeigt sich als ästhetische Erfahrungsmodalität im Verhältnis von ästhetischer Tätigkeit und Produkt. In der Mythologie schließlich zeigt sich die Synthesis als selbstreflexiver Akt des subjektiven Bewußtseins, dem allein es in der Moderne gelingen kann, in einem allerdings internen Prozeß eine nicht vollständig diskursiv vermittelbare Synthesis zu vollziehen. In der Zusammensicht aller drei Bereiche der praktischen Potenzen des subjektiven Geistes wird evident, daß in jenen drei Leitideen das gleiche Moment der Selbstkonstitution des Ich aufzudecken ist, das einer allgemeinen Bewegungstheorie folgt. Die Grundannahme der praktischen Philosophie mit ihrer Fundierung in einem Prinzip Realität bestätigt sich, indem das Ich in seinem In-der-Welt-sein notwendig immer mit dem Anderen seiner Vernunft konfrontiert wird und so beide Momente Selbstbewußtsein und Realität, Logos und Mythos - unmittelbar an der Subjektkonstituierung beteiligt sind. Zugleich wird deutlich, daß der Mythologie - nicht als historisches Dokument, sondern als organisierendes Prinzip subjektiven Bewußtseins - bei der Synthesis als dem Seinsollenden eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, denn nur das mythologische Potential des Selbstbewußtseins vermag die Kluft zwischen Begriff und Realität, den Spannungsbogen zwischen Gegenwärtigkeit und Zumalsein, symbolisch zu überwinden.
Zum Autor/Herausgeber: Lothar Knatz studierte Kunstpädagogik, Kunstgeschichte, Geschichte, Pädagogik und Philosophie in Marburg, Braunschweig und Bremen. Promotion 1984 in Bremen mit einer Arbeit über "Utopie und Wissenschaft", seit 1985 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Kulturwissenschaften an der Universität Bremen, Mitherausgeber der Philosophischen Entwürfe und Tagebücher F.W.J. Schellings.
Zielgruppe: Philosophen, alle an der Philosophie Schellings und der Mythos-Theorie Interessierte