Mit diesem Band stellt der Forschungsverband 'SED-Staat' einen Querschnitt seiner Forschungsergebniss vor. Die vornehmlich auf archivalische Hinterlassenschaften gründenden Beiträge beschäftigen sich mit Entstehung, Konsolidierung und Transformation des SED-Staates.
Im einzelnen handeln die Arbeiten von einer bislang unbekannten Konzeption der KPD für den Aufbau der neuen deutschen Gewerkschaften, von der ersten Kaderliste für die KPD-Reorganisation vom Februar 1944, von der SED-Kirchen- und Wissenschaftspolitik, von der Reaktion der SED auf den Tod Stalins, von der Rolle der SED in der Polenkrise 1980/81 sowie von der Entstehung der Opposition in der DDR. Aufsätze zum Wandel der Arbeitsbeziehungen im ostdeutschen Transformationsprozeß und zur geplanten Fusion von Berlin und Brandenburg sowie zum brisanten Problem der Aufarbeitung der Vergangenheit beschließen den Band.
Im einzelnen handeln die Arbeiten von einer bislang unbekannten Konzeption der KPD für den Aufbau der neuen deutschen Gewerkschaften, von der ersten Kaderliste für die KPD-Reorganisation vom Februar 1944, von der SED-Kirchen- und Wissenschaftspolitik, von der Reaktion der SED auf den Tod Stalins, von der Rolle der SED in der Polenkrise 1980/81 sowie von der Entstehung der Opposition in der DDR. Aufsätze zum Wandel der Arbeitsbeziehungen im ostdeutschen Transformationsprozeß und zur geplanten Fusion von Berlin und Brandenburg sowie zum brisanten Problem der Aufarbeitung der Vergangenheit beschließen den Band.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.1995Ein richtungweisender Band
Forschungsergebnisse des Berliner Wissenschaftsverbundes SED-Staat
Klaus Schroeder (Herausgeber): Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen. Akademie Verlag, Berlin 1994. 434 Seiten, 78,- Mark.
Als 1992 an der Freien Universität Berlin der interdisziplinäre "Forschungsverbund SED-Staat" unter maßgeblicher Mitwirkung von Manfred Wilke und Klaus Schroeder entstand, war seine Zielsetzung von Anbeginn auf die wissenschaftliche Analyse solcher Aspekte der DDR-Gesellschaft gerichtet, die bis dahin vernachlässigt worden waren. Vornehmlich sollten die Defizite jener politikwissenschaftlichen DDR-Forschung aufgearbeitet werden, die sich in der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre dem "Sozialismus in den Farben der DDR" in "vorurteilsfreier" und "kritisch-immanenter" Betrachtung nähern wollte. Ihr fatales Ergebnis war eine Sicht der SED-Diktatur, die ihre "Entdämonisierung" erstrebte, aber zur Realität allzu oft in Widerspruch geriet.
Der vorliegende Sammelband, der 19 Beiträge von 19 Historikern, Politologen, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern und Germanisten vereint - sowohl "Ossis" wie "Wessis" -, präsentiert erste Forschungsergebnisse des Berliner Wissenschaftsverbunds. Der Ertrag ist beachtlich und ermutigend.
In Analysen und Fallstudien zur Geschichte der KPD/SED und der DDR werden vordem kaum behandelte oder ganz ausgeblendete Themen aufgegriffen, wobei gerechterweise dazu gesagt werden muß, daß den Autoren die Gunst der Geschichte beschieden war: Wann bricht schon mal ein Staat so total wie die DDR zusammen, daß er sich der Forschung von A bis O erschließt - und das unter Umständen, die Historikern und Politologen die archivalische Hinterlassenschaft des Ancien régimes so gut wie uneingeschränkt zugänglich machen!
Die Berliner Wissenschaftler haben ihre Chance genutzt. Auf ihren Themenfeldern beackern sie Neuland. Im einzelnen wenden sich Horst Laude und Manfred Wilke den erstaunlich frühen Plänen der KPD-Führung im Moskauer Exil zur Gewerkschaftsarbeit im Nachkriegsdeutschland zu, Peter Erler steuert dazu eine gut dokumentierte Analyse zur Kaderplanung der Exil-KPD bei; letztgenannter Autor behandelt auch die Verfolgung Berliner Sozialdemokraten durch die sowjetische Geheimpolizei 1945/46, einen bisher nicht näher erforschter Sachverhalt. Karl-Heinz Schmidt thematisiert in seiner Fallstudie "Als Stalin starb" die Reaktionen des Regimes und der Bevölkerung in der DDR auf den Tod des Roten Zaren anhand interner Berichte, die erstmals publiziert werden. In zwei Beiträgen untersuchen Martin Georg Goerner und Michael Kubina Strukturen, Methodik und Denkmuster der SED-Kirchenpolitik in den fünfziger und siebziger Jahren. Die in diesem Zusammenhang aufgezeigte Verquickung von Politbürokratie und Staatssicherheit ist beklemmend.
Zwei in dem Band enthaltene Fallstudien zur jüngsten Geschichte haben bereits öffentliche Kontroversen ausgelöst, als sie in der Arbeit der Bundestags-Enquetekommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" zur Sprache gebracht wurden: die Auswirkungen der Situation in Polen 1980/81 auf die beiden deutschen Staaten, zugespitzt auf das Treffen Schmidt/Honecker am Werbellinsee, die Kubina und Wilke anhand interner Protokollaufzeichnungen erforscht haben; und die von Reinhardt Gutsche nachgewiesene Option der Politbürokratie der SED 1980/81 auf die militärische Niederschlagung der polnischen Oppositionsbewegung.
Bernd Rabehl und Mechthild Günther zeichnen, durch Fakten reich belegt, die Umwandlung und Funktionsweise der Humboldt-Universität als "sozialistische Hochschule" nach. Jochen Staadt kommt mit zwei Fallstudien zur Einstellung der DDR auf die Olympischen Spiele 1972 durch die SED und zu ihrer Einmischung in den Bundestagswahlkampf 1986/87 zu Wort. Die Schützenhilfe der SED für SPD und Grüne gibt angesichts der Affinität einiger sozialdemokratischer Politiker zur PDS noch heute zu denken. Die Aufarbeitung der Frühgeschichte der DKP im Lichte von SED-Archivalien durch Hans-Peter Müller illustriert in diesem Kontext eine spezielle Variante der Ostberliner Westarbeit von einst.
Besonders hervorhebenswert, weil als Basis weitergehender Forschungen geeignet, ist die Arbeit von Martin Jander, Matthias Manrique und Barbara Strenge zur Gechichte der DDR-Opposition in den siebziger und achtziger Jahren. Mit guten Gründen wird die bis heute ignorierte Bedeutung der Bausoldaten für oppositionelles Verhalten in der DDR herausgearbeitet. Ebenfalls neu sind die Erkenntnisse zur "Initiative Frieden und Menschenrechte", deren Entstehung eine Zäsur in der Geschichte der DDR-Opposition darstellt, sowie zum Zusammenwirken von Rainer Eppelmann und Robert Havemann. "Im Unterschied zur polnischen, tschechoslowakischen und ungarischen Opposition springt ins Auge, daß die DDR-Opposition den Traum von 1968, von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz, weiterträumt." Warum das so war, bedarf noch eingehender Untersuchung. Unerwähnt lassen die Autoren die Provokation Rolf Henrichs mit seinem Buch "Der vormundschaftliche Staat". Warum?
Wer die Kontroversen kennt, die die politikwissenschaftliche DDR-Forschung seit Ende der sechziger Jahre hierzulande überzogen haben, wird von der kritischen, zuweilen polemischen Aufarbeitung ihrer Versäumnisse, die Klaus Schroeder und Jochen Staadt in zwei Untersuchungen zur DDR-Forschung in der Ära der Entspannungspolitik besorgen, kaum überrascht sein. Was sie an Versäumnissen und Fehlern der westdeutschen DDR-Forschung nachweisen, grenzt an Geschichtsverdrängung, deren Motive in ideologischer Voreingenommenheit zu suchen sind.
Zwei Arbeiten erörtern Gegenwartsfragen. Ulrich Hartmann und Stephan Herten befassen sich mit der Problematik des Länderzusammenschlusses Berlin-Brandenburg. Walter Heering und Klaus Schroeder problematisieren die Neuordnung der Arbeitsbeziehungen in ostdeuschen Betrieben. In solchen Forschungen zum Einigungsprozeß und zur Transformation der gewesenen DDR dürfte neben der historischen Aufarbeitung ein künftiger Schwerpunkt des Berliner Wissenschaftsverbunds liegen.
Den Sammelband rundet ein Beitrag von Peter Steinbach zu deutscher Vergangenheitsbewältigung in vergleichender Perspektive, in dem der Berliner Historiker, der übrigens nicht zum Forschungsverbund gehört, "die Bewältigung der Geschichte der DDR als ein komplexes politisches, wirtschaftliches, kulturelles und individuelles Problem" abhandelt und dabei Fragen nicht nur der Wiedergutmachung von Unrecht, sondern auch der Integration der "durch ihre Verstrickung in das SED-System belasteten Menschen" einbezieht.
Für die mit der DDR-Vergangenheit befaßte Politologie und Historiographie ist der Sammelband richtungweisend. Freilich läßt er auch ermessen, was noch zu tun bleibt. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur ist noch in den Anfängen.
KARL WILHELM FRICKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Forschungsergebnisse des Berliner Wissenschaftsverbundes SED-Staat
Klaus Schroeder (Herausgeber): Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen. Akademie Verlag, Berlin 1994. 434 Seiten, 78,- Mark.
Als 1992 an der Freien Universität Berlin der interdisziplinäre "Forschungsverbund SED-Staat" unter maßgeblicher Mitwirkung von Manfred Wilke und Klaus Schroeder entstand, war seine Zielsetzung von Anbeginn auf die wissenschaftliche Analyse solcher Aspekte der DDR-Gesellschaft gerichtet, die bis dahin vernachlässigt worden waren. Vornehmlich sollten die Defizite jener politikwissenschaftlichen DDR-Forschung aufgearbeitet werden, die sich in der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre dem "Sozialismus in den Farben der DDR" in "vorurteilsfreier" und "kritisch-immanenter" Betrachtung nähern wollte. Ihr fatales Ergebnis war eine Sicht der SED-Diktatur, die ihre "Entdämonisierung" erstrebte, aber zur Realität allzu oft in Widerspruch geriet.
Der vorliegende Sammelband, der 19 Beiträge von 19 Historikern, Politologen, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern und Germanisten vereint - sowohl "Ossis" wie "Wessis" -, präsentiert erste Forschungsergebnisse des Berliner Wissenschaftsverbunds. Der Ertrag ist beachtlich und ermutigend.
In Analysen und Fallstudien zur Geschichte der KPD/SED und der DDR werden vordem kaum behandelte oder ganz ausgeblendete Themen aufgegriffen, wobei gerechterweise dazu gesagt werden muß, daß den Autoren die Gunst der Geschichte beschieden war: Wann bricht schon mal ein Staat so total wie die DDR zusammen, daß er sich der Forschung von A bis O erschließt - und das unter Umständen, die Historikern und Politologen die archivalische Hinterlassenschaft des Ancien régimes so gut wie uneingeschränkt zugänglich machen!
Die Berliner Wissenschaftler haben ihre Chance genutzt. Auf ihren Themenfeldern beackern sie Neuland. Im einzelnen wenden sich Horst Laude und Manfred Wilke den erstaunlich frühen Plänen der KPD-Führung im Moskauer Exil zur Gewerkschaftsarbeit im Nachkriegsdeutschland zu, Peter Erler steuert dazu eine gut dokumentierte Analyse zur Kaderplanung der Exil-KPD bei; letztgenannter Autor behandelt auch die Verfolgung Berliner Sozialdemokraten durch die sowjetische Geheimpolizei 1945/46, einen bisher nicht näher erforschter Sachverhalt. Karl-Heinz Schmidt thematisiert in seiner Fallstudie "Als Stalin starb" die Reaktionen des Regimes und der Bevölkerung in der DDR auf den Tod des Roten Zaren anhand interner Berichte, die erstmals publiziert werden. In zwei Beiträgen untersuchen Martin Georg Goerner und Michael Kubina Strukturen, Methodik und Denkmuster der SED-Kirchenpolitik in den fünfziger und siebziger Jahren. Die in diesem Zusammenhang aufgezeigte Verquickung von Politbürokratie und Staatssicherheit ist beklemmend.
Zwei in dem Band enthaltene Fallstudien zur jüngsten Geschichte haben bereits öffentliche Kontroversen ausgelöst, als sie in der Arbeit der Bundestags-Enquetekommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" zur Sprache gebracht wurden: die Auswirkungen der Situation in Polen 1980/81 auf die beiden deutschen Staaten, zugespitzt auf das Treffen Schmidt/Honecker am Werbellinsee, die Kubina und Wilke anhand interner Protokollaufzeichnungen erforscht haben; und die von Reinhardt Gutsche nachgewiesene Option der Politbürokratie der SED 1980/81 auf die militärische Niederschlagung der polnischen Oppositionsbewegung.
Bernd Rabehl und Mechthild Günther zeichnen, durch Fakten reich belegt, die Umwandlung und Funktionsweise der Humboldt-Universität als "sozialistische Hochschule" nach. Jochen Staadt kommt mit zwei Fallstudien zur Einstellung der DDR auf die Olympischen Spiele 1972 durch die SED und zu ihrer Einmischung in den Bundestagswahlkampf 1986/87 zu Wort. Die Schützenhilfe der SED für SPD und Grüne gibt angesichts der Affinität einiger sozialdemokratischer Politiker zur PDS noch heute zu denken. Die Aufarbeitung der Frühgeschichte der DKP im Lichte von SED-Archivalien durch Hans-Peter Müller illustriert in diesem Kontext eine spezielle Variante der Ostberliner Westarbeit von einst.
Besonders hervorhebenswert, weil als Basis weitergehender Forschungen geeignet, ist die Arbeit von Martin Jander, Matthias Manrique und Barbara Strenge zur Gechichte der DDR-Opposition in den siebziger und achtziger Jahren. Mit guten Gründen wird die bis heute ignorierte Bedeutung der Bausoldaten für oppositionelles Verhalten in der DDR herausgearbeitet. Ebenfalls neu sind die Erkenntnisse zur "Initiative Frieden und Menschenrechte", deren Entstehung eine Zäsur in der Geschichte der DDR-Opposition darstellt, sowie zum Zusammenwirken von Rainer Eppelmann und Robert Havemann. "Im Unterschied zur polnischen, tschechoslowakischen und ungarischen Opposition springt ins Auge, daß die DDR-Opposition den Traum von 1968, von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz, weiterträumt." Warum das so war, bedarf noch eingehender Untersuchung. Unerwähnt lassen die Autoren die Provokation Rolf Henrichs mit seinem Buch "Der vormundschaftliche Staat". Warum?
Wer die Kontroversen kennt, die die politikwissenschaftliche DDR-Forschung seit Ende der sechziger Jahre hierzulande überzogen haben, wird von der kritischen, zuweilen polemischen Aufarbeitung ihrer Versäumnisse, die Klaus Schroeder und Jochen Staadt in zwei Untersuchungen zur DDR-Forschung in der Ära der Entspannungspolitik besorgen, kaum überrascht sein. Was sie an Versäumnissen und Fehlern der westdeutschen DDR-Forschung nachweisen, grenzt an Geschichtsverdrängung, deren Motive in ideologischer Voreingenommenheit zu suchen sind.
Zwei Arbeiten erörtern Gegenwartsfragen. Ulrich Hartmann und Stephan Herten befassen sich mit der Problematik des Länderzusammenschlusses Berlin-Brandenburg. Walter Heering und Klaus Schroeder problematisieren die Neuordnung der Arbeitsbeziehungen in ostdeuschen Betrieben. In solchen Forschungen zum Einigungsprozeß und zur Transformation der gewesenen DDR dürfte neben der historischen Aufarbeitung ein künftiger Schwerpunkt des Berliner Wissenschaftsverbunds liegen.
Den Sammelband rundet ein Beitrag von Peter Steinbach zu deutscher Vergangenheitsbewältigung in vergleichender Perspektive, in dem der Berliner Historiker, der übrigens nicht zum Forschungsverbund gehört, "die Bewältigung der Geschichte der DDR als ein komplexes politisches, wirtschaftliches, kulturelles und individuelles Problem" abhandelt und dabei Fragen nicht nur der Wiedergutmachung von Unrecht, sondern auch der Integration der "durch ihre Verstrickung in das SED-System belasteten Menschen" einbezieht.
Für die mit der DDR-Vergangenheit befaßte Politologie und Historiographie ist der Sammelband richtungweisend. Freilich läßt er auch ermessen, was noch zu tun bleibt. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur ist noch in den Anfängen.
KARL WILHELM FRICKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main