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Seit dem 19. Jahrhundert veröffentlichen Staaten Dokumente zur Information und Rechtfertigung ihrer Außenpolitik. Diese Publikationen wurden nicht nur streng zensiert, sondern die Dokumente teilweise regelrecht entstellt. Im "Krieg der Dokumente" um die Frage nach der Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs gingen zuerst Deutschland und dadurch genötigt auch England und Frankreich dazu über, die Dokumente von "objektiven" Wissenschaftlern edieren zu lassen. Eine ähnliche Professionalisierung durchliefen auch die "Foreign Relations of the United States". Im Zweiten Weltkrieg erhielt die…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem 19. Jahrhundert veröffentlichen Staaten Dokumente zur Information und Rechtfertigung ihrer Außenpolitik. Diese Publikationen wurden nicht nur streng zensiert, sondern die Dokumente teilweise regelrecht entstellt. Im "Krieg der Dokumente" um die Frage nach der Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs gingen zuerst Deutschland und dadurch genötigt auch England und Frankreich dazu über, die Dokumente von "objektiven" Wissenschaftlern edieren zu lassen. Eine ähnliche Professionalisierung durchliefen auch die "Foreign Relations of the United States". Im Zweiten Weltkrieg erhielt die Dokumentenfrage erneut Brisanz, als die Alliierten deutsche Archive erbeuteten. Aus einer zunächst rein nachrichtendienstlichen Operation folgte im Kalten Krieg das historische Editionsprojekt der "Akten zur deutschen auswärtigen Politik", in dem historische Quellen auch als Instrument der Propaganda benutzt wurden. Der Autor analysiert in dieser Studie das Spannungsverhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Politik, betrachtet staatliche Zensoren und Historiker zwischen wissenschaftlicher Ethik und Staatsräson.
Autorenporträt
Sacha Zala ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Bern
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass sich in dieser Publikation über internationale Akten zur Außenpolitik der "Staub der Archive" im "Pulverdampf früherer Schlachten" niederschlägt, so Rezensent Daniel Kosthorst, wird insbesondere daran deutlich, dass sich die Publikationen zum Teil aus der historischen Situation herleiten lassen. So ist die Frage nach der Kriegsschuld am ersten Weltkrieg entscheidend gewesen für die Offenlegung einer Zahl von Aktenstücken aus deutschen Archiven. Der Quellenwert dieser Publikationen sei aber so alt wie diese selbst, wie Kosthorst bemerkt. Erstaunlich findet er, dass sich die neutrale Schweiz so lange (bis 1961) mit der Veröffentlichung deutscher Akten, die Vereinbarungen zwischen Schweizerischen und französischen Militärs aufweisen, zurückgehalten hat. Dies spricht nach nach Meinung des Rezensenten für die "Explosionsgefahr", die diese Akten in sich bergen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Pulverdampf unter Aktenstaub
Amtliche Editionen zur Außenpolitik: Hin und wieder gab es Interventionen

Sacha Zala: Geschichte unter der Schere politischer Zensur. Amtliche Aktensammlungen im internationalen Vergleich. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 385 Seiten, 98,- Mark.

Sacha Zala beschreibt die Geschichte internationaler Aktenpublikationen am Beispiel ausgewählter amtlicher Editionen zur Außenpolitik. Eindrucksvoll führt das Buch vor, daß der Staub der Archive stets auch der Pulverdampf früherer Schlachten ist, der manchmal sogar noch den Zündstoff für neue Auseinandersetzungen in sich trägt.

Die Ursprünge der großen wissenschaftlichen Akteneditionen, die heute von allen größeren Staaten regelmäßig publiziert werden, reichen bis ins Jahr 1624 zurück. Damals veröffentlichte das englische Kabinett gezielt diplomatische Korrespondenzen, um Oppositionskritik zu begegnen. Aus diesem Vorläufer entwickelten sich mit der zunehmenden Parlamentarisierung Europas die sogenannten Farbbücher, die als Propagandainstrumente vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber auch noch einmal während der Weltkriege des 20. Jahrhunderts große Bedeutung gewannen. Diese Publikationen - benannt nach der je nach Nationalität unterschiedlichen Farbe der Einbände - dienten ausschließlich der Legitimation des Regierungshandelns. Sie erfüllten keinerlei wissenschaftlichen Anspruch.

Dies änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Ausgelöst durch die Frage der Kriegsschuld, entschloß sich die deutsche Regierung, eine Dokumentensammlung zum Ausbruch des Krieges vorzubereiten. Das Projekt entwickelte sich zum entscheidenden Anstoß für die großen Aktenpublikationen der Zwischenkriegszeit, die im Zeichen der Kriegsschuldkontroverse zur "Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln" gerieten, wie Zala zugespitzt formuliert. Zwischen 1922 und 1927 erschienen die 54 Bände der "Großen Politik der europäischen Kabinette", die für den Zeitraum 1871 bis 1914 eine Fülle von Aktenstücken aus den deutschen Archiven offenlegten. Die Diskussion um den Quellenwert dieser Publikation ist so alt wie sie selbst. Der Verfasser teilt die heute mehrheitlich vertretene Auffassung, daß die "Große Politik" weitgehend wissenschaftlich akzeptabel sei, führt aber an einigen Fallbeispielen noch einmal vor, warum quellenkritische Vorsicht geboten ist.

Die deutsche Aktenedition setzte die Siegerstaaten unter den Druck, ihrerseits die Archive zu öffnen. In den Jahren 1926 bis 1938 erschienen die "British Documents on the Origins of the War", ab 1929 folgten die "Documents diplomatiques français (1871-1914)", deren letzter Band allerdings erst 1959 herauskam. Die Briten taten dabei mit der Beauftragung unabhängiger Historiker den entscheidenden Schritt hin zu einer wirklich wissenschaftlichen Editionspraxis. Der Vorgang ist - auch wenn Konflikte zwischen dem Foreign Office und den Herausgebern nicht ausblieben - für die Zeitgeschichte in doppelter Hinsicht bedeutsam: Erstmals rekurrierte ein Staat zur Legitimation einer Aktenpublikation auf die Autorität externer Historiker und verhalf damit gleichzeitig der Geschichtswissenschaft zu einem Ansehen neuer Qualität.

Die Erfahrungen des "Weltkriegs der Dokumente" nach dem Ersten Weltkrieg veranlaßten schon vor Ende des Zweiten Weltkriegs das britische Außenministerium zu Planungen für eine Veröffentlichung der Akten des nationalsozialistischen Deutschland unter der Regie der Siegermächte. Im März 1945 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Sicherstellung der deutschen Archive und ein Jahr später auf die Gründung eines Editionsprojekts für die Akten des Auswärtigen Amts. Frankreich wirkte seit 1947 mit, ab 1960 wurde auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt.

Die Geschichte der "Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945", deren erster Band im Jahr 1949 in der englischen Ausgabe erschien, spiegelt die Geschichte des Kalten Krieges. Allein der Fund des geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt macht die Sprengkraft deutlich, die auch für die Kriegsalliierten selbst in den deutschen Akten lag. Die Edition war den verschiedensten Beeinflussungsversuchen ausgesetzt. Während etwa die Briten - am Ende vergeblich - auf eine Unterdrückung der Unterlagen drängten, die den Herzog von Windsor in peinlicher Nähe zum NS-Regime zeigten, betrieben die Amerikaner nach dem Scheitern der gemeinsamen Deutschland-Politik mit der Sowjetunion eine vorzeitige Veröffentlichung der kompromittierenden Überlieferung zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1939 bis 1941. Um so wichtiger war deshalb die Tatsache, daß das internationale Herausgebergremium nach dem Vorbild der britischen Vorkriegsedition aus unabhängigen Historikern bestand. Diese konnten sich dem Zugriff der nationalen Außenministerien weitgehend entziehen, auch wenn sie begrenzte Kompromisse eingehen mußten.

Einen besonders interessanten Fall, der auf Intervention eines gänzlich unerwarteten Akteurs zurückging, schildert der Autor im letzten Kapitel seines gründlich recherchierten Werks. Nicht eine der kriegsbeteiligten Großmächte, sondern die neutrale Schweiz setzte einen direkten Eingriff in die Edition durch. Entgegen der Planung enthielt der 1957 veröffentlichte X. Band nicht die deutschen Akten über die Vereinbarungen, die schweizerische und französische Militärs 1940 für den Fall eines deutschen Angriffs auf die Schweiz getroffen hatten. Die Veröffentlichung erfolgte erst 1961. Durch geschicktes Taktieren gelang es dem Bundesrat in Bern selbst dann noch, die eigentliche Brisanz der Enthüllung dieser - die Neutralität ins Zwielicht rückenden - Begebenheit zu vertuschen. Die eigenen Archivalien hielt die Schweiz sogar noch bis weit in die siebziger Jahre unter Verschluß. Daß das Kernland der Demokratie zu solcher Vorsicht griff, belegt anschaulich die von historischen Akten befürchtete Explosionsgefahr.

DANIEL KOSTHORST

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Eindrucksvoll führt das Buch vor, daß der Staub der Archive stets auch der Pulverdampf früherer Schlachten ist, der manchmal sogar noch den Zündstoff für neue Auseinandersetzungen in sich trägt." Daniel Kosthorst, in: FAZ 9-10.2001