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Im Mai 1944 wurden am Turchino-Paß in der Nähe von Genua 59 italienische Gefangene von einem deutschen Exekutionskomman-do erschossen. Die Erschießung erfolgte als eine völkerrechtlich zulässige Vergeltung auf einen Bombenanschlag, der von italie-nischen Partisanen auf deutsche Soldaten in einem Kino in Genua verübt worden war.Der für die Exekution verantwortlich gemachte deutsche Sicher-heitsdienstoffizier Dr. Friedrich Engel wurde 58 Jahre später im Alter von 94 Jahren von einem Strafgericht in Hamburg wegen Mordes verurteilt.Das Gerichtsverfahren gegen Dr. Friedrich Engel, das starke…mehr

Produktbeschreibung
Im Mai 1944 wurden am Turchino-Paß in der Nähe von Genua 59 italienische Gefangene von einem deutschen Exekutionskomman-do erschossen. Die Erschießung erfolgte als eine völkerrechtlich zulässige Vergeltung auf einen Bombenanschlag, der von italie-nischen Partisanen auf deutsche Soldaten in einem Kino in Genua verübt worden war.Der für die Exekution verantwortlich gemachte deutsche Sicher-heitsdienstoffizier Dr. Friedrich Engel wurde 58 Jahre später im Alter von 94 Jahren von einem Strafgericht in Hamburg wegen Mordes verurteilt.Das Gerichtsverfahren gegen Dr. Friedrich Engel, das starke Beachtung im In- und Ausland gefunden hat, wirft zahlreiche Fragen von ebenso grundsätzlicher wie praktischer Bedeutung auf, die jeden, der sich mit der deutschen Geschichte des Zweiten Weltkriegs und danach beschäftigt, interessieren müssen.Macht es Sinn, Greise vor Gericht zu stellen? Können und sollen Richter Vergangenheit bewältigen? Kann ein Geschehen nach einem halben Jahrhundert noch präzise aufgeklärt werden? Dürfen Tötungshandlungen im Krieg mit den Maßstäben des nationalen Strafrechts gemessen werden? Oder stellt sich dieFrage: Welche Tötungen im Zweiten Weltkrieg waren nicht grausam?Der renommierte Staatsrechtler Ingo von Münch analysiert den Prozeß und seine Hintergründe.
Autorenporträt
Ingo von Münch, geboren 1932 in Berlin, habilitierte sich nach Jurastudium in Frankfurt a.M. 1963 für Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht. Von 1963-1973 war er o. Prof. in Bochum, danach bis 1998 in Hamburg, beurlaubt von 1987-1991 als Wissenschafts- und Kultursenator. Von 1991-1993 nahm er einen Lehrauftrag an der Universität Rostock wahr. Gastprofessuren führten ihn nach Australien, Frankreich, Neuseeland, Südafrika und in die USA. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Hochschulwesen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2004

Deutsches Absolutheitspostulat
Der Hamburger Prozeß gegen den SD-Offizier Friedrich Engel

Ingo von Münch: Geschichte vor Gericht. Der Fall Engel. Verlag Ellert&Richter, Hamburg 2004. 175 Seiten, 14,95 [Euro].

Der Staats- und Völkerrechtslehrer Ingo von Münch beschreibt einen der wohl letzten Strafprozesse, den ein deutsches Gericht 2002 wegen einer im Zweiten Weltkrieg begangenen Tat führte. Das Verfahren endete mit der Verurteilung des 93jährigen Dr. Friedrich Engel zu sieben Jahren Gefängnis. Die damals 58 Jahre zurückliegende Erschießung von Gefangenen gehörte zu den Repressalien, mit denen die Wehrmacht auf terroristische Attentate italienischer Partisanen reagiert hatte. Im letzten Jahrzehnt sind diese Repressalien öfter als früher diskutiert worden und als Symptome einer angeblich generellen Barbarisierung der deutschen Kriegführung gewertet worden.

Engel war offenbar einer von Himmlers "Glaubenskriegern" gewesen: ein jugendlicher, akademisch vorgebildeter SD-Offizier, der als solcher im Herbst 1943 im Rahmen der Sicherung der noch unter deutscher Kontrolle verbliebenen Teile Italiens als Polizeichef nach Genua geschickt worden war. Doch die Tat, an der er dort verantwortlich mitwirkte, war kein NS-typisches Verbrechen, sondern eine Repressal-Tötung als Erwiderung eines völkerrechtswidrigen Angriffs, wie sie damals völkerrechtlich geduldet war. Denn durch ein Bombenattentat waren in Genua in einem Kino fünf oder sechs deutsche Soldaten getötet und zirka 15 weitere teils schwer verletzt worden. Zur Vergeltung erschoß die Wehrmacht - in diesem Falle die Marine - am nahen Turchino-Paß 59 Italiener, die wegen anderer Handlungen gegen die Besatzung inhaftiert waren; sie handelte also barbarisch und exzessiv, aber ähnlich wie wenige Jahre zuvor die italienische Armee in Äthiopien.

Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer hatten schon um 1950 eine Wiederverständigung von Italienern und Deutschen nach Kräften befördert, dabei auf Normalisierung gesetzt und darum auf Aufspürung und Bestrafung von Unrecht im Krieg keinen großen Wert mehr gelegt. Gegen bloße Mittäter war seitdem nicht mehr prozessiert worden - italienischerseits auch deshalb nicht, weil man die im Friedensvertrag von 1947 bestimmte Auslieferung eigener Leute in Äthiopien, Jugoslawien oder Griechenland unbedingt vermeiden wollte und vermied. Erst in den neunziger Jahren begann die Militärjustiz, die es in Italien noch gibt, mit neuen Verfahren, nunmehr gegen deutsche Greise. Am bekanntesten wurde der Fall des Erich Priebke, Mittäter bei der berüchtigten, aber eigentlich 1948 abschließend abgeurteilten Massenerschießung in den römischen Fosse Ardeatine. Zwischen 1996 und 1998 wurden in Rom drei Prozesse gegen ihn geführt, bis die Verurteilung zustande kam; seither lebt Priebke im Hausarrest. 1999 wurde Friedrich Engel von einem Turiner Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Daraufhin brachte die Staatsanwaltschaft in Hamburg, welche 1969 ein Ermittlungsverfahren eingestellt hatte, den Prozeß gegen ihn doch noch in Gang.

Da in Deutschland seit 1969 beziehungsweise 1979 Völkermord und Mord nicht verjähren, konnte die Staatsanwaltschaft Engel nur wegen Mordes anklagen und mußte dazu die besondere Grausamkeit der Repressalie am Turchino-Paß behaupten; dem schloß sich die Strafkammer an. Das Hamburger Urteil bezeichnet Münch auf Grund eingehender Erörterung vieler vergleichbarer, aber nie geahndeter Fälle als falsch. Er verweist auf die Grausamkeit des Krieges insgesamt und hält der Strafkammer vor, daß sie die Zeitumstände weder würdigte noch würdigen wollte; daß die Anwendung der für das Leben in einer Zivilgesellschaft konzipierten Mordparagraphen auf Kriegshandlungen schon an sich problematisch sei und daß das dabei in Hamburg angewendete, wohl typisch deutsche Absolutheitspostulat zu Ergebnissen geführt habe, die prinzipiell in keiner Rechtsordnung anerkannt seien. Die Richter seien bei der Auslegung des Gesetzes auch dem Zeitgeist gefolgt, der in solchen Fällen in Deutschland unbedingt Bestrafung fordere. Viele Einzelheiten des schlimmen Geschehens im Mai 1944 hätten nicht aufgeklärt werden könnten. Ein verspäteter Strafprozeß eigne sich nur sehr bedingt zu historischer Wahrheitsfindung.

Münchs Buch ist kein Plädoyer für Engel oder einen anderen Täter seiner Art, sondern für Maß, Vernunft und Unparteilichkeit in der Justiz. Ein solches Plädoyer wäre freilich auch an diejenigen Historiker und Publizisten zu richten, welche inzwischen das Verhalten der Wehrmacht in Italien pauschal verurteilen. Sie sind nicht objektiver als die, welche bis in die siebziger Jahre hinein die Legende vom "sauberen Italien-Krieg" verbreitet hatten.

RUDOLF LILL

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Staats- und Völkerrechtler Ingo von Münch fasst in seinem einen Strafprozess zusammen, in dem Friedrich Engel in Hamburg 2002 als 93 Jähriger zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, so Rudolf Lill. Dieser war verantwortlicher Polizeichef in Genua bei einer 59-fachen Repressal-Tötung, die als Antwort auf ein Bombenattentat ausgeführt wurde. Das Hamburger Urteil aber, so der Rezensent, bezeichne Münch als falsch, denn es werden seiner Einschätzung nach weniger die damaligen Zeitumstände berücksichtigt als der heutige Zeitgeist. Trotzdem will der Rezensent Münchs Kritik nicht als "Plädoyer für Engel oder einen anderen Täter seiner Art, sondern für Maß, Vernunft und Unparteilichkeit in der Justiz" lesen. Für den Autor, so weiß der Rezensent, eigne sich ein verspäteter Strafprozess nur sehr bedingt zur historischen Wahrheitsfindung und er fordere die Historiker und Publizisten auf, die Taten der Wehrmacht in Italien nicht pauschal zu verurteilen.

© Perlentaucher Medien GmbH