Das Werk Arno Schmidts ist das eines Einzelgängers, eines radikalen Avantgardisten jenseits aller Klassifizierung. Schmidt streift die starren Regeln der Grammatik ab, um sie - mit scharfsinniger Beobachtung und überlegenem Humor - für seine Prosaästhetisch konsequent neu zu erschaffen. Aus dem Leben eines Fauns und Leviathan zeugen vom unmittelbaren Kriegserleben. Brand's Haide und Die Umsiedler entwerfen Bilder von Flucht, Vertreibung und der verzweifelten Suche nach Heimat, die auch Schmidts »wohl schönste Liebesgeschichte« (Walter Kempowski) Seelandschaft mit Pocahontas grundieren. Der zweite Teil eröffnet mit Das steinerne Herz - derersten literarischen Thematisierung des geteilten Deutschlands. In Kaff auch Mare Crisium ist die düstere Vision atomarer Zerstörung, die Russen undAmerikaner zwingt, den kalten Krieg auf dem Mond fortzusetzen, noch die Fiktion des Protagonisten. In Schwarze Spiegel dagegen wird die Vernichtung der Menschheit zur Wirklichkeit des - vermeintlich -letzten Überlebenden des dritten Weltkriegs.Diese zweibändige Ausgabe vereint unter dem Namen Geschichten aus Deutschland die wichtigsten Romane und Erzählungen von Arno Schmidt entsprechend der Chronologie ihrer Handlung. Damit eröffnet sie einen spannend-vergnüglichen Einblick in das Herzstück des Werks eines der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2008Pro Beischlaf einen Folianten
Arno Schmidt: „Das steinerne Herz”
Als dieser Roman 1956 auf die Welt kam, muss er die Zeitgenossen ziemlich verschreckt haben. Tonangebend waren Autoren wie Georg Britting, Werner Bergengruen oder Gertrud von le Fort, ein hoher, pathetischer, schicksalsgeschwängerter deutscher Ton – und dann dieser raue Arno Schmidt-Duktus! Diese Coolness, dieser schneidende Witz, diese kompromisslose Form von Zuspitzung und Verknappung scheint mit den Fünfzigern überhaupt nichts zu tun zu haben. Dazu noch die kühne Unterzeile: „Historischer Roman aus dem Jahre 1954 nach Christi” – dieser Autor schreibt geradezu ungestüm seiner Zeit voraus.
„Das steinerne Herz” ist vielleicht der Roman Schmidts, der thematisch die größte Anschlussfähigkeit an zeitgeschichtliche Leserbedürfnisse besitzt, denn die „Ostzone” spielt eine gewisse Rolle. Doch die Reise des Privatgelehrten Walter Eggers nach Ostberlin zeigt eine Spielart des Ost-West-Gegensatzes, die ziemlich aus dem Rahmen fällt: Die DDR hat für diesen seltsamen Niedersachsen etwas Magisches, nicht so Fremdbestimmtes, und die zarte Line Hübner ist von einer solch scheuen deutschen Grazie, dass man sich fast die Augen reibt. Damit hat Schmidt, der in der Adenauerrepublik zeitweise ernsthaft mit dem realen Sozialismus kokettierte, sich natürlich zwischen alle Stühle gesetzt – sein „Formalismus” passte letztlich noch weniger in die DDR als in die BRD.
Hauptheld Walter Eggers, so stubengelehrt er wirkt und in seiner Narretei für alte und entlegene Folianten viel mit seinem Autor gemein hat, ist auch ein Produkt des Wirtschaftswunderlandes. Die Haupthandlung dreht sich darum, dass Eggers alles tut, um an seltene statistische Handbücher aus der hannoverschen Landesgeschichte heranzukommen. Er beginnt ein Verhältnis mit Frieda Thumann, die derlei Sachen geerbt hat, und der Deal ist ganz einfach: Pro Beischlaf gibt es einen Folianten für ihn. Die Selbstironie, das Spiel mit dem Eigentlichen und Ungefähren führt Arno Schmidt hier virtuos vor: Diese statistischen Jahrbücher sind für die große Allgemeinheit wirklich nicht sonderlich aufregend, aber sie erinnern sehr stark an Schmidts Faszination für spezielle deutsche Geistesregungen aus dem 18. Jahrhundert und für die Bibliophilie überhaupt. Dabei wirkt Eggers in der rigiden Verfolgung seiner Interessen, unter Einschluss sexuellen Vollzugs, reichlich unsympathisch. Trotzdem – die Sprache, die der Autor dabei an den Tag legt, diese anarchische Lust, diese so merkwürdig zeitlose, überhaupt nicht veraltete, diese frische Satz- und Dialogfertigkeit!
Einmal schwadroniert Eggers: „Wenn ich nicht schon von Geburt Atheist wäre, würde mich der Anblick Adenauer=Deutschlands dazu machen!” Das klingt ungeheuer tagespolitisch, dabei ist der Roman woanders gelagert, in den lüsternen, edlen und hehren Zonen reiner Sprachartistik. Wunderbar, so etwas in der jüngeren Literaturgeschichte zu haben! HELMUT BÖTTIGER
Arno Schmidt Foto: SZ Photo
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Arno Schmidt: „Das steinerne Herz”
Als dieser Roman 1956 auf die Welt kam, muss er die Zeitgenossen ziemlich verschreckt haben. Tonangebend waren Autoren wie Georg Britting, Werner Bergengruen oder Gertrud von le Fort, ein hoher, pathetischer, schicksalsgeschwängerter deutscher Ton – und dann dieser raue Arno Schmidt-Duktus! Diese Coolness, dieser schneidende Witz, diese kompromisslose Form von Zuspitzung und Verknappung scheint mit den Fünfzigern überhaupt nichts zu tun zu haben. Dazu noch die kühne Unterzeile: „Historischer Roman aus dem Jahre 1954 nach Christi” – dieser Autor schreibt geradezu ungestüm seiner Zeit voraus.
„Das steinerne Herz” ist vielleicht der Roman Schmidts, der thematisch die größte Anschlussfähigkeit an zeitgeschichtliche Leserbedürfnisse besitzt, denn die „Ostzone” spielt eine gewisse Rolle. Doch die Reise des Privatgelehrten Walter Eggers nach Ostberlin zeigt eine Spielart des Ost-West-Gegensatzes, die ziemlich aus dem Rahmen fällt: Die DDR hat für diesen seltsamen Niedersachsen etwas Magisches, nicht so Fremdbestimmtes, und die zarte Line Hübner ist von einer solch scheuen deutschen Grazie, dass man sich fast die Augen reibt. Damit hat Schmidt, der in der Adenauerrepublik zeitweise ernsthaft mit dem realen Sozialismus kokettierte, sich natürlich zwischen alle Stühle gesetzt – sein „Formalismus” passte letztlich noch weniger in die DDR als in die BRD.
Hauptheld Walter Eggers, so stubengelehrt er wirkt und in seiner Narretei für alte und entlegene Folianten viel mit seinem Autor gemein hat, ist auch ein Produkt des Wirtschaftswunderlandes. Die Haupthandlung dreht sich darum, dass Eggers alles tut, um an seltene statistische Handbücher aus der hannoverschen Landesgeschichte heranzukommen. Er beginnt ein Verhältnis mit Frieda Thumann, die derlei Sachen geerbt hat, und der Deal ist ganz einfach: Pro Beischlaf gibt es einen Folianten für ihn. Die Selbstironie, das Spiel mit dem Eigentlichen und Ungefähren führt Arno Schmidt hier virtuos vor: Diese statistischen Jahrbücher sind für die große Allgemeinheit wirklich nicht sonderlich aufregend, aber sie erinnern sehr stark an Schmidts Faszination für spezielle deutsche Geistesregungen aus dem 18. Jahrhundert und für die Bibliophilie überhaupt. Dabei wirkt Eggers in der rigiden Verfolgung seiner Interessen, unter Einschluss sexuellen Vollzugs, reichlich unsympathisch. Trotzdem – die Sprache, die der Autor dabei an den Tag legt, diese anarchische Lust, diese so merkwürdig zeitlose, überhaupt nicht veraltete, diese frische Satz- und Dialogfertigkeit!
Einmal schwadroniert Eggers: „Wenn ich nicht schon von Geburt Atheist wäre, würde mich der Anblick Adenauer=Deutschlands dazu machen!” Das klingt ungeheuer tagespolitisch, dabei ist der Roman woanders gelagert, in den lüsternen, edlen und hehren Zonen reiner Sprachartistik. Wunderbar, so etwas in der jüngeren Literaturgeschichte zu haben! HELMUT BÖTTIGER
Arno Schmidt Foto: SZ Photo
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