Doktor Periera ist wieder da - letzte wunderbare Erzählungen des großen europäischen Autors Antonio Tabucchi
Ein "regnerischer Abend an einem holländischen Deich": Nach Jahren der Trennung entspinnt sich eine zarte Unterhaltung über die Vergangenheit zwischen einem Mann und einer Frau - dank der gemeinsamen Liebe zu van Gogh. An anderer Stelle trifft Antonio Tabucchi im Traum auf António Dacostas rothaarigen Schutzengel. Und endlich stattet der alte Doktor Pereira dem Schriftsteller mal wieder einen Besuch ab! In seinen "Geschichten zu Bildern" ergänzt Tabucchi Gemälde, Fotos, Skulpturen mit Texten zu ganz eigenen, bezaubernden Kunstwerken. Blitzartig changiert er zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Tragik und Komik - und verwandelt meisterhaft Kunst in Literatur.
Ein "regnerischer Abend an einem holländischen Deich": Nach Jahren der Trennung entspinnt sich eine zarte Unterhaltung über die Vergangenheit zwischen einem Mann und einer Frau - dank der gemeinsamen Liebe zu van Gogh. An anderer Stelle trifft Antonio Tabucchi im Traum auf António Dacostas rothaarigen Schutzengel. Und endlich stattet der alte Doktor Pereira dem Schriftsteller mal wieder einen Besuch ab! In seinen "Geschichten zu Bildern" ergänzt Tabucchi Gemälde, Fotos, Skulpturen mit Texten zu ganz eigenen, bezaubernden Kunstwerken. Blitzartig changiert er zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Tragik und Komik - und verwandelt meisterhaft Kunst in Literatur.
Aufbruch in
Traumlandschaften
Antonio Tabucchis nachgelassene Texte zu Bildern
Traum und Wirklichkeit waren für Antonio Tabucchi keine getrennten Sphären. Nächtliche Fantasien und Erfahrungen ragten ganz selbstverständlich in den Alltag hinein und gewannen für die Helden seiner mehr als dreißig Romane und Erzählungen eine ebenso große Bedeutung wie tatsächliche Geschehnisse. So liegt es nahe, dass sich der toskanische Schriftsteller immer wieder von Bildern und Fotografien inspirieren ließ. Er war mit etlichen Malern befreundet und nahm lebhaft Anteil an deren Zugriff auf die Welt.
Als Tabucchi 2012 mit 69 Jahren relativ plötzlich starb, hinterließ er eine Fülle von Prosastücken, die in Ausstellungskatalogen erschienen waren und Arbeiten meist zeitgenössischer italienischer und portugiesischer Künstler begleiteten. In dem Band „Geschichten zu Bildern“, den Thea Rimini herausgegeben hat, kann man dieses Tätigkeitsfeld Tabucchis kennenlernen. Den Texten sind die Kunstwerke vorangestellt, das Spektrum reicht von Valerio Adami, Tullio Pericoli, António Dacosta und Giuseppe Modica über Vincenzo Nisivoccia bis zu Lisa Santos Silva und Maria Helena Vieira da Silva, und das sind noch längst nicht alle.
Manchmal geht es um den Strich, den Charakter der Farben oder die Anordnung des Sujets, und Tabucchi beschreibt die Wirkung, die das Ganze auf ihn hat. In anderen Fällen liefert er kurze Erzählungen, die in einem losen Zusammenhang mit dem Kunstwerk stehen. Es können Briefe sein, aber auch Mikrogeschichten, wie die zu einer Fotografie „Ohne Titel“ des in Italien lebenden Istanbulers Münir Göle. Das Foto zeigt ein offenes Eisentor auf einer Düne am Meer. Tabucchi lässt einen alten Mann das Wort ergreifen und von einem immer wiederkehrenden Traum berichten, in dem sich ebenjenes weiße Gittertor öffnet und sich gleichzeitig Sehnsucht und Schuld bemerkbar machen.
Ein anderes Mal trifft das Alter Ego Tabucchis auf den Azoren den Maler António Dacosta im Traum – dem Text ist das Bild eines Engels mit blauen Flügeln vorangestellt – und unterhält sich mit ihm, bis sich ein Engel hinzugesellt und den beiden etwas „Ozeanisches“ in der Küche zubereitet. Im Verlauf der Geschichte gleitet der Träumende von einem Gemälde Dacostas zum nächsten und betritt sie, wie man fremde Landschaften durchschreitet.
Es versteht sich von selbst, dass in diesen Ensembles auch Fernando Pessoa, den Tabucchi gemeinsam mit seiner Ehefrau Maria José de Lancastre herausgegeben und übersetzt hat und dessen Werke so etwas wie sein literarisches Firmament bildete, eine wichtige Rolle spielen muss. Giuseppe Modicas Gemälde „La terrazza di Pessoa“, das einen Fensterladen, einen ramponierten Balkonboden und eine Brüstung vor einem weiten Himmel zeigt, wird flankiert von einer Erzählung, in der Bernardo Soares – eines der Heteronyme des portugiesischen Schriftstellers – zu einer Urlaubsreise aufbrechen will. Der Chauffeur seines Chefs soll ihn abholen und zu einem Haus am Meer bringen. Soares schreibt noch einen Brief, besteigt dann mit seinem Papagei das Auto und steht am Ende der Geschichte vor einem weitläufigen Gebäude am Meer und raucht eine Zigarette. Irgendetwas hat sich auf eigentümliche Weise verschoben, und wieder gewinnt das Imaginäre eine größere Macht als die Wirklichkeit.
In seinen besten Momenten entfaltet der Band jene elegante Beiläufigkeit, die für Tabucchis Romane charakteristisch war. Dies gilt etwa für das mehrseitige Prosastück zu einem Gemälde von Júlio Pomar „The Barrister (O Avogado)“, auf dem ein Rechtsanwalt im Talar mit Perücke zu erkennen ist. Die Hauptfigur beginnt mit einem automatischen Anrufbeantworter zu kommunizieren, der plötzlich ein Eigenleben entwickelt und Empfehlungen gibt. Draußen auf der Straße hätten sämtliche Passanten wie festgefroren gewirkt, vertraut der Anwalt der Stimme an, außerdem habe er von „Snark“ geträumt. Was das sei? „Das, was im Augenblick durch die Adern der Geschichte rinnt“, lautet die Antwort am anderen Ende.
Antonio Tabucchi ruft uns in diesem Buch etwas aus einer Welt herüber, die er zeit seines Lebens sehr mochte.
MAIKE ALBATH
Antonio Tabucchi: Geschichten zu Bildern. Herausgegeben von Thea Rimini. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Carl Hanser Verlag, München 2019. 252 Seiten, 23 Euro
Es versteht sich, dass Fernando
Pessoa, den Tabucchi übersetzt
hat, eine wichtige Rolle spielt
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Traumlandschaften
Antonio Tabucchis nachgelassene Texte zu Bildern
Traum und Wirklichkeit waren für Antonio Tabucchi keine getrennten Sphären. Nächtliche Fantasien und Erfahrungen ragten ganz selbstverständlich in den Alltag hinein und gewannen für die Helden seiner mehr als dreißig Romane und Erzählungen eine ebenso große Bedeutung wie tatsächliche Geschehnisse. So liegt es nahe, dass sich der toskanische Schriftsteller immer wieder von Bildern und Fotografien inspirieren ließ. Er war mit etlichen Malern befreundet und nahm lebhaft Anteil an deren Zugriff auf die Welt.
Als Tabucchi 2012 mit 69 Jahren relativ plötzlich starb, hinterließ er eine Fülle von Prosastücken, die in Ausstellungskatalogen erschienen waren und Arbeiten meist zeitgenössischer italienischer und portugiesischer Künstler begleiteten. In dem Band „Geschichten zu Bildern“, den Thea Rimini herausgegeben hat, kann man dieses Tätigkeitsfeld Tabucchis kennenlernen. Den Texten sind die Kunstwerke vorangestellt, das Spektrum reicht von Valerio Adami, Tullio Pericoli, António Dacosta und Giuseppe Modica über Vincenzo Nisivoccia bis zu Lisa Santos Silva und Maria Helena Vieira da Silva, und das sind noch längst nicht alle.
Manchmal geht es um den Strich, den Charakter der Farben oder die Anordnung des Sujets, und Tabucchi beschreibt die Wirkung, die das Ganze auf ihn hat. In anderen Fällen liefert er kurze Erzählungen, die in einem losen Zusammenhang mit dem Kunstwerk stehen. Es können Briefe sein, aber auch Mikrogeschichten, wie die zu einer Fotografie „Ohne Titel“ des in Italien lebenden Istanbulers Münir Göle. Das Foto zeigt ein offenes Eisentor auf einer Düne am Meer. Tabucchi lässt einen alten Mann das Wort ergreifen und von einem immer wiederkehrenden Traum berichten, in dem sich ebenjenes weiße Gittertor öffnet und sich gleichzeitig Sehnsucht und Schuld bemerkbar machen.
Ein anderes Mal trifft das Alter Ego Tabucchis auf den Azoren den Maler António Dacosta im Traum – dem Text ist das Bild eines Engels mit blauen Flügeln vorangestellt – und unterhält sich mit ihm, bis sich ein Engel hinzugesellt und den beiden etwas „Ozeanisches“ in der Küche zubereitet. Im Verlauf der Geschichte gleitet der Träumende von einem Gemälde Dacostas zum nächsten und betritt sie, wie man fremde Landschaften durchschreitet.
Es versteht sich von selbst, dass in diesen Ensembles auch Fernando Pessoa, den Tabucchi gemeinsam mit seiner Ehefrau Maria José de Lancastre herausgegeben und übersetzt hat und dessen Werke so etwas wie sein literarisches Firmament bildete, eine wichtige Rolle spielen muss. Giuseppe Modicas Gemälde „La terrazza di Pessoa“, das einen Fensterladen, einen ramponierten Balkonboden und eine Brüstung vor einem weiten Himmel zeigt, wird flankiert von einer Erzählung, in der Bernardo Soares – eines der Heteronyme des portugiesischen Schriftstellers – zu einer Urlaubsreise aufbrechen will. Der Chauffeur seines Chefs soll ihn abholen und zu einem Haus am Meer bringen. Soares schreibt noch einen Brief, besteigt dann mit seinem Papagei das Auto und steht am Ende der Geschichte vor einem weitläufigen Gebäude am Meer und raucht eine Zigarette. Irgendetwas hat sich auf eigentümliche Weise verschoben, und wieder gewinnt das Imaginäre eine größere Macht als die Wirklichkeit.
In seinen besten Momenten entfaltet der Band jene elegante Beiläufigkeit, die für Tabucchis Romane charakteristisch war. Dies gilt etwa für das mehrseitige Prosastück zu einem Gemälde von Júlio Pomar „The Barrister (O Avogado)“, auf dem ein Rechtsanwalt im Talar mit Perücke zu erkennen ist. Die Hauptfigur beginnt mit einem automatischen Anrufbeantworter zu kommunizieren, der plötzlich ein Eigenleben entwickelt und Empfehlungen gibt. Draußen auf der Straße hätten sämtliche Passanten wie festgefroren gewirkt, vertraut der Anwalt der Stimme an, außerdem habe er von „Snark“ geträumt. Was das sei? „Das, was im Augenblick durch die Adern der Geschichte rinnt“, lautet die Antwort am anderen Ende.
Antonio Tabucchi ruft uns in diesem Buch etwas aus einer Welt herüber, die er zeit seines Lebens sehr mochte.
MAIKE ALBATH
Antonio Tabucchi: Geschichten zu Bildern. Herausgegeben von Thea Rimini. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Carl Hanser Verlag, München 2019. 252 Seiten, 23 Euro
Es versteht sich, dass Fernando
Pessoa, den Tabucchi übersetzt
hat, eine wichtige Rolle spielt
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