Ist die Theologie des 20. Jahrhunderts nur durch die Annahme eines radikalen Bruches mit der vorherigen Theologie zu erklären? Diese Selbstinterpretation Karl Barths, die zum common sense gegenwärtiger Theologiegeschichtsschreibung unterschiedlichster Richtungen geworden ist, widerlegt Folkart Wittekind durch den Versuch einer systematischen Interpretation der Entwicklungsgeschichte der Theologie. Ausgangspunkt ist die Theologie Albrecht Ritschls, die als Versuch gedeutet wird, die teleologischen, ethischen und wahrheitstheoretischen Implikationen der Begriffsphilosophie Hegels mit der Idee einer individuellen historischen Realisierung zu verbinden. Diese Theologie wird von Ritschls Schüler Julius Kaftan weiterentwickelt, indem er die Innerlichkeit des Glaubens mit Hilfe eines dogmen- und theologiekritischen Rekurses auf die Geschichte Jesu begründet. Hier knüpft die bisher wenig beachtete früheste Theologie Karl Barths mit der Frage an, wie sich die Ausbildung einer ethischen Personalität zwischen geschichtlicher Einbindung und autonomer ethischer Kompetenz denken läßt. Im Zuge des Weltkrieges kritisiert Barth seine frühen Antworten, aber unter Beibehaltung der Grundfrage nach der möglichen Realisierung des Guten in der Welt. Eine neue Geschichtsphilosophie, die die Ethik als Teil der Gotteslehre formuliert, deutet sich an.