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-Ich träume von der Biographie, eines Mannes ohne Eigenschaften, eines Menschen, der seinen Weg im leeren, unbestimmten Raum sucht, zwischen den Denkmälern, von der weiten Ebene Posens bis hinüber zu einem amerikanischen Campus-. (Alain Boreau). Dieser Mann heißt Ernst H. Kantorowicz (1895 - 1963): Geboren als Kind einer wohlhabenden deutsch-jüdischen Familie im großbürgerlichen Milieu von Posen, verkörpert seine Laufbahn als Historiker eine Vielzahl der intellektuellen und politischen Brechungen des 20. Jahrhunderts, die im Testverbund dieses Bandes zur Sprache kommen.

Produktbeschreibung
-Ich träume von der Biographie, eines Mannes ohne Eigenschaften, eines Menschen, der seinen Weg im leeren, unbestimmten Raum sucht, zwischen den Denkmälern, von der weiten Ebene Posens bis hinüber zu einem amerikanischen Campus-. (Alain Boreau). Dieser Mann heißt Ernst H. Kantorowicz (1895 - 1963): Geboren als Kind einer wohlhabenden deutsch-jüdischen Familie im großbürgerlichen Milieu von Posen, verkörpert seine Laufbahn als Historiker eine Vielzahl der intellektuellen und politischen Brechungen des 20. Jahrhunderts, die im Testverbund dieses Bandes zur Sprache kommen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.1999

Zu Sternen sah er führerlos hinan
Wie Ernst Kantorowicz Orientierung suchte und gab

Das Bild bannte den jungen Mann. Wo gerade noch der Kaiser gestanden hatte mit seiner Gemahlin Auguste Viktoria, leuchteten ihm aus goldenem Grund die bunten Mosaiken der Heiligen entgegen, die Christus, den thronenden Richter, gleich zweimal umstanden. Vom Gewölbe herab bis zur Augenhöhe der Wände reichten die Steinbilder, während die Fußbodenornamente aus rotem und weißem Marmor dem Raum Ruhe gaben und Gleichgewicht. Den Wänden entlang faßten antike Säulen die Kapelle ein, die rechts auch in der Kostbarkeit des Porphyr die Kanzel trugen, während sie gegenüber das mächtige, edelsteinverzierte Kreuz aufrichteten. Kein Zweifel: Hier war nicht mehr Posen im Jahr 1910, hier war Italien, hier war ein Mittelalter, in dem sich Christentum, Antike und Orient überschnitten und durchdrangen. Die Capella Palatina von Palermo wurde hier nachgeahmt, wo Jahrhunderte zuvor ein anderer Jüngling aufgewachsen war, der elternlose Friedrich II., der Erbe der normannischen Könige.

So hatte es Wilhelm II. gewollt, als er 1902 die Stadt in der preußischen Provinz aufgesucht hatte und seine deutschen Untertanen ermunterte, das Heiligtum der ersten Polenkönige im Dom der Stadt auszustechen. Jetzt hatte der Hohenzoller der Einweihung seines Residenzschlosses und der Turmkapelle beigewohnt, die freilich nicht so sehr an das sizilische Reich erinnern, sondern ihn mit dessen Erben, dem Stauferkaiser Friedrich II., in Verbindung bringen sollte. War er nicht selbst erst 1904 in den Kathedralen Süditaliens "mit den Gesängen empfangen worden, die seit den Tagen der Hohenstaufen nicht mehr erklungen waren"? All das mochte der junge Betrachter des byzantinisierenden Gotteshauses erst jetzt erfahren, aber es prägte sich ihm ein; vor allem das Bild des jugendlichen, ihm gleichaltrigen Königs vor der multikulturellen Kulisse des mittelalterlichen Sizilien. Hohenzollern und Hohenstaufen, Deutschland und Italien, das Mittelalter und die Gegenwart verdichteten sich ihm im Anblick dieses Raumes. Wenig gab er darauf, daß er an den kirchlichen Feiern keinen Anteil nehmen konnte, weil er mosaischen Glaubens war; sein Vater, der wohlhabende Likörfabrikant, hatte doch gerade den ebenso eindrucksvollen Bau der Neuen Synagoge unterstützt, nicht, weil er besonders fromm oder gar orthodox gewesen wäre, sondern weil auch dieser Sakralbau die deutsch-jüdische Dominanz gegenüber der polnischen Mehrheit der Stadt unterstreichen sollte.

Als der junge Mann herangewachsen war und seine Berufswahl traf, folgte er den Spuren des Vaters; der Krieg zwang ihn freilich in eine andere Richtung, doch ausgerechnet jetzt entdeckte er seine stille Leidenschaft für die Kultur des Orients und des mediterranen Raumes wieder. Auch das Militärische zog ihn an, das mit dem Ethos der Kaufleute kollidierte. In einem Buch von 1915 konnte er über "Händler und Helden" lesen, daß Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit Händlerideale seien, daß aber deutsch sein heiße, ein Held zu sein, ein Held, wie Wilhelm II. einer war oder Friedrich Barbarossa, der Großvater Friedrich II. Das Motiv aus der Turmkapelle von Posen lebte wieder auf, und es war auch präsent, als der Mann fünf Jahre darauf in Heidelberg in den Bannkreis des Dichters Stefan George geriet, in dem sich Heldenverehrung und Mittelaltersehnsucht "in unkaiserlicher Zeit" erneut auf Friedrich II. richteten. Jetzt, unter dem starken Eindruck des "Meisters", faßt der Mann den Mut, der Macht der Bilder nachzugeben und zum Autor zu werden, zum Verfasser der schließlich berühmtesten Monographie über den zweiten Friedrich.

So oder ähnlich könnte man jetzt die Geschichte erzählen, wie Ernst H. Kantorowicz zum Biographen Friedrichs II. wurde. Das Material dazu hat der polnische, an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Kunsthistoriker Adam S. Labuda in einem "Posener Itinerar zu Kantorowicz" gesammelt, allerdings ohne jeden Anspruch, daraus selbst Geschichte zu machen. Das Ergebnis von Labudas Spurensuche ist Teil eines Sammelbandes über den Mediävisten E. H. Kantorowicz (1895 bis 1963), der nach seiner Emigration in Berkeley und Princeton weitere, ebenso bedeutende, aber viel weniger umstrittene Bücher zur mittelalterlichen Staatlichkeit verfassen sollte. Was sich Labuda nicht zutraute, die "Macht der Bilder" (im Sinne Aby Warburgs) über Kantorowicz zu erwägen, dazu ermutigt ein anderer Beitrag des Bandes. Denn Heinz Dieter Kittsteiner geht der Frage nach, welchen Anteil das kollektive Bildgedächtnis am Erfolg der Friedrich-Biographie gehabt hat; Kittsteiner kann sehr einleuchtend zeigen, wie das Buch ein Bild der Vergangenheit gibt, indem es das Bildgedächtnis sowohl des Geschichtsschreibers wie auch seines Lesers benutzt und lenkt. Die Vergangenheit war für Kantorowicz kein fixes "Gegenüber", sondern sie war formbar, plastisch; damit bewegte sich der Autor auf der Höhe der theoretischen Diskussion seiner Zeit über die Aufgaben des historischen Erzählers, die sich von den Idealen des positivistischen Historismus abwandte.

"Plastizität des Vergangenen" anzuerkennen bedeutete auch, die Geschichte zum Mythos umzuschreiben, ein Thema, dem sich ein Vertreter der "Intellectual History", Joseph Mali aus Jerusalem, widmet. Im Gegensatz zur herkömmlichen Historie, die in den Mythen nur rhetorische Mittel sah, um politische Ziele zu verbergen, konnten sie nach Kantorowicz die einzig geeignete Form sein, historische Wahrheiten zu erzählen. Die Bedeutung der Kreuzfahrt Friedrichs erfasse man nicht in der staatsrechtlichen Erörterung der Vorgänge in der Grabeskirche, sondern durch die Darstellung, wie mythologische Bilder und Erzählungen Friedrich im Heiligen Land umgaben und in die eigene Wahrnehmung seiner selbst so eingingen, daß sie zum Mythos des unsterblichen Kaisers weitergebildet werden konnten. Kantorowicz habe Friedrich als Erfüllung eines Kollektivtraumes aller Zeitalter deutscher Geschichte gezeichnet. Bekanntlich harmonierte das Buch insofern mit antidemokratischen Strömungen der deutschen Geschichte, es gehörte - so sehr sein Autor später selbst Opfer war - zur Vorgeschichte des Dritten Reiches. Allerdings belegt Mali auch die weiterwirkende "Mythenschau" am letzten großen Buch von Kantorowicz über "Die zwei Körper des Königs", das ideologisch unanfechtbar ist; in ihm wird der Versuch gemacht, die Entstehung des (modernen) Staates aus der mittelalterlichen Vorstellung abzuleiten, daß der König zwei Körper habe, einen sterblichen und einen, der mystisch ist und nie stirbt.

Die Hauptthese des Werkes war, daß die politische Idee des Staates als mystischer Körper des Königs aus der theologischen Idee der Kirche als corpus mysticum Christi erwachsen war und daß sie sich als genauso wirksam für die Sicherung der Einheit und Kontinuität der weltlichen Organisation durch alle historischen Brüche hindurch erwiesen hatte. Diese "seltsame Konstruktion eines menschlichen Geistes" habe laut Kantorowicz diesen schließlich zum Sklaven seiner eigenen Fiktionen gemacht. Die Abhandlung über den Mythos der zwei Körper des Königs sollte laut Mali zeigen, "daß unsere ganze soziale und politische Wirklichkeit aus historischen Mythen besteht und in ihrem Kontext interpretiert - und auch beschrieben - werden muß"; der Autor habe "die mythopoetischen Meinungen und Traditionen, die den Staat ausmachten und erhielten, enthüllen" wollen. Damit ist eine breite Brücke zwischen dem "deutschen" und dem "amerikanischen" Kantorowicz geschlagen; und bei aller weltanschaulichen Differenz und Kritik wird dieser Autor bei der Neubesinnung auf die Aufgaben der Historie weiter gebraucht, auch wenn er dem noch immer herrschenden Mißverständnis Vorschub geleistet hat, zwischen "Geschichtsschreibung" und "Geschichtsforschung" lasse sich grundsätzlich unterscheiden.

Der Sammelband belegt freilich, daß die Wirkung von Kantorowicz inzwischen weit über die Geschichtswissenschaft hinausreicht; Aktualität besitzt er auch für die Literatur- und Medienwissenschaft, für Musikologie, Soziologie und Politologie. Zwischen den Beiträgen tun sich aber dem theoretischen Fundament und dem Ergebnis nach tiefe Gegensätze auf, die weder durch ein Diskussionsprotokoll noch durch einen Herausgeberkommentar aufgearbeitet wurden. Diese Spannungen zeigen sich etwa an den Interpretationen der "Zwei Körper des Königs". Während der Kunsthistoriker Horst Bredekamp Kantorowicz' Herleitung des Staates auf die Analyse von Kunstwerken zurückführt und die Lehre unter Hinweis auf die bildlichen Darstellungen von Hobbes' "Leviathan" bekräftigt, wendet sich die Pariser Staatsphilosophin Blandine Kriegel strikt gegen die Zweikörpertheorie. Nicht das römisch-deutsche Reich, von dem Kantorowicz ausgehe, sondern die westeuropäischen Monarchien seien der Ursprung des modernen Staates; der Mediävist habe die Rechtsgelehrten aus Frankreich und England geradezu sträflich vernachlässigt. Im Gewand dieser scharfen Kritik dringt auch die gegenwartspolitische Frage an die Oberfläche, welche Grundlagen das künftige Europa eigentlich haben soll.

Der Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst stellt hingegen die Kohärenz des Werkes ganz in Frage; er sieht Kantorowicz als Vorläufer des amerikanischen "New historicism", der Fragmentarität und Konstrukthaftigkeit des Wahrgenommenen betont und nur eine archäologische Annäherung an das grundsätzlich entzogene historische Objekt für möglich hält. In dieser Lesart stellt "The King's Two Bodies" ein "offenes Kunstwerk" dar, das die Rechtsfiktion der Zweikörpertheorie nicht nur als historischen Gegenstand behandelt, sondern sie auch "als Mischung aus Fakt, Hypothese und Fiktion, als einen Intertext aus Informationen und Kombinationen" darbietet. Einen Geschichtsschreiber, der wie Kantorowicz so verschiedenen Autorinnen und Autoren Stoff zum Nachdenken und zur Projektion eigener Ansätze bietet, kann man wohl als "Klassiker" des historisch-politischen Denkens bezeichnen; in dem besprochenen Band wird denn auch mehrfach die Parallele gezogen zwischen Kantorowicz und Dante. MICHAEL BORGOLTE

Wolfgang Ernst, Cornelia Vismann (Hrsg.): "Geschichtskörper". Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz. Wilhelm Fink Verlag, München 1998. 239 S., 19 Abb., br., 58 Mark.

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