Die lange unbeachtet gebliebene geschichtsphilosophische Dimension in Reinholds Systemdenken steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Unter der bewegten Oberfl äche des Reinholdschen Denkens das spätestens 1786 einsetzende konstante Bemühen um die Realisierung eines integrativen, sich zwischen den Polen Grundsatzphilosophie und Aufklärung aufspannenden, systemphilosophischen Großprojekts erkennbar werden zu lassen, ist das Anliegen der Arbeit. Die Briefe über die Kantische Philosophie von 1790 sind ein Schlüsseltext, der erstmals eine philosophische Konzeption der Einheit von Philosophie und Praxis vorlegt. In dem Prinzip der Einheit von System und Geschichte werden die zunächst isoliert verfolgten Ziele der Popularisierung - in den 1786 im Teutschen Merkur erschienenen acht Briefen - und Systematisierung - im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens von 1789 - des kritischen Denkens zusammengefügt und auf einen anthropologisierten und historisierten Begriff des höchsten Gutes bezogen. Reinhold entwirft hier eine Theorie der Aufklärung, die zugleich eine Metatheorie der ursprünglichen Merkur-Briefe ist. Die Rekonstruktion des kantischen Ansatzes zu einer Geschichtsphilosophie, insbesondere in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht von 1784 zeigt, daß Reinhold keinesfalls ein bloßer Popularisator kritischen Gedankenguts ist, streng genommen zu keinem Zeitpunkt als Kantianer bezeichnet werden kann.