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Während über das hochmittelalterliche Geschichtsbild zahlreiche Detailuntersuchungen vorliegen, ist das diesem zugrundeliegende Geschichtsbewußtsein von der Forschung allenfalls in ersten Ansätzen in den Blick genommen worden, während eine nähere Analyse und eine zusammenhängende Darstellung dieses Gegenstandes fehlen. Beides wird nun mit dem hier angekündigten Band geboten.
Zielgruppe/Target group: Mediävisten
Schlagworte: Mediävistik

Produktbeschreibung
Während über das hochmittelalterliche Geschichtsbild zahlreiche Detailuntersuchungen vorliegen, ist das diesem zugrundeliegende Geschichtsbewußtsein von der Forschung allenfalls in ersten Ansätzen in den Blick genommen worden, während eine nähere Analyse und eine zusammenhängende Darstellung dieses Gegenstandes fehlen. Beides wird nun mit dem hier angekündigten Band geboten.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2000

Der Verwandtschaft würdig
Haupt- und Nebenlinien der mittelalterlichen Geschichtsschreibung

Das Geschichtsbewußtsein von Historikern zu untersuchen scheint auf den ersten Blick kein vielversprechendes Unterfangen zu sein. Ihr Interesse an der Vergangenheit und ihr Glaube an den Nutzen historischen Wissens darf man voraussetzen. Daß aber eine solche Untersuchung durchaus ihren Reiz haben kann, wenn sie das Thema in historischer Perspektive angeht, zeigt ein mehr als 400 Seiten umfassendes Buch von Hans-Werner Goetz, das das hochmittelalterliche Geschichtsbewußtsein anhand der Geschichtsschreibung zu erfassen sucht.

Dabei ist das Geschichtsbewußtsein für den Autor zunächst einmal nur die konzeptionelle Klammer, um seine vielfältigen, seit mehr als zwanzig Jahren betriebenen Studien zur hochmittelalterlichen Historiographie zusammenzuführen und, angereichert mit anderen jüngeren Forschungsergebnissen, zu einem Gesamtbild zu vereinen. Herausgekommen ist dabei mehr, als man bei einem solchen Produktionsverfahren erwarten kann. Das Buch ist zwar nicht aus einem Guß, aber es ist auch keine zusammengestückelte und nur notdürftig harmonisierte Aufsatzsammlung. Es ist eine Mischung aus Handbuch und Abhandlung.

An ein Handbuch erinnert vor allem der erste Teil, der die Rahmenbedingungen und Grundzüge der mittelalterlichen Geschichtsschreibung skizziert. Hier kommen die politischen Veränderungen im Zuge des Investiturstreites ebenso zur Sprache wie die Entstehung des Rittertums oder die Entwicklung der Frühscholastik, wobei Goetz der Geschichte innerhalb des damaligen Wissenschaftssystems einen bedeutenderen Platz zuweist als gemeinhin üblich. Die theologische Grundierung und die damit einhergehende heilsgeschichtliche Prägung des Geschichtsverständnisses werden im Anschluß gewürdigt. Ein Überblick über die einzelnen Gattungen der damaligen Historiographie, ihre Formen und thematischen Schwerpunkte sowie die Motive der Autoren schließt diesen eher einführenden und dafür zu breit angelegten Teil des Buches ab. Beim eigentlichen Thema, dem Geschichtsbewußtsein angekommen, wird die Darstellung anschaulicher und wirkt zielbewußter. Dazu tragen vor allem die immer wieder eingestreuten Fallstudien bei, in denen das Zeitverständnis, das Identifikationspotential oder - und das gleich mehrfach - die Motive und Absichten einzelner Verfasser minutiös herausgearbeitet werden.

Um das Geschichtsbewußtsein zu erfassen, richtet Goetz sein Augenmerk zum einen auf das Geschichtsverständnis und das Geschichtsbild der Autoren und zum anderen auf die Zwecke, zu denen man das historische Wissen nutzte. Wie eng beides miteinander verknüpft war, zeigt sich am Ende der Demonstration. Allenthalben entdeckt man einen Umgang mit der Vergangenheit, der vor allem von den Ansprüchen der Gegenwart diktiert wird. Grundlegend war dafür ein starkes Kontinuitätsbewußtsein, das keinen Bruch mit der Antike wahrnahm, sondern das Römische Reich bis in die Gegenwart fortleben sah. Dabei leugnete man keineswegs Veränderungen, die sich seit den Tagen des Augustus zugetragen hatten, aber der Wechsel der Zeiten soll keine grundsätzlichen Veränderungen mit sich gebracht haben, man sah in der Vergangenheit keine nach anderen Maßstäben zu beurteilende Zeit. In diesem Zusammenhang spricht Goetz zu Recht von einer Entzeitlichung der historischen Ereignisse in der mittelalterlichen Chronistik, wobei man allerdings stets bedenken muß, daß die Verzeitlichung der Geschichte ein relativ junges, mehr oder minder der Aufklärung geschuldetes Phänomen ist. Fremd waren dem mittelalterlichen Geschichtsschreiber die Menschen früherer Zeiten nicht. Und so konnte deren Tun für die eigene Gegenwart unmittelbar Bedeutung gewinnen. Der Blick in die Vergangenheit lehrte den Weg der Tugend und führte den Amts- und Würdenträgern die Vorbilder vor, in denen sie sich wiederfinden konnten.

Die substantielle Gleichartigkeit von Vergangenheit und Gegenwart förderte zudem das Ursprungsdenken. Wer nach der Herkunft von Geschlechtern, Klöstern oder Völkern schaute, konnte problemlos weit zurück in biblische oder homerische Zeiten gehen und tat es auch gern, weil ein hohes Alter Vorrang und Vorrecht versprach. Die andere Seite der Medaille waren die unzähligen Anachronismen, Verzerrungen und Erfindungen, die die damaligen Geschichtswerke bevölkern. Zwar fühlte sich auch der mittelalterliche Chronist der Wahrheit verpflichtet, aber allen Beteuerungen zum Trotz wurden die Grenzen zwischen Faktischem und Fiktivem doch häufig eingerissen, wie Goetz immer wieder betont. Gerade weil sich in diesem Zusammenhang die spannendsten Partien des Buches finden, hätte man am Ende doch gerne etwas mehr darüber gewußt, inwieweit die Geschichtsschreiber und ihre Hörer oder Leser den teils monströsen Phantasieleistungen selbst geglaubt haben, und, wenn ja, wie sich solche "Wahrheiten" behaupten konnten. Auch die Frage, welche Rolle dabei das stets prekäre, weil kaum "verbuchte" Wissen spielte, kommt zu kurz.

Dafür widmet sich der Autor um so ausführlicher der Parteilichkeit, wie sie sich seit dem Investiturstreit immer deutlicher in den einzelnen historiographischen Werken abzeichnet. Und auch aus dieser Perspektive treten der starke Gegenwartsbezug und die pragmatische Ausrichtung der mittelalterlichen Historiographie mehr als deutlich hervor. Man schrieb Geschichte, um Ansprüche auf Herrschaft und Privilegien, auf Vorrang und Besitz zu stellen, und formte nach diesem Ansinnen den Stoff. Man suchte in der Vergangenheit nach Argumenten und ebenso nach Vorbildern für die Kämpfe der Gegenwart. Man arbeitete die Vergangenheit nicht auf, wie man sie im Unterschied zur Gegenwart auch nicht kritisierte. Man bediente sich der Geschichte, um die Position der Institution, für die man schrieb, des Klosters, des Bistums und auch der Stadt zu verteidigen. Das Interesse an der Geschichte war insofern auch stets durch die Institution vermittelt und blieb an diese gebunden.

Bei aller Akzentuierung der konkreten politischen Zwecke möchte Goetz die theologisch-religiöse Dimension der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung ebensowenig vergessen wissen wie die konzeptionellen Ansprüche, die dem Geschichtsschreiber durch die gattungsspezifischen Traditionen erwuchsen. Auch wenn er selbst nicht mehr zeigt, wie diese verschiedenen Ebenen im Einzelfall ineinandergriffen und welche Auswirkungen der konkrete Prozeß des Schreibens mit all seinen poetischen Momenten auf die Gestaltung des jeweiligen Werkes besaß, so hat er damit doch den Rahmen für die künftige Diskussion vorgegeben. Und was das Geschichtsbewußtsein anbelangt, so weiß der Autor natürlich selbst, daß die Erforschung des Geschichtsbewußtseins auch in historischer Perspektive erst trägt, wenn sie den Blick auf die übrige Gesellschaft richtet. Und so hat er denn auch gleichzeitig einen Sammelband herausgegeben, der sich mit dem mittelalterlichen Geschichtsbewußtsein jenseits der Geschichtsschreibung beschäftigt. Aber davon soll hier nicht mehr die Rede sein.

HERMANN KAMP

Hans-Werner Goetz: "Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter". Orbis medievalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Band 1. Akademie Verlag, Berlin 1999. 591 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als eine "Mischung aus Handbuch und Abhandlung" bezeichnet Hermann Kamp dieses Buch in seiner insgesamt sehr positiven Rezension. Nach seinem Referat erfährt man im ersten Teil des Buchs Grundsätzliches über die Rahmenbedingungen mittelalterlicher Geschichtsschreibung erfahren, die vom Investiturstreit bis hin zur Feststellung reichen, dass alle Geschichtsschreibung jener Zeit religiös grundiert war. Der zweite Teil ist für Kamp der interessantere. Goetz gelingt es hier nach Kamp, über den Umweg über die Geschichtsschreiber etwas über das Geschichts- und Zeitbewusstsein des Mittelalters im allgemeinen herauszufinden. So lernt man etwa, dass das Mittelalter noch keinen Bruch zwischen der Antike und der eigenen Epoche sah - dies war erst in der Renaissance der Fall, dass Vergangenes nie als "fremd" verstanden worden sei, dass eine Dimension der Zeitlichkeit, die heute selbstverständlich ist, also noch fehlte, und dass Geschichte zumeist im Interesse von Institutionen geschrieben worden sei, um aktuelle Machtansprüche zu rechtfertigen Insgesamt gibt Goetz nach Kamp den "Rahmen für künftige Diskussionen vor".

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