Die Epoche der Schwellenzeit ist bestimmt durch theoretische Eigenarten, die dem heutigen Geschichtsdenken fremd sind. Diese ungewohnten Formen über Geschichte nachzudenken, stellt der Band anhand einer umfangreichen Sammlung kaum bekannter Quellen vor. Er fordert damit zu einer Neustrukturierung der Geschichte der Geschichtswissenschaft und zu einer Problematisierung aktueller Geschichtstheorie auf. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1999
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In einer Doppelrezension bespricht Daniel Fulda Stefan Jordans Buch "Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts" (Campus Verlag) und den begleitenden Quellenband "Schwellenzeittexte" (Spenner Verlag).
Fulda richtet sich in seiner Rezension unübersehbar an ein Fachpublikum und bemüht sich nur wenig, auch Laien die Stärken und Schwächen des Bandes verständlich zu machen. Wesentliche Aspekte seiner Rezension sind, dass er dem Autor eine äußerst ausgiebige Zusammenstellung von Quellen zugesteht, allerdings halten sich hier Qualität und Quantität nicht immer die Waage, wie er anmerkt. Er vermisst neue Erkenntnisse und findet, dass der Autor bisweilen "hinter dem Forschungsstand" zurückbleibt. Fragwürdig findet Fulda außerdem, dass sich Jordan auf theoretische Texte konzentriert, jedoch den Einfluss von Persönlichkeiten aus "Philosophie, Philologie, Dichtung oder Staatstheorie" weitgehend unberücksichtigt lässt. Auch Widersprüche und Fragwürdigkeiten bei der Bestimmung von Epochen weiß Fulda zu diagnostizieren. "Gewissen Wert" hat nach Ansicht Fuldas allerdings die Quellensammlung, die teilweise auch im Begleitband abgedruckt ist, wie der Leser erfährt.
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Fulda richtet sich in seiner Rezension unübersehbar an ein Fachpublikum und bemüht sich nur wenig, auch Laien die Stärken und Schwächen des Bandes verständlich zu machen. Wesentliche Aspekte seiner Rezension sind, dass er dem Autor eine äußerst ausgiebige Zusammenstellung von Quellen zugesteht, allerdings halten sich hier Qualität und Quantität nicht immer die Waage, wie er anmerkt. Er vermisst neue Erkenntnisse und findet, dass der Autor bisweilen "hinter dem Forschungsstand" zurückbleibt. Fragwürdig findet Fulda außerdem, dass sich Jordan auf theoretische Texte konzentriert, jedoch den Einfluss von Persönlichkeiten aus "Philosophie, Philologie, Dichtung oder Staatstheorie" weitgehend unberücksichtigt lässt. Auch Widersprüche und Fragwürdigkeiten bei der Bestimmung von Epochen weiß Fulda zu diagnostizieren. "Gewissen Wert" hat nach Ansicht Fuldas allerdings die Quellensammlung, die teilweise auch im Begleitband abgedruckt ist, wie der Leser erfährt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2000Wie es eigentlich auch gewesen
Stefan Jordan korrigiert die Geschichte der Geschichtsschreibung
"Sattelzeit" hat Reinhart Koselleck jenen Zeitraum zwischen etwa 1750 und 1850 genannt, in dem sich die Grundlagen der modernen Gesellschaft herausbildeten. "Geschichte als einheitlichen, alles Geschehen übergreifenden Prozeß zu denken ist eines der Konzepte, die sich dabei durchsetzen und deren Geltung erst in neuerer, ,postmoderner' Zeit bestritten wird." Ein ganzes Jahrhundert "Sattelzeit" - das weist auf einen ebenso tiefgreifenden wie weitgespannten Wandel, und es scheint kein Wunder, daß die historiographiegeschichtliche Forschung ihn nicht restlos schlüssig zu rekonstruieren vermocht hat.
Mit dieser Kritik setzt jedenfalls Stefan Jordans Bochumer Dissertation über die Geschichtstheorie der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein: Zwischen dem "Pragmatismus", dem typischen Paradigma der Aufklärungshistorie, und dem Historismus des neunzehnten Jahrhunderts habe die Forschung eine Lücke klaffen lassen. Jordans Kritik ist grundsätzlicher, methodischer Art: Wer Aufklärungshistorie und Historismus als "Paradigmen" begreife, die aus der Ex-post-Perspektive des Forschers zu rekonstruieren sind, betone ihre interne Geschlossenheit auf Kosten des Transformationsprozesses, der sich zwischen beiden abgespielt habe. Periodisierungen sollten sich jedoch, so Jordan, am Bewußtsein der seinerzeit Lebenden und mit Geschichte Beschäftigten orientieren; Epochengrenzen sollten dort gesetzt werden, wo bereits die Zeitgenossen einen Bruch wahrnahmen.
Solche Wahrnehmungen zu untersuchen erfordert eine breite Quellengrundlage geschichtstheoretischer Texte. Jordan hat sie in beeindruckender Zahl zusammengestellt und analysiert sie einerseits auf die Artikulation von Umbruchsbewußtsein, andererseits auf die theoretischen Konzepte "zwischen" Aufklärungshistorie und Historismus hin. Dabei begnügt er sich nicht mit Retuschen am bekannten Bild der Historiographiegeschichte, sondern entwirft es durchaus neu: Die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hebe sich in ihren geschichtstheoretischen Positionen signifikant vom Vorausgehenden wie vom Folgenden ab, lasse sich daher als "Schwellenzeit" bezeichnen (der Anklang an Kosellecks Begriff ist beabsichtigt, bleibt aber vage). Und diese "Epoche" sei schon von den Zeitgenossen wahrgenommen worden, die, so Jordan, nach 1800 den Pragmatismus und dessen didaktische Intentionen kritisierten, sich nach der Revolution von 1848 jedoch ideologisch wie erkenntnistheoretisch vom bisherigen Objektivismus ab- und einer subjektiveren Geschichtstheorie zuwandten.
Die Rekonstruktion der schwellenzeitlichen Geschichtstheorie erfolgt begriffsweise, zunächst "Bildung", dann "Geschichtswissenschaft als Selbstzweck", "Wahrheit und Objektivität" bis hin zu (zehntens) "Organismus, organisch". Was hier übersichtlich zusammengestellt wird, birgt freilich wenig Überraschendes. Auf seiner quantitativ verbreiterten, qualitativ jedoch verengten Quellenbasis bleibt Jordan vielmehr hinter dem Forschungsstand zurück, denn er schließt Texte, die nicht ausdrücklich theoretisieren, aus und übergeht die häufig aufschlußreichere implizite Geschichtstheorie ebenso wie geschichtstheoretisch Relevantes aus Philosophie, Philologie, Dichtung oder Staatstheorie. Ranke als maßgeblicher Historiker des zweiten Jahrhundertviertels ist kaum vertreten, von vermeintlich Außenstehenden wie Schelling, Boeckh oder Heine zu schweigen. In ihrer Auffassung von Geschichtstheorie zeigt sich die Arbeit jener Bielefelder Schule (Jörn Rüsen, Horst Walter Blanke) verpflichtet, gegen deren Bild der Historiographiegeschichte sie sich wendet.
Die Bielefelder Forschungen datieren aus den achtziger Jahren. Neueres wird nur nominell rezipiert, obwohl die Historiographiegeschichte des frühen neunzehnten Jahrhunderts in den letzten zehn, zwölf Jahren geradezu umgeschrieben wurde (so von Michael Gottlob, Wolfgang Hardtwig, Ulrich Muhlack und Gerrit Walther). Die vielfältigen konzeptionellen Überlappungen um und nach 1800, den Wandel innerhalb des Zeitraums oder das qualitative Gefälle zwischen den Schriften einerseits Humboldts, andererseits eines heute vergessenen Schulmannes übergeht Jordan, obwohl die damit befaßte Forschung seine Kritik an einem starren Epochenmodell bereits weitgehend gegenstandslos gemacht hat. Statt dessen konstatiert er seinerseits Epochenbrüche - die die angeführten Quellen jedoch nicht zu belegen vermögen. Um 1800 einen Bruch anzusetzen verkürzt den sowohl in den epistemologischen Konzepten als auch in den Darstellungsformen tiefgreifenden Wandel zwischen Französischer Revolution und Restauration ausgerechnet um die Prozessualität, die Jordan zu beachten fordert. Auch mit einem Schnitt um 1850 sollte man vorsichtig sein, damit man den politisch engagierten Historismus eines Droysen nicht seiner hegelianisch-humboldtschen Basis beraubt.
Was einen gewissen Wert behält, ist Jordans Zusammenstellung der Quellen, die ein begleitender Band zudem teilweise nachdruckt. Und wie steht es mit der methodischen Grundentscheidung? Der Versuch, die Ex-post-Perspektive des Historikers durch die der Beteiligten zu ersetzen, möchte für die Geschichtstheorie erschließen, was in der Sozialgeschichte sehr fruchtbar geworden ist. Lucian Hölscher hat, davon ausgehend, die Frage erörtert, was uns dazu berechtigt, von einer kontinuierlichen Geschichte zu sprechen. Weniger ertragreich scheint es mit Blick auf die vorliegende Dissertation, historiographiegeschichtliche Epochenbestimmungen nach jener Methode vorzunehmen. Denn welche Theorieschrift wäre nicht von dem Anspruch getragen, sich vom Vorangegangenen abzusetzen? Und wie könnte die stets auf einen Zeitpunkt bezogene Brucherfahrung einen epochalen Zeitraum konstituieren? Letzteres bleibt nolens volens das Geschäft des rückblickenden Historikers. Historiographiegeschichte ist eben mehr als eine Rekonstruktion geschichtstheoretischer Positionen.
DANIEL FULDA
Stefan Jordan: "Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts". Die Schwellenzeit zwischen Pragmatismus und Klassischem Historismus. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1999. 264 S., br., 58,- DM.
Stefan Jordan (Hrsg.): "Schwellenzeittexte". Quellen zur deutschsprachigen Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verlag Hartmut Spenner, Waltrop 1999. LV, 345 S., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stefan Jordan korrigiert die Geschichte der Geschichtsschreibung
"Sattelzeit" hat Reinhart Koselleck jenen Zeitraum zwischen etwa 1750 und 1850 genannt, in dem sich die Grundlagen der modernen Gesellschaft herausbildeten. "Geschichte als einheitlichen, alles Geschehen übergreifenden Prozeß zu denken ist eines der Konzepte, die sich dabei durchsetzen und deren Geltung erst in neuerer, ,postmoderner' Zeit bestritten wird." Ein ganzes Jahrhundert "Sattelzeit" - das weist auf einen ebenso tiefgreifenden wie weitgespannten Wandel, und es scheint kein Wunder, daß die historiographiegeschichtliche Forschung ihn nicht restlos schlüssig zu rekonstruieren vermocht hat.
Mit dieser Kritik setzt jedenfalls Stefan Jordans Bochumer Dissertation über die Geschichtstheorie der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein: Zwischen dem "Pragmatismus", dem typischen Paradigma der Aufklärungshistorie, und dem Historismus des neunzehnten Jahrhunderts habe die Forschung eine Lücke klaffen lassen. Jordans Kritik ist grundsätzlicher, methodischer Art: Wer Aufklärungshistorie und Historismus als "Paradigmen" begreife, die aus der Ex-post-Perspektive des Forschers zu rekonstruieren sind, betone ihre interne Geschlossenheit auf Kosten des Transformationsprozesses, der sich zwischen beiden abgespielt habe. Periodisierungen sollten sich jedoch, so Jordan, am Bewußtsein der seinerzeit Lebenden und mit Geschichte Beschäftigten orientieren; Epochengrenzen sollten dort gesetzt werden, wo bereits die Zeitgenossen einen Bruch wahrnahmen.
Solche Wahrnehmungen zu untersuchen erfordert eine breite Quellengrundlage geschichtstheoretischer Texte. Jordan hat sie in beeindruckender Zahl zusammengestellt und analysiert sie einerseits auf die Artikulation von Umbruchsbewußtsein, andererseits auf die theoretischen Konzepte "zwischen" Aufklärungshistorie und Historismus hin. Dabei begnügt er sich nicht mit Retuschen am bekannten Bild der Historiographiegeschichte, sondern entwirft es durchaus neu: Die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hebe sich in ihren geschichtstheoretischen Positionen signifikant vom Vorausgehenden wie vom Folgenden ab, lasse sich daher als "Schwellenzeit" bezeichnen (der Anklang an Kosellecks Begriff ist beabsichtigt, bleibt aber vage). Und diese "Epoche" sei schon von den Zeitgenossen wahrgenommen worden, die, so Jordan, nach 1800 den Pragmatismus und dessen didaktische Intentionen kritisierten, sich nach der Revolution von 1848 jedoch ideologisch wie erkenntnistheoretisch vom bisherigen Objektivismus ab- und einer subjektiveren Geschichtstheorie zuwandten.
Die Rekonstruktion der schwellenzeitlichen Geschichtstheorie erfolgt begriffsweise, zunächst "Bildung", dann "Geschichtswissenschaft als Selbstzweck", "Wahrheit und Objektivität" bis hin zu (zehntens) "Organismus, organisch". Was hier übersichtlich zusammengestellt wird, birgt freilich wenig Überraschendes. Auf seiner quantitativ verbreiterten, qualitativ jedoch verengten Quellenbasis bleibt Jordan vielmehr hinter dem Forschungsstand zurück, denn er schließt Texte, die nicht ausdrücklich theoretisieren, aus und übergeht die häufig aufschlußreichere implizite Geschichtstheorie ebenso wie geschichtstheoretisch Relevantes aus Philosophie, Philologie, Dichtung oder Staatstheorie. Ranke als maßgeblicher Historiker des zweiten Jahrhundertviertels ist kaum vertreten, von vermeintlich Außenstehenden wie Schelling, Boeckh oder Heine zu schweigen. In ihrer Auffassung von Geschichtstheorie zeigt sich die Arbeit jener Bielefelder Schule (Jörn Rüsen, Horst Walter Blanke) verpflichtet, gegen deren Bild der Historiographiegeschichte sie sich wendet.
Die Bielefelder Forschungen datieren aus den achtziger Jahren. Neueres wird nur nominell rezipiert, obwohl die Historiographiegeschichte des frühen neunzehnten Jahrhunderts in den letzten zehn, zwölf Jahren geradezu umgeschrieben wurde (so von Michael Gottlob, Wolfgang Hardtwig, Ulrich Muhlack und Gerrit Walther). Die vielfältigen konzeptionellen Überlappungen um und nach 1800, den Wandel innerhalb des Zeitraums oder das qualitative Gefälle zwischen den Schriften einerseits Humboldts, andererseits eines heute vergessenen Schulmannes übergeht Jordan, obwohl die damit befaßte Forschung seine Kritik an einem starren Epochenmodell bereits weitgehend gegenstandslos gemacht hat. Statt dessen konstatiert er seinerseits Epochenbrüche - die die angeführten Quellen jedoch nicht zu belegen vermögen. Um 1800 einen Bruch anzusetzen verkürzt den sowohl in den epistemologischen Konzepten als auch in den Darstellungsformen tiefgreifenden Wandel zwischen Französischer Revolution und Restauration ausgerechnet um die Prozessualität, die Jordan zu beachten fordert. Auch mit einem Schnitt um 1850 sollte man vorsichtig sein, damit man den politisch engagierten Historismus eines Droysen nicht seiner hegelianisch-humboldtschen Basis beraubt.
Was einen gewissen Wert behält, ist Jordans Zusammenstellung der Quellen, die ein begleitender Band zudem teilweise nachdruckt. Und wie steht es mit der methodischen Grundentscheidung? Der Versuch, die Ex-post-Perspektive des Historikers durch die der Beteiligten zu ersetzen, möchte für die Geschichtstheorie erschließen, was in der Sozialgeschichte sehr fruchtbar geworden ist. Lucian Hölscher hat, davon ausgehend, die Frage erörtert, was uns dazu berechtigt, von einer kontinuierlichen Geschichte zu sprechen. Weniger ertragreich scheint es mit Blick auf die vorliegende Dissertation, historiographiegeschichtliche Epochenbestimmungen nach jener Methode vorzunehmen. Denn welche Theorieschrift wäre nicht von dem Anspruch getragen, sich vom Vorangegangenen abzusetzen? Und wie könnte die stets auf einen Zeitpunkt bezogene Brucherfahrung einen epochalen Zeitraum konstituieren? Letzteres bleibt nolens volens das Geschäft des rückblickenden Historikers. Historiographiegeschichte ist eben mehr als eine Rekonstruktion geschichtstheoretischer Positionen.
DANIEL FULDA
Stefan Jordan: "Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts". Die Schwellenzeit zwischen Pragmatismus und Klassischem Historismus. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1999. 264 S., br., 58,- DM.
Stefan Jordan (Hrsg.): "Schwellenzeittexte". Quellen zur deutschsprachigen Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verlag Hartmut Spenner, Waltrop 1999. LV, 345 S., br., 48,- DM.
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