Der Historiker und Religionswissenschaftler Hans-Joachim Schoeps zählt zu den profiliertesten Gelehrtenpersönlichkeiten der deutsch-jüdischen Wissenschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Dennoch war er gegen Lebensende mit seiner Universität in Erlangen und den meisten seiner Kollegen nahezu vollständig zerfallen. Das Hauptthema seiner wissenschaftlichen Bemühungen - die Auseinandersetzung mit Preußen - galt als ebenso weitgehend obsolet wie die von ihm favorisierte ideengeschichtliche Methode.
Mittlerweile ist dies in beiden Fällen anders geworden. Der Hohenzollernstaat ist seit Beginn der 1990er Jahre zum Gegenstand intensiver und teilweise sehr fruchtbarer wissenschaftlicher Debatten avanciert, und auch die Geistes- und Ideengeschichte hat - gerade in der durch Schoeps vertretenen Form einer auf kulturwissenschaftliche Synthese zielenden Zeitgeistforschung - merklich an Reputation zurückgewonnen. Beiden Aspekten ist dieses Buch in seinem Bemühen um eine Rekonstruktion des Lebensthemas von Hans-Joachim Schoeps gewidmet.
Mittlerweile ist dies in beiden Fällen anders geworden. Der Hohenzollernstaat ist seit Beginn der 1990er Jahre zum Gegenstand intensiver und teilweise sehr fruchtbarer wissenschaftlicher Debatten avanciert, und auch die Geistes- und Ideengeschichte hat - gerade in der durch Schoeps vertretenen Form einer auf kulturwissenschaftliche Synthese zielenden Zeitgeistforschung - merklich an Reputation zurückgewonnen. Beiden Aspekten ist dieses Buch in seinem Bemühen um eine Rekonstruktion des Lebensthemas von Hans-Joachim Schoeps gewidmet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2011Ein Traum von Preußens Sendung
Frank-Lothar Kroll beschreibt den Lebensweg des Religionshistorikers Hans-Joachim Schoeps
"Die preußische Urerfahrung ist der des Juden verwandt", heißt es in einer seiner Schriften. Wie in den Weiten des deutschen Ostens, Landschaft und Lebenswelt den "preußischen Typus" geboren habe, so habe sich auch das Judentum, "in dessen Seelenerbe, die grenzenlose Weite der Wüste liegt", nur durch "Gehorsam gegenüber Gesetzen" behaupten können. Derjenige, der dies noch in den sechziger Jahren zu Papier brachte, galt den 68ern als "Nazijude", den Zionisten fast als ein Protestant und wohl manchem Politiker in der Adenauerära als gefährlicher Träumer.
Der Religionshistoriker Hans-Joachim Schoeps (1909-1980) war eine Ausnahmeerscheinung in der Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik. Als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie in Berlin geboren, studierte er in den dreißiger Jahren Geschichte, Religionswissenschaft und Philosophie, arbeitete als Lehrer in einem jüdischen Gymnasium und flüchtete 1938 nach Schweden. Obwohl die Nazis seine Eltern ermordet hatten, kehrte er 1946 nach Deutschland zurück: bestrebt, eine Alternative "zum verwestlichten deutschen Teilstaat der Nachkriegszeit" zu formulieren - eine Alternative jedoch, die für ihn nur preußisch sein konnte. Denn für den Juden Schoeps, ab 1950 Professor an der Universität Nürnberg-Erlangen, war Preußen eine "existenzielle Erfahrung", so dass er schon in den zwanziger Jahren eine Theologie entwickelte, um Christen und Juden zusammenzuführen: Dafür relativierte er sogar die Idee, dass die Juden das auserwählte Volk seien.
Frank-Lothar Kroll rekonstruiert nun Leben und Schaffen von Schoeps und verweist dabei auf dessen Preußenbild: Denn anders als Nationalsozialisten und Alliierte, die bei den Preußen nur soldatisch-kriegerischen Tugenden ausmachten, sah Schoeps in Preußen eine besondere Staatsidee verkörpert. Für ihn bestand ihr Kern im Prinzip einer gebundenen Freiheit, die sich am Gemeinwohl orientiert - und die im Gegensatz steht zur westlich-individualistischen Vorstellung von Freiheit, die nur schrankenloses Emanzipationsstreben kennt. Diese Idee eines "preußischen Sozialismus" war jedoch nicht neu, sondern wurde schon von der "Konservativen Revolution" propagiert, jener antiliberalen Strömung in der Weimarer Republik, zu der Publizisten wie Oswald Spengler, Werner Sombart oder Ernst Niekisch gehörten. Schoeps korrespondierte in den zwanziger Jahren mit einigen von ihnen und war "beeindruckt von diesen Männern, die rechts gedacht und links gehandelt haben".
Allerdings fuhr Schoeps auch nach 1945 fort, sein sozialkonservatives Ordnungsmodell zu verbreiten - entgegen dem Zeitgeist und all seinen Anfeindungen: So rief er in seinen Schriften dazu auf, in Deutschland den Elitegedanken zu erneuern und dies mit einem Mehrstimmenwahlrecht zu unterstreichen; er empfahl er ein parlamentarisches Zweikammersystem mit Ober- und Unterhaus; er unternahm nicht zuletzt immer wieder praktische Schritte, die Monarchie wiederherzustellen. Noch 1970 gründete Schoeps dafür seine Partei "Konservative Sammlung" und stand in Kontakt mit dem damaligen Thronprätendenten der Hohenzollern, Prinz Louis Ferdinand.
In seiner Studie unterstreicht Kroll, dass es Schoeps bei seinen Restaurationsversuchen auch darum ging, die Gefahren "einer wachsenden Parteien- und Verbändeherrschaft" zu verhindern und ihr "Elemente obrigkeitlicher Autorität" entgegenzusetzen. Selbst zeitgenössische Vertreter der westdeutschen Staatsrechtslehre hätten sich dies gewünscht, auch wenn dies seit den späten sechziger Jahren in einem links dominierten Klima wie eine Provokation wirken musste. In der Tat zerfiel Schoeps' "Konservative Sammlung" einige Monate nach ihrer Gründung.
Kroll, der in Chemnitz europäische Geschichte lehrt, sieht Schoeps vor allem mit den Augen des Historikers, und vielleicht ist das sogar eine Schwäche dieses ansonsten informativen und gut geschriebenen Bandes. Denn Schoeps' Kritik an der modernen Massendemokratie und ihren Grundlagen und die Idee einer gebundenen, gemeinwohlorientierten Freiheit ist durchaus der Betrachtung wert. Insofern hätte man sich gewünscht, mehr über ihre philosophischen Verankerungen zu erfahren und darüber, wie sie Schoeps in die moderne Gesellschaft zu integrieren gedachte - über die Frage also, wie zeitgemäß das "unzeitgemäße Denken" von Schoeps tatsächlich war.
MICHAEL BÖHM.
Frank-Lothar Kroll: "Geschichtswissenschaft in politischer Absicht". Hans-Joachim Schoeps und Preußen.
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2010. 144 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frank-Lothar Kroll beschreibt den Lebensweg des Religionshistorikers Hans-Joachim Schoeps
"Die preußische Urerfahrung ist der des Juden verwandt", heißt es in einer seiner Schriften. Wie in den Weiten des deutschen Ostens, Landschaft und Lebenswelt den "preußischen Typus" geboren habe, so habe sich auch das Judentum, "in dessen Seelenerbe, die grenzenlose Weite der Wüste liegt", nur durch "Gehorsam gegenüber Gesetzen" behaupten können. Derjenige, der dies noch in den sechziger Jahren zu Papier brachte, galt den 68ern als "Nazijude", den Zionisten fast als ein Protestant und wohl manchem Politiker in der Adenauerära als gefährlicher Träumer.
Der Religionshistoriker Hans-Joachim Schoeps (1909-1980) war eine Ausnahmeerscheinung in der Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik. Als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie in Berlin geboren, studierte er in den dreißiger Jahren Geschichte, Religionswissenschaft und Philosophie, arbeitete als Lehrer in einem jüdischen Gymnasium und flüchtete 1938 nach Schweden. Obwohl die Nazis seine Eltern ermordet hatten, kehrte er 1946 nach Deutschland zurück: bestrebt, eine Alternative "zum verwestlichten deutschen Teilstaat der Nachkriegszeit" zu formulieren - eine Alternative jedoch, die für ihn nur preußisch sein konnte. Denn für den Juden Schoeps, ab 1950 Professor an der Universität Nürnberg-Erlangen, war Preußen eine "existenzielle Erfahrung", so dass er schon in den zwanziger Jahren eine Theologie entwickelte, um Christen und Juden zusammenzuführen: Dafür relativierte er sogar die Idee, dass die Juden das auserwählte Volk seien.
Frank-Lothar Kroll rekonstruiert nun Leben und Schaffen von Schoeps und verweist dabei auf dessen Preußenbild: Denn anders als Nationalsozialisten und Alliierte, die bei den Preußen nur soldatisch-kriegerischen Tugenden ausmachten, sah Schoeps in Preußen eine besondere Staatsidee verkörpert. Für ihn bestand ihr Kern im Prinzip einer gebundenen Freiheit, die sich am Gemeinwohl orientiert - und die im Gegensatz steht zur westlich-individualistischen Vorstellung von Freiheit, die nur schrankenloses Emanzipationsstreben kennt. Diese Idee eines "preußischen Sozialismus" war jedoch nicht neu, sondern wurde schon von der "Konservativen Revolution" propagiert, jener antiliberalen Strömung in der Weimarer Republik, zu der Publizisten wie Oswald Spengler, Werner Sombart oder Ernst Niekisch gehörten. Schoeps korrespondierte in den zwanziger Jahren mit einigen von ihnen und war "beeindruckt von diesen Männern, die rechts gedacht und links gehandelt haben".
Allerdings fuhr Schoeps auch nach 1945 fort, sein sozialkonservatives Ordnungsmodell zu verbreiten - entgegen dem Zeitgeist und all seinen Anfeindungen: So rief er in seinen Schriften dazu auf, in Deutschland den Elitegedanken zu erneuern und dies mit einem Mehrstimmenwahlrecht zu unterstreichen; er empfahl er ein parlamentarisches Zweikammersystem mit Ober- und Unterhaus; er unternahm nicht zuletzt immer wieder praktische Schritte, die Monarchie wiederherzustellen. Noch 1970 gründete Schoeps dafür seine Partei "Konservative Sammlung" und stand in Kontakt mit dem damaligen Thronprätendenten der Hohenzollern, Prinz Louis Ferdinand.
In seiner Studie unterstreicht Kroll, dass es Schoeps bei seinen Restaurationsversuchen auch darum ging, die Gefahren "einer wachsenden Parteien- und Verbändeherrschaft" zu verhindern und ihr "Elemente obrigkeitlicher Autorität" entgegenzusetzen. Selbst zeitgenössische Vertreter der westdeutschen Staatsrechtslehre hätten sich dies gewünscht, auch wenn dies seit den späten sechziger Jahren in einem links dominierten Klima wie eine Provokation wirken musste. In der Tat zerfiel Schoeps' "Konservative Sammlung" einige Monate nach ihrer Gründung.
Kroll, der in Chemnitz europäische Geschichte lehrt, sieht Schoeps vor allem mit den Augen des Historikers, und vielleicht ist das sogar eine Schwäche dieses ansonsten informativen und gut geschriebenen Bandes. Denn Schoeps' Kritik an der modernen Massendemokratie und ihren Grundlagen und die Idee einer gebundenen, gemeinwohlorientierten Freiheit ist durchaus der Betrachtung wert. Insofern hätte man sich gewünscht, mehr über ihre philosophischen Verankerungen zu erfahren und darüber, wie sie Schoeps in die moderne Gesellschaft zu integrieren gedachte - über die Frage also, wie zeitgemäß das "unzeitgemäße Denken" von Schoeps tatsächlich war.
MICHAEL BÖHM.
Frank-Lothar Kroll: "Geschichtswissenschaft in politischer Absicht". Hans-Joachim Schoeps und Preußen.
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2010. 144 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Erhellend findet Michael Böhm diese Studie über Leben und Werk des Religionshistorikers Hans-Joachim Schoeps von Frank-Lothar Kroll. Er sieht in Schoeps eine "Ausnahmeerscheinung in der Geistesgeschichte der frühen Bundesrepuplik? und geht vor allem auf dessen Preußenbild ein. Krolls Studie schätzt er als instruktiv und gut zu lesen. Seiner Ansicht nach betrachtet der Autor Schoeps allerdings etwas zu stark aus dem Blickwinkel des Historikers. Gerade Schoeps kritische Auseinandersetzung mit der modernen Massendemokratie sowie seine Idee einer gebundenen, gemeinwohlorientierten Freiheit hält er nämlich durchaus für bedenkenswert. Hier hätte Böhm gern mehr über die philosophischen Seite dieser Idee erfahren und auch über Schoeps' Vorstellung, wie diese in der modernen Gesellschaft zu verwirklichen wäre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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