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Die deutsche Geschichtswissenschaft ist in weiten Teilen von einer nationalgeschichtlichen Perspektive gekennzeichnet. Die in diesem Band gesammelten Aufsätze sind als Einspruch gegen diese einseitige Prägung zu verstehen. Jürgen Osterhammel behandelt zwischen den Polen Vergleich und Beziehungsgeschichte verschiedene Themen der Weltgeschichte, wobei der Begriff "Beziehung" sich nicht auf dem Bereich der internationalen Politik beschränkt, sondern andere Arten von Beziehungen wie etwa Kulturtransfers in gleicher Weise einbezieht. Auch geht es in diesem Band nicht um "Außereuropäische…mehr

Produktbeschreibung
Die deutsche Geschichtswissenschaft ist in weiten Teilen von einer nationalgeschichtlichen Perspektive gekennzeichnet. Die in diesem Band gesammelten Aufsätze sind als Einspruch gegen diese einseitige Prägung zu verstehen. Jürgen Osterhammel behandelt zwischen den Polen Vergleich und Beziehungsgeschichte verschiedene Themen der Weltgeschichte, wobei der Begriff "Beziehung" sich nicht auf dem Bereich der internationalen Politik beschränkt, sondern andere Arten von Beziehungen wie etwa Kulturtransfers in gleicher Weise einbezieht. Auch geht es in diesem Band nicht um "Außereuropäische Geschichte" - letztlich eine Kategorie einer auf Europa zentrierten Historie - sondern vielmehr darum, Amerika, Asien, Afrika und Ozeanien in den Horizont einer "normalen" Geschichtswissenschaft zu integrieren. Neben eine nationalgeschichtliche und eine auf Europa zielende Historie könnte so eine Geschichte in weltbürgerlicher Absicht treten. Dabei geht es nicht um Antworten von globaler Gültigkeit, sondern um Fragen in einem universalen Horizont.
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Autorenporträt
Osterhammel, Jürgen
Studium in Marburg, Hamburg und London. Wissenschaftliche Tätigkeiten am Deutschen Historischen Institut London, der Universität Freiburg i.Br., der FernUniversität Hagen und dem Institut Universitaire de Hautes Études Internationales in Genf. Forschungsaufenthalte am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Netherlands Institute for Advanced Study in Wassenaar. Seit 1999 an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2002

Wer hat was gegen westliche Kultur?

Im Jahre 1720 besuchte Mehmed Efendi, ein Gesandter des Sultans, die französische Hauptstadt. Am Pariser Leben fielen ihm, wie der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel in einem Aufsatz unter dem Titel "Differenzwahrnehmungen" berichtet, "das öffentliche Auftreten von Frauen und die fehlende Trennung zwischen männlicher und weiblicher Sphäre" auf. Der Diplomat hatte noch keinen Anlaß, seinen Herrn für einen kranken Mann zu halten, dem er Medizin hätte besorgen müssen. Daß die Haremsdamen daheim gegen den Leiter lieblicher Lustbarkeiten rebellieren könnten, um wie die Mätresse des französischen Königs öffentlich in Erscheinung treten zu dürfen, wäre dem Reisenden nicht eingefallen. Heute liegt über allen "orientalischen" Bildern des "Okzidents" der Schatten einer Weltordnung, die zu Anpassung oder Abstoßung nötigt. Osterhammel stellt fest: "Die teils staunende, teils schelmische Unbefangenheit eines Mehmed Efendi ist nicht mehr möglich, seit die Verwestlichung unaufhaltsam geworden ist."

So wollen Ian Buruma und Avishai Margalit in der Angst vor der öffentlichen Frau eine mächtige Triebkraft jener fundamentalistischen Verachtung des Westens erkennen, die sie in einem Essay in der "New York Review of Books", den der "Merkur" in seinem April-Heft nachdruckt, "Okzidentalismus" genannt haben. Doch wenn die Unbefangenheit im westöstlichen Blickkontakt verschwunden ist, so gilt das auf beiden Seiten. Wer "Bilder von westlichen Frauen, halb nackt und in sexuell aufreizenden Posen", für Teufelskram hält, den mag man verklemmt und frustriert schimpfen. Aber wenn Buruma und Margalit die massenhafte Verbreitung dieser Bilder als Palladium der "Freiheit der Frau" feiern, erweisen sie sich ihrerseits als Fanatiker.

Osterhammels Aufsatzsammlung ("Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats". Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 147. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. 384 S., br., 44,- [Euro]) zog die Bilanz eines Projekts, das mit dem 11. des Monats, in den das Vorwort des Buches datiert ist, abgebrochen sein könnte: der Wiedergewinnung des unbefangenen Blicks. Auch die Reisenden aus Paris und Umgebung, die die Heimat Mehmed Efendis besuchten, trugen lange keine Theorien über die Natur des Orients und die Bestimmung des Westens im Gepäck. Sofern man eine Überlegenheit der eigenen Weltregion annahm, begründete man sie pragmatisch, mit den Zufällen des Klimas und einer Kleinräumigkeit, die den Wettbewerb stimulierte. Osterhammel würdigt Gibbon als den Pionier eurasiatischer Gesamtschau. Wie Gibbon sich für das langfristige Gleichgewicht von Nomaden- und Ackerbaugesellschaften interessierte, so hat sich Osterhammel zufolge in jüngster Zeit eine seriöse Welthistorie herausgebildet, die makroökonomische, umweltgeschichtliche und kulturanthropologische Gesichtspunkte verbindet.

Daß Universalgeschichte als Forschung betrieben und organisiert werden kann, ist die wissenschaftspolitische Pointe der Sammlung, die Osterhammel seinem Lehrer Ernst Schulin gewidmet hat. In Deutschland ist ein Historiker, der sein Fach "unter besonderer Berücksichtigung der außereuropäischen Geschichte" vertritt, noch immer ein Exot; bei einer der unzähligen Nationalismustagungen nahm Osterhammel "mit der respektlosen Naivität des Dilettanten" das ihm von Christian Meier angetragene Wort, schlüpfte ins Schelmenkostüm des Mehmed Efendi. Die Fußnoten von Aufsätzen über "Entdeckung und Eroberung, Neugier und Gewalt" als "Modelle frühneuzeitlichen Kulturkontakts" oder über "Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas" lassen ahnen, welche Schätze an lokalem Wissen die englisch- und die französischsprachige Historikerschaft der imperialen Vergangenheit verdanken.

An der Sachhaltigkeit dieses Wissens hält Osterhammel gegen den Konstruktivismus eines Edward Said fest. Der "informierte Eroberer", der sich vor der Landung schlau gemacht hat, siegt durch den Verblüffungseffekt: Hihi, die Macht der Überraschungen naht. Es gibt eine Verbindung von Welteroberung und Welterkenntnis, die die Wissenschaft nur um den Preis der Verdummung aufbrechen könnte. Einen "erdbeherrschenden Standpunkt" wollte Friedrich Ratzel einnehmen, der nur noch als Wegbereiter der Geopolitik bekannt ist, aber von Osterhammel als Universalhistoriker entdeckt wird, dem alles zu "Bewegungs- und Beziehungsgeschichte" wurde.

Mit ihrem "Okzidentalismus" schlagen Buruma und Margalit gegen Said zurück: Auch der Westen ist ein Konstrukt. Osterhammels Warnung, das von Said kultivierte "Freund-Feind-Weltbild" könne "in den Kulturwissenschaften verheerende Konsequenzen" zeitigen, findet in diesem Pamphlet eine traurige Bestätigung. Alle Kritik an den liberalen Dogmen schlagen Buruma und Margalit über den Leisten des Ressentiments der Zukurzgekommenen. Bei ihnen liest man nicht, was bei Osterhammel steht: daß die Materialismustadler unter den asiatischen Intellektuellen das Abendland des Verrats an den eigenen Idealen bezichtigten. Heldentum und Opfer dürfen zur ethischen Tradition des Westens nicht gehören. Man könnte ja sonst auf die Idee kommen, er hätte einen Grund zum kritischen Blick auf die eigene Geschichte.

Daß ein Reiseschriftsteller und ein kommunitaristischer Philosoph in die Welt hinausposaunen, man lasse sich Kritik an den eigenen Sitten nicht bieten, könnte eine ähnliche Zäsur markieren, wie sie Osterhammel um 1800 ansetzt. Damals trat der asiatische Feind ins Dasein, das blutrünstige Ungeheuer, zu dem die Briten einen indischen Fürsten stilisierten, den sie früher aus den besten realpolitischen Gründen bekämpft hätten. Und damals stellte Jean-Baptiste Mailly seine Geschichte der Kreuzzüge "unter die Devise des Kampfes der Kulturen": "Hier kämpft Europa gegen Asien."

PATRICK BAHNERS

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'Jürgen Osterhammels 'Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats' meint angesichts dieser vielfältigen Genres ein 'Jenseits', das ebenfalls seine Geschichte hat, die er kenntnisreich nachzeichnet: es geht um die Universalgeschichte. Osterhammel schwebt ganz klar eine Renaissance der 'Weltgeschichte' vor. Und da er um die Vorurteile und Missstimmungen weiß, mit der eine große Zahl der Spezialisten historischer Forschung in Deutschland der 'Weltgeschichte' begegnen, setzt er sich um so sprachgewandter und sachkundiger für sie ein.' (Torsten Bathmann, H-Soz-U-Kult)

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit Jürgen Osterhammels Aufsatzsammlung liegt nach Ansicht von Andreas Eckert ein Werk vor, dass endlich mit der "nationalhistorischen Selbstbezogenheit" und dem "Germano-" bzw. "Europazentrismus" der deutschen Geschichtswissenschaft Schluss macht. Eckert folgt Osterhammel in dessen Plädoyer, alle Regionen der Erde historiographisch in eine "Universalgeschichte" oder "Globalgeschichte" genannte Geschichtswissenschaft zu integrieren, wofür es zum einen "einer stärkeren Verankerung des Nicht-Okzidentalen in Forschung und Lehre" bedürfe, zum anderen einer "Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", die "nicht nach Antworten von globaler Gültigkeit sucht, ihre Fragen aber in einem universalen Horizont stellt". Die Beiträge des Bandes, urteilt Eckert erfreut, sind "höchst anregende Streifzüge durch zum Teil äußerst komplexe, wahrhaft globale historische Problemfelder." Dabei lobt er insbesondere Osterhammels Fähigkeit, "gleichsam als Übersetzer zwischen dem deutschen historiographischen Mainstream und diversen Ansätzen zu einer Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats zu fungieren". Daher bestehe auch die Hoffnung, so Eckert, dass Osterhammels Anregungen auch tatsächlich aufgegriffen werden.

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