In den Theorien zur psychosexuellen Entwicklung unterscheidet man bezüglich des Begriffs 'Geschlecht' mittlerweile auch im Deutschen zwischen 'Sex' und 'Gender' - Geschlecht im biologischen und im psychosozialen Sinn. Ob und wie sehr sich eine Person - abgesehen von ihren körperlichen Merkmalen - als Mann oder Frau erlebt, sich sexuell verhält oder fantasiert, fortpflanzt, bzw. zu Männern oder Frauen hingezogen fühlt, ist ein hochkomplexer Prozess. Dieser Band stellt einen interdisziplinären Zugang zu Fragen der Geschlechts- und sexuellen Identität dar. Thematisch reichen die hier vereinigten Texte von der Sichtweise der Genetik und Evolutionsbiologie über die Entwicklungspsychologie bis hin zur Soziologie. Nach einer Auseinandersetzung mit Geschlecht als Konstruktion stellen die Beiträger evolutionspsychologische, biologische und sexualwissenschaftliche Ansätze zur Betrachtung von Geschlecht und sexueller Identität vor. Auch bislang wenig behandelte Themen wie Transsexualität und Intersexualität finden dabei Beachtung. Ein weiterer Teil des Bandes betrachtet homo- und heterosexuelle Beziehungsgestaltungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Hertha Richter-Appelt/ Andreas Hill: Geschlecht zwischen Spiel und Zwang Es gibt sie noch, die Geschlechterdifferenz, stellt Andrea Rinnert fest, aber in veränderter Form. Davon hat sie die Lektüre eines Sammelbandes überzeugt, der eine Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung dokumentiert. Die Grundthese der Verfechter der Gender Studies klinge inzwischen wie eine "feministische Binsenwahrheit", so Rinnert, nämlich dass das Geschlecht eine soziale Konstruktion sei. Trotzdem hat sich für die Rezensentin in Bezug auf diese These einiges verändert: im für sie wichtigsten Beitrag des Bandes, der von Stefan Hirschauer stammt, werde das Konzept des "doing gender" durch ein "undoing gender" relativiert. Hirschauer beziehe sich auf Situationen, in denen es durchaus möglich sei, die Tatsache des Männlich- oder Weiblichseins zu ignorieren. Für die meisten anderen Autoren, fasst Rinnert zusammen, liegen die Spielräume für eine Überschreitung der Geschlechternormen nach wie vor in der Abweichung - wobei die Spielräume und auch die gesellschaftliche Toleranz für diese, das behaupteten die meisten Autoren, gestiegen sei. Fazit: Es gibt die Gender Studies noch und sie haben durchaus ihre Berechtigung, findet Rinnert und begrüßt zugleich, dass sich die Positionen bewegt haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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