Was gibt es denn da zu lernen, es ist doch alles Geschmackssache! Ganz richtig, es ist alles Geschmackssache, aber anders, als man es normalerweise meint. Unser Geschmack ist das Produkt unserer Erziehung und dem, was wir daraus gemacht haben.
Dabei hat fast jeder Mensch - in der Regel ohne eigenes Verschulden - Defizite entwickelt, die ihm den Weg zu einem intensiveren Genuss versperren. Dazu kommt, dass in unserer gesellschaft erst seit kurzem überhaupt intensiver über Essen gesprochen und nachgedacht wird. Es ist an der Zeit, das Verhältnis zum Essen zu intensivieren und endlich einmal zu überprüfen, was wir eigentlich alles schmecken können und wie intensiv unser Genuss beim Essen überhaupt werden kann.
Mit dieser Geschmacksschule ermöglicht der bekannte Restaurantkritiker und Kolumnist Jürgen Dollase erstmals eine völlig neuartige Vorstellung vom Essen. Der Leser wird auf eine Reise zu präzise beschriebenen Wahrnehmungen mitgenommen, die seine ganze Sensorik in Anspruch nehmen und die Sehweise von Essen einschneidend verändern können.
Das alles geschieht in einer außergewöhnlich anschaulichen Darstellung mit vielen spannenden Beispielen. Im Kern stehen dabei speziell entworfene"Löffelgerichte", die mit Absicht so gehalten sind, dass sie ohne Schwierigkeiten nachgekocht werden können.
Noch nie war Schmecken so intensiv...
Dabei hat fast jeder Mensch - in der Regel ohne eigenes Verschulden - Defizite entwickelt, die ihm den Weg zu einem intensiveren Genuss versperren. Dazu kommt, dass in unserer gesellschaft erst seit kurzem überhaupt intensiver über Essen gesprochen und nachgedacht wird. Es ist an der Zeit, das Verhältnis zum Essen zu intensivieren und endlich einmal zu überprüfen, was wir eigentlich alles schmecken können und wie intensiv unser Genuss beim Essen überhaupt werden kann.
Mit dieser Geschmacksschule ermöglicht der bekannte Restaurantkritiker und Kolumnist Jürgen Dollase erstmals eine völlig neuartige Vorstellung vom Essen. Der Leser wird auf eine Reise zu präzise beschriebenen Wahrnehmungen mitgenommen, die seine ganze Sensorik in Anspruch nehmen und die Sehweise von Essen einschneidend verändern können.
Das alles geschieht in einer außergewöhnlich anschaulichen Darstellung mit vielen spannenden Beispielen. Im Kern stehen dabei speziell entworfene"Löffelgerichte", die mit Absicht so gehalten sind, dass sie ohne Schwierigkeiten nachgekocht werden können.
Noch nie war Schmecken so intensiv...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2006Warum schmeckt es, warum nicht?
Dieses Buch hat viel mit einem Sexualratgeber gemein. Beiden geht es um Genußsteigerung, um Sinnlichkeit und Sensibilisierung, um Intensität und Erregung, und in beiden stößt man auf Graphiken, die Erregungskurven zeigen. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auf. Denn Bücher zum Erreichen der sexuellen Hochschulreife gibt es massenhaft. Ein Kochbuch wie dieses, das seine Leser zur kulinarischen Menschwerdung führen will - ja, Menschwerdung: so ernst nimmt der Autor seine Sache -, das gab es bisher nicht. Es ist von einer ironiefreien Unbedingtheit wie alle Bücher, die ihren Gegenstand zur Daseinshauptsache erklären. Für Jürgen Dollase ist Essen und Trinken die Schule des Lebens ("Geschmacksschule". Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2005. 192 S., Farbabb., geb., 49,90 [Euro]).
Wie fast alle Spätbekehrten (der Autor war in seinem früheren Leben Rockmusiker und mit Fast food auf du und du, bevor er sein Erweckungserlebnis mit einer Auster hatte) ist er vor allem: radikal. Wer seine Eßkritiken liest, dem werden die Urteile anderer Gastrokritiker belanglos und beliebig vorkommen. In seiner "Geschmacksschule" verfolgt er einen klaren Kurs: größtmögliche Objektivität durch Kenntlichmachung der eigenen Kriterien, Präzision der Analyse (wie schmeckt es?), Überprüfbarkeit der Urteile (warum schmeckt es, warum nicht?).
Dabei ist sich Dollase des Grundproblems bei der Beschreibung von Geschmackseindrücken bewußt: Uns gehen allzu schnell die Worte aus. Wir haben kein Kauproblem, wir haben ein Artikulationsproblem. Die "degustative Missionarsstellung - hmm, lecker!" (Dollase) beherrschen wir locker, aber wenn es um das Kamasutra kulinarischer Feinheiten geht, schweigen wir vornehm. Beim Wein, einem eher geschwätzigen Medium, hat man dieses Problem mit dem Übergriff auf vertraute Nahrungsmittel wie Beeren, Zitrusfrüchte und Gewürze gelöst, und auch eher gewöhnungsbedürftige Geruchsgruppen werden zu Vergleichszwecken herangezogen: Leder, Tabak, Schweiß, Fusel, Gummi. Aber warum sollte man das Aroma überhitzter Bremsbeläge auf sommerlich heißem Asphalt nicht beim Namen nennen, wenn das, was auf dem Teller liegt, nach verbrannten Gummireifen riecht?
Daß Dollase ein großer Komplexitätsstrukturierer ist, beweist er mit dreißig Löffelgerichten, die auf kleinstem Raum die große, weite Welt des Geschmacks eröffnen sollen. Schlüsselbegriffe sind: Textur, Aroma, Temperatur. Wer möchte, kann sich beim Schmecken Degustationsnotizen machen. Oder die des Meisters abschreiben. Die abgebildeten Verlaufskurven, die zeigen, in welcher Zeitspanne ein Produkt wieviel Intensität entwickelt, werden nicht nur in Jugend-forscht-Kreisen für rote Backen sorgen. Da stürzen Kartoffelchips, Spargeleis und Brotcroutons vom Start weg ins Bodenlose, während Schnitzel, Schinken und Kartoffeln einen zenbuddhistisch weiten Bogen beschreiben, während Erdnüsse und Lachskaviar darunter Bocksprünge machen.
Wir lernen, daß die Brotcroutons abstürzen, "weil die krosse Wirkung schnell nachläßt und sich aromatisch wenig ereignet", wohingegen das Fleisch "eine klare Plateauphase" hat. Zweck der Übung ist nicht, die Erregungskurve des Croutons mit der des Fleisches zu vereinen, sondern "Fehler zu analysieren oder besonders positiven Zusammenstellungen auf die Spur zu kommen". Man könnte wetten, daß bei Kindheitsklassikern wie Kalter Hund oder Brötchen mit Eszet-Schnitten die Erregungskurve steil nach oben geht, mit einer langen Plateauphase und einem Nachhall der nach "mehr, mehr, mehr" klingt, bis einem schlecht wird. In diesem Zusammenhang muß bemerkt werden, daß Dollase kein Verfechter einer elitären Spitzenküche ist, und die Menschheit keineswegs in die Umlaufbahn zu den drei Sternen befördert werden soll. Nein, der Novize soll nur in die Lage versetzt werden, einen Hamburger, eine Currywurst oder eine Auster in ihre geschmacklichen Bestandteile zu zerlegen (Glutamat!) und ihre Wirkungsweisen zu analysieren.
Zudem räumt er mit manchem hochgestochenen Blödsinn auf, zum Beispiel mit dem puristischen Credo mancher Köche, die nicht mehr als drei Elemente auf dem Teller dulden, weil man mehr nicht wahrnehmen könne. Bei ihm tummeln sich meist fünf und mehr Produkte auf einem Löffel (zum Beispiel Lachs, Birnen-Zucchini-Kompott, Kartoffelchips, Parmesanspan, fritiertes Basilikumblatt) und ergeben zeitversetzt eine breit aufgefächerte Harmonie, Dollases Geschmacksverlaufskurve beweist es. Auch die weitverbreitete Kochphilosophie, unbedingt den Eigengeschmack der Produkte erhalten zu wollen, korrigiert er. Denn was unterscheidet im Eigengeschmack eine Jacobsmuschel von einem Kabeljau oder einer Dorade? Nichts. In der Blindverkostung könnte man sie nur an der Textur unterscheiden. Und es ist in der Hauptsache die Textur, die den Geschmack transportiert. Schön, daß das mal klargestellt wurde.
Wenn demnächst deutschlandweit an allen Imbißbuden Zettel ausliegen, auf denen man seine Geschmachseindrücke beim Namen nennen kann, dann ist Dollases Botschaft angekommen. Mit vollem Mund spricht man nicht? Von wegen. Essen und Trinken verkommt zur Nebensache, wo es in der Hauptsache sprachlos bleibt.
KRISTIN EILERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieses Buch hat viel mit einem Sexualratgeber gemein. Beiden geht es um Genußsteigerung, um Sinnlichkeit und Sensibilisierung, um Intensität und Erregung, und in beiden stößt man auf Graphiken, die Erregungskurven zeigen. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auf. Denn Bücher zum Erreichen der sexuellen Hochschulreife gibt es massenhaft. Ein Kochbuch wie dieses, das seine Leser zur kulinarischen Menschwerdung führen will - ja, Menschwerdung: so ernst nimmt der Autor seine Sache -, das gab es bisher nicht. Es ist von einer ironiefreien Unbedingtheit wie alle Bücher, die ihren Gegenstand zur Daseinshauptsache erklären. Für Jürgen Dollase ist Essen und Trinken die Schule des Lebens ("Geschmacksschule". Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2005. 192 S., Farbabb., geb., 49,90 [Euro]).
Wie fast alle Spätbekehrten (der Autor war in seinem früheren Leben Rockmusiker und mit Fast food auf du und du, bevor er sein Erweckungserlebnis mit einer Auster hatte) ist er vor allem: radikal. Wer seine Eßkritiken liest, dem werden die Urteile anderer Gastrokritiker belanglos und beliebig vorkommen. In seiner "Geschmacksschule" verfolgt er einen klaren Kurs: größtmögliche Objektivität durch Kenntlichmachung der eigenen Kriterien, Präzision der Analyse (wie schmeckt es?), Überprüfbarkeit der Urteile (warum schmeckt es, warum nicht?).
Dabei ist sich Dollase des Grundproblems bei der Beschreibung von Geschmackseindrücken bewußt: Uns gehen allzu schnell die Worte aus. Wir haben kein Kauproblem, wir haben ein Artikulationsproblem. Die "degustative Missionarsstellung - hmm, lecker!" (Dollase) beherrschen wir locker, aber wenn es um das Kamasutra kulinarischer Feinheiten geht, schweigen wir vornehm. Beim Wein, einem eher geschwätzigen Medium, hat man dieses Problem mit dem Übergriff auf vertraute Nahrungsmittel wie Beeren, Zitrusfrüchte und Gewürze gelöst, und auch eher gewöhnungsbedürftige Geruchsgruppen werden zu Vergleichszwecken herangezogen: Leder, Tabak, Schweiß, Fusel, Gummi. Aber warum sollte man das Aroma überhitzter Bremsbeläge auf sommerlich heißem Asphalt nicht beim Namen nennen, wenn das, was auf dem Teller liegt, nach verbrannten Gummireifen riecht?
Daß Dollase ein großer Komplexitätsstrukturierer ist, beweist er mit dreißig Löffelgerichten, die auf kleinstem Raum die große, weite Welt des Geschmacks eröffnen sollen. Schlüsselbegriffe sind: Textur, Aroma, Temperatur. Wer möchte, kann sich beim Schmecken Degustationsnotizen machen. Oder die des Meisters abschreiben. Die abgebildeten Verlaufskurven, die zeigen, in welcher Zeitspanne ein Produkt wieviel Intensität entwickelt, werden nicht nur in Jugend-forscht-Kreisen für rote Backen sorgen. Da stürzen Kartoffelchips, Spargeleis und Brotcroutons vom Start weg ins Bodenlose, während Schnitzel, Schinken und Kartoffeln einen zenbuddhistisch weiten Bogen beschreiben, während Erdnüsse und Lachskaviar darunter Bocksprünge machen.
Wir lernen, daß die Brotcroutons abstürzen, "weil die krosse Wirkung schnell nachläßt und sich aromatisch wenig ereignet", wohingegen das Fleisch "eine klare Plateauphase" hat. Zweck der Übung ist nicht, die Erregungskurve des Croutons mit der des Fleisches zu vereinen, sondern "Fehler zu analysieren oder besonders positiven Zusammenstellungen auf die Spur zu kommen". Man könnte wetten, daß bei Kindheitsklassikern wie Kalter Hund oder Brötchen mit Eszet-Schnitten die Erregungskurve steil nach oben geht, mit einer langen Plateauphase und einem Nachhall der nach "mehr, mehr, mehr" klingt, bis einem schlecht wird. In diesem Zusammenhang muß bemerkt werden, daß Dollase kein Verfechter einer elitären Spitzenküche ist, und die Menschheit keineswegs in die Umlaufbahn zu den drei Sternen befördert werden soll. Nein, der Novize soll nur in die Lage versetzt werden, einen Hamburger, eine Currywurst oder eine Auster in ihre geschmacklichen Bestandteile zu zerlegen (Glutamat!) und ihre Wirkungsweisen zu analysieren.
Zudem räumt er mit manchem hochgestochenen Blödsinn auf, zum Beispiel mit dem puristischen Credo mancher Köche, die nicht mehr als drei Elemente auf dem Teller dulden, weil man mehr nicht wahrnehmen könne. Bei ihm tummeln sich meist fünf und mehr Produkte auf einem Löffel (zum Beispiel Lachs, Birnen-Zucchini-Kompott, Kartoffelchips, Parmesanspan, fritiertes Basilikumblatt) und ergeben zeitversetzt eine breit aufgefächerte Harmonie, Dollases Geschmacksverlaufskurve beweist es. Auch die weitverbreitete Kochphilosophie, unbedingt den Eigengeschmack der Produkte erhalten zu wollen, korrigiert er. Denn was unterscheidet im Eigengeschmack eine Jacobsmuschel von einem Kabeljau oder einer Dorade? Nichts. In der Blindverkostung könnte man sie nur an der Textur unterscheiden. Und es ist in der Hauptsache die Textur, die den Geschmack transportiert. Schön, daß das mal klargestellt wurde.
Wenn demnächst deutschlandweit an allen Imbißbuden Zettel ausliegen, auf denen man seine Geschmachseindrücke beim Namen nennen kann, dann ist Dollases Botschaft angekommen. Mit vollem Mund spricht man nicht? Von wegen. Essen und Trinken verkommt zur Nebensache, wo es in der Hauptsache sprachlos bleibt.
KRISTIN EILERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kristin Eilert vergleicht das Buch mit einem Sexualratgeber. Schließlich gehe es um Genusssteigerung und Sinnlichkeit, und es gebe Erregungskurven zu bestaunen. Ein Umstand, der die "ironiefreie Unbedingtheit", mit der Jürgen Dollase laut Eilert zu Werke geht, vielleicht erträglich macht. Außerdem: Dass jemand den Leser so radikal und allen Ernstes "zur kulinarischen Menschwerdung" führen will, das hat die Rezensentin noch nicht erlebt. Eilert trifft auf Verlaufskurvenforschung bei der Degustation von Spargeleis und Lachskaviar, die ihr sichtlich Freude bereitet. Nach der Lektüre kann auch sie eine Currywurst in ihre geschmacklichen Bestandteile zerlegen, deren Wirkungsweisen analysieren und nebenbei manch gängige Kochphilosophie in Frage stellen: "Mit vollem Mund spricht man nicht? Von wegen". Der Rezensentn scheint es jedenfalls gemundet zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH