Angst gehört zum menschlichen Leben wie die Luft zum Atmen. Sie schärft unsere Aufmerksamkeit für potentielle Gefahren, weshalb wir gut beraten sind, unsere Ängste und Befürchtungen ernst zu nehmen. Aber wie soll der Rechtsstaat auf Ängste seitens der Bevölkerung etwa vor dem Terrorismus oder vor der Gentechnik reagieren? Dieser Frage sowie dem prekären Verhältnis zwischen Ängsten, Gefahren und dem Recht widmet der amerikanische Rechtsphilosoph Cass R. Sunstein seine vielbeachtete Seeley Lecture, aus der dieses Buch hervorgegangen ist.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das sogenannte Vorsorgeprinzip, das zunehmend an politischem Einfluß gewinnt und mit dem Regierungen ihren Anspruch legitimieren, auf allen gesellschaftlichen Ebenen gegen potentielle Gefahren vorbeugen zu können und zu dürfen auch wenn keineswegs immer ausgemacht ist, daß diese überhaupt jemals zu einer realen Bedrohung werden. Anhand zahlreicher aktueller Beispiele weist Sunstein nach, daß dieses Prinzip nicht nur unhaltbar ist, sondern auch neue Gefahren birgt. Unhaltbar ist es, weil es auf der Illusion einer risikofreien Gesellschaft beruht; gefährlich ist es, weil es einer Gesetzgebung Vorschub leistet, die die Freiheitsrechte der Bürger erheblich beschneidet und je nach politischem Kalkül bestimmte Ängste, etwa vor terroristischer Bedrohung, forcieren, andere hingegen, z. B. vor der Umweltzerstörung, herunterspielen hilft. Sunstein plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit sogenannten Worst-Case- Szenarien, entwirft ein Modell zur realistischen Beurteilung von Risiken und zeigt, wie freie Gesellschaften vernünftig mit realen und nur gefühlten Bedrohungen, mit dem unauflösbaren Widerspruch zwischen Sicherheit und Freiheit umgehen können, ohne die Grundrechte der Bürger zu opfern.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das sogenannte Vorsorgeprinzip, das zunehmend an politischem Einfluß gewinnt und mit dem Regierungen ihren Anspruch legitimieren, auf allen gesellschaftlichen Ebenen gegen potentielle Gefahren vorbeugen zu können und zu dürfen auch wenn keineswegs immer ausgemacht ist, daß diese überhaupt jemals zu einer realen Bedrohung werden. Anhand zahlreicher aktueller Beispiele weist Sunstein nach, daß dieses Prinzip nicht nur unhaltbar ist, sondern auch neue Gefahren birgt. Unhaltbar ist es, weil es auf der Illusion einer risikofreien Gesellschaft beruht; gefährlich ist es, weil es einer Gesetzgebung Vorschub leistet, die die Freiheitsrechte der Bürger erheblich beschneidet und je nach politischem Kalkül bestimmte Ängste, etwa vor terroristischer Bedrohung, forcieren, andere hingegen, z. B. vor der Umweltzerstörung, herunterspielen hilft. Sunstein plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit sogenannten Worst-Case- Szenarien, entwirft ein Modell zur realistischen Beurteilung von Risiken und zeigt, wie freie Gesellschaften vernünftig mit realen und nur gefühlten Bedrohungen, mit dem unauflösbaren Widerspruch zwischen Sicherheit und Freiheit umgehen können, ohne die Grundrechte der Bürger zu opfern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007Logik der Angst
Cass Sunstein erklärt, warum wir uns weniger Sorgen machen sollten / Von Jürgen Kaube
Atomkraftwerke, Pestizide, Krieg gegen den Irak, Billigflüge oder Gentechnik: Wir neigen dazu, den schlimmsten Fall zum alleinigen Ratgeber zu machen. Gibt es einen vernünftigen Umgang mit Risiken? Sunstein sagt: Ja.
Im Jahr 2002 wollte die Regierung der Vereinigten Staaten Tausende Tonnen von Getreide an den Staat Sambia spenden. Der, obzwar in Gefahr einer Hungersnot, lehnte ab: Der Mais enthalte vermutlich gentechnisch veränderte Anteile. Es bestehe das Risiko, dass sambische Bauern aus der Hilfslieferung Saatgut entnähmen und dadurch Exporte in die Europäische Union, eine Verbotszone für die betreffende Maissorte, kontaminiert würden. Der Tod von 35 000 Sambiern wurde in Kauf genommen, so schätzte die Weltgesundheitsorganisation.
Wie stellt sich das Prinzip staatlicher Risikovorsorge dar, wenn es in solche Entscheidungslagen führt? Das Argument, das Cass R. Sunstein, Jurist und Politologe von der Universität Chicago, vorträgt, ist einleuchtend. Moderne Staaten, so lautet es, sind Vorsorgestaaten. Wenn Risiken wie die Erderwärmung, die Gentechnologie, giftige Chemieproduktionen oder Kriminalität bis hin zum Terrorismus identifiziert werden, dann wartet die Gesetzgebung nicht ab, bis Schäden angefallen sind, sondern beugt ihnen vor.
Die Zusammenstellung allein schon macht deutlich, dass es hier nicht um einen Gegensatz risikofreudiger Amerikaner gegen risikoscheue Europäer geht. Denn ganz gleich, ob "die Gefahr" ein Mangel an Öl, Atomwaffen in den falschen Händen, die Vergiftung der Konsumenten durch Pestizide oder die Austrocknung Südeuropas ist - moderne Politik sieht sich überall zu Vorgriffen auf unbekannte Gefahrenlagen legitimiert. Und zwar zu Vorgriffen, die sich unabhängig machen von Kausalitätsnachweisen; oft genügt der plausible Verdacht. Die Höhe eines vermuteten Schadens, etwa desjenigen, den Katastrophen in einem Atomkraftwerk bewirken würden, rechtfertigt Eingriffe, auch wenn seine Eintrittswahrscheinlichkeit ganz ungewiss oder immens klein ist. Sunstein gibt demgegenüber zu bedenken, dass jede soziale Lage Risiken enthält. Jede, das heißt hier: auch die ohne Atomkraftwerke, Pestizide, Krieg gegen den Irak, Billigflüge, Gentechnik. Es ist also nicht so, dass wir Angst gegen Sicherheit tauschen. Sondern wir tauschen auffällige Gefahren gegen weniger auffällige. Wir sind, nüchtern betrachtet, nicht gegen Risiken überhaupt, wir sind nur gegen bestimmte Risiken. Beispiele? Von biodynamischem Anbau ließe sich ein Großteil der Weltbevölkerung derzeit nicht ernähren. Oder: Unter einem Rückgang des Tourismus litte das Weltklima auch, denn ganze Bevölkerungen wären, von der Freizeitindustrie freigesetzt, wieder auf die Nutzung primärer Ressourcen und Raubbau an der Natur zurückgeworfen.
Sunstein attackiert das Vorsorgeprinzip also nicht, weil es uns in die falsche Richtung führt, "sondern weil es uns in gar kein Richtung führt". Vermeide Risiken - das ist eine sinnlose Maxime, weil es kein kostenloses Vermeiden gibt. Zusätzliche Reserven gegen die Risikovorsorge ergeben sich aus den Irrationalitäten unseres Umganges mit Risiken. Hunderte von entscheidungspsychologischen Studien zeigen - und ein paar Dutzend davon referiert das Buch -, dass wir gegenüber Wahrscheinlichkeiten blind sind und zumeist nur Schadensgrößen beachten. Dass wir irrelevante Informationen in unsere Risikoeinschätzung hineinverarbeiten. Dass wir dazu neigen, den schlimmsten Fall zum alleinigen Ratgeber zu machen. Dass Angst ansteckt. Und dass uns im Bereich ganz kleiner Wahrscheinlichkeiten das Urteilsvermögen oft völlig im Stich lässt.
Die Logik der Sorge ist also keine, die sich auch nur an Mindesterfordernisse von Rationalität halten würde. Und wir haben auch niemanden, der uns die zweifelsfreien Informationen und Kriterien gäbe, die wir gerne hätten, um guten Gewissens zu entscheiden. Darum haben wir beim Entscheiden auch kein gutes Gewissen. Aber Recht und Moral und die politische Rhetorik samt der bellenden Hunde auf dem Boulevard verlangen - von den Entscheidern, nicht von sich selbst! -, so ein Gewissen zu haben.
Sunstein zieht daraus zwei Schlüsse. Der eine lautet: Wir brauchen mehr Kosten-Nutzen-Analysen, also Urteile über Zahlungsbereitschaften für Risikominderung. Der Text erwägt ausführlich die Einwände gegen eine solche "Ökonomisierung" der Risikofrage und diskutiert ihre Grenzen, bewahrt sich aber doch einen, man möchte fast sagen: rührenden Glauben daran, dass eine Verwissenschaftlichung den Umgang mit Risiken vernünftiger machen würde.
Sein anderes Plädoyer gilt einem "libertären Paternalismus". Darunter sei eine Politik zu verstehen, die zwar versuche, die Entscheidungen der Individuen zu beeinflussen, zu verbessern, ihnen aber die Möglichkeit lässt, sich dagegen zu wehren. "Erzwungenes Wählen" nennt Sunstein diesen Politikstil: Man legt fest, was man für das Interesse der Bürger hält, lässt aber den aktiven unter ihnen die Freiheit, dazu nein zu sagen: Anschnallpflicht mit geringen Strafen.
Merkwürdigerweise hält sich Sunstein selber nicht immer an diesen Vorschlag, etwa wenn er Fragen wie diese stellt: "Ist es wirklich notwendig, eine Offenlegung von Fakten zu erzwingen, die voraussehbar eine hohe Alarmiertheit zu Folge haben wird, wenn das Risiko gering ist und von der Art, dass es vernünftigen Menschen normalerweise keine Sorgen bereiten würde?" Will sagen: keine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Hier kippt die Angst vor der Angst selbst ins Illiberale. Denn ist es nicht eine Frechheit, dem Bürger zu unterstellen, er verarbeite die Information "nicht angemessen" - eine Unterstellung, die bei Reklame, Preisen oder Sachbüchern noch nie geäußert worden ist? So als wäre die Aufschrift "Bier" auf einem Bier ein Versuch, die Gefahren des Alkoholmissbrauchs zu übertreiben. Sunstein redet hier, ob er eben doch wüsste, wie groß die Risiken sind, und sich darum zutraut, die Stelle des wohlwollenden Diktators, der die Leute vor verführerischen Informationen schützt, mit sich selbst zu besetzen.
Das Verdienst des Buches liegt aber gar nicht in erster Linie in seinen philosophischen Konstruktionen oder darin, gegen das Prinzip der Vorsorge schlagende Einwände vorgebracht zu haben. Wichtig sind die "Gesetze der Angst" vielmehr als Darlegung von Entscheidungsproblemen, über die das tägliche Schwadronieren der Politik und der Massenmedien hinweggeht. Man kann sich zwar nicht vorstellen, dass die Menschheit ihr Überleben zu einer besonders vordringlichen Frage macht. Dazu hat sie zu viele Katastrophen überstanden. Aber Sunstein bringt die Fragen des globalen Wohlfahrtsstaats wenigstens in eine Form, in der sie gestellt werden könnten. Das Erdklima wird sich erwärmen, es wird ungemütlicher und wir - genauer: viele von uns - werden ärmer werden, und das Leben wieder stärker als ein Sichdurchschlagen erleben als in den offiziell beruhigten Zeiten unserer Zonen nach dem Zweiten Weltkrieg. Was soll's, es ist nicht zu ändern, man kann nur darauf achten, sich keine Illusionen darüber zu machen. Sunsteins Buch ist ein Beitrag zu solcher Bewusstheit.
Cass R. Sunstein: "Gesetze der Angst". Jenseits des Vorsorgeprinzips. Aus dem Englischen von Robert Celikates und Eva Engels. Suhrkamp Verlag, Frakfurt am Main 2007. 333 S., geb., 24,80 [Euro].
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Cass Sunstein erklärt, warum wir uns weniger Sorgen machen sollten / Von Jürgen Kaube
Atomkraftwerke, Pestizide, Krieg gegen den Irak, Billigflüge oder Gentechnik: Wir neigen dazu, den schlimmsten Fall zum alleinigen Ratgeber zu machen. Gibt es einen vernünftigen Umgang mit Risiken? Sunstein sagt: Ja.
Im Jahr 2002 wollte die Regierung der Vereinigten Staaten Tausende Tonnen von Getreide an den Staat Sambia spenden. Der, obzwar in Gefahr einer Hungersnot, lehnte ab: Der Mais enthalte vermutlich gentechnisch veränderte Anteile. Es bestehe das Risiko, dass sambische Bauern aus der Hilfslieferung Saatgut entnähmen und dadurch Exporte in die Europäische Union, eine Verbotszone für die betreffende Maissorte, kontaminiert würden. Der Tod von 35 000 Sambiern wurde in Kauf genommen, so schätzte die Weltgesundheitsorganisation.
Wie stellt sich das Prinzip staatlicher Risikovorsorge dar, wenn es in solche Entscheidungslagen führt? Das Argument, das Cass R. Sunstein, Jurist und Politologe von der Universität Chicago, vorträgt, ist einleuchtend. Moderne Staaten, so lautet es, sind Vorsorgestaaten. Wenn Risiken wie die Erderwärmung, die Gentechnologie, giftige Chemieproduktionen oder Kriminalität bis hin zum Terrorismus identifiziert werden, dann wartet die Gesetzgebung nicht ab, bis Schäden angefallen sind, sondern beugt ihnen vor.
Die Zusammenstellung allein schon macht deutlich, dass es hier nicht um einen Gegensatz risikofreudiger Amerikaner gegen risikoscheue Europäer geht. Denn ganz gleich, ob "die Gefahr" ein Mangel an Öl, Atomwaffen in den falschen Händen, die Vergiftung der Konsumenten durch Pestizide oder die Austrocknung Südeuropas ist - moderne Politik sieht sich überall zu Vorgriffen auf unbekannte Gefahrenlagen legitimiert. Und zwar zu Vorgriffen, die sich unabhängig machen von Kausalitätsnachweisen; oft genügt der plausible Verdacht. Die Höhe eines vermuteten Schadens, etwa desjenigen, den Katastrophen in einem Atomkraftwerk bewirken würden, rechtfertigt Eingriffe, auch wenn seine Eintrittswahrscheinlichkeit ganz ungewiss oder immens klein ist. Sunstein gibt demgegenüber zu bedenken, dass jede soziale Lage Risiken enthält. Jede, das heißt hier: auch die ohne Atomkraftwerke, Pestizide, Krieg gegen den Irak, Billigflüge, Gentechnik. Es ist also nicht so, dass wir Angst gegen Sicherheit tauschen. Sondern wir tauschen auffällige Gefahren gegen weniger auffällige. Wir sind, nüchtern betrachtet, nicht gegen Risiken überhaupt, wir sind nur gegen bestimmte Risiken. Beispiele? Von biodynamischem Anbau ließe sich ein Großteil der Weltbevölkerung derzeit nicht ernähren. Oder: Unter einem Rückgang des Tourismus litte das Weltklima auch, denn ganze Bevölkerungen wären, von der Freizeitindustrie freigesetzt, wieder auf die Nutzung primärer Ressourcen und Raubbau an der Natur zurückgeworfen.
Sunstein attackiert das Vorsorgeprinzip also nicht, weil es uns in die falsche Richtung führt, "sondern weil es uns in gar kein Richtung führt". Vermeide Risiken - das ist eine sinnlose Maxime, weil es kein kostenloses Vermeiden gibt. Zusätzliche Reserven gegen die Risikovorsorge ergeben sich aus den Irrationalitäten unseres Umganges mit Risiken. Hunderte von entscheidungspsychologischen Studien zeigen - und ein paar Dutzend davon referiert das Buch -, dass wir gegenüber Wahrscheinlichkeiten blind sind und zumeist nur Schadensgrößen beachten. Dass wir irrelevante Informationen in unsere Risikoeinschätzung hineinverarbeiten. Dass wir dazu neigen, den schlimmsten Fall zum alleinigen Ratgeber zu machen. Dass Angst ansteckt. Und dass uns im Bereich ganz kleiner Wahrscheinlichkeiten das Urteilsvermögen oft völlig im Stich lässt.
Die Logik der Sorge ist also keine, die sich auch nur an Mindesterfordernisse von Rationalität halten würde. Und wir haben auch niemanden, der uns die zweifelsfreien Informationen und Kriterien gäbe, die wir gerne hätten, um guten Gewissens zu entscheiden. Darum haben wir beim Entscheiden auch kein gutes Gewissen. Aber Recht und Moral und die politische Rhetorik samt der bellenden Hunde auf dem Boulevard verlangen - von den Entscheidern, nicht von sich selbst! -, so ein Gewissen zu haben.
Sunstein zieht daraus zwei Schlüsse. Der eine lautet: Wir brauchen mehr Kosten-Nutzen-Analysen, also Urteile über Zahlungsbereitschaften für Risikominderung. Der Text erwägt ausführlich die Einwände gegen eine solche "Ökonomisierung" der Risikofrage und diskutiert ihre Grenzen, bewahrt sich aber doch einen, man möchte fast sagen: rührenden Glauben daran, dass eine Verwissenschaftlichung den Umgang mit Risiken vernünftiger machen würde.
Sein anderes Plädoyer gilt einem "libertären Paternalismus". Darunter sei eine Politik zu verstehen, die zwar versuche, die Entscheidungen der Individuen zu beeinflussen, zu verbessern, ihnen aber die Möglichkeit lässt, sich dagegen zu wehren. "Erzwungenes Wählen" nennt Sunstein diesen Politikstil: Man legt fest, was man für das Interesse der Bürger hält, lässt aber den aktiven unter ihnen die Freiheit, dazu nein zu sagen: Anschnallpflicht mit geringen Strafen.
Merkwürdigerweise hält sich Sunstein selber nicht immer an diesen Vorschlag, etwa wenn er Fragen wie diese stellt: "Ist es wirklich notwendig, eine Offenlegung von Fakten zu erzwingen, die voraussehbar eine hohe Alarmiertheit zu Folge haben wird, wenn das Risiko gering ist und von der Art, dass es vernünftigen Menschen normalerweise keine Sorgen bereiten würde?" Will sagen: keine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Hier kippt die Angst vor der Angst selbst ins Illiberale. Denn ist es nicht eine Frechheit, dem Bürger zu unterstellen, er verarbeite die Information "nicht angemessen" - eine Unterstellung, die bei Reklame, Preisen oder Sachbüchern noch nie geäußert worden ist? So als wäre die Aufschrift "Bier" auf einem Bier ein Versuch, die Gefahren des Alkoholmissbrauchs zu übertreiben. Sunstein redet hier, ob er eben doch wüsste, wie groß die Risiken sind, und sich darum zutraut, die Stelle des wohlwollenden Diktators, der die Leute vor verführerischen Informationen schützt, mit sich selbst zu besetzen.
Das Verdienst des Buches liegt aber gar nicht in erster Linie in seinen philosophischen Konstruktionen oder darin, gegen das Prinzip der Vorsorge schlagende Einwände vorgebracht zu haben. Wichtig sind die "Gesetze der Angst" vielmehr als Darlegung von Entscheidungsproblemen, über die das tägliche Schwadronieren der Politik und der Massenmedien hinweggeht. Man kann sich zwar nicht vorstellen, dass die Menschheit ihr Überleben zu einer besonders vordringlichen Frage macht. Dazu hat sie zu viele Katastrophen überstanden. Aber Sunstein bringt die Fragen des globalen Wohlfahrtsstaats wenigstens in eine Form, in der sie gestellt werden könnten. Das Erdklima wird sich erwärmen, es wird ungemütlicher und wir - genauer: viele von uns - werden ärmer werden, und das Leben wieder stärker als ein Sichdurchschlagen erleben als in den offiziell beruhigten Zeiten unserer Zonen nach dem Zweiten Weltkrieg. Was soll's, es ist nicht zu ändern, man kann nur darauf achten, sich keine Illusionen darüber zu machen. Sunsteins Buch ist ein Beitrag zu solcher Bewusstheit.
Cass R. Sunstein: "Gesetze der Angst". Jenseits des Vorsorgeprinzips. Aus dem Englischen von Robert Celikates und Eva Engels. Suhrkamp Verlag, Frakfurt am Main 2007. 333 S., geb., 24,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Kritik am Umgang der heutigen Politik mit dem Risiko begreift der Jurist und Politologe Cass R. Sunstein seine Schrift. Die "Vorsorgestaaten" von heute tendierten dazu, Risiken selektiv wahrzunehmen und ihre Wahrscheinlichkeiten falsch einzuschätzen - oft genüge schon der "plausible Verdacht" zum Ergreifen allzu weitreichender Vorbeugemaßnahmen. Sunstein hat Dutzende psychologischer Studien gelesen und zieht aus ihnen den Schluss, dass die Fixierung auf "Schadensgrößen" zu falschen Bewertungen führe. Als Lösung schlägt Sunstein verstärkte "Kosten-Nutzen-Analysen" sowie einen "libertären Paternalismus" vor, der begründete Vorschläge macht, ihre Ablehnung aber zulässt. Problematisch findet der Rezensent Jürgen Kaube freilich, dass Sunstein gelegentlich selbst weniger libertär und eher als "wohlwollender Diktator" auftrete.
© Perlentaucher Medien GmbH
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