Martin van Creveld schildert, wie sich Krieg und Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert dramatisch veränderten und fragt, was wir den neuen Formen terroristischer Kriegführung wirksam entgegensetzen können. Ein faszinierender und dringend notwendiger Blick in die Vergangenheit, um die kriegerischen Auseinandersetzungen von heute und morgen zu verstehen. Kriege und Kriegführung haben seit der Schlacht an der Marne im Jahr 1914 ihr Gesicht dramatisch verändert. Der Militärexperte Martin van Creveld beschreibt den Wandel des Krieges von den Massenbewegungen und Stellungsschlachten der beiden Weltkriege über die Konflikte im Schatten des Kalten Kriegs bis zu den ungleichen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte zwischen regulären Armeen und irregulären Guerillatruppen. Anschaulich schildert er die wechselhaften Gesetze des Krieges, alte und neue Theorien der Kriegführung, folgenreiche technische Innovationen, das zunehmende Leiden der Zivilbevölkerung und die schwierigen Fragen nach Verantwortung und Kriegsschuld. Historische Betrachtung verknüpft van Creveld mit der eindringlichen Analyse gegenwärtiger Probleme und einem Ausblick auf mögliche Krisen: Was bedeutet es für die Zukunft bewaffneter Konflikte, wenn hochgerüstete Armeen wie etwa die der Amerikaner im Irak oder die israelische Armee in Gaza scheitern? Welche Art militärischer Auseinandersetzungen haben wir zu erwarten?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2010Ganze Kerle greifen hart durch
Wichtige Stationen der Kriegführung im 20. Jahrhundert
Viel ist zu den "neuen" Kriegen der vergangenen Jahrzehnte geschrieben worden. Immer wieder äußerten sich Militärs, Politikwissenschaftler und Historiker über den Wandel des Krieges und die Frage, wie die hochgerüsteten Armeen des Kalten Krieges in den asymmetrischen Konflikten des 21. Jahrhunderts bestehen können. Gespannt nimmt der Leser daher das Werk Martin van Crevelds in die Hand und fragt sich, was er zu einem Thema zu sagen hat, zu dem eigentlich schon alles gesagt ist.
Der größte Teil des Buches besteht aus einer für ein breites Publikum geschriebenen, gut lesbaren Nacherzählung der wichtigsten Stationen der Kriegführung im 20. Jahrhundert, die kaum neue Interpretationen oder Informationen enthält: Geschildert werden die Visionen vom großen Vernichtungsschlag vor 1914, der Schrecken des Grabenkrieges in den Jahren des "Großen Krieges", das Nachdenken über den Krieg zwischen 1918 und 1939, die Blitzfeldzüge der Jahre 1939 bis 1941, der "Zermürbungskrieg" der Jahre 1942 bis 1945. Den wichtigsten Einschnitt in der Geschichte der Kriege sieht Creveld zu Recht im ersten Abwurf einer Atombombe am 6. August 1945, der den Großmachtkrieg aus Angst vor der atomaren Selbstzerstörung abrupt beendete. "Atomwaffen haben die Welt zu einem sicheren Ort gemacht, nicht zu einem gefährlicheren", so Creveld. Die Verbreitung von Atomwaffen schaffe Frieden, selbst im Falle Israels: Ohne das Atomwaffenprogramm wären womöglich in den achtziger und neunziger Jahren noch größere Kriege im Nahen Osten ausgebrochen als der von 1973.
Creveld, der an der Universität Jerusalem Geschichte lehrt, gilt in Fachkreisen als Homme Provocateur, so dass der kundige Leser fast ungeduldig auf Interpretationen der besonderen Art wartet. Am Ende des Buches werden die Befürchtungen dann erfüllt. Da sind zunächst die für ihn üblichen Seitenhiebe auf die Frauen in der Armee, die ohnehin nur "halbe Soldaten" seien, weil sie kaum kämpften. Ihr Vordringen sei dem Mangel an Wehrpflichtigen und dem Drängen der Feministinnen seit den siebziger Jahren zu verdanken. "Kaum hatten die Frauen den Fuß in der Tür, da sorgte ihre Anwesenheit für Unruhe." Befriedigt stellt Creveld aber fest, dass die uneingeschränkte männliche Dominanz in keinem Land ins Wanken gebracht worden sei.
Zentraler sind seine Gedanken zur Aufstandsbekämpfung. Die Versuche regulärer Streitkräfte, Guerrillakämpfer und Terroristen in Schach zu halten, seien fast immer gescheitert, so Creveld. Dem ist entgegenzuhalten, dass er die Aufstandsbekämpfung viel zu undifferenziert betrachtet. Lediglich wenn man diese auf koloniale und postkoloniale Konflikte reduziert, blickt man auf eine lange Liste des Scheiterns. Schon ein kurzer Blick auf Südamerika, den Kaukasus oder China zeigt, dass keine Rede davon sein kann, dass reguläre Armeen den Kampf gegen Guerrillakämpfer stets verloren haben. Creveld kann nur zu seiner Schlussfolgerung gelangen, weil er jene Konflikte, die nicht zu seiner These passen, ausblendet, und andere, die mit einer Aufstandsbekämpfung kaum etwas zu tun hatten, in die Betrachtung mit einbezieht. So war der Vietnam-Krieg seit 1965 gewiss kein Guerrillakrieg mehr, sondern der Kampf zweier regulärer Armeen.
Besonders provokant sind Crevelds Empfehlungen, wie man heutzutage erfolgreich Aufstandsbekämpfung betreiben solle: Entweder müsse man es machen wie die Briten in Nordirland, indem man auf lange Zeit äußerste Zurückhaltung übe, sich auch durch Anschläge nicht provozieren lasse und unter der Zivilbevölkerung mehr Freunde als Feinde gewinne. Die andere Möglichkeit bestehe darin, schnell "hart" zuzuschlagen. "Es gibt Situationen, in denen man grausam durchgreifen muss." Es sei besser, viele Menschen zu töten als zu wenige. Schwäche sei vollkommen fehl am Platz, ebenso das Gejammer über Kollateralschäden. Am besten man wähle die Artillerie, um einen spektakulären Schaden anzurichten. Diese habe den Vorteil, "dass sie so aufgestellt werden können, dass die Opfer, bevor sie in den Tod geschickt werden, direkt in die auf sie gerichteten Mündungen blicken". Zum Schluss empfiehlt Creveld der "entwickelten Welt", endlich ihre Lethargie abzulegen und zu lernen, "wie sie mit den Terroristen fertig wird, oder die Terroristen werden mit ihr fertig".
Um eine brauchbare Analyse heutiger Kriegsformen handelt es sich bei diesen Zeilen gewiss nicht, empfiehlt Creveld doch nicht weniger als die Anwendung jener Methoden, mit der die deutsche Wehrmacht eine Blutspur durch Europa zog und damit spektakulär scheiterte. Wieder einmal fällt Creveld mit plumper Provokation auf und trägt zum wissenschaftlichen Diskurs um Krieg und Gewalt wenig Substantielles bei. Die Schlüsselthesen dieses Buches sind so abstrus, dass man sich noch nicht einmal über sie aufzuregen vermag. Bleibt nur noch die Frage zu beantworten, warum Creveld so etwas schreibt und warum dies gedruckt wird.
SÖNKE NEITZEL
Martin van Creveld: Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute. Siedler Verlag, München 2009. 352 S., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wichtige Stationen der Kriegführung im 20. Jahrhundert
Viel ist zu den "neuen" Kriegen der vergangenen Jahrzehnte geschrieben worden. Immer wieder äußerten sich Militärs, Politikwissenschaftler und Historiker über den Wandel des Krieges und die Frage, wie die hochgerüsteten Armeen des Kalten Krieges in den asymmetrischen Konflikten des 21. Jahrhunderts bestehen können. Gespannt nimmt der Leser daher das Werk Martin van Crevelds in die Hand und fragt sich, was er zu einem Thema zu sagen hat, zu dem eigentlich schon alles gesagt ist.
Der größte Teil des Buches besteht aus einer für ein breites Publikum geschriebenen, gut lesbaren Nacherzählung der wichtigsten Stationen der Kriegführung im 20. Jahrhundert, die kaum neue Interpretationen oder Informationen enthält: Geschildert werden die Visionen vom großen Vernichtungsschlag vor 1914, der Schrecken des Grabenkrieges in den Jahren des "Großen Krieges", das Nachdenken über den Krieg zwischen 1918 und 1939, die Blitzfeldzüge der Jahre 1939 bis 1941, der "Zermürbungskrieg" der Jahre 1942 bis 1945. Den wichtigsten Einschnitt in der Geschichte der Kriege sieht Creveld zu Recht im ersten Abwurf einer Atombombe am 6. August 1945, der den Großmachtkrieg aus Angst vor der atomaren Selbstzerstörung abrupt beendete. "Atomwaffen haben die Welt zu einem sicheren Ort gemacht, nicht zu einem gefährlicheren", so Creveld. Die Verbreitung von Atomwaffen schaffe Frieden, selbst im Falle Israels: Ohne das Atomwaffenprogramm wären womöglich in den achtziger und neunziger Jahren noch größere Kriege im Nahen Osten ausgebrochen als der von 1973.
Creveld, der an der Universität Jerusalem Geschichte lehrt, gilt in Fachkreisen als Homme Provocateur, so dass der kundige Leser fast ungeduldig auf Interpretationen der besonderen Art wartet. Am Ende des Buches werden die Befürchtungen dann erfüllt. Da sind zunächst die für ihn üblichen Seitenhiebe auf die Frauen in der Armee, die ohnehin nur "halbe Soldaten" seien, weil sie kaum kämpften. Ihr Vordringen sei dem Mangel an Wehrpflichtigen und dem Drängen der Feministinnen seit den siebziger Jahren zu verdanken. "Kaum hatten die Frauen den Fuß in der Tür, da sorgte ihre Anwesenheit für Unruhe." Befriedigt stellt Creveld aber fest, dass die uneingeschränkte männliche Dominanz in keinem Land ins Wanken gebracht worden sei.
Zentraler sind seine Gedanken zur Aufstandsbekämpfung. Die Versuche regulärer Streitkräfte, Guerrillakämpfer und Terroristen in Schach zu halten, seien fast immer gescheitert, so Creveld. Dem ist entgegenzuhalten, dass er die Aufstandsbekämpfung viel zu undifferenziert betrachtet. Lediglich wenn man diese auf koloniale und postkoloniale Konflikte reduziert, blickt man auf eine lange Liste des Scheiterns. Schon ein kurzer Blick auf Südamerika, den Kaukasus oder China zeigt, dass keine Rede davon sein kann, dass reguläre Armeen den Kampf gegen Guerrillakämpfer stets verloren haben. Creveld kann nur zu seiner Schlussfolgerung gelangen, weil er jene Konflikte, die nicht zu seiner These passen, ausblendet, und andere, die mit einer Aufstandsbekämpfung kaum etwas zu tun hatten, in die Betrachtung mit einbezieht. So war der Vietnam-Krieg seit 1965 gewiss kein Guerrillakrieg mehr, sondern der Kampf zweier regulärer Armeen.
Besonders provokant sind Crevelds Empfehlungen, wie man heutzutage erfolgreich Aufstandsbekämpfung betreiben solle: Entweder müsse man es machen wie die Briten in Nordirland, indem man auf lange Zeit äußerste Zurückhaltung übe, sich auch durch Anschläge nicht provozieren lasse und unter der Zivilbevölkerung mehr Freunde als Feinde gewinne. Die andere Möglichkeit bestehe darin, schnell "hart" zuzuschlagen. "Es gibt Situationen, in denen man grausam durchgreifen muss." Es sei besser, viele Menschen zu töten als zu wenige. Schwäche sei vollkommen fehl am Platz, ebenso das Gejammer über Kollateralschäden. Am besten man wähle die Artillerie, um einen spektakulären Schaden anzurichten. Diese habe den Vorteil, "dass sie so aufgestellt werden können, dass die Opfer, bevor sie in den Tod geschickt werden, direkt in die auf sie gerichteten Mündungen blicken". Zum Schluss empfiehlt Creveld der "entwickelten Welt", endlich ihre Lethargie abzulegen und zu lernen, "wie sie mit den Terroristen fertig wird, oder die Terroristen werden mit ihr fertig".
Um eine brauchbare Analyse heutiger Kriegsformen handelt es sich bei diesen Zeilen gewiss nicht, empfiehlt Creveld doch nicht weniger als die Anwendung jener Methoden, mit der die deutsche Wehrmacht eine Blutspur durch Europa zog und damit spektakulär scheiterte. Wieder einmal fällt Creveld mit plumper Provokation auf und trägt zum wissenschaftlichen Diskurs um Krieg und Gewalt wenig Substantielles bei. Die Schlüsselthesen dieses Buches sind so abstrus, dass man sich noch nicht einmal über sie aufzuregen vermag. Bleibt nur noch die Frage zu beantworten, warum Creveld so etwas schreibt und warum dies gedruckt wird.
SÖNKE NEITZEL
Martin van Creveld: Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute. Siedler Verlag, München 2009. 352 S., 22,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ob es wohl etwas Neues nachzulesen gibt über die Kriege unserer Zeit? Angetrieben von dieser Frage, nimmt sich Sönke Neitzel das Buch von Martin van Creveld vor. Hätte er besser nicht getan. Denn was er liest, bringt ihm weder neue Informationen oder Interpretationen (etwa in puncto Kriegsführung im 20. Jahrhundert) noch brauchbare Ratschläge betreffend den Diskurs um Krieg und Gewalt. Im Gegenteil, der Autor, so Neitzel, gehe undifferenziert und plump provokant vor, anstatt heutige Kriegsformen analytisch zu durchdringen. Crevelds Vorschläge zur Terrorbekämpfung (Artillerie, Artillerie) findet der Rezensent haarsträubend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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