Selten hat sich die Kunstgeschichte mit dem Bildniswerk Edouard Manets beschäftigt, obwohl der Maler vorzugsweise im und mit dem Portrait als Bildform arbeitetete. Dabei zeigen sich an Manets Werk Krise und Utopie der Gattung in der Moderne in geradezu exemplarischer Weise: Zum einen wird in seiner Bildkunst eine Kritik der Repräsentation fassbar, die die wichtigsten Konventionen des Portraits wie Ähnlichkeit, Pose und Ausstattung unterläuft, um statt dessen eine nicht-physiognomische Unmittelbarkeit des Bildes voranzutreiben. Diesem Verfahren des 'Gesichter-Gebens' - im Sinne des verfremdenden Spiels mit dem Gesicht durch die expressiven Mittel der Pinselschrift - antwortet die Praxis des 'Gesichter-Gebens' im buchstäblichen Sinn, d. h. dem Verschenken von Portraits. An die Stelle des Portraits als Ware tritt das Portrait als Gabe. Die Arbeit widmet sich daher der Strategie und Funktion der Bildnisse als Geschenke und zeigt, wie Manet einen neuen funktionalen Rahmen der Gattung entwirft und so dem Portrait als Instrument des (künstlerischen) Austausches zwischen Maler und Modell neue Bedeutung verleiht.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungPinsel gegen Feder: Hilfst du mir, helfe ich dir
Barbara Wittmann zeigt, wie raffiniert sich der Maler Édouard Manet bei seinen Gönnern bedankte
"Ich gebe, damit du gibst." Bereits der römische Rechtsgrundsatz "do, ut des" hat es in nicht zu unterbietender Kürze ausgesprochen: Mit jeder noch so selbstlos gemeinten Gabe an einen anderen setzt immer bereits ein Prozeß sozialer Zirkulation ein. Der Dank ist dabei nur das mindeste; ein sanfter aber dennoch unabweisbarer Zwang zur Gegengabe wird nicht selten unausweichlich. Zu welch drastischen Formen ein solcher Wettbewerb des Schenkens führen kann, hat bereits vor achtzig Jahren der französische Ethnologe Marcel Mauss in seiner längst klassischen Untersuchung zur "Logik der Gabe" gezeigt. Doch um diesen Zusammenhang von Gabe und Gegengabe besser verstehen zu können, ist es nicht zwingend notwendig, Mauss einmal um die halbe Welt bis zu den Maori nach Neuseeland zu folgen.
Denn es genügt, wie die Berliner Kunsthistorikerin Barbara Wittmann in ihrer Studie zu Édouard Manets Bildnismalerei belegt, der kürzere Weg in das Paris des Second Empire. Manets Annäherungen an die Porträtmalerei fallen gerade in jene Zeit, da dieses Genre endgültig seine traditionellen Funktionen an die neueren fotografischen Techniken zu verlieren begann. Was geläufig und auch von Wittmann als Krise der Porträtkunst charakterisiert wird, bedeutete genau besehen aber doch vor allem die Befreiung eines ganzen künstlerischen Genres von dessen repräsentativen und nicht selten außerkünstlerischen Funktionen. Konsequent wie wohl sonst keiner seiner Zeitgenossen hat Manet diese Möglichkeit zur Neubestimmung eines Genres genutzt, um die Bildniskunst einer radikalen Intimität zu unterwerfen.
Dabei zeigt die gerade in der Münchner Neuen Pinakothek erprobte Reduktion einer Ausstellung auf nicht mehr als zwei Meisterwerke - zu sehen waren das "Déjeuner" aus München sowie "Un Bar aux Folies-Bergère" aus dem Courtauld Institute -, wie entscheidend für Manets Porträtkunst die Idee intimer Konzentration auf das Modell und damit auf das je einzelne Bild ist. Manets visuelle Inszenierungen von Intimität changieren zwischen einem Moment kommunikationsloser Versunkenheit des Modells einerseits und einem offenen dialogischen Kontakt zum Betrachter andererseits. Sie sind aber vor allem, so lautet Wittmanns These, ein Medium komplexer sozialer Zirkulation zwischen dem Maler und seinem Modell.
Hierauf spielt der doppelte Sinn des Buchtitels an: Ein Gesicht zu geben bedeutet bei Manet nicht allein, dieses mit künstlerischen Mitteln zu gestalten, sondern vielmehr noch das fertiggestellte Porträt jener "Logik der Gabe", also des Schenkens und Beschenktwerdens, zu unterstellen. Nicht in einem ökonomischen Sinn, denn Manets Porträts bleiben zumeist unverkäuflich, wohl aber in einem sozialen Sinn werden alle diese Bildnisse zu einem Tauschgegenstand.
In insgesamt acht Einzelinterpretationen verfolgt Wittmann diese doppelte Idee des Gesichter-Gebens. Dabei liegt der Vorzug ihrer gut lesbaren Untersuchung gerade in der Vielfalt, zuweilen auch Gegensätzlichkeit der Porträtierten. Gewiß am deutlichsten tritt die "Logik der Gabe" in dem großformatigen, heute im Musée d'Orsay befindlichen Porträt Émile Zolas aus dem Jahr 1868 zutage. Zwar hatte sich der achtundzwanzigjährige Zola durch den Skandalerfolg seiner "Thérèse Raquin" bereits einen Namen gemacht, doch malt Manet nicht so sehr das Bildnis des Romanciers Zola als vielmehr eine Hommage an ebenjenen Kunstkritiker Zola, der für Manet vehement das Wort ergriffen und dessen Kunst als zukunftsweisende "nouvelle manière en peinture" dem kunstsinnigen Paris empfohlen hatte.
Diese folgenreiche Gabe aus der Feder Zolas wird auf der Gegengabe Manets durch dessen Pinsel ausdrücklich zitiert: Unverkennbar ist die blaue Broschüre auf dem Schreibtisch Zolas eben jene kleine Monographie, in welcher Manet dem Pariser Publikum nachdrücklich bekannt gemacht werden sollte. Nicht zufällig zitiert sich Manet in diesem Porträt mit seiner skandalerregenden "Olympia" von 1863 selbst: Bild und Text treten hier zu einer ästhetischen Allianz zusammen, die beiden, dem Maler wie dem Kritiker, dient und welche die Absicht zweier Künstlerkarrieren, einem Doppelporträt gleich, als identisch präsentiert.
Weit weniger plakativ als in diesem programmatischen Bildnis Zolas wird eine solche Annäherung künstlerischer Absichten auf jenem kleinformatigen, geradezu skizzenhaft erscheinenden Porträt dem Betrachter vor Augen gerückt, das Manet 1876 von Stéphane Mallarmé anfertigte. Eindrücklich vergleicht Wittmann das "Herumtollen der Mallarméschen Wörter" mit dem für Manet ungewöhnlich offenen, fast zur Abstraktion neigenden "Spiel der Pinselstriche und Farbkleckse". In diesem Sinn wird ein intimes Künstlerbildnis zugleich zum Porträt einer gemeinsamen Poetik der Form, die zwei vollkommen unterschiedliche Künstler durch die präzise Wahl der Bildsprache miteinander vereint.
Zuletzt bleibt jedoch erstaunlich, daß Barbara Wittmann ein Kapitel ihrer Studie ungeschrieben läßt. Denn einem roten Faden gleich durchziehen Manets Bildniswerk die Versuche, jenem Knaben und später jenem jungen Mann namens Léon Koëlla-Leenhoff ein Gesicht zu geben, der etwa auf dem Münchener "Frühstück im Atelier" als lässig an den Tisch gelehnter Flaneur zu sehen ist. Manet selbst pflegte ihn als seinen sehr viel jüngeren Bruder oder auch als seinen Stiefsohn auszuweisen, doch dürfte Léon tatsächlich wohl Manets unehelicher Sohn gewesen sein.
Sind solche biographischen Details für eine kunsthistorische Studie gewöhnlicherweise allenfalls am Rande von Bedeutung, so haben sie für eine Untersuchung, die gerade der durch die Bilder inszenierten intimen Kommunikation zwischen Maler und Modell nachgeht, doch besonderen Wert. Außerordentlich bedauerlich ist es daher, daß gerade da, wo die Zirkulation sozialer Energien in Manets Bildniswerk womöglich am höchsten und die Intimität zwischen Maler und Porträtiertem gewiß am prekärsten ist, Manets eindringliche Interpretin am hartnäckigsten schweigt.
STEFFEN SIEGEL
Barbara Wittmann: "Gesichter geben". Édouard Manet und die Poetik des Portraits. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 340 S., 82 S/W-Abb., 12 Farbtaf., br., 44,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Barbara Wittmann zeigt, wie raffiniert sich der Maler Édouard Manet bei seinen Gönnern bedankte
"Ich gebe, damit du gibst." Bereits der römische Rechtsgrundsatz "do, ut des" hat es in nicht zu unterbietender Kürze ausgesprochen: Mit jeder noch so selbstlos gemeinten Gabe an einen anderen setzt immer bereits ein Prozeß sozialer Zirkulation ein. Der Dank ist dabei nur das mindeste; ein sanfter aber dennoch unabweisbarer Zwang zur Gegengabe wird nicht selten unausweichlich. Zu welch drastischen Formen ein solcher Wettbewerb des Schenkens führen kann, hat bereits vor achtzig Jahren der französische Ethnologe Marcel Mauss in seiner längst klassischen Untersuchung zur "Logik der Gabe" gezeigt. Doch um diesen Zusammenhang von Gabe und Gegengabe besser verstehen zu können, ist es nicht zwingend notwendig, Mauss einmal um die halbe Welt bis zu den Maori nach Neuseeland zu folgen.
Denn es genügt, wie die Berliner Kunsthistorikerin Barbara Wittmann in ihrer Studie zu Édouard Manets Bildnismalerei belegt, der kürzere Weg in das Paris des Second Empire. Manets Annäherungen an die Porträtmalerei fallen gerade in jene Zeit, da dieses Genre endgültig seine traditionellen Funktionen an die neueren fotografischen Techniken zu verlieren begann. Was geläufig und auch von Wittmann als Krise der Porträtkunst charakterisiert wird, bedeutete genau besehen aber doch vor allem die Befreiung eines ganzen künstlerischen Genres von dessen repräsentativen und nicht selten außerkünstlerischen Funktionen. Konsequent wie wohl sonst keiner seiner Zeitgenossen hat Manet diese Möglichkeit zur Neubestimmung eines Genres genutzt, um die Bildniskunst einer radikalen Intimität zu unterwerfen.
Dabei zeigt die gerade in der Münchner Neuen Pinakothek erprobte Reduktion einer Ausstellung auf nicht mehr als zwei Meisterwerke - zu sehen waren das "Déjeuner" aus München sowie "Un Bar aux Folies-Bergère" aus dem Courtauld Institute -, wie entscheidend für Manets Porträtkunst die Idee intimer Konzentration auf das Modell und damit auf das je einzelne Bild ist. Manets visuelle Inszenierungen von Intimität changieren zwischen einem Moment kommunikationsloser Versunkenheit des Modells einerseits und einem offenen dialogischen Kontakt zum Betrachter andererseits. Sie sind aber vor allem, so lautet Wittmanns These, ein Medium komplexer sozialer Zirkulation zwischen dem Maler und seinem Modell.
Hierauf spielt der doppelte Sinn des Buchtitels an: Ein Gesicht zu geben bedeutet bei Manet nicht allein, dieses mit künstlerischen Mitteln zu gestalten, sondern vielmehr noch das fertiggestellte Porträt jener "Logik der Gabe", also des Schenkens und Beschenktwerdens, zu unterstellen. Nicht in einem ökonomischen Sinn, denn Manets Porträts bleiben zumeist unverkäuflich, wohl aber in einem sozialen Sinn werden alle diese Bildnisse zu einem Tauschgegenstand.
In insgesamt acht Einzelinterpretationen verfolgt Wittmann diese doppelte Idee des Gesichter-Gebens. Dabei liegt der Vorzug ihrer gut lesbaren Untersuchung gerade in der Vielfalt, zuweilen auch Gegensätzlichkeit der Porträtierten. Gewiß am deutlichsten tritt die "Logik der Gabe" in dem großformatigen, heute im Musée d'Orsay befindlichen Porträt Émile Zolas aus dem Jahr 1868 zutage. Zwar hatte sich der achtundzwanzigjährige Zola durch den Skandalerfolg seiner "Thérèse Raquin" bereits einen Namen gemacht, doch malt Manet nicht so sehr das Bildnis des Romanciers Zola als vielmehr eine Hommage an ebenjenen Kunstkritiker Zola, der für Manet vehement das Wort ergriffen und dessen Kunst als zukunftsweisende "nouvelle manière en peinture" dem kunstsinnigen Paris empfohlen hatte.
Diese folgenreiche Gabe aus der Feder Zolas wird auf der Gegengabe Manets durch dessen Pinsel ausdrücklich zitiert: Unverkennbar ist die blaue Broschüre auf dem Schreibtisch Zolas eben jene kleine Monographie, in welcher Manet dem Pariser Publikum nachdrücklich bekannt gemacht werden sollte. Nicht zufällig zitiert sich Manet in diesem Porträt mit seiner skandalerregenden "Olympia" von 1863 selbst: Bild und Text treten hier zu einer ästhetischen Allianz zusammen, die beiden, dem Maler wie dem Kritiker, dient und welche die Absicht zweier Künstlerkarrieren, einem Doppelporträt gleich, als identisch präsentiert.
Weit weniger plakativ als in diesem programmatischen Bildnis Zolas wird eine solche Annäherung künstlerischer Absichten auf jenem kleinformatigen, geradezu skizzenhaft erscheinenden Porträt dem Betrachter vor Augen gerückt, das Manet 1876 von Stéphane Mallarmé anfertigte. Eindrücklich vergleicht Wittmann das "Herumtollen der Mallarméschen Wörter" mit dem für Manet ungewöhnlich offenen, fast zur Abstraktion neigenden "Spiel der Pinselstriche und Farbkleckse". In diesem Sinn wird ein intimes Künstlerbildnis zugleich zum Porträt einer gemeinsamen Poetik der Form, die zwei vollkommen unterschiedliche Künstler durch die präzise Wahl der Bildsprache miteinander vereint.
Zuletzt bleibt jedoch erstaunlich, daß Barbara Wittmann ein Kapitel ihrer Studie ungeschrieben läßt. Denn einem roten Faden gleich durchziehen Manets Bildniswerk die Versuche, jenem Knaben und später jenem jungen Mann namens Léon Koëlla-Leenhoff ein Gesicht zu geben, der etwa auf dem Münchener "Frühstück im Atelier" als lässig an den Tisch gelehnter Flaneur zu sehen ist. Manet selbst pflegte ihn als seinen sehr viel jüngeren Bruder oder auch als seinen Stiefsohn auszuweisen, doch dürfte Léon tatsächlich wohl Manets unehelicher Sohn gewesen sein.
Sind solche biographischen Details für eine kunsthistorische Studie gewöhnlicherweise allenfalls am Rande von Bedeutung, so haben sie für eine Untersuchung, die gerade der durch die Bilder inszenierten intimen Kommunikation zwischen Maler und Modell nachgeht, doch besonderen Wert. Außerordentlich bedauerlich ist es daher, daß gerade da, wo die Zirkulation sozialer Energien in Manets Bildniswerk womöglich am höchsten und die Intimität zwischen Maler und Porträtiertem gewiß am prekärsten ist, Manets eindringliche Interpretin am hartnäckigsten schweigt.
STEFFEN SIEGEL
Barbara Wittmann: "Gesichter geben". Édouard Manet und die Poetik des Portraits. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 340 S., 82 S/W-Abb., 12 Farbtaf., br., 44,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Erhellend findet Rezensent Steffen Siegel diese "gut lesbare Untersuchung" zu Edouard Manets Bildnismalerei, die die Berliner Kunsthistorikerin Barbara Wittmann vorgelegt hat. Im Mittelpunkt der insgesamt acht Einzelinterpretationen steht nach Auskunft Siegels die doppelte Idee des Gesichter-Gebens bei Manet. Wie er darlegt, ging es Manet nicht nur um die Gestaltung des Gesichts mit künstlerischen Mitteln, sondern auch und vor allem darum, seine Porträts der "Logik der Gabe" zu unterstellen. Mit anderen Worten: Wittmann zeige, so der Rezensent, "wie raffiniert sich der Maler Edouard Manet bei seinen Gönnern bedankte". Eine Stärke von Wittmanns Studie sieht Siegel "gerade in der Vielfalt, zuweilen auch Gegensätzlichkeit der Porträtierten". Er hebt insbesondere Wittmanns Interpretation von Manets Porträts Emile Zolas und Stephane Mallarmes hervor. Bedauerlich findet er nur, dass die Autorin Manets Versuche, Leon Koella-Leenhoff, wohl sein unehelicher Sohn, ein Gesicht zu geben, unberücksichtigt lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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