"Dolly Alderton ist die Königin moderner Romantik." VOGUE
"Ich liebe Gespenster. Dolly kann einfach über alles schreiben - was niemanden verwundert!" Candice Carty-Williams
"Ich liebe es und musste laut lachen: wahnsinnig gut geschrieben, randvoll mit Ideen und so spannend, dass man es nicht aus der Hand legen kann." Philippa Perry
"Ich liebe dieses Buch. Es ist weise, wahrhaftig, punktgenau beobachtet und urkomisch. Dolly Aldertons Talent ist phänomenal." Elizabeth Day
"Ich schwärme unendlich für Dolly!" Laura Karasek
"Es gibt keine Schriftstellerin auf der ganzen Welt, die mit Dolly Alderton vergleichbar wäre - und bald werden es alle, aber auch wirklich alle wissen." Lisa Taddeo
"Dolly Alderton hat ein unglaubliches Talent, Menschen zu erreichen und zu berühren." Marian Keyes
"Ich liebe Gespenster. Dolly kann einfach über alles schreiben - was niemanden verwundert!" Candice Carty-Williams
"Ich liebe es und musste laut lachen: wahnsinnig gut geschrieben, randvoll mit Ideen und so spannend, dass man es nicht aus der Hand legen kann." Philippa Perry
"Ich liebe dieses Buch. Es ist weise, wahrhaftig, punktgenau beobachtet und urkomisch. Dolly Aldertons Talent ist phänomenal." Elizabeth Day
"Ich schwärme unendlich für Dolly!" Laura Karasek
"Es gibt keine Schriftstellerin auf der ganzen Welt, die mit Dolly Alderton vergleichbar wäre - und bald werden es alle, aber auch wirklich alle wissen." Lisa Taddeo
"Dolly Alderton hat ein unglaubliches Talent, Menschen zu erreichen und zu berühren." Marian Keyes
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Anna Hordych wundert sich, dass Dolly Alderton in ihrem Roman, in dem die 32-jährige Nina Opfer des mittlerweile zur "Kulturtechnik" avancierten digitalen Ghostings wird, nur die Männer ghosten und die Frauen nervös warten lässt. Das Leben von Frauen so als Wettrennen ums Heiraten und Kinderkriegen zu erzählen, erscheint der Rezensentin zu stereotyp. Trotzdem findet sie es "hellsichtig", wie Alderton die Abgründe der digitalen Verfügbarkeit, des Ghostings als Schattenseite eines "endlosen Möglichkeitsraums" auslotet, in denen besorgtes Nachfragen als Stalking und das Löschen von Nummern als Gedächtnisreinigung gilt, wie Hordych anerkennend schließt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2021Nie geht man so ganz
In Dolly Aldertons Ghosting-Roman „Gespenster“ verzweifelt eine Frau beim Online-Dating
In ihrem Memoir „Instead of a Letter“ berichtet die englische Autorin Diana Athill, wie sie ihrem Verlobten einen Brief schreibt und dann zwei Jahre lang auf eine Antwort wartet. Das Buch ist im Jahr 1962 erschienen, heute ist diese Kulturtechnik so geläufig, dass sie einen Namen hat: Man nennt es „Ghosting“. Die Person, mit der man sich in einem Vertrauensverhältnis wähnt, ignoriert einen plötzlich und reagiert nicht mehr auf Kontaktversuche.
Die britisch-kanadische Autorin und Sunday Times-Kolumnistin Dolly Alderton erzählt in ihrem Romandebüt „Gespenster“ nun vom Ghosting der Gegenwart und rückt dabei die Perspektive der Geghosteten in den Blick. „Für mich ist London derzeit die reinste Geisterbahn“, heißt es an einer Stelle. Auch in der Altersgruppe dreißig plus, der die 32-jährige Autorin und erfolgreiche Podcasterin selbst angehört, greift die Unart um sich, seinen Mitmenschen ohne Vorankündigung zu kündigen.
Am Anfang des Romans feiert Ich-Erzählerin Nina ihren 32. Geburtstag. Nach dem Ende einer langjährigen Beziehung war die Food-Journalistin zwei Jahre lang „inaktiver Single“ und wollte niemanden kennenlernen. Jetzt möchte sie wieder daten. Auf der Tinder-ähnlichen App „Linx“ verabredet sich Nina mit dem Bilanzbuchhalter und Freizeitsurfer Max. Sie beginnen eine Beziehung, aber nach drei Monaten verschwindet Max aus ihrem Leben und lässt Ninas Kontaktversuche abprallen. Ihre Anrufe bleiben unerwidert, ihre Nachrichten unbeantwortet.
Alderton erzählt von der gespenstischen Schizophrenie digitaler Strukturen. Indem sie einerseits einen tosenden Lärm erzeugen, ständige Erreichbarkeit herstellen und auf unkomplizierte Weise neue Beziehungen mit Fremden ermöglichen, entsteht eine beängstigende, totenhafte Stille, wenn sich die neuen Freunde plötzlich wieder entziehen.
Dabei ist das rasante Tempo, mit dem sich Beziehungen anbahnen, Gabe und Gift zugleich. Das zeigt sich an den männlichen Romanfiguren, welche die Beschleunigung, mit der sich die neuen Liebesverhältnisse entwickeln, deutlich forcieren. Doch sie weichen erschreckt zurück, wenn sie feststellen, dass die lockere Intensität der frischen Liebe die festen Konturen eines gemeinsamen Alltags annimmt. Alderton präsentiert ledige Männer in ihren Dreißigern und Vierzigern, die leichtfertig neue Kontakte knüpfen, sich aber in Angst und Schrecken versetzt fühlen, wenn sie auf Dauer an der Seite ihrer Partnerin bleiben sollen.
Ninas beste Freundin Lola erklärt sich die männliche Kurzschlussreaktion mit dem primitiven Spielmodus, in den die Singlemänner beim Onlinedating gerieten und der sie dazu verleite, nach erreichtem Level die Plattform zu verlassen. Oberstes Ziel sei ein Liebesgeständnis, das dem jagenden Mann signalisiert: Frau gleich Beute. Frauen stellt der Roman als Opfer einer Liebesökonomie dar, die von ungleichen Machtverhältnissen geprägt ist. Ghoster sind bei Alderton durchgängig Männer, wohingegen die Frauen aufmerksam und mit viel Geduld im digitalen Warteraum sitzen und passiv-aggressiv auf ihre Handybildschirme starren.
Eigenartigerweise wiederholt sich hier eine gegenderte Kultur des Wartens, die man schon zur Genüge zu kennen meint. Zwar gehört das nervenaufreibende Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit wohl zur Liebe dazu, wie Roland Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“ gezeigt hat. Doch fragt man sich, weshalb Frauen in diesem Spiel wieder einmal die Rolle der Wartenden einnehmen müssen.
„Das Warten-können ist so schwer“, konstatiert Friedrich Nietzsche und verweist auf männliche Akteure wie Shakespeares Mörder Othello, der darüber komplett die Nerven verliert. Penelope hingegen wartet in Homers „Odyssee“ mit unendlicher Geduld auf ihren Ehegatten. Warum erweckt Alderton gerade dieses gespenstisch-konservative Schema zum Leben, wenn sie männliche Aktivität und weibliche Passivität auf das Ghosting überträgt?
Die Antwort ist ein Biologismus. Ghosting ist bei Alderton ein unfaires Spiel mit der Natur und gegen die Zeit. Frauen geraten in die Rolle der Geghosteten, da sie sich nach festen Strukturen sehnen, in denen sie eines Tages Kinder kriegen können. Jene Frauen über dreißig, die Alderton porträtiert, sind entweder verheiratet oder der Tortur des Ghostings ausgesetzt. Die Männer in diesem Spiel die Gewinner. Sie verfügen über alle Zeit der Welt.
Neben dem biologischen Argument importiert Alderton eine Fülle von Genderstereotypen. Bei einem Junggesellinnenabschied mit viel Glitzer und „Blubberwasser“ dient ein 70er-Jahre-Eheratgeber mit dem Titel „Was Männer sich wünschen“ als satirische Trinkvorlage. Zwar nimmt Nina genervt Reißaus. Doch bekräftigt der Roman eine weibliche Determiniertheit und einen Heiratsplot des Lebens, dem sich auch die Protagonistin kaum entziehen kann. Aldertons Gespensterroman steht damit ganz in der Tradition der romantic novel und beschreibt wie etwa Helen Fieldings „Bridget Jones“ die Sehnsucht nach Liebe als sinnstiftende Glückssuche.
An einer Stelle lässt Nina ihr Handy zurück, als sie das Haus verlässt, um sich von dessen schweigendem, schwarzen Bildschirm loszusagen. Dass sie ihren Partner nicht erreichen kann, versetzt sie in Unruhe, ja ist ihr unerträglich. Søren Kierkegaard hat „Unverfügbarkeit des Anderen“ in seiner Existenzphilosophie als klingendes Antwortverhältnis beschrieben, bei dem eine Seite schweigt und die andere Seite trotzdem sicher ist, gehört zu werden. Kierkegaard legitimiert den religiösen Glauben in Furcht und Zittern gerade über die Negativität und unüberwindliche Unverfügbarkeit des absoluten Anderen.
Aldertons Figuren hingegen können mit Nichterreichbarkeit nicht umgehen. Die Technik ermöglicht zu viel Kontrolle: „Siehst du? Online. Er ist immer online“, registriert Lola. Aldertons Gespensterroman zeigt, wie die digitale Kommunikation in ihrem endlosen Möglichkeitsraum tote Winkel produziert. Ghosting ist das Baby der Verfügbarkeit und der Schatten positiver Möglichkeiten. Indem keine simple Erklärung für das Ende einer Beziehung abgegeben wird, entsteht ein Schweigen, in dem man als Geist ewig präsent bleibt. Niemand will sich Optionen verbauen. Eines Tages sitzt Ninas Lover Max wieder auf der Treppe ihres Hauseingangs.
Aldertons Gespensterroman kreist deshalb um Fragen der Angemessenheit. Ghosting ist gemein, verantwortungslos und unhöflich. Es ist die hässliche Fratze der Unverbindlichkeit. Aber ab wann ist es verhaltensgestört? Und wie oft darf man sich besorgt erkundigen, bevor man zum Stalker wird? Eben diese schamvolle Furcht hält Nina davon ab, ihrem verschwundenen Partner bei der Arbeit aufzulauern oder ihn vor seiner Haustür abzupassen. Doch als ihre beste Freundin zum Ghosting-Opfer wird, verwandelt sich Nina in einer Gespensterjägerin und stellt den Geist in seinem Haus: „Einen Menschen kann man nicht löschen. Wir leben hier nicht in einer Dystopie.“
In einem Racheakt entfernt auch Nina alle Nachrichten und die Nummer ihres Ghosters. Indem sie im digitalen Gedächtnis aufräumen, hoffen Aldertons Figuren offenbar, die eigene Erinnerung zu reinigen. Es mutet unheimlich an, wie eng digitale Benutzeroberfläche und Bewusstsein verschaltet sind. Es gehört zu den hellsichtigen Pointen des Romans, Selbst- und Fremdwahrnehmung an den Rändern des Handybildschirms enden zu lassen. Das sind die eigentlich gespenstischen Züge unserer digitalen Gegenwart.
ANNA HORDYCH
Da sind die ledigen Männer, die
leichtfertig Kontakte knüpfen
und plötzlich verschwinden
Wenn man schweigt,
bleibt man als Geist
auf ewig präsent
Dolly Alderton:
Gespenster.
Aus dem Englischen
von Eva Bonné.
Atlantik Verlag,
Hamburg 2021.
384 Seiten, 22 Euro.
Dolly Alderton ist Kolumnistin, Podcasterin und Autorin.
Foto: Alexandra Cameron
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In Dolly Aldertons Ghosting-Roman „Gespenster“ verzweifelt eine Frau beim Online-Dating
In ihrem Memoir „Instead of a Letter“ berichtet die englische Autorin Diana Athill, wie sie ihrem Verlobten einen Brief schreibt und dann zwei Jahre lang auf eine Antwort wartet. Das Buch ist im Jahr 1962 erschienen, heute ist diese Kulturtechnik so geläufig, dass sie einen Namen hat: Man nennt es „Ghosting“. Die Person, mit der man sich in einem Vertrauensverhältnis wähnt, ignoriert einen plötzlich und reagiert nicht mehr auf Kontaktversuche.
Die britisch-kanadische Autorin und Sunday Times-Kolumnistin Dolly Alderton erzählt in ihrem Romandebüt „Gespenster“ nun vom Ghosting der Gegenwart und rückt dabei die Perspektive der Geghosteten in den Blick. „Für mich ist London derzeit die reinste Geisterbahn“, heißt es an einer Stelle. Auch in der Altersgruppe dreißig plus, der die 32-jährige Autorin und erfolgreiche Podcasterin selbst angehört, greift die Unart um sich, seinen Mitmenschen ohne Vorankündigung zu kündigen.
Am Anfang des Romans feiert Ich-Erzählerin Nina ihren 32. Geburtstag. Nach dem Ende einer langjährigen Beziehung war die Food-Journalistin zwei Jahre lang „inaktiver Single“ und wollte niemanden kennenlernen. Jetzt möchte sie wieder daten. Auf der Tinder-ähnlichen App „Linx“ verabredet sich Nina mit dem Bilanzbuchhalter und Freizeitsurfer Max. Sie beginnen eine Beziehung, aber nach drei Monaten verschwindet Max aus ihrem Leben und lässt Ninas Kontaktversuche abprallen. Ihre Anrufe bleiben unerwidert, ihre Nachrichten unbeantwortet.
Alderton erzählt von der gespenstischen Schizophrenie digitaler Strukturen. Indem sie einerseits einen tosenden Lärm erzeugen, ständige Erreichbarkeit herstellen und auf unkomplizierte Weise neue Beziehungen mit Fremden ermöglichen, entsteht eine beängstigende, totenhafte Stille, wenn sich die neuen Freunde plötzlich wieder entziehen.
Dabei ist das rasante Tempo, mit dem sich Beziehungen anbahnen, Gabe und Gift zugleich. Das zeigt sich an den männlichen Romanfiguren, welche die Beschleunigung, mit der sich die neuen Liebesverhältnisse entwickeln, deutlich forcieren. Doch sie weichen erschreckt zurück, wenn sie feststellen, dass die lockere Intensität der frischen Liebe die festen Konturen eines gemeinsamen Alltags annimmt. Alderton präsentiert ledige Männer in ihren Dreißigern und Vierzigern, die leichtfertig neue Kontakte knüpfen, sich aber in Angst und Schrecken versetzt fühlen, wenn sie auf Dauer an der Seite ihrer Partnerin bleiben sollen.
Ninas beste Freundin Lola erklärt sich die männliche Kurzschlussreaktion mit dem primitiven Spielmodus, in den die Singlemänner beim Onlinedating gerieten und der sie dazu verleite, nach erreichtem Level die Plattform zu verlassen. Oberstes Ziel sei ein Liebesgeständnis, das dem jagenden Mann signalisiert: Frau gleich Beute. Frauen stellt der Roman als Opfer einer Liebesökonomie dar, die von ungleichen Machtverhältnissen geprägt ist. Ghoster sind bei Alderton durchgängig Männer, wohingegen die Frauen aufmerksam und mit viel Geduld im digitalen Warteraum sitzen und passiv-aggressiv auf ihre Handybildschirme starren.
Eigenartigerweise wiederholt sich hier eine gegenderte Kultur des Wartens, die man schon zur Genüge zu kennen meint. Zwar gehört das nervenaufreibende Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit wohl zur Liebe dazu, wie Roland Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“ gezeigt hat. Doch fragt man sich, weshalb Frauen in diesem Spiel wieder einmal die Rolle der Wartenden einnehmen müssen.
„Das Warten-können ist so schwer“, konstatiert Friedrich Nietzsche und verweist auf männliche Akteure wie Shakespeares Mörder Othello, der darüber komplett die Nerven verliert. Penelope hingegen wartet in Homers „Odyssee“ mit unendlicher Geduld auf ihren Ehegatten. Warum erweckt Alderton gerade dieses gespenstisch-konservative Schema zum Leben, wenn sie männliche Aktivität und weibliche Passivität auf das Ghosting überträgt?
Die Antwort ist ein Biologismus. Ghosting ist bei Alderton ein unfaires Spiel mit der Natur und gegen die Zeit. Frauen geraten in die Rolle der Geghosteten, da sie sich nach festen Strukturen sehnen, in denen sie eines Tages Kinder kriegen können. Jene Frauen über dreißig, die Alderton porträtiert, sind entweder verheiratet oder der Tortur des Ghostings ausgesetzt. Die Männer in diesem Spiel die Gewinner. Sie verfügen über alle Zeit der Welt.
Neben dem biologischen Argument importiert Alderton eine Fülle von Genderstereotypen. Bei einem Junggesellinnenabschied mit viel Glitzer und „Blubberwasser“ dient ein 70er-Jahre-Eheratgeber mit dem Titel „Was Männer sich wünschen“ als satirische Trinkvorlage. Zwar nimmt Nina genervt Reißaus. Doch bekräftigt der Roman eine weibliche Determiniertheit und einen Heiratsplot des Lebens, dem sich auch die Protagonistin kaum entziehen kann. Aldertons Gespensterroman steht damit ganz in der Tradition der romantic novel und beschreibt wie etwa Helen Fieldings „Bridget Jones“ die Sehnsucht nach Liebe als sinnstiftende Glückssuche.
An einer Stelle lässt Nina ihr Handy zurück, als sie das Haus verlässt, um sich von dessen schweigendem, schwarzen Bildschirm loszusagen. Dass sie ihren Partner nicht erreichen kann, versetzt sie in Unruhe, ja ist ihr unerträglich. Søren Kierkegaard hat „Unverfügbarkeit des Anderen“ in seiner Existenzphilosophie als klingendes Antwortverhältnis beschrieben, bei dem eine Seite schweigt und die andere Seite trotzdem sicher ist, gehört zu werden. Kierkegaard legitimiert den religiösen Glauben in Furcht und Zittern gerade über die Negativität und unüberwindliche Unverfügbarkeit des absoluten Anderen.
Aldertons Figuren hingegen können mit Nichterreichbarkeit nicht umgehen. Die Technik ermöglicht zu viel Kontrolle: „Siehst du? Online. Er ist immer online“, registriert Lola. Aldertons Gespensterroman zeigt, wie die digitale Kommunikation in ihrem endlosen Möglichkeitsraum tote Winkel produziert. Ghosting ist das Baby der Verfügbarkeit und der Schatten positiver Möglichkeiten. Indem keine simple Erklärung für das Ende einer Beziehung abgegeben wird, entsteht ein Schweigen, in dem man als Geist ewig präsent bleibt. Niemand will sich Optionen verbauen. Eines Tages sitzt Ninas Lover Max wieder auf der Treppe ihres Hauseingangs.
Aldertons Gespensterroman kreist deshalb um Fragen der Angemessenheit. Ghosting ist gemein, verantwortungslos und unhöflich. Es ist die hässliche Fratze der Unverbindlichkeit. Aber ab wann ist es verhaltensgestört? Und wie oft darf man sich besorgt erkundigen, bevor man zum Stalker wird? Eben diese schamvolle Furcht hält Nina davon ab, ihrem verschwundenen Partner bei der Arbeit aufzulauern oder ihn vor seiner Haustür abzupassen. Doch als ihre beste Freundin zum Ghosting-Opfer wird, verwandelt sich Nina in einer Gespensterjägerin und stellt den Geist in seinem Haus: „Einen Menschen kann man nicht löschen. Wir leben hier nicht in einer Dystopie.“
In einem Racheakt entfernt auch Nina alle Nachrichten und die Nummer ihres Ghosters. Indem sie im digitalen Gedächtnis aufräumen, hoffen Aldertons Figuren offenbar, die eigene Erinnerung zu reinigen. Es mutet unheimlich an, wie eng digitale Benutzeroberfläche und Bewusstsein verschaltet sind. Es gehört zu den hellsichtigen Pointen des Romans, Selbst- und Fremdwahrnehmung an den Rändern des Handybildschirms enden zu lassen. Das sind die eigentlich gespenstischen Züge unserer digitalen Gegenwart.
ANNA HORDYCH
Da sind die ledigen Männer, die
leichtfertig Kontakte knüpfen
und plötzlich verschwinden
Wenn man schweigt,
bleibt man als Geist
auf ewig präsent
Dolly Alderton:
Gespenster.
Aus dem Englischen
von Eva Bonné.
Atlantik Verlag,
Hamburg 2021.
384 Seiten, 22 Euro.
Dolly Alderton ist Kolumnistin, Podcasterin und Autorin.
Foto: Alexandra Cameron
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»[...] ihr erster Roman Gespenster [...] hat das Potenzial, ein Nachfolger der weltbekannten Bridget-Jones -Reihe zu werden.« Der Spiegel, 06.02.2021