Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens - Dritter Teil ist ein unveränderter, hochwertiger Nachdruck der Originalausgabe aus dem Jahr 1885.
Hansebooks ist Herausgeber von Literatur zu unterschiedlichen Themengebieten wie Forschung und Wissenschaft, Reisen und Expeditionen, Kochen und Ernährung, Medizin und weiteren Genres. Der Schwerpunkt des Verlages liegt auf dem Erhalt historischer Literatur. Viele Werke historischer Schriftsteller und Wissenschaftler sind heute nur noch als Antiquitäten erhältlich. Hansebooks verlegt diese Bücher neu und trägt damit zum Erhalt selten gewordener Literatur und historischem Wissen auch für die Zukunft bei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.1999Da fliegt der Papagei
Hausbuch mit Untiefen: Eckermanns Gespräche in einer neuen Edition · Von Lothar Müller
Im zweiten Teil der "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens", unter dem Datum des 11. Oktober 1828, findet sich eine Szene, in der sich Johann Peter Eckermann mit großer Kunstfertigkeit und nicht geringerem Stolz als Autor dieser Gespräche porträtiert. Es ist Sonnabend. Goethe erwartet zum Mittagessen eine nicht geringe Anzahl geladener Gäste. Eckermann erscheint ein wenig eher, um Thomas Carlyles Aufsatz über Goethe möglichst ungestört mit diesem selbst zu erörtern. "Wir fingen sogleich an von unserm gemeinsamen Interesse zu reden". Wie es unter Gleichgestimmten und Gleichgesinnten so geht, hat auch Goethe eben diesen Morgen, genau wie Eckermann, über eben diesem Aufsatz, einer Verteidigung des "Wilhelm Meister" verbracht.
Als nun verschiedene Tischgäste hereintreten, begrüßt Goethe sie beiläufig, aber er lässt sich nicht ablenken und in die Gesellschaft entführen. "Er wendete seine Aufmerksamkeit mir wieder zu und ich fuhr fort." Jetzt erst, mit diesem Schlüsselsatz, ist das eigentliche Thema dieser Szene erreicht, die Verdoppelung Goethes in eine öffentliche Figur, die allen, und in den Vertrauten und Gesprächspartner, der Eckermann allein gehört. Da zieht wie von ungefähr der esoterische, nicht jedem zugängliche Goethe sein Gegenüber beiseite und vertraut ihm ein Geheimnis an: "Meine Sachen können nicht popular werden; wer daran denkt und dafür strebt, ist in einem Irrtum. Sie sind nicht für die Masse geschrieben, sondern nur für einzelne Menschen, die etwas Ähnliches wollen und suchen, und die in ähnlichen Richtungen begriffen sind."
Das Populäre aber behauptet nicht ohne Nachdruck seine Rechte. Eine junge Dame tritt heran, unterbricht den Meister und zieht ihn ihrerseits in ein Gespräch, worauf man sich bald zu Tische setzt. Eckermann aber ist für die Gesellschaft verloren. Am Tischgespräch nimmt er nicht teil, hört ihm nicht einmal zu, sondern sinnt über eineinhalb Druckseiten hinweg den Worten Goethes nach, wiederholt sie, formt sie um, spitzt sie zu und verwandelt sie in einen Strauß von Aphorismen, während man rings um ihn her heiter scherzt und es sich an den Gerichten wohl sein lässt. Am Ende trifft die Neckerei den einzig Abwesenden, den gedankenverlorenen Eckermann: "Man lachte auf meine Kosten; doch war es mir nicht unlieb. Ich war heute in meinem Gemüt besonders glücklich."
Seit Heinrich Heine ihn den "Papagei" Goethes genannt hat, wird Johann Peter Eckermann von Parodie und Spott begleitet. Später kamen Mitleid und Entrüstung hinzu. Denn aus dem Egoisten, als den ihn gelegentlich schon die Zeitgenossen kritisierten, trat in immer düstereren Farben der pathologische Goethe hervor, das Genie, das seine Umwelt und seine nächsten Angehörigen ruiniert. Zuvörderst den leiblichen, den unglücklichen August, sodann den geistigen, den subalternen Eckermann.
Leicht lässt er sich als Opfer Goethes beschreiben. Der gelegentliche Freitisch zu Mittag, die Freikarten fürs Theater oder der in Jena beschaffte Doktortitel waren keine angemessene Entschädigung für die Kärrnerarbeit, die Eckermann an Goethes Manuskripten leistete, für die Lebensjahre, die in der Fertigstellung der Gesamtausgabe letzter Hand verschwanden. Eher grob waren die Mittel, mit denen Goethe seinen Eckermann daran hinderte, Weimar zu verlassen, der immer wieder vertrösteten Verlobten endlich die Aussicht auf eine eigenständige ökonomische Existenz zu geben. Eckermann starb 1854 in Weimar in kaum geringerer Armut als der, in die er 1792 in Winsen an der Luhe hineingeboren war. Es stimmt alles an dieser düsteren Geschichte. Doch war nicht das Subalterne die Schwachstelle, an der Goethe Eckermann packte und hielt, sondern sein unbändiger, lodernder Autorenehrgeiz. Zu den Verdiensten der sorgfältig kommentierten Ausgabe von Eckermanns "Gesprächen" im Deutschen Klassiker Verlag gehört, dass sie durch die ausführliche Dokumentation der autobiographischen Texte und den großzügigen Abdruck von Dokumenten aus dem Nachlass den ehrgeizigen Autor Eckermann gebührend würdigt.
Man kann nun noch einmal die verhaltene Wut nachlesen, mit der er sich dagegen wehrt, in den Zeitschriften der Gebildeten als "Sekretair" Goethes tituliert zu werden. Und sich ein Bild davon machen, wie großzügig und wohl auch berechnend Goethe sein Öl in das Feuer des Autorenehrgeizes goss. Man lese nur die folgende, in die Druckfassung der "Gespräche" nicht aufgenommene Notiz vom 7. März 1830: "Er spricht zunächst wieder von meinen Gedichten, daß ich von ihm die Ruhe und von Byron die Kühnheit habe, und daß ich mich jetzt umthun müsse nach dem was man Convenienz heiße, und worin Voltaire so groß gewesen."
Auch in dieser Edition wird das Buch, dem Eckermann sein Leben unterordnete, den Werken Goethes zugerechnet. Aber er erhält immer wieder das Wort in eigener Sache und der Leser damit die Möglichkeit, in ihm noch etwas anderes zu sehen als den Papagei oder das Opfer. So kann er erkennen: Johann Peter Eckermann war ein mittelmäßiger Kopf. Als Autor der "Gespräche mit Goethe" aber hat er ein Meisterwerk ganz eigener Art geschaffen. Denn er hat sich seinen, den esoterischen, nur ihm zugänglichen Goethe erfunden, diesem eine Stimme gegeben und das Ergebnis sodann einem Publikum überantwortet, das den Reichtum der vertraulichen Mitteilungen schätzte, sich seinerseits in der Lektüre vertraulich im "inneren" Goethe einrichtete und Eckermanns Mittlerdienste nicht weniger selbstverständlich in Anspruch nahm, als das Goethe selbst getan hatte: "Ich stellte mir die Aufgabe alle Kunst zu verbergen und bloß den reinen Eindruck eines Naturwerkes hervorzubringen. Dieß ist mir denn auch in dem Grade gelungen, daß man das Werk an sich hochschätzte, allein den sich zurückziehenden Autor völlig übersah, ja oft sogar mit einer gewissen Geringschätzung auf ihn herabblickte." Eckermann hat nur ein Viertel der von ihm mit Goethe geführten Gespräche in sein Buch aufgenommen. Erst der Tod Goethes scheint ihm für die redaktionellen Bearbeitungen die innere Freiheit gegeben zu haben. Die ersten beiden Bände erschienen im Jahre 1836, der dritte Band, zu großen Teilen unter der Verwendung von Aufzeichnungen des Prinzenerziehers Frédéric Soret entstanden, erst im März 1848. Da hatte gegenüber den dreißiger Jahren die Reserve des Publikums gegen die "Indifferenz" Goethes und gegen den "Fürstenknecht" noch zugenommen.
Es gab wohlwollende Besprechungen, aber zum Hausbuch der Deutschen stiegen die "Gespräche" erst lange nach dem Tod Eckermanns auf. Im Jahre 1884 erlosch das Urheberrecht, die zahlreichen Ausgaben, die nun entstanden, hatten bald die "Weimarer Ausgabe" im Rücken, sie waren willkommene Gehilfen bei der endgültigen Kanonisierung Goethes zum Klassiker der Deutschen. Nun trug der Autorenehrgeiz Eckermanns späte Früchte. Vergeblich hatte er zu Lebzeiten gehofft, mit seinem Buch zum späten Goethe die Lücke zu füllen, die der politische Heros Napoleon und der poetische Held Byron nach dem ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts hinterlassen hatten. Jetzt aber kam die Virtuosität zur rechten Zeit, mit der er Goethe so druckreif Sentenzen hatte von sich geben lassen, wie dies kaum einmal vorgekommen sein dürfte.
Als Autor einer Abhandlung über Goethe war Eckermann 1823 in Weimar angekommen. In der Redaktion der Maximen aus den "Wanderjahren" konnte er seine eigene Neigung zum Aphorismus kultivieren. Am Ende gelang ihm die Rückverwandlung des schriftlichen Altersstils, in dessen Mimikry er sich einfühlend Jahr um Jahr geschult hatte, in das scheinbar gesprochene Wort, in eine Stimme. die unmittelbar aus dem Grabe Goethes an das Ohr der Nachwelt zu dringen schien. Natürlich verbleibt er damit in den Regionen des sekundären Genies. Aber so zu schreiben, wie Goethe gesprochen haben könnte, wenn er selbst eine Figur seiner "Wanderjahre" wäre, ist immerhin mehr, als ein Papagei zuwege brächte. Ganz zu schweigen von der Sorgfalt, mit der Eckermann alle Spuren der Ungleichheit und Asymmetrie seines empirisch-faktischen Verhältnisses zu Goethe im Bild des Gesprächs zweier Vertrauter tilgte.
Aus ebenden Gründen, die den "Eckermann" einst zu einem der großen Hausbücher der Deutschen werden ließen, ist er dies nun nicht mehr. Damals mag er griffbereit neben dem "Büchmann" gelegen haben, als ein Schatzhaus von Zitaten, aus dem sich zudem bequem Auskunft holen ließ nicht nur über Goethes Werke, sondern auch darüber, was er selbst von diesen Werken und denen seiner Kollegen hielt. In ebendem Maß, in dem die Selbststilisierungen Goethes verdächtig wurden, mussten auch Eckermanns "Gespräche"mit Misstrauen gelesen werden. Denn sie sind die kongeniale Fortsetzung des Werks, das Goethe selbst, nicht nur in seinen autobiographischen Schriften, schon zu Lebzeiten begonnen hatte: der Nachwelt das Bild vorzugeben, das sie sich von ihm machte. Darin, als Musterbuch zur Richtungsbestimmung künftigen Nachruhms, ist es noch heute vollkommen.
Es bleibt zudem, was schon das ältere Hausbuch war: ein Schatzhaus von Wissen zum alten Goethe. Nur dürften heutige Leser die Akzente anders setzen. Das zweideutige, immer ein wenig ins Pathologische hinüber spielende Porträt Schillers werden sie kaum als letztinstanzliches Urteil Goethes selbst lesen, sondern als einen frühen Beitrag Eckermanns zur bis in die Gegenwart immer wieder anzutreffenden Parallelität von Goethbewunderung und Schillerverkleinerung. Überhaupt ist man derzeit mit einem gewissen Recht weniger an den letztinstanzlichen Urteilen Goethes über Torquato Tasso, Lessing, Manzoni, Victor Hugo, Prosper Mérimée oder wen immer interessiert, als an den von Eckermann eher en passant mitgeteilten Beiläufigkeiten.
Aus ihnen entsteht für den, der nicht lediglich Eckermanns Goethe an den Lippen hängt, ein detailreiches Genrebild der Lebenswelt, in der er sich bewegte. Man findet das Porträt des Hauses am Frauenplan, freilich nicht als Gebäude, sondern als Interieur mit fest abgegrenzten Sphären. Man erhält eine Einführung in das weite Kommunikationsnetz, das Goethe um Weimar gespannt hatte und das ihm Kisten mit Büchern, Kunstwerken oder Beiträgen zu den naturkundlichen Sammlungen zuträgt. So sieht man, während Goethe und Eckermann miteinander reden, das große Museum zu Kunst, Kultur und Natur um sie herum wachsen, das dieses Haus zu einem einzigartigen machte.
Einmal, im dritten Band, erzählt Eckermann Goethe einen Traum, in dem er aus seinem eigenen Körper in einen anderen, schöneren fährt. Man lese diesen Traum nach, und man wird auf geheime Wünsche stoßen. Ihrer Bändigung hat Eckermann das Werk abgewonnen, das ihm zu seinem zweideutigen Ruhm verhalf.
Johann Peter Eckermann: "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens". Herausgegeben von Christoph Michel. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1999. 1381 S., geb., Subkriptionspreis 148,- DM, danach 172,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hausbuch mit Untiefen: Eckermanns Gespräche in einer neuen Edition · Von Lothar Müller
Im zweiten Teil der "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens", unter dem Datum des 11. Oktober 1828, findet sich eine Szene, in der sich Johann Peter Eckermann mit großer Kunstfertigkeit und nicht geringerem Stolz als Autor dieser Gespräche porträtiert. Es ist Sonnabend. Goethe erwartet zum Mittagessen eine nicht geringe Anzahl geladener Gäste. Eckermann erscheint ein wenig eher, um Thomas Carlyles Aufsatz über Goethe möglichst ungestört mit diesem selbst zu erörtern. "Wir fingen sogleich an von unserm gemeinsamen Interesse zu reden". Wie es unter Gleichgestimmten und Gleichgesinnten so geht, hat auch Goethe eben diesen Morgen, genau wie Eckermann, über eben diesem Aufsatz, einer Verteidigung des "Wilhelm Meister" verbracht.
Als nun verschiedene Tischgäste hereintreten, begrüßt Goethe sie beiläufig, aber er lässt sich nicht ablenken und in die Gesellschaft entführen. "Er wendete seine Aufmerksamkeit mir wieder zu und ich fuhr fort." Jetzt erst, mit diesem Schlüsselsatz, ist das eigentliche Thema dieser Szene erreicht, die Verdoppelung Goethes in eine öffentliche Figur, die allen, und in den Vertrauten und Gesprächspartner, der Eckermann allein gehört. Da zieht wie von ungefähr der esoterische, nicht jedem zugängliche Goethe sein Gegenüber beiseite und vertraut ihm ein Geheimnis an: "Meine Sachen können nicht popular werden; wer daran denkt und dafür strebt, ist in einem Irrtum. Sie sind nicht für die Masse geschrieben, sondern nur für einzelne Menschen, die etwas Ähnliches wollen und suchen, und die in ähnlichen Richtungen begriffen sind."
Das Populäre aber behauptet nicht ohne Nachdruck seine Rechte. Eine junge Dame tritt heran, unterbricht den Meister und zieht ihn ihrerseits in ein Gespräch, worauf man sich bald zu Tische setzt. Eckermann aber ist für die Gesellschaft verloren. Am Tischgespräch nimmt er nicht teil, hört ihm nicht einmal zu, sondern sinnt über eineinhalb Druckseiten hinweg den Worten Goethes nach, wiederholt sie, formt sie um, spitzt sie zu und verwandelt sie in einen Strauß von Aphorismen, während man rings um ihn her heiter scherzt und es sich an den Gerichten wohl sein lässt. Am Ende trifft die Neckerei den einzig Abwesenden, den gedankenverlorenen Eckermann: "Man lachte auf meine Kosten; doch war es mir nicht unlieb. Ich war heute in meinem Gemüt besonders glücklich."
Seit Heinrich Heine ihn den "Papagei" Goethes genannt hat, wird Johann Peter Eckermann von Parodie und Spott begleitet. Später kamen Mitleid und Entrüstung hinzu. Denn aus dem Egoisten, als den ihn gelegentlich schon die Zeitgenossen kritisierten, trat in immer düstereren Farben der pathologische Goethe hervor, das Genie, das seine Umwelt und seine nächsten Angehörigen ruiniert. Zuvörderst den leiblichen, den unglücklichen August, sodann den geistigen, den subalternen Eckermann.
Leicht lässt er sich als Opfer Goethes beschreiben. Der gelegentliche Freitisch zu Mittag, die Freikarten fürs Theater oder der in Jena beschaffte Doktortitel waren keine angemessene Entschädigung für die Kärrnerarbeit, die Eckermann an Goethes Manuskripten leistete, für die Lebensjahre, die in der Fertigstellung der Gesamtausgabe letzter Hand verschwanden. Eher grob waren die Mittel, mit denen Goethe seinen Eckermann daran hinderte, Weimar zu verlassen, der immer wieder vertrösteten Verlobten endlich die Aussicht auf eine eigenständige ökonomische Existenz zu geben. Eckermann starb 1854 in Weimar in kaum geringerer Armut als der, in die er 1792 in Winsen an der Luhe hineingeboren war. Es stimmt alles an dieser düsteren Geschichte. Doch war nicht das Subalterne die Schwachstelle, an der Goethe Eckermann packte und hielt, sondern sein unbändiger, lodernder Autorenehrgeiz. Zu den Verdiensten der sorgfältig kommentierten Ausgabe von Eckermanns "Gesprächen" im Deutschen Klassiker Verlag gehört, dass sie durch die ausführliche Dokumentation der autobiographischen Texte und den großzügigen Abdruck von Dokumenten aus dem Nachlass den ehrgeizigen Autor Eckermann gebührend würdigt.
Man kann nun noch einmal die verhaltene Wut nachlesen, mit der er sich dagegen wehrt, in den Zeitschriften der Gebildeten als "Sekretair" Goethes tituliert zu werden. Und sich ein Bild davon machen, wie großzügig und wohl auch berechnend Goethe sein Öl in das Feuer des Autorenehrgeizes goss. Man lese nur die folgende, in die Druckfassung der "Gespräche" nicht aufgenommene Notiz vom 7. März 1830: "Er spricht zunächst wieder von meinen Gedichten, daß ich von ihm die Ruhe und von Byron die Kühnheit habe, und daß ich mich jetzt umthun müsse nach dem was man Convenienz heiße, und worin Voltaire so groß gewesen."
Auch in dieser Edition wird das Buch, dem Eckermann sein Leben unterordnete, den Werken Goethes zugerechnet. Aber er erhält immer wieder das Wort in eigener Sache und der Leser damit die Möglichkeit, in ihm noch etwas anderes zu sehen als den Papagei oder das Opfer. So kann er erkennen: Johann Peter Eckermann war ein mittelmäßiger Kopf. Als Autor der "Gespräche mit Goethe" aber hat er ein Meisterwerk ganz eigener Art geschaffen. Denn er hat sich seinen, den esoterischen, nur ihm zugänglichen Goethe erfunden, diesem eine Stimme gegeben und das Ergebnis sodann einem Publikum überantwortet, das den Reichtum der vertraulichen Mitteilungen schätzte, sich seinerseits in der Lektüre vertraulich im "inneren" Goethe einrichtete und Eckermanns Mittlerdienste nicht weniger selbstverständlich in Anspruch nahm, als das Goethe selbst getan hatte: "Ich stellte mir die Aufgabe alle Kunst zu verbergen und bloß den reinen Eindruck eines Naturwerkes hervorzubringen. Dieß ist mir denn auch in dem Grade gelungen, daß man das Werk an sich hochschätzte, allein den sich zurückziehenden Autor völlig übersah, ja oft sogar mit einer gewissen Geringschätzung auf ihn herabblickte." Eckermann hat nur ein Viertel der von ihm mit Goethe geführten Gespräche in sein Buch aufgenommen. Erst der Tod Goethes scheint ihm für die redaktionellen Bearbeitungen die innere Freiheit gegeben zu haben. Die ersten beiden Bände erschienen im Jahre 1836, der dritte Band, zu großen Teilen unter der Verwendung von Aufzeichnungen des Prinzenerziehers Frédéric Soret entstanden, erst im März 1848. Da hatte gegenüber den dreißiger Jahren die Reserve des Publikums gegen die "Indifferenz" Goethes und gegen den "Fürstenknecht" noch zugenommen.
Es gab wohlwollende Besprechungen, aber zum Hausbuch der Deutschen stiegen die "Gespräche" erst lange nach dem Tod Eckermanns auf. Im Jahre 1884 erlosch das Urheberrecht, die zahlreichen Ausgaben, die nun entstanden, hatten bald die "Weimarer Ausgabe" im Rücken, sie waren willkommene Gehilfen bei der endgültigen Kanonisierung Goethes zum Klassiker der Deutschen. Nun trug der Autorenehrgeiz Eckermanns späte Früchte. Vergeblich hatte er zu Lebzeiten gehofft, mit seinem Buch zum späten Goethe die Lücke zu füllen, die der politische Heros Napoleon und der poetische Held Byron nach dem ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts hinterlassen hatten. Jetzt aber kam die Virtuosität zur rechten Zeit, mit der er Goethe so druckreif Sentenzen hatte von sich geben lassen, wie dies kaum einmal vorgekommen sein dürfte.
Als Autor einer Abhandlung über Goethe war Eckermann 1823 in Weimar angekommen. In der Redaktion der Maximen aus den "Wanderjahren" konnte er seine eigene Neigung zum Aphorismus kultivieren. Am Ende gelang ihm die Rückverwandlung des schriftlichen Altersstils, in dessen Mimikry er sich einfühlend Jahr um Jahr geschult hatte, in das scheinbar gesprochene Wort, in eine Stimme. die unmittelbar aus dem Grabe Goethes an das Ohr der Nachwelt zu dringen schien. Natürlich verbleibt er damit in den Regionen des sekundären Genies. Aber so zu schreiben, wie Goethe gesprochen haben könnte, wenn er selbst eine Figur seiner "Wanderjahre" wäre, ist immerhin mehr, als ein Papagei zuwege brächte. Ganz zu schweigen von der Sorgfalt, mit der Eckermann alle Spuren der Ungleichheit und Asymmetrie seines empirisch-faktischen Verhältnisses zu Goethe im Bild des Gesprächs zweier Vertrauter tilgte.
Aus ebenden Gründen, die den "Eckermann" einst zu einem der großen Hausbücher der Deutschen werden ließen, ist er dies nun nicht mehr. Damals mag er griffbereit neben dem "Büchmann" gelegen haben, als ein Schatzhaus von Zitaten, aus dem sich zudem bequem Auskunft holen ließ nicht nur über Goethes Werke, sondern auch darüber, was er selbst von diesen Werken und denen seiner Kollegen hielt. In ebendem Maß, in dem die Selbststilisierungen Goethes verdächtig wurden, mussten auch Eckermanns "Gespräche"mit Misstrauen gelesen werden. Denn sie sind die kongeniale Fortsetzung des Werks, das Goethe selbst, nicht nur in seinen autobiographischen Schriften, schon zu Lebzeiten begonnen hatte: der Nachwelt das Bild vorzugeben, das sie sich von ihm machte. Darin, als Musterbuch zur Richtungsbestimmung künftigen Nachruhms, ist es noch heute vollkommen.
Es bleibt zudem, was schon das ältere Hausbuch war: ein Schatzhaus von Wissen zum alten Goethe. Nur dürften heutige Leser die Akzente anders setzen. Das zweideutige, immer ein wenig ins Pathologische hinüber spielende Porträt Schillers werden sie kaum als letztinstanzliches Urteil Goethes selbst lesen, sondern als einen frühen Beitrag Eckermanns zur bis in die Gegenwart immer wieder anzutreffenden Parallelität von Goethbewunderung und Schillerverkleinerung. Überhaupt ist man derzeit mit einem gewissen Recht weniger an den letztinstanzlichen Urteilen Goethes über Torquato Tasso, Lessing, Manzoni, Victor Hugo, Prosper Mérimée oder wen immer interessiert, als an den von Eckermann eher en passant mitgeteilten Beiläufigkeiten.
Aus ihnen entsteht für den, der nicht lediglich Eckermanns Goethe an den Lippen hängt, ein detailreiches Genrebild der Lebenswelt, in der er sich bewegte. Man findet das Porträt des Hauses am Frauenplan, freilich nicht als Gebäude, sondern als Interieur mit fest abgegrenzten Sphären. Man erhält eine Einführung in das weite Kommunikationsnetz, das Goethe um Weimar gespannt hatte und das ihm Kisten mit Büchern, Kunstwerken oder Beiträgen zu den naturkundlichen Sammlungen zuträgt. So sieht man, während Goethe und Eckermann miteinander reden, das große Museum zu Kunst, Kultur und Natur um sie herum wachsen, das dieses Haus zu einem einzigartigen machte.
Einmal, im dritten Band, erzählt Eckermann Goethe einen Traum, in dem er aus seinem eigenen Körper in einen anderen, schöneren fährt. Man lese diesen Traum nach, und man wird auf geheime Wünsche stoßen. Ihrer Bändigung hat Eckermann das Werk abgewonnen, das ihm zu seinem zweideutigen Ruhm verhalf.
Johann Peter Eckermann: "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens". Herausgegeben von Christoph Michel. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1999. 1381 S., geb., Subkriptionspreis 148,- DM, danach 172,- DM.
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»Goethes Unterhaltungen mit Eckermann, das beste deutsche Buch, das es gibt.« Friedrich Nietzsche