Zum ersten Mal äußert sich Margot Honecker zu ihrer Sicht auf die 89er Ereignisse. Das ursprünglich in Chile erschienene Buch ist für die deutsche Ausgabe überarbeitet worden. In Gesprächen mit Luis Corvalan gibt Margot Honecker Auskunft zu ihrer Biographie, zu Geschichte und Leistungen der DDR, zum Prozeß gegen Erich Honecker und zu ihrem jetzigen Leben im chilenischen Exil. Neben den Gesprächen enthält der Band Bilder, Briefe und Dokumente (zum Teil unveröffentlicht), einschließlich der Verteidigungsrede Erich Honeckers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2001Genossin Minister
Ein wertloses Interview mit Margot Honecker über die DDR
Luis Corvalán: Gespräche mit Margot Honecker über das andere Deutschland. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 220 Seiten, 29,90 Mark.
Die "Conversaciones con Margot Honecker", im vorigen Jahr in Santiago de Chile erschienen, liegen nun in deutscher Übersetzung vor. Margot Feist wurde 1948 Sekretärin im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Vorsitzende der Pionierorganisation der späteren DDR. 1950 zog sie als jüngste Abgeordnete in die Volkskammer ein. 1953 heiratete sie den 16 Jahre älteren Erich Honecker. Bald darauf machte sie - von Haus aus kaufmännische Angestellte und Telefonistin - Karriere im Bildungswesen. 1958 wurde sie stellvertretende Volksbildungsministerin, und 1963 nahm sie schließlich den Chefsessel ein. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das Volksbildungsministerium zur letzten Hochburg des Spätstalinismus in der DDR. Im November 1989, einen Monat nach dem Sturz ihres Mannes, mußte sie zurücktreten.
Margot Honecker verfügte über Durchsetzungskraft, Intelligenz und den unbedingten Willen zur Macht. Jürgen Kuczynski, der Altvater der DDR-Geschichtswissenschaft, beschrieb sie kurz und prägnant: "Sie war klüger als er, aber ein Biest." In ihrer Funktion als gefürchtete Aufseherin über das DDR-Bildungswesen ging sie auf. Margot Honecker wollte immer "Genossin Minister", nie aber "First Lady" sein. Ihren Mann begleitete sie auf seinen Reisen kaum.
Das änderte sich nach 1989. Margot und Erich Honecker zogen, von Volkshaß getrieben, mehr oder weniger obdachlos umher. Zunächst wohnten sie bei einem evangelischen Pfarrer, dann fanden sie Unterschlupf in einem russischen Militärhospital und schließlich Aufnahme in der Sowjetunion. Als der mit deutschem Haftbefehl gesuchte Honecker 1992 nach Berlin ausgeliefert wurde, siedelte seine Frau nach Chile über. Honecker folgte ihr nach seiner Haftentlassung im Januar 1993.
Chile bot sich als Exilland an. Die DDR hatte sich nach dem Sturz der chilenischen Volksfront-Regierung (Unitad Popular) im Jahre 1973 mit großem Propagandaaufwand an die Spitze der Länder gestellt, die entschieden Front gegen Augusto Pinochet machten. Annähernd 5000 Chilenen, die von der Militärdiktatur verfolgt wurden, fanden Schutz in Honeckers Staat. Die Tochter von Margot und Erich Honecker war mit einem Chilenen verheiratet.
Seit ihrer Ausreise nach Chile hat sich Margot Honecker kaum öffentlich geäußert. Warum bricht sie jetzt ihr Schweigen? Margot Honecker selbst beantwortet diese Frage so: "Es ist unser Anliegen, einen bescheidenen Beitrag dazu zu leisten, historische Wahrheiten gerade jetzt in Erinnerung zu rufen." Vorab bemerkt: Die "Wahrheiten", die sie verkündet, sind oft nur Stereotype aus der Zeit des "Klassenkampfes". Der Mann, dessen Fragen sie beantwortet, ist der frühere chilenische KP-Chef Luis Corvalán. Er beschreibt Margot Honecker als eine Frau, "die nur das Nötigste sagt und manchmal gar nichts oder nur mit ihren himmelblauen, lebhaften Augen und einer leichten Kopfbewegung ihre Zustimmung oder Ablehnung verrät".
Corvalán ist weit davon entfernt, ein kritischer Gesprächspartner zu sein. Er hinterfragt nichts, sondern agiert nur als Stichwortgeber. Dialoge folgender Preisklasse durchziehen das Buch wie ein roter Faden: "Luis Corvalán: Der Staat gewährte den Genossenschaften von Anfang an Hilfe? - Margot Honecker: Ja, Landmaschinen wurden an die LPG zu Vorzugspreisen verkauft. Heute würde man in meiner Heimat wohl ,Schnäppchenpreise' sagen. - Luis Corvalán: Die Leute lebten, wie auch ich weiß, ganz gut in der DDR. - Margot Honecker: Den Bauern ging es nicht schlecht. Sie arbeiteten auch hart . . . Jedenfalls waren die Bauern an den sozialen Errungenschaften der DDR beteiligt."
In dem Buch geht es vor allem um die Anfangsjahre der DDR, um den Mauerbau von 1961, um die Volksbildung und um das Jahr 1989. Neue Einsichten gewährt Margot Honecker dem Leser nicht, und für den Historiker ist das Interview wertlos. Es gibt allenfalls Einblicke in die Gedankenwelt einer einst mächtigen Frau, die sich nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes enttäuscht und frustriert zurückgezogen hat. Für sie war es "bitter, daß die DDR verschwand".
Margot Honecker wurde oft als eine "Unbelehrbare" beschrieben. Vor allem ihre Antworten zum Thema "Spaltung und Mauer" machen es schwer, solchen Einschätzungen zu widersprechen. Sie beklagt: "Heute wird die Grenze, die den Frieden sichern half, nur als eine Mauer gegen diejenigen ausgegeben, die die DDR illegal verlassen wollten. Die historische Wahrheit ihrer Vorgeschichte wird unterschlagen." Tatsache ist, daß Ulbricht und Honecker mit dem Bau der Mauer die Existenz der DDR sicherten. Ohne striktes Grenzregime wäre das Land innerhalb kurzer Zeit ausgeblutet. Doch aus der Unfähigkeit eines Staates, seine Bürger zu halten, die Berechtigung abzuleiten, auf die Bürger schießen zu dürfen, ist pervers. Margot Honecker verliert in ihrem Buch kein Wort des Bedauerns für die Opfer. Für sie war die DDR "selbst in ihrer schlechten Zeit der bessere, menschlichere und somit auch demokratischere Teil Deutschlands".
Respekt muß man Margot Honecker in einer Frage zollen. Sie plaudert nicht aus "den Hinterzimmern der Chefetagen" und behält - aller Verbitterung zum Trotz - ihr Insiderwissen über ehemalige Freunde und Gesprächspartner aus Ost und West für sich. Allerdings nimmt diese vornehme Zurückhaltung dem Buch seine letzte Chance, unterhaltend oder gar spannend zu sein.
THOMAS KUNZE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein wertloses Interview mit Margot Honecker über die DDR
Luis Corvalán: Gespräche mit Margot Honecker über das andere Deutschland. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 220 Seiten, 29,90 Mark.
Die "Conversaciones con Margot Honecker", im vorigen Jahr in Santiago de Chile erschienen, liegen nun in deutscher Übersetzung vor. Margot Feist wurde 1948 Sekretärin im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Vorsitzende der Pionierorganisation der späteren DDR. 1950 zog sie als jüngste Abgeordnete in die Volkskammer ein. 1953 heiratete sie den 16 Jahre älteren Erich Honecker. Bald darauf machte sie - von Haus aus kaufmännische Angestellte und Telefonistin - Karriere im Bildungswesen. 1958 wurde sie stellvertretende Volksbildungsministerin, und 1963 nahm sie schließlich den Chefsessel ein. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das Volksbildungsministerium zur letzten Hochburg des Spätstalinismus in der DDR. Im November 1989, einen Monat nach dem Sturz ihres Mannes, mußte sie zurücktreten.
Margot Honecker verfügte über Durchsetzungskraft, Intelligenz und den unbedingten Willen zur Macht. Jürgen Kuczynski, der Altvater der DDR-Geschichtswissenschaft, beschrieb sie kurz und prägnant: "Sie war klüger als er, aber ein Biest." In ihrer Funktion als gefürchtete Aufseherin über das DDR-Bildungswesen ging sie auf. Margot Honecker wollte immer "Genossin Minister", nie aber "First Lady" sein. Ihren Mann begleitete sie auf seinen Reisen kaum.
Das änderte sich nach 1989. Margot und Erich Honecker zogen, von Volkshaß getrieben, mehr oder weniger obdachlos umher. Zunächst wohnten sie bei einem evangelischen Pfarrer, dann fanden sie Unterschlupf in einem russischen Militärhospital und schließlich Aufnahme in der Sowjetunion. Als der mit deutschem Haftbefehl gesuchte Honecker 1992 nach Berlin ausgeliefert wurde, siedelte seine Frau nach Chile über. Honecker folgte ihr nach seiner Haftentlassung im Januar 1993.
Chile bot sich als Exilland an. Die DDR hatte sich nach dem Sturz der chilenischen Volksfront-Regierung (Unitad Popular) im Jahre 1973 mit großem Propagandaaufwand an die Spitze der Länder gestellt, die entschieden Front gegen Augusto Pinochet machten. Annähernd 5000 Chilenen, die von der Militärdiktatur verfolgt wurden, fanden Schutz in Honeckers Staat. Die Tochter von Margot und Erich Honecker war mit einem Chilenen verheiratet.
Seit ihrer Ausreise nach Chile hat sich Margot Honecker kaum öffentlich geäußert. Warum bricht sie jetzt ihr Schweigen? Margot Honecker selbst beantwortet diese Frage so: "Es ist unser Anliegen, einen bescheidenen Beitrag dazu zu leisten, historische Wahrheiten gerade jetzt in Erinnerung zu rufen." Vorab bemerkt: Die "Wahrheiten", die sie verkündet, sind oft nur Stereotype aus der Zeit des "Klassenkampfes". Der Mann, dessen Fragen sie beantwortet, ist der frühere chilenische KP-Chef Luis Corvalán. Er beschreibt Margot Honecker als eine Frau, "die nur das Nötigste sagt und manchmal gar nichts oder nur mit ihren himmelblauen, lebhaften Augen und einer leichten Kopfbewegung ihre Zustimmung oder Ablehnung verrät".
Corvalán ist weit davon entfernt, ein kritischer Gesprächspartner zu sein. Er hinterfragt nichts, sondern agiert nur als Stichwortgeber. Dialoge folgender Preisklasse durchziehen das Buch wie ein roter Faden: "Luis Corvalán: Der Staat gewährte den Genossenschaften von Anfang an Hilfe? - Margot Honecker: Ja, Landmaschinen wurden an die LPG zu Vorzugspreisen verkauft. Heute würde man in meiner Heimat wohl ,Schnäppchenpreise' sagen. - Luis Corvalán: Die Leute lebten, wie auch ich weiß, ganz gut in der DDR. - Margot Honecker: Den Bauern ging es nicht schlecht. Sie arbeiteten auch hart . . . Jedenfalls waren die Bauern an den sozialen Errungenschaften der DDR beteiligt."
In dem Buch geht es vor allem um die Anfangsjahre der DDR, um den Mauerbau von 1961, um die Volksbildung und um das Jahr 1989. Neue Einsichten gewährt Margot Honecker dem Leser nicht, und für den Historiker ist das Interview wertlos. Es gibt allenfalls Einblicke in die Gedankenwelt einer einst mächtigen Frau, die sich nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes enttäuscht und frustriert zurückgezogen hat. Für sie war es "bitter, daß die DDR verschwand".
Margot Honecker wurde oft als eine "Unbelehrbare" beschrieben. Vor allem ihre Antworten zum Thema "Spaltung und Mauer" machen es schwer, solchen Einschätzungen zu widersprechen. Sie beklagt: "Heute wird die Grenze, die den Frieden sichern half, nur als eine Mauer gegen diejenigen ausgegeben, die die DDR illegal verlassen wollten. Die historische Wahrheit ihrer Vorgeschichte wird unterschlagen." Tatsache ist, daß Ulbricht und Honecker mit dem Bau der Mauer die Existenz der DDR sicherten. Ohne striktes Grenzregime wäre das Land innerhalb kurzer Zeit ausgeblutet. Doch aus der Unfähigkeit eines Staates, seine Bürger zu halten, die Berechtigung abzuleiten, auf die Bürger schießen zu dürfen, ist pervers. Margot Honecker verliert in ihrem Buch kein Wort des Bedauerns für die Opfer. Für sie war die DDR "selbst in ihrer schlechten Zeit der bessere, menschlichere und somit auch demokratischere Teil Deutschlands".
Respekt muß man Margot Honecker in einer Frage zollen. Sie plaudert nicht aus "den Hinterzimmern der Chefetagen" und behält - aller Verbitterung zum Trotz - ihr Insiderwissen über ehemalige Freunde und Gesprächspartner aus Ost und West für sich. Allerdings nimmt diese vornehme Zurückhaltung dem Buch seine letzte Chance, unterhaltend oder gar spannend zu sein.
THOMAS KUNZE
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Thomas Kunze kann dem Buch mit Gesprächen zwischen dem ehemaligen KP-Chef Chiles und Margot Honecker absolut nichts abgewinnen. Corvaláns Rolle sei die eines Stichwortgebers. Kritische Fragen stelle er nicht. Aber auch mit den Antworten Margot Honeckers ist Kunze nicht zufrieden. Denn sie bietet zu seiner Enttäuschung keinerlei "neue Einsichten" und ihre Ausführungen sind, wie er bissig anmerkt, für Historiker "wertlos". Wenn er ihr auch hoch anrechnet, dass sie in ihren Antworten diskret bleibt und nicht mit Einblicken in die "Chefetagen" auftrumpft, hat das Buch damit allerdings seine "letzte Chance vertan, unterhaltend oder gar spannend zu sein".
© Perlentaucher Medien GmbH
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