Neben seinen großen Romanen erkundet Christoph Ransmayr in einer losen Reihe von in Leinen gebundenen Bändchen »Spielformen des Erzählens«.
In den 'Geständnissen eines Touristen' hat Christoph Ransmayr Gespräche, die im Interesse von Journalen wie »Der Spiegel«, »Neue Zürcher Zeitung«, »New York-« und »London Times«, »Corriere della Sera« oder »Le Monde« geführt wurden, in ein fiktives Verhör verwandelt, in dem nach Geschichte und Abenteuer, Politik, Literatur, Kritik, auch dem Verschwinden gefragt wird. Und stets antwortet ein Autor, der nicht als Schriftsteller oder Dichter sprechen will, sondern lieber als Durchreisender, ja als gelassener, zorniger - oder ratloser Tourist.
»Wer fragt, will Geschichten hören. Wer antwortet, erzählt. Erzählen erfordert Vorstellungskraft, Mitgefühl, fordert das auch von Lesern und Zuhörern - und Rohheit, politische oder religiöse Dummheit, Dogmatismus sind zum Teil ja auch ein ungeheurer Mangel an Vorstellungskraft.«
Die 'Geständnisse eines Touristen' setzen die Reihe der »Spielformen des Erzählens« fort, in der »Eine Bühne am Meer«, »Tirade«, »Verhör« und »Schauspiel einer Heimkehr«, »Bildergeschichte«, »Duett« und »Ansprachen« Varianten einer ebenso vergnüglichen wie vielschichtigen Prosa entwerfen.
In den 'Geständnissen eines Touristen' hat Christoph Ransmayr Gespräche, die im Interesse von Journalen wie »Der Spiegel«, »Neue Zürcher Zeitung«, »New York-« und »London Times«, »Corriere della Sera« oder »Le Monde« geführt wurden, in ein fiktives Verhör verwandelt, in dem nach Geschichte und Abenteuer, Politik, Literatur, Kritik, auch dem Verschwinden gefragt wird. Und stets antwortet ein Autor, der nicht als Schriftsteller oder Dichter sprechen will, sondern lieber als Durchreisender, ja als gelassener, zorniger - oder ratloser Tourist.
»Wer fragt, will Geschichten hören. Wer antwortet, erzählt. Erzählen erfordert Vorstellungskraft, Mitgefühl, fordert das auch von Lesern und Zuhörern - und Rohheit, politische oder religiöse Dummheit, Dogmatismus sind zum Teil ja auch ein ungeheurer Mangel an Vorstellungskraft.«
Die 'Geständnisse eines Touristen' setzen die Reihe der »Spielformen des Erzählens« fort, in der »Eine Bühne am Meer«, »Tirade«, »Verhör« und »Schauspiel einer Heimkehr«, »Bildergeschichte«, »Duett« und »Ansprachen« Varianten einer ebenso vergnüglichen wie vielschichtigen Prosa entwerfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2006Über alle Berge
Christoph Ransmayr schreibt nach elf Jahren wieder einen Roman
Im Wiener Volksgarten biegen Studenten auf dem Rasen die Beine in die Luft, ein Hund spielt Fußball, und eine Greisin fragt, ob auf der Bank noch Platz für sie sei. "Sehen Sie die Vorhänge?" fragt sie und deutet auf die Fenster der Hofburg, in der, das sagt sie, heute auch ganz normale Bürger wohnen. "Die stammen noch aus der Kaiserzeit." Doch alle Fenster sind vorhanglos. Ein belangloser Einwand: "Ja, im Sommer nehmen sie die immer ab."
Dann geht sie davon, "den Ransmayr, den kenn' ich, den kenn' ich", hatte sie auf meine Frage noch gesagt, weil sie sie alle kenne, die Wiener Dichter. Ja.
Ein Wiener Dichter? Ransmayr wurde 1954 in Wels in Oberösterreich geboren, lebt jetzt lange schon in einem abgeschiedenen Haus an der Küste Irlands und ist die meiste Zeit des Jahres auf Reisen, wandernd unterwegs in der Welt. Brasilien, Tibet, Bayerischer Wald, irische Berge. Heute ist er in Wien. Heute ist er im Café "Griensteidl", auf der anderen Seite der Hofburg. Und jetzt kommt er auch schon, pünktlich auf die Sekunde und groß, viel größer, als ich gedacht hatte, schmal, mit wehendem Haar und Jeans und Polohemd. Hier, im alten "Griensteidl", hatte einst, am Vorabend des Abrisses des Hauses, beim großen Untergangsfest des Lokals 1897, der Dichter Felix Salten den jungen Karl Kraus geohrfeigt, weil er die Dichtergruppe Jung-Wien, die sich immer hier getroffen hatte, kurz zuvor in seinem Aufsatz über die "Demolirte Literatur" verspottet hatte.
Amok gegen die Kritiker
Erst seit 1990 gibt es wieder ein "Griensteidl" an dieser Stelle. Heute ist es hier friedlich. Christoph Ransmayr hatte vor einiger Zeit in einem veröffentlichten Selbstgespräch bekannt, wie er sich "vor Amokphantasien und anderen rabiaten Anwandlungen", die er für hämische Kritiker seiner Werke hege, bewahre. Seine Großmutter hatte ihm einst einen sogenannten "Zwergenkalender" hinterlassen, ein blaues Buch, das in der Kapuzinergruft verkauft wird und in dem "Könige, Kanzler, Feldherren und Krieger" auf Würstchengröße geschrumpft worden seien. Und in diesen Würstchenkalender schreibe er die Namen seiner Peiniger einfach hinein und schrumpfe sie somit zu Zwergen- und Spottgröße ein. Es hilft aber nicht immer. Seitenweise führt er das gedruckte Selbstgespräch gegen einige besonders bösartige Kritiker, und auch von Journalisten, die sich nach Vollendung eines Buches mit ihm über dieses Buch unterhalten wollen, hält er, wie man dort lesen kann, nicht eben viel.
Jetzt lacht er, wenn man ihn darauf anspricht. Nein, nein, er rede sehr gerne über sein Buch. Sein neues Buch, "Der fliegende Berg", es ist sein erster Roman seit elf Jahren. Ransmayr schreibt langsam, sehr langsam. Sein großer Erfolgsroman, "Die letzte Welt", der ihn weltbekannt machte und der inzwischen in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurde, ist vor achtzehn Jahren erschienen. Die Geschichte der Verbannung Ovids, weit, weit hinaus vor die Tore Roms, in die Eisenstadt, in die letzte Einsamkeit hinein. Und dann, 1995, das Schreckensbuch "Morbus Kitahara", das ein entindustrialisiertes Agrardeutschland nach Inkraftsetzen des Morgenthau-Planes ausmalte. Ransmayr ist der Dichter der letzten Einsamkeiten. War es von Beginn an, als er 1984 "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" veröffentlichte. Jene phantastische, halbdokumentarische Nachdichtung einer österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition aus dem Jahr 1872, die ein hoffnungsvoller Held der Gegenwart nachzuvollziehen versucht. Reinhold Messner hatte ihm damals geschrieben, er sei froh, einen so großen und erfahrenen Nordlandwanderer einmal kennenzulernen, vielleicht könne man ja einmal gemeinsam durchs Eis gehen. Doch Ransmayr mußte bekennen: Er war nie dort. Seine Schreibgrundlage waren nur alte Tagebücher und Phantasie.
Erzählen gegen den Tod
Es wurde dann aber trotzdem eine Freundschaft daraus. Oft sind sie gemeinsam gewandert. Und Ransmayr erzählt, wie beide zusammen vor einigen Jahren weite Teile der Tour mit einer organisierten Eisbrecherfahrt dann doch noch unternommen haben. Ransmayr las für die Passagiere des Schiffes aus dem Buch. Dafür durften die beiden dann das Schiff auch für ausgedehnte Ausflüge auf das Eis verlassen, was den anderen Passagieren wegen akuter Eisbärengefahr streng untersagt war. Und er erzählt von dem Glück, im gänzlich Unberührten, Unbegrenzten zu gehen, und vom Dilemma, all dies für sich erleben zu wollen und doch zu wissen, daß man selbst auf seinem Eisbrecher nur der erste Bote menschlicher Aneignung dieser letzten, unberührten Orte und somit schließlich ihrer Zerstörung ist.
Auch im neuen Roman geht es um nie betretene Orte. Um einen letzten weißen Fleck in einer komplett kartographierten Welt. Die Bergwelt Osttibets, die Ransmayr mehrmals mit Messner durchwandert hat. Es ist ein Traumbuch aus dem ewigen Schnee, aus den Bergen, aus einer Höhe, die niemand vorher sah. Ein Buch wie eine Schneelandschaft, in der man sich verlieren kann. Und immer wieder von vorne beginnen. Es geht auf Berge hinauf, die fliegen können, geht die unwahrscheinlichsten Berge hinauf, man kann sie nicht sehen, nur ganz, ganz selten, in ewig sternenklarer Nacht, sie wurden vergessen, nie vermessen. Und jetzt steigen zwei irische Brüder hinauf. Immer höher hinauf. Der eine wird sterben auf dieser unwahrscheinlichsten Expedition. Der andere kehrt zurück. Aber er weiß nicht mehr und wird nie wissen, ob er auf dem Gipfel gewesen ist. Es geht um Supernovä, um verglühende Sonnen, den Blick in die Sterne, die Berechnung des Unberechenbaren und ewiges Heimweh. Es geht um Untergangsverzauberung und den Willen zum Zurück, es ist ein Schneetraum wie in Thomas Manns "Zauberberg", da ist ein Held, der sein Leben beendet sah in Delirien im ewigen Eis und zum Willen findet, "dem Tod keine Herrschaft einzuräumen über seine Gedanken".
Es ist ein Roman, aber er ist in Versform gesetzt, in Flattersatz:
"Ich starb
6840 Meter über dem Meeresspiegel
am vierten Mai im Jahr des Pferdes."
So fängt es an. Und wenn diese Form am Anfang albern und mächtig maniriert erscheint, so weiß man schon nach drei, vier Seiten, warum Ransmayr diese antikisierende Form gewählt hat, warum es geradezu die notwendige Form dieses Buches ist. Sie gibt den Rhythmus vor, den klaren, singenden Rhythmus, in dem das ganze Buch gedacht, gedichtet, geschrieben wurde. Ransmayr sagt, das sei doch die einfachste, die ursprünglichste Form, im Grunde die Form eines Einkaufszettels, praktisch, sachlich und knapp. Es ist die Form seines mündlichen Vortrags. Er trägt seine Bücher so lange einem vertrauten Kleinstpublikum vor, bis er weiß, die Geschichte hat die richtige Form, der Satz hat die richtige Form. Unendlich oft wird so ein Satz dann am Computer umgearbeitet. Die verworfenen Versionen verschwinden alle für immer.
Von einem "hohen Ton" in seinen Büchern haben Kritiker oft gesprochen. "Ach, ich weiß gar nicht, was das ist, ein hoher Ton." Natürlich weiß er es. Denn er kennt ja auch all die anderen Töne, die sich in diesem neuen Buch so erfreulich oft finden, viel öfter als in den frühen Büchern. Das derbe Schimpfen auf die Natur, den vorangehenden Bruder, der den unwillig Hinterherstapfenden in dieses weiße Unglück zerrte, den Spott des Nomadenvolkes, das die beiden Iren an den Fuß jenes geheimnisvollen Berges führte und den Aufstieg der beiden ins Unsichtbare und ewig Unerreichbare mit Hohn und freundlichem Gelächter begleitete.
Hohn, Spott und Wut und Liebe. Es ist vor allem auch ein Liebesbuch, das Ransmayr hier, so ungeschützt und klar wie nie zuvor, geschrieben hat. Die Liebe des Ich-Erzählers zu Nyema, der starken Frau aus den Bergen. Natürlich stirbt der Ich-Erzähler nicht. Er wurde ins Leben zurückerzählt: "Nyema . . . Es war Nyema, die gesagt hat, / daß mein Bruder mich im Windschatten / meiner letzten Zuflucht wohl aus dem Tod / ins Leben zurückerzählte, / indem er mit seiner Litanei von Namen / eine gemeinsame Erinnerung beschwor, / so unauslöschlich, / daß sie die Vergangenheit in Gegenwart verwandeln / und mich selbst aus einer Ferne zurückrufen konnte, / in der ich schon verschwunden war."
Liebe gegen die Ödnis
Der Apokalyptiker, der immer schon die letzten Menschen in diesen Einsamkeitswelten liebevoll und lebensanhänglich geschildert hatte, läßt seinen Helden jetzt ein Glück finden, eine Art Glück. Das ist die Grundkonstante in Ransmayrs Werk: Daß der Normalzustand der Welt, des Universums die Ödnis und die Menschenleere sei. Doch "eine lohnenswerte Frage könnte doch immerhin sein, wie man mit diesem Bewußtsein leben und gleichzeitig so etwas wie Freude, auch Begeisterung empfinden kann".
Ransmayr hat diese Frage mit seinem neuen Buch beantwortet. Jetzt, in der Herbstsonne vor dem Café "Griensteidl", deutet er es nur an. Spricht von Abschieden und Trennungen in den letzten Jahren, die ihm das Schreiben großer Texte lange Zeit unmöglich machten. Und daß er in diesem Jahr geheiratet habe, ein silberner Ring leuchtet, wie zum Beweis, an seiner Hand. Und daß er jetzt ganz nach Wien ziehe, daß die irische Einsamkeit ein Ende habe. "Die Reisen aber, die Wanderungen, die gehen natürlich weiter, von hier, von diesem neuen Zentrum aus."
Dann könnte er doch hier gleich in die Hofburg ziehen, die jetzt im späten Sonnenlicht rot leuchtet. Die Greisin sagt, das sei möglich. Ransmayr lacht. Wer wolle da wohl wohnen, in diesem Steinkoloß? Obwohl, sagt er und schaut nach oben, so einer dieser Türme, schön ausgebaut mit Dachterrasse, das könne ihm schon gefallen.
VOLKER WEIDERMANN
Christoph Ransmayr: "Der fliegende Berg". S. Fischer 2006. 360 Seiten, 19,90 Euro.
"Geständnisse eines Touristen - Ein Verhör". S. Fischer 2004. 137 Seiten, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christoph Ransmayr schreibt nach elf Jahren wieder einen Roman
Im Wiener Volksgarten biegen Studenten auf dem Rasen die Beine in die Luft, ein Hund spielt Fußball, und eine Greisin fragt, ob auf der Bank noch Platz für sie sei. "Sehen Sie die Vorhänge?" fragt sie und deutet auf die Fenster der Hofburg, in der, das sagt sie, heute auch ganz normale Bürger wohnen. "Die stammen noch aus der Kaiserzeit." Doch alle Fenster sind vorhanglos. Ein belangloser Einwand: "Ja, im Sommer nehmen sie die immer ab."
Dann geht sie davon, "den Ransmayr, den kenn' ich, den kenn' ich", hatte sie auf meine Frage noch gesagt, weil sie sie alle kenne, die Wiener Dichter. Ja.
Ein Wiener Dichter? Ransmayr wurde 1954 in Wels in Oberösterreich geboren, lebt jetzt lange schon in einem abgeschiedenen Haus an der Küste Irlands und ist die meiste Zeit des Jahres auf Reisen, wandernd unterwegs in der Welt. Brasilien, Tibet, Bayerischer Wald, irische Berge. Heute ist er in Wien. Heute ist er im Café "Griensteidl", auf der anderen Seite der Hofburg. Und jetzt kommt er auch schon, pünktlich auf die Sekunde und groß, viel größer, als ich gedacht hatte, schmal, mit wehendem Haar und Jeans und Polohemd. Hier, im alten "Griensteidl", hatte einst, am Vorabend des Abrisses des Hauses, beim großen Untergangsfest des Lokals 1897, der Dichter Felix Salten den jungen Karl Kraus geohrfeigt, weil er die Dichtergruppe Jung-Wien, die sich immer hier getroffen hatte, kurz zuvor in seinem Aufsatz über die "Demolirte Literatur" verspottet hatte.
Amok gegen die Kritiker
Erst seit 1990 gibt es wieder ein "Griensteidl" an dieser Stelle. Heute ist es hier friedlich. Christoph Ransmayr hatte vor einiger Zeit in einem veröffentlichten Selbstgespräch bekannt, wie er sich "vor Amokphantasien und anderen rabiaten Anwandlungen", die er für hämische Kritiker seiner Werke hege, bewahre. Seine Großmutter hatte ihm einst einen sogenannten "Zwergenkalender" hinterlassen, ein blaues Buch, das in der Kapuzinergruft verkauft wird und in dem "Könige, Kanzler, Feldherren und Krieger" auf Würstchengröße geschrumpft worden seien. Und in diesen Würstchenkalender schreibe er die Namen seiner Peiniger einfach hinein und schrumpfe sie somit zu Zwergen- und Spottgröße ein. Es hilft aber nicht immer. Seitenweise führt er das gedruckte Selbstgespräch gegen einige besonders bösartige Kritiker, und auch von Journalisten, die sich nach Vollendung eines Buches mit ihm über dieses Buch unterhalten wollen, hält er, wie man dort lesen kann, nicht eben viel.
Jetzt lacht er, wenn man ihn darauf anspricht. Nein, nein, er rede sehr gerne über sein Buch. Sein neues Buch, "Der fliegende Berg", es ist sein erster Roman seit elf Jahren. Ransmayr schreibt langsam, sehr langsam. Sein großer Erfolgsroman, "Die letzte Welt", der ihn weltbekannt machte und der inzwischen in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurde, ist vor achtzehn Jahren erschienen. Die Geschichte der Verbannung Ovids, weit, weit hinaus vor die Tore Roms, in die Eisenstadt, in die letzte Einsamkeit hinein. Und dann, 1995, das Schreckensbuch "Morbus Kitahara", das ein entindustrialisiertes Agrardeutschland nach Inkraftsetzen des Morgenthau-Planes ausmalte. Ransmayr ist der Dichter der letzten Einsamkeiten. War es von Beginn an, als er 1984 "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" veröffentlichte. Jene phantastische, halbdokumentarische Nachdichtung einer österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition aus dem Jahr 1872, die ein hoffnungsvoller Held der Gegenwart nachzuvollziehen versucht. Reinhold Messner hatte ihm damals geschrieben, er sei froh, einen so großen und erfahrenen Nordlandwanderer einmal kennenzulernen, vielleicht könne man ja einmal gemeinsam durchs Eis gehen. Doch Ransmayr mußte bekennen: Er war nie dort. Seine Schreibgrundlage waren nur alte Tagebücher und Phantasie.
Erzählen gegen den Tod
Es wurde dann aber trotzdem eine Freundschaft daraus. Oft sind sie gemeinsam gewandert. Und Ransmayr erzählt, wie beide zusammen vor einigen Jahren weite Teile der Tour mit einer organisierten Eisbrecherfahrt dann doch noch unternommen haben. Ransmayr las für die Passagiere des Schiffes aus dem Buch. Dafür durften die beiden dann das Schiff auch für ausgedehnte Ausflüge auf das Eis verlassen, was den anderen Passagieren wegen akuter Eisbärengefahr streng untersagt war. Und er erzählt von dem Glück, im gänzlich Unberührten, Unbegrenzten zu gehen, und vom Dilemma, all dies für sich erleben zu wollen und doch zu wissen, daß man selbst auf seinem Eisbrecher nur der erste Bote menschlicher Aneignung dieser letzten, unberührten Orte und somit schließlich ihrer Zerstörung ist.
Auch im neuen Roman geht es um nie betretene Orte. Um einen letzten weißen Fleck in einer komplett kartographierten Welt. Die Bergwelt Osttibets, die Ransmayr mehrmals mit Messner durchwandert hat. Es ist ein Traumbuch aus dem ewigen Schnee, aus den Bergen, aus einer Höhe, die niemand vorher sah. Ein Buch wie eine Schneelandschaft, in der man sich verlieren kann. Und immer wieder von vorne beginnen. Es geht auf Berge hinauf, die fliegen können, geht die unwahrscheinlichsten Berge hinauf, man kann sie nicht sehen, nur ganz, ganz selten, in ewig sternenklarer Nacht, sie wurden vergessen, nie vermessen. Und jetzt steigen zwei irische Brüder hinauf. Immer höher hinauf. Der eine wird sterben auf dieser unwahrscheinlichsten Expedition. Der andere kehrt zurück. Aber er weiß nicht mehr und wird nie wissen, ob er auf dem Gipfel gewesen ist. Es geht um Supernovä, um verglühende Sonnen, den Blick in die Sterne, die Berechnung des Unberechenbaren und ewiges Heimweh. Es geht um Untergangsverzauberung und den Willen zum Zurück, es ist ein Schneetraum wie in Thomas Manns "Zauberberg", da ist ein Held, der sein Leben beendet sah in Delirien im ewigen Eis und zum Willen findet, "dem Tod keine Herrschaft einzuräumen über seine Gedanken".
Es ist ein Roman, aber er ist in Versform gesetzt, in Flattersatz:
"Ich starb
6840 Meter über dem Meeresspiegel
am vierten Mai im Jahr des Pferdes."
So fängt es an. Und wenn diese Form am Anfang albern und mächtig maniriert erscheint, so weiß man schon nach drei, vier Seiten, warum Ransmayr diese antikisierende Form gewählt hat, warum es geradezu die notwendige Form dieses Buches ist. Sie gibt den Rhythmus vor, den klaren, singenden Rhythmus, in dem das ganze Buch gedacht, gedichtet, geschrieben wurde. Ransmayr sagt, das sei doch die einfachste, die ursprünglichste Form, im Grunde die Form eines Einkaufszettels, praktisch, sachlich und knapp. Es ist die Form seines mündlichen Vortrags. Er trägt seine Bücher so lange einem vertrauten Kleinstpublikum vor, bis er weiß, die Geschichte hat die richtige Form, der Satz hat die richtige Form. Unendlich oft wird so ein Satz dann am Computer umgearbeitet. Die verworfenen Versionen verschwinden alle für immer.
Von einem "hohen Ton" in seinen Büchern haben Kritiker oft gesprochen. "Ach, ich weiß gar nicht, was das ist, ein hoher Ton." Natürlich weiß er es. Denn er kennt ja auch all die anderen Töne, die sich in diesem neuen Buch so erfreulich oft finden, viel öfter als in den frühen Büchern. Das derbe Schimpfen auf die Natur, den vorangehenden Bruder, der den unwillig Hinterherstapfenden in dieses weiße Unglück zerrte, den Spott des Nomadenvolkes, das die beiden Iren an den Fuß jenes geheimnisvollen Berges führte und den Aufstieg der beiden ins Unsichtbare und ewig Unerreichbare mit Hohn und freundlichem Gelächter begleitete.
Hohn, Spott und Wut und Liebe. Es ist vor allem auch ein Liebesbuch, das Ransmayr hier, so ungeschützt und klar wie nie zuvor, geschrieben hat. Die Liebe des Ich-Erzählers zu Nyema, der starken Frau aus den Bergen. Natürlich stirbt der Ich-Erzähler nicht. Er wurde ins Leben zurückerzählt: "Nyema . . . Es war Nyema, die gesagt hat, / daß mein Bruder mich im Windschatten / meiner letzten Zuflucht wohl aus dem Tod / ins Leben zurückerzählte, / indem er mit seiner Litanei von Namen / eine gemeinsame Erinnerung beschwor, / so unauslöschlich, / daß sie die Vergangenheit in Gegenwart verwandeln / und mich selbst aus einer Ferne zurückrufen konnte, / in der ich schon verschwunden war."
Liebe gegen die Ödnis
Der Apokalyptiker, der immer schon die letzten Menschen in diesen Einsamkeitswelten liebevoll und lebensanhänglich geschildert hatte, läßt seinen Helden jetzt ein Glück finden, eine Art Glück. Das ist die Grundkonstante in Ransmayrs Werk: Daß der Normalzustand der Welt, des Universums die Ödnis und die Menschenleere sei. Doch "eine lohnenswerte Frage könnte doch immerhin sein, wie man mit diesem Bewußtsein leben und gleichzeitig so etwas wie Freude, auch Begeisterung empfinden kann".
Ransmayr hat diese Frage mit seinem neuen Buch beantwortet. Jetzt, in der Herbstsonne vor dem Café "Griensteidl", deutet er es nur an. Spricht von Abschieden und Trennungen in den letzten Jahren, die ihm das Schreiben großer Texte lange Zeit unmöglich machten. Und daß er in diesem Jahr geheiratet habe, ein silberner Ring leuchtet, wie zum Beweis, an seiner Hand. Und daß er jetzt ganz nach Wien ziehe, daß die irische Einsamkeit ein Ende habe. "Die Reisen aber, die Wanderungen, die gehen natürlich weiter, von hier, von diesem neuen Zentrum aus."
Dann könnte er doch hier gleich in die Hofburg ziehen, die jetzt im späten Sonnenlicht rot leuchtet. Die Greisin sagt, das sei möglich. Ransmayr lacht. Wer wolle da wohl wohnen, in diesem Steinkoloß? Obwohl, sagt er und schaut nach oben, so einer dieser Türme, schön ausgebaut mit Dachterrasse, das könne ihm schon gefallen.
VOLKER WEIDERMANN
Christoph Ransmayr: "Der fliegende Berg". S. Fischer 2006. 360 Seiten, 19,90 Euro.
"Geständnisse eines Touristen - Ein Verhör". S. Fischer 2004. 137 Seiten, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Samuel Moser ist ein begeisterter Leser von Christoph Ransmayrs Erzählungen, deshalb weiß er: Sie spielen auf Reisen, in der Welt, doch die Welt, die der Autor darstellt, ist seine Erfindung. Fragt sich also, wie Reisen und Erzählen in Beziehung stehen, und Aufschluss darüber, wenn auch - zum Glück! - keinen nüchtern-direkten, hat der Rezensent in diesem "Selbstinterview" gefunden. "Wohin geht der Erzähler nach dem Ende seiner Geschichte? fragt Ransmayr", und seine Antwort, so Moser, "schwankt zwischen Wirklichkeit und Metapher, zwischen Gehen und Erzählen, bis schliesslich das eine zum anderen und beides ununterscheidbar wird". Der Rezensent lobt das Buch als ein ?"wunderbares Lob der Flüchtigkeit" und hat es, zusammen mit der 2003 erschienenen Redensammlung "Die Verbeugung des Riesen" als Teil eines poetischen Programms gelesen - "einer Poetik, die ganz von selbst wieder ein literarischer Text wird, der das Schreiben über das Reisen mitnimmt auf eine neue Reise". Die der Rezensent sehr gerne gemacht hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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