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Der zweite Band der Memoiren des einstigen Staatschefs der DDR führt direkt in den Inner Circle der Staatsführung und in jene Phase, die mittels Wandel durch Annäherung die friedliche Koexistenz sichern soll. Krenz richtet sein Augenmerk auf die Zeit nach der diplomatischen Anerkennung der DDR, auf die neue Ostpolitik der SPD-Regierung und das ständigen Schwankungen unterliegende Verhältnis zu Moskau. Er berichtet über offizielle Ereignisse und gibt den Blick frei auf so manchen noch immer nicht erhellten Hintergrund. Inzwischen vom Westen als »Honeckers Kronprinz« aufmerksam beäugt, ist er…mehr

Produktbeschreibung
Der zweite Band der Memoiren des einstigen Staatschefs der DDR führt direkt in den Inner Circle der Staatsführung und in jene Phase, die mittels Wandel durch Annäherung die friedliche Koexistenz sichern soll. Krenz richtet sein Augenmerk auf die Zeit nach der diplomatischen Anerkennung der DDR, auf die neue Ostpolitik der SPD-Regierung und das ständigen Schwankungen unterliegende Verhältnis zu Moskau. Er berichtet über offizielle Ereignisse und gibt den Blick frei auf so manchen noch immer nicht erhellten Hintergrund. Inzwischen vom Westen als »Honeckers Kronprinz« aufmerksam beäugt, ist er involviert in politische Entscheidungsprozesse und zugleich ein sensibler Beobachter der Akteure in Ost und West, schließlich auch der ambivalenten Entwicklungen, die Gorbatschows Perestroika in der Sowjetunion und den Bruderstaaten auslöst. Was angesichts der 89er Ereignisse hinter den Kulissen zwischen Berlin, Bonn und Moskau ablief, berichtet der Staatschef, der eine Wende einzuleiten sein Amt antrat und nach 50 Tagen demissionieren musste. Krenz berichtet faktenreich und selbstkritisch und reflektiert von heutigem Erkenntnisstand aus differenziert die Ereignisse, ohne seine Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft zu relativieren.
Autorenporträt
Egon Krenz, geboren 1937 in Kolberg (Pommern), kam 1944 nach Ribnitz-Damgarten, wo er 1953 die Schule abschloss. Von einer Schlosserlehre wechselte er an das Institut für Lehrbildung in Putbus und schloss mit dem Unterstufenlehrerdiplom ab. Seit 1953 FDJ-Mitglied, wurde er 1961 Sekretär des Zentralrates der FDJ, verantwortlich für die Arbeit des Jugendverbandes an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen. Nach dem Besuch der Parteihochschule in Moskau war er von 1964 bis 1967 Vorsitzender der Pionierorganisation und von 1974 bis 1983 der FDJ, ab 1971 Abgeordneter der Volkskammer, ab 1983 Politbüromitglied. Im Herbst 1989 wurde er in der Nachfolge Erich Honeckers zum letzten Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden der DDR. Im sogenannten »Politbüroprozess« wurde Krenz 1997 zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt und 2003 aus der Haft entlassen, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Krenz ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt »Wir und die Russen« (2019) und »Komm mir nicht mit Rechtsstaat« (mit Friedrich Wolff, 2021). Die Memoiren des einstigen Staatschefs der DDR sind auf drei Bände angelegt, setzen je einen zeitlichen Rahmen, sind jedoch nicht chronologisch und linear erzählt. Jeder Band hat absolute Eigenständigkeit. Der erste Band, »Aufbruch und Aufstieg«, erschien 2022.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Egons alternative Fakten

Die DDR, wie sie garantiert nicht war: Der Kurzzeit-Staatsratsvorsitzende des "ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden" packt alle Legenden über sich und seinen Staat zwischen zwei Buchdeckel. Das ist zuweilen unfreiwillig komisch, aber bitterernst gemeint.

Von Stefan Locke

Zu Beginn gleich mal für alle, die immer noch rätseln, warum das mecklenburgische Städtchen Güstrow beim Treffen von Bundeskanzler Helmut Schmidt und DDR-Regierungschef Erich Honecker im Dezember 1981 so hermetisch von Volkspolizei und Staatssicherheit abgeriegelt war. Es sei natürlich nicht darum gegangen, die einheimische Bevölkerung davon abzuhalten, dem Bundeskanzler zuzujubeln wie einst in Erfurt, schreibt Egon Krenz. Vielmehr habe die "Sicherungsgruppe Bonn" bei den "Sicherheitsorganen" der DDR "die höchste Sicherheitsstufe für den Bundeskanzler" gefordert, und die sei in der Bundesrepublik nun mal "wesentlich schärfer als in der DDR" gewesen. Da habe man gar nicht anders gekonnt. Allerdings habe man "die Sicherheitsmaßnahmen schlecht kommuniziert". Das ist die einzige Kritik, die Krenz dann doch an der DDR-Führung hat.

Den Vorwurf, schlecht zu kommunizieren, kann man ihm wiederum auch im zweiten Band seiner Erinnerungen nicht machen. Krenz beschreibt darin die Jahre 1974 bis 1988, in die sein Aufstieg vom FDJ-Funktionär in die oberste Führungsriege der DDR bis zum potentiellen Nachfolger Erich Honeckers fällt, flüssig, anekdotenreich und durchaus unterhaltsam. Nur sind wie schon im ersten Teil viele seiner Schilderungen kaum zu glauben. Vielmehr schafft Krenz reihenweise alternative Fakten, die einer längst gesicherten Geschichtsschreibung nicht standhalten. "Auch im Sozialismus brauchte man Mehrheiten, um etwas zu erreichen", lässt er seine Leser zum Beispiel wissen. Die SED habe die Welt vom Übel des Dopings befreien sowie "Schaden von den Sportlern der DDR abwenden" wollen. Und die Forderung "Die Mauer muss weg!" sei in der DDR-Bevölkerung "keineswegs mehrheitsfähig" gewesen.

Den Kontakt zum Volk, den er auf seinem Karriereweg in der DDR verlor, scheint Krenz bis heute nicht wiedergefunden zu haben. Stattdessen hält er an selbst gestrickten Legenden fest. So sei im Ostteil Deutschlands trotz aller Unvollkommenheit der Sozialismus verwirklicht worden, habe es weder Erniedrigung noch geistige Verelendung, sondern vielmehr Vollbeschäftigung gegeben. Dass wegen persönlicher Erniedrigung und geistiger Verelendung immer mehr Menschen das Land verließen und in den volkseigenen Betrieben Tausende ohne reale Aufgaben herumsaßen, weil es aus politischen Gründen keine Arbeitslosigkeit geben durfte, kommt ihm mutmaßlich nicht mal in den Sinn.

Darüber hinaus raunt Krenz auch in diesem Band viel. Ständig ist irgendwas Verschlusssache, immer wieder holt Erich Honecker "geheime Dokumente aus dem Panzerschrank", dazu gibt es "streng geheime Telegramme aus Moskau" und noch geheimere Dokumente "aus der US-Regierung". Für Krenz war sein Land zweifellos die größte DDR der Welt, die er im Ringen von Sozialismus und Kapitalismus als Zünglein an der Waage sah. Mehrfach beschreibt er begeistert, wie westliche Politiker angeblich Schlange standen, um die DDR zu besuchen, Honecker in ihr Land einzuladen oder sich mit ihm ablichten zu lassen. "Ein Foto mit ihm in ihren Zeitungen, ja, das war schon etwas wert im Wahlkampf, damals in der Bundesrepublik Deutschland", so der Autor. "Alle wollten mit ihm reden. Selbst die USA."

Ein Staatsbesuch in den USA war Honeckers großes Ziel, das sich allerdings nicht mehr erfüllte. Aber allein schon wie Krenz das Lechzen nach Anerkennung im Westen beschreibt, das oft bis zur Selbsterniedrigung ging, offenbart den ständigen Minderwertigkeitskomplex, der die DDR am Ende von der Führung bis zum Volk prägte. Das Problem ist: Wenn dieses kleine Land weltpolitisch eher unbedeutend war, schmälert das auch Krenz' eigene Bedeutung. Um sich dieser Bedeutung, die er sich bis heute einredet, zu versichern, zitiert er immer wieder aus der "Westpresse", die dem Volk vorenthalten, in der SED-Führung jedoch "pedantisch ausgewertet" wurde. "Die Westmedien hatten es einfacher", seufzt Krenz mehrfach unfreiwillig komisch, wenn Medien in der Bundesrepublik mal wieder neueste Entwicklungen aus Moskau veröffentlichten, noch bevor die SED überhaupt davon wusste. "Sie schickten Vermutungen in den Äther. Bei uns mussten es Tatsachen sein." Das wiederum habe "nichts mit Zensur zu tun".

Durchaus interessante Einblicke liefert das Buch in umfangreichen Passagen über Honeckers zunehmende Kritik an der Sowjetführung, die er freilich nur intern äußerte, sowie seine Hinwendung zu westdeutschen Politikern und Unternehmern wie Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Berthold Beitz oder Otto Wolff von Amerongen, die wie er alle noch ein geeintes Deutschland kannten und mit denen er in den Achtzigerjahren häufig Kontakt pflegte und in der Vergangenheit schwelgte. Höhepunkt war zweifellos der Besuch Honeckers im September 1987 in der Bundesrepublik, der ihn neben Bonn auch in seine saarländische Heimat und nach Bayern führte, wo er so staatsmännisch empfangen wurde, dass er nach der Rückkehr das Gefühl hatte, fest auf der weltpolitischen Bühne verankert zu sein.

"Das machte selbst Privatbesuche Kohls in der DDR möglich, bei denen sich der Kanzler von den ihm später so gescholtenen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit bestens betreut gefühlt hatte", schreibt Krenz völlig ironiefrei über Helmut Kohls DDR-Visite im Mai 1988. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm gesamtdeutsche Sentimentalitäten fernlagen. Die DDR sah er "fest an der Seite der Sowjetunion", mit der man es sich nicht verscherzen durfte. Umso herablassender fallen seine Urteile über Politiker aus, die diese für ihn heile Welt zum Einsturz brachten. Allen voran Michail Gorbatschow, den Krenz "für seine hohe Funktion weder politisch, moralisch noch charakterlich befähigt" nennt. Auch Hans Modrow, den SED-Bezirkschef von Dresden, sowie dessen Berliner Amtskollegen Günter Schabowski, denen Begriffe wie Reform und Selbstkritik nicht völlig fremd waren, ordnet Krenz wenig überraschend als Verräter ein.

Zwar gibt Krenz auch Fehler zu, darunter die Ausbürgerung Wolf Biermanns, das zu lange Festhalten an der alten Führungsgarde oder die ständige Verzettelung im Klein-Klein im SED-Zentralkomitee statt politischer Führungsqualität. Typisch für den Autor ist aber auch, dass er sich selbst nur sehr gering dosiert für mitverantwortlich hält. Meist waren die Umstände, der Weltenlauf sowie der Westen im Allgemeinen und die Sowjetunion im Besonderen schuld daran, dass es mit der DDR auf Dauer nichts werden konnte.

Häufig verwickelt er sich auch in Widersprüche. Als etwa 1988 die Bürgerrechtler Bärbel Bohley und Ulrike Poppe verhaftet wurden, behauptet Krenz, dass das Politbüro davon nichts gewusst und Eingriffe in die Justiz "immer vermieden" habe, schildert jedoch dann, dass er mit Honeckers Hilfe ihre Freilassung erreichte. Dass die SED Bohley und andere kurz darauf aus dem Land warf, beschönigt er gar "als Vermittlung eines befristeten Auslandsaufenthalts zur Vermeidung von Strafverfahren". Alles in allem geht es dem inzwischen fast 87 Jahre alten einstigen Funktionär erkennbar darum, die DDR zu verteidigen und sein Leben und Wirken in ihr vor der Geschichte zu rechtfertigen.

Man muss sich keine Illusionen machen, dass es genügend Menschen gibt, die diesen Märchen nur zu gern glauben wollen und werden. Das wiederum kommt nicht von ungefähr. Krenz' Aufstieg zum Bestsellerautor im wiedervereinigten Deutschland hat nicht nur mit Nostalgie und einer schwiemeligen Faszination für Einblicke in die Zirkel der Mächtigen zu tun, sondern auch damit, dass die DDR seit 1990 öffentlich wahrnehmbar fast nur aus westdeutscher Perspektive beschrieben und beurteilt worden ist - mit viel Unwissen, Klischees und Vorurteilen. Das wiederum bereitet einer relativ großen Minderheit den Nährboden für antiwestliche Ressentiments, die sich heute auch in AfD-Wählen oder der Hinwendung zu Putin spiegeln, die diesen Menschen als willkommene Rächer dienen.

Egon Krenz: "Gestaltung und Veränderung". Erinnerungen.

Verlag Edition Ost, Berlin 2023. 472 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Über weite Strecken eher amüsiert liest Rezensent Stefan Locke den zweiten Band von Egon Krenz' Erinnerungen, der sich der Zeit zwischen 1974 und 1988 widmet und damit dem Aufstieg des Autors in der politischen Führung der DDR bis hin zur potenziellen Honecker-Nachfolge. Ziemliche Märchen erzählt Krenz in seinem Buch, urteilt Locke, was die Zustände in der DDR betrifft, er imaginiert breite Unterstützung für das Regime im Volk, sieht die DDR als Anti-Doping-Vorkämpfer und bringt auch in Detailfragen einiges durcheinander, etwa wenn es um die Verhaftung der Bürgerrechtlerinnen Poppe und Bohley geht. Interessant ist das manchmal schon, gesteht der Rezensent ein, etwa wenn es um das Verhältnis der DDR zur Sowjetunion geht. Insgesamt zeichnet Krenz Locke zufolge das Bild eines Landes, dessen politische Führung unter Minderwertigkeitskomplexen litt, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass der Autor wiederholt auf seine Kontakte mit Spitzenpolitikern aus aller Welt schreibt. Leider gibt es, befürchtet Locke, genug Leute, die das alles für bare Münze nehmen werden, und Schuld daran trägt durchaus auch ein von Vorurteilen geprägter westdeutscher Blick auf die DDR.

© Perlentaucher Medien GmbH