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Gestern abend im Café entführt den Leser in die versunkene Welt des alten Prag. Der opulente Band aus der Feder des renommierten Kafka-Forschers Hartmut Binder dokumentiert auf über 600 Seiten Vergnügungsstätten der alten Kaiserstadt in der Endphase der Habsburger-Monarchie und zu Beginn der Tschechoslowakischen Republik. Vorgestellt werden Kaffeehäuser, Weinstuben, Hotels, Chantants, Kleinkunstbühnen, Theater, Kabaretts, Kinos, Nachtclubs, Tanzbars und das berühmte Théâtre Variété sowie die in diesen Lokalitäten auftretenden, heute vergessenen Künstler und Künstlerinnen, die das Publikum mit…mehr

Produktbeschreibung
Gestern abend im Café entführt den Leser in die versunkene Welt des alten Prag. Der opulente Band aus der Feder des renommierten Kafka-Forschers Hartmut Binder dokumentiert auf über 600 Seiten Vergnügungsstätten der alten Kaiserstadt in der Endphase der Habsburger-Monarchie und zu Beginn der Tschechoslowakischen Republik. Vorgestellt werden Kaffeehäuser, Weinstuben, Hotels, Chantants, Kleinkunstbühnen, Theater, Kabaretts, Kinos, Nachtclubs, Tanzbars und das berühmte Théâtre Variété sowie die in diesen Lokalitäten auftretenden, heute vergessenen Künstler und Künstlerinnen, die das Publikum mit ihren Vorführungen und ihren Reizen zu begeistern wußten. Aus Annoncen, Programmheften, Besprechungen, Berichten, Erinnerungen, Archivmaterialien und über 1000 historischen, vielfach farbigen, meist unbekannten Abbildungen ist ein Stadtporträt von exotischem Reiz entstanden, in dem die Schönen auf vergilbtem Plüsch zum Leben erwachen und so den atmosphärischen Hintergrundeines Kulturraums veranschaulichen helfen, der als Genius loci das Leben Kafkas und anderer Prager Schriftsteller bestimmte.

Was die Sternwarte von Greenwich für die Zeitmessung, das ist Binder für die Kafka-Forschung.

Stuttgarter Zeitung
Autorenporträt
Der Germanist Hartmut Binder (*1937) ist mit zahlreichen Arbeiten zur Prager deutschen Literatur hervorgetreten und gilt als besonderer Kenner von Leben und Werk Franz Kafkas. Seine Kommentarbände zu den Erzählungen und Romanen Kafkas (1976) sowie das von ihm herausgegebene zweibändige Kafka-Handbuch (1979) sind international anerkannte Standardwerke der Forschung, seine Kafkas Welt betitelte Chronik in Bildern (2008) dokumentiert minutiös alle erfaßbaren Lebensumstände des Prager Autors und seines Umfelds, während die Monographie Kafkas Verwandlung (2004) der Entstehung, Deutung und Wirkung dieser berühmten Erzählung gewidmet ist. Binder veröffentlichte außerdem Bücher und Aufsätze zu Oskar Baum, Otokar Brezina, Rainer Maria Rilke, Hugo Salus, Johannes Urzidil, Ernst Weiß, Franz Werfel und anderen Autoren des Prager Kulturkreises sowie zu Vereinen und zur Sozialgeschichte der böhmischen Metropole. Bei Vitalis erschienen unter anderem Wo Kafka und seine Freunde zu Gast waren (2000), Mit Kafka in den Süden (2007), Gustav Meyrink. Ein Leben im Bann der Magie (2009), Kafkas Wien (2012), Prag - Literarische Spaziergänge durch die Goldene Stadt (2017) und Gestern abend im Café - Kafkas versunkene Welt der Prager Kaffeehäuser und Nachtlokale (2021).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Helmut Böttiger freut sich über dieses neue Werk des "Kafka-Maniac" Hartmut Binder.  Der Autor sammelt darin eine reiche Menge an Material, die jene Aufenthaltsorte Kafkas aufzeigt, in denen er sich verabredete, Theaterstücke ansah oder seine sexuellen Bedürfnisse befriedigte, erklärt Böttiger. Dabei verliere Binder die Figur des "vergeistigten" Kafkas niemals aus den Augen und schafft es dem Rezensenten zufolge dennoch, auch noch die Kulturgeschichte jener Epoche und ihren damaligen Lokalitäten anhand von Bildern, Plakaten und weiteren Entdeckungen darzustellen. Das ist alles sehr detailreich, teilweise auch überraschend und vor allem sehr lehrreich, sowohl das Leben des mystischen Schriftstellers als auch die veränderte Funktion von Kaffeehäusern betreffend, schließt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2021

Bericht über eine Faszination

Nun wissen wir nicht nur, wer die Sängerinnen und Sänger waren, die Kafka begeisterten, sondern auch, was von ihnen gesungen wurde: Hartmut Binder trägt eine Fülle neuer Entdeckungen über die Liebe des Dichters zu den Prager Kaffeehäusern zusammen.

Seit dem Erscheinen seiner epochemachenden Monographie "Motiv und Gestaltung bei Franz Kafka" (1966) hat Hartmut Binder über die Jahre hinweg kontinuierlich die Kafka-Forschung an seinem zunehmend enzyklopädischer werdenden Wissen teilhaben lassen. Die meist opulent mit Fotografien aus seinem Archiv ausgestatteten Bücher zu einzelnen Kafka-Texten haben inzwischen also über mehr als ein halbes Jahrhundert Maßstäbe gesetzt. Zu nennen sind die akribischen Spurensuchen in Orten und Ländern, in denen sich Kafka aufhielt - Wien, Paris, Prag, Italien -, die großformatige "Lebenschronik", die materialreichen Untersuchungen zu "Vor dem Gesetz" und "Die Verwandlung", nicht zuletzt aber auch der von ihm herausgegebene zweibändige Kafka-Kommentar und das ebenfalls zweibändige Kafka-Handbuch.

Der in Harald Salfellners rührigem Vitalis-Verlag soeben herausgekommene voluminöse Bildband "Gestern abend im Café" zur Welt der von Kafka frequentierten Prager Kaffeehäuser und Nachtlokale resümiert die Kenntnisse, die Binder zu diesem Thema über lange Zeit geduldig zusammengetragen hat. Auf fast siebenhundert Seiten und mit 1040 Abbildungen begibt er sich mit dem Leser auf die Fährte von Kafkas Besuchen jener Cafés, Varietétheater, Klubs und Etablissements, die in den Heften des kafkaschen Nachlasses erwähnt werden und die für Kafkas Entwicklung von Bedeutung waren. Der tiefe Eindruck etwa, den die Auftritte der ostjüdischen Theatertruppe Jizchak Löwys mit ihrem jiddischen Programm im "Café Savoy" auf Kafka machten, hat in dessen Nachdenken über das Judentum und die Stellung marginalisierter Sprachen lang nachwirkende Spuren hinterlassen. Binder zeigt, wo immer diese sich erhalten haben, fotografische Porträts der Schauspieler und erschließt auch die Lokalität dieses Cafés bis hin zum Grundriss. Die oft nur andeutenden Notizen Kafkas gewinnen so erstaunliche Anschaulichkeit.

Gegenüber einem ersten Band Binders zum selben Thema, der 2000 erschien, ist das vorliegende Buch nicht nur um zwei Drittel erweitert und die Bilder durchgängig im Vierfarbdruck publiziert. Er wartet auf fast jeder Seite auch mit neuen Funden auf. Hervorzuheben sind dabei vor allem jene Kapitel, die sich mit Etablissements beschäftigen, deren Aktivitäten es nie schafften, über die Schwelle historiographischer Aufmerksamkeit zu gelangen. Hierher gehört etwa das in der Vorstadt Karolinenthal beheimatete "Théâtre Varieté" mit seinem verblüffend vielfältigen - ausschließlich tschechischen - Programm, das von Entfesselungskünstlern und Damenimitatoren, Mimodramen, aus Paris importierten Tänzerinnen bis hin zu sogenannten Universalkünstlern (das waren Artisten, die in ganz verschiedenen Disziplinen glänzten) bestritten wurde. Die prägenden Eindrücke, die Kafka an diesem Ort gesammelt hat, sind später in "Ein Bericht für eine Akademie" und dann mit "Erstes Leid" in seinen letzten Erzählband "Ein Hungerkünstler" eingegangen. Vom Rad fahrenden Schimpansen Peter - die eine Hand am Lenkrad, die andere, grüßend, am Hut - findet sich in Binders Band erstmals ein Porträt in Farbe.

Die Fülle der neuen Dokumente, die Binder präsentiert, ist verblüffend. Oft spielte ihm der Zufall einen Fund in die Hände, so etwa bei dem zuvor unbekannten Programmheft des "Kabaret Lucerna" für die erste Märzhälfte des Jahres 1912, das ein helles Licht auf die ausführlichen Anmerkungen in Kafkas Notizheften wirft. Die Vorstellung vom 15. März 1912, die Kafka besuchte, erhält durch die Details des Programmhefts eine überraschende Konkretion, und zugleich lässt sich nun besser ablesen, welche Filter durchlief, was in Kafkas klare Sprache einmündete. "Einige junge Leute singen jeder ein Lied. Ist man frisch und hört zu, so wird man durch einen derartigen Vortrag eher an die Folgerungen erinnert, welche der Text auf unser Leben erlaubt, als dies durch den Vortrag geübter Sänger geschehen kann." Dank Binder wissen wir nun nicht nur, wer die Sängerinnen und Sänger waren, sondern auch, was von ihnen gesungen wurde.

Fragen wirft ein anderer Fund auf. Er korrigiert zugleich eine Grundannahme der Kafka-Forschung. Es ist bekannt, dass Flora Klug, eine Schauspielerin der ostjüdischen Theatergruppe aus dem "Café Savoy", Kafka faszinierte. Über ihren Auftritt in der Rolle als Herrenimitatorin schreibt er im ersten Oxforder Quartheft am 5. Oktober 1911, und man hat die Postkarte mit ihrem Foto, die er an dieser Stelle dem Heft beigab (ein einmaliger Vorgang in Kafkas handschriftlichem Nachlass), immer als Memorial dieses Abends und als Zeichen einer sehr starken affektiven Bindung verstanden. Binder kann nun nachweisen, dass diese Karte erst 1916 in Prag gedruckt wurde, Kafka sie demnach erst fünf Jahre später an Ort und Stelle in das Quartheft eingelegt haben kann. Die Bindung muss daher über eine viel längere Zeit wirksam gewesen sein als bislang angenommen. Wie nebenbei ist es ihm außerdem gelungen, eine frühere Postkarte Klugs aufzufinden, die sie - ebenfalls als Herrenimitatorin - in der Zeit vor 1909 zeigt.

Die Kommentierung der datierten Einträge Kafkas in Kafkas Nachlass hat durch diesen Band einen Sprung gemacht. Vielen Namenlosen hat Binder ihren Namen zurückgegeben, vielen Benannten ihr Gesicht. Dass er hier erstmals nach den zahlreichen registerlosen Büchern zu Kafka, die er bislang vorgelegt hat, mit einem ausgefeilten Register aufwartet, ist ein Segen, der zu dem Segen dieses auch gestalterisch überzeugenden Werkes noch hinzukommt. ROLAND REUSS

Hartmut Binder: "Gestern abend im Café". Kafkas versunkene Welt der Prager Kaffeehäuser und Nachtlokale.

Vitalis Verlag, Prag 2021. 686 S., 1040 Abb., geb., 79,90 Euro.

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