Lieber Leser!
"Gestern unterwegs" gibt sich, nach dem "Gewicht der Welt", der "Geschichte des Bleistifts", den "Phantasien der Wiederholung ", "Am Felsfenster, morgens", als die letzte Phase meines Mit-Schreibens mit den täglichen und nächtlichen Geschehnissen. Es bezeichnet auch den Übergang oder die Übergänge vom puren Mit-Schreiben (vorherrschend vor allem im "Gewicht der Welt", 1975 bis 1977) zum nachträglichen, leicht zeitversetzten Notieren: von dem, was "jetzt" geschieht, zu dem, was "gestern" geschah, und vorgestern, und vor einigen Tagen, und vor einer Woche ...
Wen es interessiert, der soll wissen, daß ich in den Jahren von "Gestern unterwegs" das Theaterstück "Das Spiel vom Fragen" schrieb, dann den "Versuch über die Müdigkeit", dann das Filmbuch "Die Abwesenheit", dann den "Versuch über die Jukebox"; zuletzt übersetzte ich Shakespeares "A Winter's Tale".
P. H., 22. Februar 2005(es schneit, oder, aus dem Arabischen rückübersetzt: "Es schneit auf die Erde")
"Gestern unterwegs" gibt sich, nach dem "Gewicht der Welt", der "Geschichte des Bleistifts", den "Phantasien der Wiederholung ", "Am Felsfenster, morgens", als die letzte Phase meines Mit-Schreibens mit den täglichen und nächtlichen Geschehnissen. Es bezeichnet auch den Übergang oder die Übergänge vom puren Mit-Schreiben (vorherrschend vor allem im "Gewicht der Welt", 1975 bis 1977) zum nachträglichen, leicht zeitversetzten Notieren: von dem, was "jetzt" geschieht, zu dem, was "gestern" geschah, und vorgestern, und vor einigen Tagen, und vor einer Woche ...
Wen es interessiert, der soll wissen, daß ich in den Jahren von "Gestern unterwegs" das Theaterstück "Das Spiel vom Fragen" schrieb, dann den "Versuch über die Müdigkeit", dann das Filmbuch "Die Abwesenheit", dann den "Versuch über die Jukebox"; zuletzt übersetzte ich Shakespeares "A Winter's Tale".
P. H., 22. Februar 2005(es schneit, oder, aus dem Arabischen rückübersetzt: "Es schneit auf die Erde")
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2007Ohne Dornbusch
Peter Handke war „Gestern unterwegs”
Manche Texte brauchen alle Zeit der Welt: Man kann sie nicht langsam genug lesen, denn sie wurden nicht geschrieben, um eine Handlung voranzutreiben, sondern um den Augenblick zu fassen, zu greifen, zu begreifen. Als Satz, als Gedanke, als Bild. In besonderem Maße gilt dies für Peter Handkes Aufzeichnungen seiner Reisen von Herbst 1987 bis Sommer 1990. Veröffentlicht hat er sie erst fünfzehn Jahre später in dem Band „Gestern unterwegs”, und neben der impliziten Aufforderung, immer und immer wieder gelesen zu werden, bergen sie auch die Gefahr, überlesen zu werden. Literarische Miniatur folgt auf Aphorismus, Skizze auf Überlegungen, und der routinierte Leser neigt manchmal eher dazu, alles einfach hinzunehmen, anstatt es wahrhaft aufzunehmen.
Nicht aber, wenn der Dichter selbst das Wort ergreift, das er geschrieben hat. Und erst recht nicht, wenn er fast jedes Wort so spricht, als könnte es sein letztes sein. Die gekürzte Version des Reisejournals als Hörbuch ist Poesie, daran lässt schon Handkes Stimme keinen Zweifel. Sie ist ruhiger und sanfter als erwartet, älter und tiefer zudem, vor allem aber ist sie rührender. Sie buchstabiert noch mal die Reisen aus, was Handke in den Sinn kommt und was ihm vor die Sinne kommt. Wo genau sich der Dichter befindet, ist dabei weniger entscheidend. Ob in Jugoslawien und Griechenland, ob in Japan, Großbritannien oder Südeuropa, in Frankreich oder Österreich – die Welt erschließt sich immer nach einem ähnlichen Muster, und in diesem wird sie dann auch dargeboten.
Handke fährt dabei, trotz aller Langsamkeit, weder mit angezogener Handbremse, noch mit eingebautem Tempolimit – er fährt gar nicht. Er geht. Vielleicht muss man es sich so vorstellen: An Handkes Hand macht der Hörer ein paar Schritte. Plötzlich bleibt der Dichter stehen, richtet den Blick auf ein Detail, in der Natur oder im Geist, benennt es oftmals nur, ergänzt vielleicht, woran es ihn erinnert, und schon ist damit wie selbstverständlich die Welt entstanden. Etwa im portugiesischen Coimbra: „Regen, starker, jetzt auf das Kopfsteinpflaster in der Stille, abseits, Regen im Strahl. Wiederkehr, mitsamt dem Geruch, des Regens im kalten Klosterkreuzgang meiner Heimatkirche – und ich sah förmlich vor mir jetzt die sicher noch dort liegenden großen, oft bis in den späten April nicht wegschmelzenden Schneehaufen”. Der Hörer schaut noch einmal hin, riecht den Regen, sieht den Schneehaufen, lächelt erstaunt und schreitet weiter.
So kommt er weit, denn Handke spricht nicht nur bedächtig, er beschert auch die nötige Zeit, um das Gesprochene wirken zu lassen. Was den poetischen Zauber nicht mindert, sondern verstärkt: Das Hörbuch funktioniert beinahe wie ein „Audio-Sprachkurs”. Die langen Pausen fördern das Begehren, die schönsten Worte nachzusprechen, und die wiederkehrende Stille strukturiert das Denken. „Sprachlosigkeit anbefehlen, zeitweise, und in der Sprachlosigkeit, die Welt sich ausbreiten lassen.”
Wer hier an religiöse Formen denkt, der denkt gewiss nicht falsch. Die Beschreibung der Welt wird ergänzt um die stille Andacht. Zu ihrem Gegenstand kann alles werden, auch Profanes: „Du brauchst keinen Dornbusch. Und wenn, dann braucht der nicht extra zu brennen.” Handke findet seine Dinge auch so. Seine Blume ist der schlichte Löwenzahn, sein Vogel der Allerwelts-Spatz. Die Dichtung zielt nicht so sehr auf immer neue Substantive, sie fragt nach den dazugehörigen Verben. Das ist Poesie als das schlichte Suchen und Finden der richtigen Wörter: „Das Verb für die Langsamkeit: sie strahlt und sie lässt strahlen.” CHRISTOPH SCHMAUS
PETER HANDKE: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006. 4 CD, 232 Min., 29,95 Euro.
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Peter Handke war „Gestern unterwegs”
Manche Texte brauchen alle Zeit der Welt: Man kann sie nicht langsam genug lesen, denn sie wurden nicht geschrieben, um eine Handlung voranzutreiben, sondern um den Augenblick zu fassen, zu greifen, zu begreifen. Als Satz, als Gedanke, als Bild. In besonderem Maße gilt dies für Peter Handkes Aufzeichnungen seiner Reisen von Herbst 1987 bis Sommer 1990. Veröffentlicht hat er sie erst fünfzehn Jahre später in dem Band „Gestern unterwegs”, und neben der impliziten Aufforderung, immer und immer wieder gelesen zu werden, bergen sie auch die Gefahr, überlesen zu werden. Literarische Miniatur folgt auf Aphorismus, Skizze auf Überlegungen, und der routinierte Leser neigt manchmal eher dazu, alles einfach hinzunehmen, anstatt es wahrhaft aufzunehmen.
Nicht aber, wenn der Dichter selbst das Wort ergreift, das er geschrieben hat. Und erst recht nicht, wenn er fast jedes Wort so spricht, als könnte es sein letztes sein. Die gekürzte Version des Reisejournals als Hörbuch ist Poesie, daran lässt schon Handkes Stimme keinen Zweifel. Sie ist ruhiger und sanfter als erwartet, älter und tiefer zudem, vor allem aber ist sie rührender. Sie buchstabiert noch mal die Reisen aus, was Handke in den Sinn kommt und was ihm vor die Sinne kommt. Wo genau sich der Dichter befindet, ist dabei weniger entscheidend. Ob in Jugoslawien und Griechenland, ob in Japan, Großbritannien oder Südeuropa, in Frankreich oder Österreich – die Welt erschließt sich immer nach einem ähnlichen Muster, und in diesem wird sie dann auch dargeboten.
Handke fährt dabei, trotz aller Langsamkeit, weder mit angezogener Handbremse, noch mit eingebautem Tempolimit – er fährt gar nicht. Er geht. Vielleicht muss man es sich so vorstellen: An Handkes Hand macht der Hörer ein paar Schritte. Plötzlich bleibt der Dichter stehen, richtet den Blick auf ein Detail, in der Natur oder im Geist, benennt es oftmals nur, ergänzt vielleicht, woran es ihn erinnert, und schon ist damit wie selbstverständlich die Welt entstanden. Etwa im portugiesischen Coimbra: „Regen, starker, jetzt auf das Kopfsteinpflaster in der Stille, abseits, Regen im Strahl. Wiederkehr, mitsamt dem Geruch, des Regens im kalten Klosterkreuzgang meiner Heimatkirche – und ich sah förmlich vor mir jetzt die sicher noch dort liegenden großen, oft bis in den späten April nicht wegschmelzenden Schneehaufen”. Der Hörer schaut noch einmal hin, riecht den Regen, sieht den Schneehaufen, lächelt erstaunt und schreitet weiter.
So kommt er weit, denn Handke spricht nicht nur bedächtig, er beschert auch die nötige Zeit, um das Gesprochene wirken zu lassen. Was den poetischen Zauber nicht mindert, sondern verstärkt: Das Hörbuch funktioniert beinahe wie ein „Audio-Sprachkurs”. Die langen Pausen fördern das Begehren, die schönsten Worte nachzusprechen, und die wiederkehrende Stille strukturiert das Denken. „Sprachlosigkeit anbefehlen, zeitweise, und in der Sprachlosigkeit, die Welt sich ausbreiten lassen.”
Wer hier an religiöse Formen denkt, der denkt gewiss nicht falsch. Die Beschreibung der Welt wird ergänzt um die stille Andacht. Zu ihrem Gegenstand kann alles werden, auch Profanes: „Du brauchst keinen Dornbusch. Und wenn, dann braucht der nicht extra zu brennen.” Handke findet seine Dinge auch so. Seine Blume ist der schlichte Löwenzahn, sein Vogel der Allerwelts-Spatz. Die Dichtung zielt nicht so sehr auf immer neue Substantive, sie fragt nach den dazugehörigen Verben. Das ist Poesie als das schlichte Suchen und Finden der richtigen Wörter: „Das Verb für die Langsamkeit: sie strahlt und sie lässt strahlen.” CHRISTOPH SCHMAUS
PETER HANDKE: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006. 4 CD, 232 Min., 29,95 Euro.
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Rowohlt-Verleger Alexander Fest im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Frage: »Welches Buch hätten Sie gern verlegt?« »Von den Büchern der letzten Jahre sicherlich Handkes Gestern unterwegs. Ich hatte Handke eigentlich nie richtig gelesen, bis Martin Walser mir vor einigen Jahren das Gewicht der Welt nannte, das müsse ich kennen. Da las ich es, beeindruckt. Kurz darauf kam dann Gestern unterwegs heraus, das ich dann dreimal gelesen habe in den letzten Jahren. Ein nicht auszuschöpfendes Buch, schon weil es kein Wissen weitergeben, so gut wie nichts lehren, nichts erzählen will. Es will bloß gelesen und im Lesen angenommen und verstanden werden. Ich kann hier schwer ausdrücken, welchen Genuss mir das verschafft hat.«