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Produktdetails
  • Edition Libroskop
  • Verlag: Hainholz
  • Seitenzahl: 110
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 274g
  • ISBN-13: 9783932622663
  • ISBN-10: 3932622669
  • Artikelnr.: 25109478
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2001

Bruckner statt Beischlaf
Sein und Zwischenzeit: Adam Wiedemann reist mit Studententicket

Es gibt Gefühle, die hat man nur als Student. Etwa zu Beginn der Sommersemesterferien, wenn Zeit vor einem liegt und man "nichts atmet außer dem Wohlgeruch einer warmen, geduldigen Freiheit, die scheu ist, unverdient, nicht erkämpft". Und wenn es gilt, die kommenden Monate, "dieses große abgründige Nichts mit sich selbst auszufüllen, noch bevor die Herbststürme einsetzen". Doch dies Gefühl hält nicht lange an, droht sich alsbald in Lethargie aufzulösen. Dann müssen Entscheidungen fallen. Man macht sich auf den Weg: "Bahnhofsgeruch. Und Jungsein. Das berauscht ein bißchen."

"Gewaltige Verschlechterung des Gehörs", das Erzähldebüt des 1967 geborenen Polen Adam Wiedemann, wurde vor drei Jahren von der Kritik seines Heimatlandes euphorisch aufgenommen. Nun liegt es auch auf deutsch vor. Die meisten Geschichten des Lyrikers und Prosaautors sind im studentischen Milieu angesiedelt. Sie handeln vom Alltag und von den Ferien junger Männer und Frauen, die fast alle angehende Literaturwissenschaftler sind. Reichlich uninteressante Zeitgenossen also fahren mit dem Rucksack nach Paris und Padua, ihre Welt ist so eng gestrickt, daß sie ihresgleichen sogar im Ausland an der Form der Brillengestelle erkennen. Ginge es nur um eine Dokumentation dieser Lebenswelt, man müßte sich ernsthaft fragen: Warum zum Teufel sich ausgerechnet damit beschäftigen? Doch Wiedemann ist ständig um ein Ausleuchten von Intensitäten bemüht, das diesen ersten Leseeindruck immer wieder durchkreuzt.

Für einen einigermaßen philosophisch interessierten Jungschriftsteller, davon kann man ausgehen, gibt es prinzipiell zwei weltanschauliche Möglichkeiten. Zum einen mag er sich vom radikalen Idealismus angezogen fühlen, der in dem lapidaren Satz besteht: "Die Welt da draußen, die gibt's doch gar nicht." Zum anderen kann er vom Gegenteil angetan sein, jenem magischen Realismus nämlich, der allein an den Zufall, die Kontingenz, also die unergründliche Macht der Dinge glaubt. Adam Wiedemann hat der zweiten Sichtweise den Vorzug gegeben. Ihn faszinieren am Leben das Durcheinander und die Unvorhersehbarkeit. Und am Schreiben, das ist immer wieder nachzulesen, der Entstehungsprozeß von Geschichten. Nicht der Plot steht im Vordergrund, sondern die Frage, wie er sich überhaupt erzählen läßt. Kein Zufall also, daß Wiedemanns Geschichten in Verkehrsmitteln ihren Ausgang nehmen und auch dort enden, in Zügen, Bussen oder auf dem Fahrrad. Die Reisezeit ist die klassische Zeit des Unausdenkbaren. Zuweilen muß aber auch das Rauschen des Zufalls mit Musik übertönt werden. So hört der Ich-Erzähler in der Titelgeschichte mit Vorliebe klassische und neue Musik. Im Studentenwohnheim übertönt er die aus dem Nebenzimmer dringenden Beischlafgeräusche mit Bruckner. Und das nächtliche Hören seines Lieblingsalbums der Band "Siouxie an the Banshees" endet fast in einer Prügelei mit seinem Zimmergenossen.

Wiedemann vermag solche Szenen ebenso scharfsinnig zu beobachten wie das Allernormalste und Alltäglichste. Er bedient sich in der Beschreibung eines eigenwilligen, situativen Codes, er ist - so könnte man auf polnisch sagen - "Banalist" im positiven Sinne, keineswegs ein Welterklärer. "Vermutlich", so heißt es in "Der Hauptmann" als Reaktion auf den Tod eines Freundes, "weiß ich mich zum Tod (sagen wir: zu fremdem Tod) immer noch nicht ernsthaft zu verhalten. Als Kind legte ich, als mir mein Goldhamster krepiert war, die Platte mit Beethovens Trauermarsch auf und wartete, daß mich erhabene Gefühle überkämen, bis mir schließlich aufging, wie unaufrichtig die ganze Situation war, und das ist mir wohl geblieben, die Furcht vor Unaufrichtigkeit."

Gegen solche Passagen fallen seine expliziten Versuche über "Gott" oder den "Sinn des Lebens" weit spärlicher aus. Gott beispielsweise läßt Wiedemann in der Erzählung "Eliade" auf die Erde hinabsteigen und in einer Damentoilette auftauchen. Weil aber diese erste Geschichte im Band kurz gehalten ist, kann man geduldig weiterlesen. Erst über "Pudel", ein "intertextuelles Experiment", das Wiedemann Leszek Prorok zugedacht hat, stolpert der Leser dann richtig. Doch möglicherweise liegt das an der ansonsten sehr guten Übersetzung. Lautmalerischer polnischer Sprachwitz läßt sich auf deutsch nicht gut nachdichten. Mit einer "geduldigen, scheuen, unverdienten und nicht erkämpften Freiheit" benennt Wiedemann, und darin liegt die Stärke seiner Prosa, das Lebensgefühl einer Generation junger Polen, nicht zwangsläufig Intellektueller, Künstler oder Schriftsteller, die in der Post-Solidarnosc-Ära großgeworden sind.

STEFANIE PETER

Adam Wiedemann: "Gewaltige Verschlechterung des Gehörs". Erzählungen. Aus dem Polnischen übersetzt von Roswitha Matwin-Buschmann und Esther Kinsky. Hainholz Verlag, Göttingen 2001. 110 S., geb., 29,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das vor drei Jahren in Polen euphorisch aufgenommene Erzähldebüt des 1967 geborenen Polen Adam Wiedemann, liegt nun auch auf deutsch vor, schreibt Rezensentin Stefanie Peter. Ihre erste Befürchtung, sich mit den Reiseerlebnissen der Protagonisten - meist junge, angehende Literaturwissenschaftler! - zu langweilen, hat sie schnell vergessen, denn der Autor gehe vielschichtiger vor als zunächst erwartet, findet die Rezensentin. Er sei ein scharfsinniger Beobachter des Lebens, dessen "Durcheinander und Unvorhersehbarkeit" er in den Mittelpunkt seiner Erzählungen stelle, die er alle im Stundentenmilieu ansiedle. Es gelingt dem Autor das Lebensgefühl der Studenten einzufangen, so Peter, die in der Post-Solidarnosc-Ära groß geworden sind. Wiedemann sei dabei einem "magischen Realismus" verpflichtet, der alles andere als banal sei. Lobend hebt Peter außerdem die Qualität der Übersetzung hervor, auch wenn es nicht immer möglich sei, den lautmalerischen polnischen Sprachwitz ins Deutsche zu übertragen.

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