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In dem Gedichtband Gewitter Epilog konzentrierte sich Zbigniew Herbert am Ende seines Lebens noch einmal ganz auf sein ureigenes Gebiet, die Lyrik. Der Ton in Herberts Gedichten ist leise, lakonisch und gelassen, geprägt von Ironie und einem hellsichtigen Blick auf die eigene Existenz. Prägende Lebenserfahrungen und -einsichten tauchen immer wieder in diesen Gedichten auf, aber auch die Kritik an Mißständen, Krieg, Gewalt und Sinnlosigkeit zeichnet thematisch die Lyrik Herberts aus. Seine Sprache wirkt zunächst einfach, sie ist unprätentiös und 'leicht', ist die Sprache eines einzigartigen Poeten. …mehr

Produktbeschreibung
In dem Gedichtband Gewitter Epilog konzentrierte sich Zbigniew Herbert am Ende seines Lebens noch einmal ganz auf sein ureigenes Gebiet, die Lyrik. Der Ton in Herberts Gedichten ist leise, lakonisch und gelassen, geprägt von Ironie und einem hellsichtigen Blick auf die eigene Existenz. Prägende Lebenserfahrungen und -einsichten tauchen immer wieder in diesen Gedichten auf, aber auch die Kritik an Mißständen, Krieg, Gewalt und Sinnlosigkeit zeichnet thematisch die Lyrik Herberts aus. Seine Sprache wirkt zunächst einfach, sie ist unprätentiös und 'leicht', ist die Sprache eines einzigartigen Poeten.
Autorenporträt
Herbert, ZbigniewZbigniew Herbert, geboren 1924 in Lemberg, erlebte als Schüler die sowjetische, dann die deutsche Okkupation und schloss sich 1943 dem polnischen Widerstand an. Seit 1956 veröffentlichte er Gedichte und Essays. Jahrelang bereiste er Italien, Frankreich und Griechenland. Herbert, der 1998 in Warschau starb, zählt zu den großen europäischen Dichtern des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2000

Der Eulenschrei
Zbigniew Herberts Gedichte · Von Robert Gernhardt

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne - doch was haust im Ende? Erste Gedichtsammlungen junger Dichter lassen nicht selten durch einen neuen Ton aufhorchen - was aber ist aus den letzten Gedichtbänden der gealterten Dichter herauszuhören? Wobei mit "letzte Gedichtbände" nicht solche gemeint sind, die eher zufällig ein OEuvre beschließen, sondern jene, die das derart bewußt tun, daß bereits der Titel vom Finale kündet: "Zu guter Letzt" nannte Wilhelm Busch seine letzte Veröffentlichung, "Aprèslude" ist Gottfried Benns Spätestwerk überschrieben, und "Gewitter Epilog" hat Zbigniew Herbert den Gedichtband getauft, der kurz vor seinem Tod im Jahre 1998 im polnischen Original veröffentlicht wurde.

Ich habe das 78 Seiten starke Buch mit gemischten Gefühlen in die Hand genommen. Wovon mag einer schon reden, wenn es mit ihm zu Ende geht? Vom Ende vermutlich, vom Leid wahrscheinlich, vielleicht vom Schmerz. Will man das hören? Zugleich umstrahlt noch das banalste letzte Wort die Aura des zeitverfallener Kritik entrückten Unwiderruflichen. Will man da weitere Worte machen? Hieße das nicht zwangsläufig: Worte verlieren? Versuchen wir es trotzdem. Sagen wir vorweg, daß Zbigniew Herbert in der Tat von all dem redet, was der Epilog eines Lebens erwarten - befürchten? - läßt, von Alter, Krankheit, Abschied. Und fügen wir sogleich hinzu, daß damit wenig gesagt ist, da solche Aufzählung mit keinem Wort verrät, wie Herbert das alles zur Sprache bringt.

Da er das Wie selber in Worte gefaßt hat, kann ich sie mir sparen. Etwa zur Mitte des Gedichtbands läßt Zbigniew Herbert Herrn Cogito, sein seit Jahren bewährtes Alter ego, eine dankenswert deutliche, "Ars longa" überschriebene Poetik formulieren:

in jeder generation

kreuzen leute auf mit einem starrsinn

der einer besseren sache würdig wäre

bestrebt die poesie aus den krallen

des alltags zu reißen

schon in jungen jahren

gehören sie zum orden

der Allerheiligsten Subtilität

und Himmelfahrt

Für die Mitglieder dieses Ordens aber haben der Herr Cogito und sein Dichter nur kopfschüttelndes Mitleid übrig:

und sie ahnen nicht einmal

welche verheißungen

welche schönheiten

und überraschungen

jene sprache in sich birgt

die alle sprechen

scherge und Horaz

"Sprache die alle sprechen" - das könnte alltägliche Sprache meinen, kämen nicht unvermutet der nicht ganz alltägliche Scherge und der einzigartige Poet Horaz ins Spiel. Und was heißt schon "alltäglich", wenn der Alltag etwas so Aufregendes ist wie ein Raubtier, das die Poesie in den Fängen hält? Was schließlich geschähe der Poesie, versuchte man, sie diesem Alltag zu entreißen? Würde sie diesen Versuch unbeschadet überstehen? Nicht vielmehr dabei verenden und unter dem unseligen Beifall der Allerheiligsten Subtilität gen Himmel fahren?

Andererseits: Darf der Dichter die Poesie den Krallen des Alltags überlassen? Muß er vor dem scheinbar allmächtigen Raubtier die Waffen strecken, um sich bescheiden darauf zu beschränken, in nun wirklich alltäglicher Sprache Alltägliches mitzuteilen? Natürlich nicht. Was dabei herauskommt, haben uns die letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts gelehrt: Befindlichkeitsgedichte und Laberlyrik.

Wie also dann? Auf welche Weise vermag es der Dichter, dem heiklen Mit- und Ineinander von Poesie und Alltag jene Verheißungen, Schönheiten und Überraschungen abzugewinnen, von denen der Orden der Allerheiligsten Subtilität nichts ahnt?

Das führt Zbigniew Herbert Seite für Seite derart exemplarisch und inspiriert vor, daß es eine - es sei eingestanden auch: unheimliche - Freude ist, seinem Leidensweg zu folgen.

Dichters Alltag ist hart, und er beschönigt nichts. Gleich zu Beginn des Buches spricht er von "spritzen mitsamt nadeln, dick oder hauchdünn", von "bandagen", "tropf" und "heftpflaster".

"Ich weiß meine tage sind gezählt" beginnt ein Gedicht, ein anderes antwortet auf die klassische Krankenhausfrage "Was kann ich noch für Sie tun". Herbert nennt die Krankheit beim Namen, "Parkinson", er spricht vom Schmerz und vom Behindertsein, und er überschreibt ein Gedicht umstandslos mit "Das Ende".

Der Alltag hat die Krallen ausgefahren - wie also die Poesie retten? Da Herbert weiß, daß mit Gewalt nichts zu machen ist, greift er zur List: Er luchst dem Raubtier die Beute ab. Das Gedicht beispielsweise, in welchem er die medizinischen Utensilien aufzählt, ist nicht der erwartete Klagegesang, sondern ein Dankgebet:

Herr, dank sag ich Dir für all die

spritzen mitsamt nadeln

dick oder hauchdünn, bandagen,

heftpflaster

- und bereits die Nennung eines Adressaten macht aus der Aufzählung eine Anrufung, aus eindeutigen Alltagsworten eine zweideutige Litanei:

dank für den tropf, die mineralsalze

und ganz

besonderen dank für all die

schlaftabletten mit namen

wohllautend wie die der römernymphen

- schön, dieser helle und schnelle Brückenschlag von antiker Mythologie zu den Produkten der modernen Medizin:

die gut sind, weil sie den tod erbitten,

an ihn erinnern,

stellvertretend.

Das ist rasch gegangen: von ironischer Anrufung zu unverstellter Lagebeschreibung, und es ist dieser stete Wechsel der Tonfälle und Blickwinkel, der den Leser zunehmend aufmerksamer zuhören läßt und ihn immer genauer hinsehen lehrt.

Herbert liebt es, Redeweisen wörtlich zu nehmen. Er kämpft um sein Leben? dann aber richtig!

"Die letzte Attacke. Für Mikolaj" hat er jenes Gedicht überschrieben, in welchem der Feind beim Namen genannt wird. Zunächst aber spricht er sehr förmlich, von Kompaniechef zu Kompaniechef:

Laß mich zuerst mein freudiges

erstaunen äußern

daß wir nun beide unsre kompanie

anführen

verschiedene uniformen verschiedene

kommandos

doch ein gemeinsames Ziel: überleben

Sodann läßt er Mikolaj zu Wort kommen, der ebenfalls für einen Abbruch der Kampfhandlungen plädiert:

der krieg macht nur auf paraden einen

schönen eindruck

- doch haben beide die Rechnung ohne den Gegner gemacht:

während du das sagst geht ein

mächtiges artilleriefeuer

auf uns nieder der schurke Parkinson

hat so lange gewartet

bis er uns erwischte als wir lässig vor

uns hintrotteten

die kragen aufgeknöpft die hände in

den taschen

in gedanken auf urlaub nun macht

parkinson uns plötzlich klar

der krieg ist noch nicht aus ist noch

nicht zu Ende

dieser verdammte krieg

Anrufung, Grußwort, Bericht, Verwünschung - der Dichter schlüpft von einer Rolle in die andere, und sei es nur zu dem Zweck, aus der Rolle fallen zu können und Klartext zu reden:

ein schwacher hüter

des nichts bin ich

nie im leben

ist es mir gelungen

eine anständige abstraktion

zustande zu bringen.

Nein, das hat Zbigniew Herbert auch in seinem Epilog nicht geschafft. Selbst "Das Ende" kann er sich nicht anders als bildhaft vorstellen. Er ist nicht mehr? Dann wird man sich ja wohl auch kein Bild mehr von ihm machen können:

Fortan werde ich auf keinem

gruppenfoto zu sehen sein

(stolzer beweis

meines todes in allen literaturblättern

der welt)

- so beginnt ein fünfzehnzeiliges Gedicht, das mit einer jener Volten endet, welche den Herbert-Leser immer wieder überrascht aufhorchen und aufschauen läßt. Woran erinnert dieses Fehlen auf Fotos noch mal? Zumal den, der den kommunistischen Alltag erlebt hat? Ja, richtig:

ich bin so tyrannisch weg als wäre ich

wie einer

den eben noch die gunst des führers

schützte

plötzlich ein Volksfeind

Rollenspiel, Gedankenspiel, Spiel mit Worten, Spiel mit Bildern - mal ist das Ende eine Art Foto-Finish, mal eine Abreise des Herrn Cogito in die Ferien:

man kann doch die abreise

in die ferien

nicht auf den Sankt Nimmerleinstag

aufschieben

Mal ist vom "Abflug" des Herrn Cogito die Rede, dann, in dem Gedicht "Herr Cogito und die Position seiner Seele", ist sie es, die sich von heute auf morgen davon machen könnte:

vorerst aber

sitzt sie auf der schulter

abflugbereit

Zbigniew Herbert hat die Zeit bis zu ihrem Abflug dazu genutzt, dem verrinnenden Alltag und seiner Beute mit Witz, Einbildungskraft und Kunstverstand beizukommen. Und er hatte wohl noch andere, sehr persönliche Methoden parat, die Poesie zumindest ein Gedicht lang auf wundersam unangestrengte Weise ganz und gar von jeder Alltäglichkeit zu befreien. Anders sind jene Zeilen nicht zu erklären, die wie Zaubersprüche wirken, zugleich dunkel und einleuchtend. In "Der Kopf", dem letzten Gedicht des Buches, schreitet Theseus "in die Zeit der erneuerung", den skalpierten Kopf von Minotaurus in der Faust hochhaltend, und die letzte der beiden Strophen lautet:

Des sieges bitterkeit der eulenschrei

des tagesanbruch mißt mit kupfermaß

damit des süßens scheiterns warmen

atem

er bis ans ende spürt im nacken

Zbigniew Herbert: "Gewitter Epilog". Gedichte. Aus dem Polnischen von Henryk Bereska. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 78 S., geb., 32,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Michael Braun hält in einem informativen Artikel Rückschau auf Leben und Werk des 1998 gestorbenen polnischen Lyrikers, der diesen - nun auch auf Deutsch vorliegenden - Gedichtband kurz vor seinem Tod noch selbst zusammengestellt hat. (Im übrigen verstarb auch zwischenzeitlich Herberts langjähriger Übersetzer Klaus Staemler, so dass Henryk Bareska diesen Band ins Deutsche übertrug. Ob zu seiner Zufriedenheit, darüber lässt Braun nichts verlauten.) Wie kein anderer habe Herbert im Spannungsfeld zwischen Dichtung und Philosophie gestanden, meint Braun; kein Wunder also, dass Herbert sein Alter ego, das auch wieder durch diesen Band führt, "Herr Cogito" nennt. Der Rezensent beschreibt Herbert als fundamentalen Skeptiker, der jeglichen Heils- und ideologischen Versprechungen abgeschworen hat. Ins Literarische übertragen heißt das für ihn: Verzicht auf Pathos und "ornamentalen Metaphernschmuck". Trotz Herberts pessimistischer Weltsicht sieht Braun gelegentlich "Bilder der Zuversicht" durchschimmern, die den lakonisch beschriebenen Lauf des Alltags durchsetzen.

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