WEST-ÖSTLICHE SEELENLAGEN
Was ein harmonisches Abendessen werden sollte, läuft völlig aus dem Ruder: Jenny und Friedrich, aus dem Westen stammend, im Osten lebend, haben Bekannte aus Brandenburg eingeladen. Mit einer überraschend explosiven Mischung aus schwülem Wetter, kratzbürstigen Gästen und lärmenden NATO-Hubschraubern hinterlässt dieser Abend bei jedem seine Spuren.
Es soll ein anregender, harmonischer Abend werden. Jenny und Friedrich, ein Ehepaar mittleren Alters aus Westdeutschland, das seit einem Jahrzehnt mit den beiden Söhnen in Ostdeutschland lebt, haben Arbeitskollegen Jennys, Rolf und Beate aus Brandenburg, zum Essen eingeladen. Außerdem hat sich Tine, eine ehemalige Freundin Friedrichs, angekündigt. Aber nicht nur das Wetter - ein schweres Gewitter zieht auf - sorgt für erhebliche Unruhe. In der Nähe findet eine NATO-Übung statt und ein ehemaliger Sowjetsoldat, der einem Kameraden nachtrauert, soll sich hier herumtreiben. Vom ersten Moment an bringen Rolf und Beate insbesondere Jenny aus der Fasson und Friedrich in Verlegenheit, sarkastisch, gekränkt, angriffslustig. Noch immer unverstandene west-östliche Seelenlagen brechen sich Bahn, die attraktive Tine, plötzliche Besucher und das tobende Gewitter sorgen für zusätzliche Spannung, und dann gerät auch noch ein Kampfhubschrauber ins Trudeln ...
Kurzweilig, amüsant, fesselnd und unterhaltsam - die neue Novelle von Dirk von Petersdorff ist so abgründig wie aktuell. Ein Abendessen voller Spannungen und ein abstürzender Kampfhubschrauber Komisch, fesselnd, unterhaltsam - Dirk von Petersdorffs Novelle
Was ein harmonisches Abendessen werden sollte, läuft völlig aus dem Ruder: Jenny und Friedrich, aus dem Westen stammend, im Osten lebend, haben Bekannte aus Brandenburg eingeladen. Mit einer überraschend explosiven Mischung aus schwülem Wetter, kratzbürstigen Gästen und lärmenden NATO-Hubschraubern hinterlässt dieser Abend bei jedem seine Spuren.
Es soll ein anregender, harmonischer Abend werden. Jenny und Friedrich, ein Ehepaar mittleren Alters aus Westdeutschland, das seit einem Jahrzehnt mit den beiden Söhnen in Ostdeutschland lebt, haben Arbeitskollegen Jennys, Rolf und Beate aus Brandenburg, zum Essen eingeladen. Außerdem hat sich Tine, eine ehemalige Freundin Friedrichs, angekündigt. Aber nicht nur das Wetter - ein schweres Gewitter zieht auf - sorgt für erhebliche Unruhe. In der Nähe findet eine NATO-Übung statt und ein ehemaliger Sowjetsoldat, der einem Kameraden nachtrauert, soll sich hier herumtreiben. Vom ersten Moment an bringen Rolf und Beate insbesondere Jenny aus der Fasson und Friedrich in Verlegenheit, sarkastisch, gekränkt, angriffslustig. Noch immer unverstandene west-östliche Seelenlagen brechen sich Bahn, die attraktive Tine, plötzliche Besucher und das tobende Gewitter sorgen für zusätzliche Spannung, und dann gerät auch noch ein Kampfhubschrauber ins Trudeln ...
Kurzweilig, amüsant, fesselnd und unterhaltsam - die neue Novelle von Dirk von Petersdorff ist so abgründig wie aktuell. Ein Abendessen voller Spannungen und ein abstürzender Kampfhubschrauber Komisch, fesselnd, unterhaltsam - Dirk von Petersdorffs Novelle
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Hilmar Klute möchte das Zuviel an katastrophischen Motiven und Themen in Dirk von Petersdorffs Novelle nicht dem Autor anlasten. Im Gegenteil fängt der Dichter in seinem Prosastück die aktuelle Lage genau ein, findet er. Darüber hinaus gelingt Petersdorff laut Klute eine "west-/ostdeutsche Milieustudie" im Angesicht aufziehender Krisen, in der alle Erwartungen des Schlimmen erfüllt, ja noch übertroffen werden, so der Rezensent. Wie "virtuos" der Autor Ost-West-Animositäten, Querdenker-Phrasen, Verschwörungstheorien, Anzeichen für den Klimawandel und allerhand familiäre Krisen auf knappem Raum verhandelt und die damit verbundene Stimmung vermittelt, findet Klute lesenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2022Wer setzt sich auf den freien Platz?
Sommernacht mit Ex-Freundin: Dirk von Petersdorffs Novelle "Gewittergäste"
Das Leben lässt sich ebenso wie das Erzählen als eine Frage von Komposition und Kompatibilität verstehen: Mal passt die Zusammensetzung, mal hat sie Spiel, mitunter knallt's.
Dirk von Petersdorffs gedankenblitzende Sommernachtsnovelle "Gewittergäste" spielt vom Titel an mit diesem Wissen. Verschiedene Fragen der Komposition treiben die einzelnen Figuren um. Tina etwa hat ihr Auto - wie sie schön sagt - "wochenlang zusammenkonfiguriert, bis alles stimmte". Da "Auto" "selbst" heißt, ist es vielsagend, dass die alleinstehende Frau (Beziehungsstatus: hat noch Spiel) einen Mini fährt. So geht das in dieser Novelle, deren Kompositionslust bis zur hoch konzentrierten Schilderung der Zutaten reicht, die für eine Quiche oder eine Bowle nötig sind.
Oder eben bis zur Zusammensetzung der abendlichen Tischgesellschaft, die im Fokus des Erzählens steht. Fünf Personen kommen zusammen. Da muss man kein Wahrscheinlichkeitsexperte sein, um zu wissen: Das ist immer einer zu viel oder zu wenig. So sieht das auch die Gastgeberin beim Eindecken des Tisches: "Was tun? Sie überlegte, noch jemanden einzuladen. Am Esstisch war der sechste Platz noch frei, Symmetrie war hilfreich." Mag sein, aber freier Spielraum für eventuelle weitere Gäste hat auch etwas für sich.
Doch bevor Petersdorff sich dem spannungsgeladenen Abend selbst zuwendet, erzählt er von einem Sommertag, in dem es vor Indizien für die in Aussicht gestellte Katastrophe wimmelt. Das setzt ein mit einer morgendlichen Auto-(Fahr-)Übung von Vater und Sohn, gefolgt von einem übersprungsartigen Massen-Erdbeerkauf, der den weiteren Verlauf aber auch nicht mehr erden kann, Arbeit, Schule, Kinderkram, Vorbereitung, bis die Abendgesellschaft antritt. Da sind zunächst die Gastgeber, die einst aus Heidelberg (Herz verloren) nach Ostdeutschland gezogen sind. Da kommen als Gäste (leider einen Tacken zu früh) Rolf und Beate, zwei Ur-Brandenburger, mit ausgeprägter Wessi-Aversion. Bevor zuletzt mit Tina, der Düsseldorfer Ex des Gastgebers, jenes freie Radikal eintrifft, von dem sich - wie beim Blick in den Himmel - so mancher Blitz erwarten lässt. Den freien sechsten Platz hätte es als bedrohlich donnernden Möglichkeitsraum vielleicht gar nicht mal gebraucht. Doch er steht für den unbedingten Willen zur poetischen Eskalation, den diese Novelle bis in ihre metaphorische Faktur auszeichnet: Hier ziehen schwerste Bildgewitter auf.
So nehmen den freien Platz nacheinander zunächst die beiden Söhne des Hauses ein. Amüsant, wenn plötzlich auch die gefährdete Versetzung des älteren Sohnes als Frage der Neukomposition diskutiert wird. Aras, der irrlichternde Pizzabote, übernimmt diesen Part sehr gerne, noch bevor der Sohn ihn schnell zur Tür hinausbugsieren kann: "Bleib sitzen: Genau, das passt, du bleibst sitzen, Digga, hab ich gehört? Nächstes Jahr sind wir in einer Klasse? Ich helf dir in Mathe, du mir in Geschichte. Das wird nice." Ja, das wird es. Ebenso nice wie der Moment, als ein geisterhafter Sitzenbleiber aus altrussischen DDR-Zeiten zur Tischgesellschaft stößt. Bevor zuletzt auch noch zwei amerikanische Soldaten vom Himmel fallen.
Der Romantik-Spezialist Dirk von Petersdorff erzählt diese unglaublichen Ereignisse streng realistisch, genussvoll die Nuancen möglicher Allegorese und potentieller Eskalation auskostend. Eine Sommerlektüre, die gnadenlos ausstellt, wie es um das Deutschland der Doppelhausbesitzer am Ende der Ära Merkel steht. Geistreich bis zum Zucken des finalen Gedankenblitzes. CHRISTIAN METZ
Dirk von Petersdorff: "Gewittergäste". Novelle.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 124 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sommernacht mit Ex-Freundin: Dirk von Petersdorffs Novelle "Gewittergäste"
Das Leben lässt sich ebenso wie das Erzählen als eine Frage von Komposition und Kompatibilität verstehen: Mal passt die Zusammensetzung, mal hat sie Spiel, mitunter knallt's.
Dirk von Petersdorffs gedankenblitzende Sommernachtsnovelle "Gewittergäste" spielt vom Titel an mit diesem Wissen. Verschiedene Fragen der Komposition treiben die einzelnen Figuren um. Tina etwa hat ihr Auto - wie sie schön sagt - "wochenlang zusammenkonfiguriert, bis alles stimmte". Da "Auto" "selbst" heißt, ist es vielsagend, dass die alleinstehende Frau (Beziehungsstatus: hat noch Spiel) einen Mini fährt. So geht das in dieser Novelle, deren Kompositionslust bis zur hoch konzentrierten Schilderung der Zutaten reicht, die für eine Quiche oder eine Bowle nötig sind.
Oder eben bis zur Zusammensetzung der abendlichen Tischgesellschaft, die im Fokus des Erzählens steht. Fünf Personen kommen zusammen. Da muss man kein Wahrscheinlichkeitsexperte sein, um zu wissen: Das ist immer einer zu viel oder zu wenig. So sieht das auch die Gastgeberin beim Eindecken des Tisches: "Was tun? Sie überlegte, noch jemanden einzuladen. Am Esstisch war der sechste Platz noch frei, Symmetrie war hilfreich." Mag sein, aber freier Spielraum für eventuelle weitere Gäste hat auch etwas für sich.
Doch bevor Petersdorff sich dem spannungsgeladenen Abend selbst zuwendet, erzählt er von einem Sommertag, in dem es vor Indizien für die in Aussicht gestellte Katastrophe wimmelt. Das setzt ein mit einer morgendlichen Auto-(Fahr-)Übung von Vater und Sohn, gefolgt von einem übersprungsartigen Massen-Erdbeerkauf, der den weiteren Verlauf aber auch nicht mehr erden kann, Arbeit, Schule, Kinderkram, Vorbereitung, bis die Abendgesellschaft antritt. Da sind zunächst die Gastgeber, die einst aus Heidelberg (Herz verloren) nach Ostdeutschland gezogen sind. Da kommen als Gäste (leider einen Tacken zu früh) Rolf und Beate, zwei Ur-Brandenburger, mit ausgeprägter Wessi-Aversion. Bevor zuletzt mit Tina, der Düsseldorfer Ex des Gastgebers, jenes freie Radikal eintrifft, von dem sich - wie beim Blick in den Himmel - so mancher Blitz erwarten lässt. Den freien sechsten Platz hätte es als bedrohlich donnernden Möglichkeitsraum vielleicht gar nicht mal gebraucht. Doch er steht für den unbedingten Willen zur poetischen Eskalation, den diese Novelle bis in ihre metaphorische Faktur auszeichnet: Hier ziehen schwerste Bildgewitter auf.
So nehmen den freien Platz nacheinander zunächst die beiden Söhne des Hauses ein. Amüsant, wenn plötzlich auch die gefährdete Versetzung des älteren Sohnes als Frage der Neukomposition diskutiert wird. Aras, der irrlichternde Pizzabote, übernimmt diesen Part sehr gerne, noch bevor der Sohn ihn schnell zur Tür hinausbugsieren kann: "Bleib sitzen: Genau, das passt, du bleibst sitzen, Digga, hab ich gehört? Nächstes Jahr sind wir in einer Klasse? Ich helf dir in Mathe, du mir in Geschichte. Das wird nice." Ja, das wird es. Ebenso nice wie der Moment, als ein geisterhafter Sitzenbleiber aus altrussischen DDR-Zeiten zur Tischgesellschaft stößt. Bevor zuletzt auch noch zwei amerikanische Soldaten vom Himmel fallen.
Der Romantik-Spezialist Dirk von Petersdorff erzählt diese unglaublichen Ereignisse streng realistisch, genussvoll die Nuancen möglicher Allegorese und potentieller Eskalation auskostend. Eine Sommerlektüre, die gnadenlos ausstellt, wie es um das Deutschland der Doppelhausbesitzer am Ende der Ära Merkel steht. Geistreich bis zum Zucken des finalen Gedankenblitzes. CHRISTIAN METZ
Dirk von Petersdorff: "Gewittergäste". Novelle.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 124 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2022Die Motive
unserer Zeit
Dirk von Petersdorffs virtuose
Novelle „Gewittergäste“
Im vergangenen Jahr hat Dirk von Petersdorff eine neue Sammlung seiner Gedichte vorgelegt, in denen vieles vor Wetterkulissen, Sommer- und Winterhintergründen geschieht, das gilt auch und dort besonders anrührend für Dinge, die heranwachsende Kinder tun. Die Familie steht als festes Gremium in Petersdorffs Poesie, und so ist es auch in seinem neuen Buch.
Dirk von Petersdorff ist ein meisterhafter Stimmungsmacher, ein Lyriker, der weiß, wie man die Anbahnung einer Katastrophe mit aufziehenden Wolken und im Wind schwankenden Bäumen vorbereitet. „Gewittergäste“ heißt sein neues Erzählwerk, eine Novelle, denn Petersdorff, der Neugermanist, liebt den Rückgriff auf die Formen der Klassik, den Reim in der Lyrik, das Dinggedicht und jetzt eben die auf einen Höhepunkt zusteuernde überschaubare Geschichte – man muss die formalen Traditionen nicht groß referieren.
„Gewittergäste“ ist eine Erzählung aus unseren brüchigen, von allseitigen Bedrohungen und Zumutungen umstellten Tagen. Friedrich und seine Frau Jenny leben in einer Stadt im Osten Deutschlands, nach der Wende sind sie hierhergezogen, bald vertraut mit den Idiosynkrasien der Einheimischen, deren Skepsis gegenüber dem Westen und seinen Protagonisten. Zugleich sind Jenny und Friedrich selbstkritisch genug, um keine Feindlinien in den Sand zu zeichnen, denn schließlich sind sie hierhergezogen „um eine neue Region mit anderen Hintergründen kennenzulernen“, so drückt Jenny es aus. Aber der Alltag ist oft beschwerlich, im Kindergarten ist Jenny die bedauernswerte „West-Mutti“, feindliche Blicke treffen sie überall.
Es ist Sommer, ein kritischer Sommer in mehrfacher Hinsicht. Gleich auf der ersten Seite steht der klimatische Befund: braune Rasenstücke, wochenlange Trockenheit, der Sommer von heute. Jenny bereitet eine Abendgesellschaft vor, sie hat einen Kollegen aus Brandenburg eingeladen, Rolf, der sich schon am Telefon mit bedenklicher Querdenker-Terminologie vorgestellt hatte. Dazu soll noch eine frühere Freundin von Friedrich kommen, Thea, und zu alledem passiert am Himmel eine Menge Unheil. Gewitterwolken ziehen auf, eine Drohne, die Paul, einer der beiden Söhne, startet, stürzt in einen Baum. Paul ist zudem völlig verloren an die lokale Legende von einem ehemaligen Soldaten der Roten Armee, der hier einen bei einem NVA-Manöver verunglückten Kameraden betrauern soll und durch die Gegend geistere. Konfliktfelder, wo man hinblickt, Fremdheit und Nervosität, Unbehaustheit und Beschwichtigungsversuche – einzig der ältere Sohn, Georg, fremdelt nicht mit dem Osten. Er hat hier seine Freunde, darunter den Syrer Aras, der sich mit der Geschichte deutscher Kaiser bestens auskennt und als eine Art Integrationsoriginal vorgestellt wird.
Was sich am Himmel zusammenbraut und an Windstärke durch die Tür zieht, findet gleich nach der Ankunft Rolfs und seiner Frau Beate ein atmosphärisches Pendant bei Tisch. Ein hübscher Kniff ist die verschwörungstheoretische Überlegung, dass Deutschland im Fall einer Pandemie völlig schutzlos dastünde: „Wir haben praktisch keine Schutzmasken“, sagt der wütende Rolf. Es ist Sommer 2019. „Verbots-Staat“, „Demokratur“, die rhetorische Verpanzerung weicht nicht, selbst nach Ankunft der mit der einstigen Liebschaft zu Friedrich immer offener kokettierenden Tine.
Es ist verblüffend, wie gekonnt Petersdorff sein Mentalitäten-Wetter-Drama inszeniert, bei der beinahe alle Beteiligten ihre Standort-Koordinaten verlieren. Nur Jenny besteht auf ihrer Ordnung: „Dies ist meine Insel, hier ist alles gut“, sagte sie, aber dann landet schon ein Hubschrauber im Garten, die Metaphern gewinnen plötzlich an Gestalt, und irgendwann sagt Jenny den Satz, den der Leser von Anfang an auf der Zunge hat: „Alle Ahnungen werden wahr.“ „Gewittergäste“ ist eine virtuos durchkomponierte Erzählung, die den sprachlichen Sound der Jugendlichen genauso einfängt wie die Zornessprache der vermeintlich Zukurzgekommenen, die freilich auch der manieristischen Übersteuerung nicht immer entgeht: „Der Rauchgeruch von der nahe gelegenen Holzkohlenfabrik lag wie milder Schwachsinn über der Szene.“
Man sollte nicht zu viel vom Geschehen verraten, denn Petersdorff hat sein west-/ostdeutsches Milieustück nicht nur mit genau abgelauschten Zitaten, sondern auch mit allerlei starken Motiven und Andeutungen ausgestattet, die sämtlich im Plot eingelöst werden. Und zu alledem lässt Petersdorff sein Licht- und Dunkeltheater laufen, Wind und Dämmerung, Regen und Gewitter – von allem ist ein bisschen zu viel da, aber das liegt nicht nur am Autor, sondern gewiss auch am Zustand der gegenwärtigen Welt.
HILMAR KLUTE
„Verbots-Staat“, „Demokratur“,
die rhetorische
Verpanzerung weicht nicht
Dirk von Petersdorff:
Gewittergäste.
Novelle. C.H. Beck,
München 2022.
124 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
unserer Zeit
Dirk von Petersdorffs virtuose
Novelle „Gewittergäste“
Im vergangenen Jahr hat Dirk von Petersdorff eine neue Sammlung seiner Gedichte vorgelegt, in denen vieles vor Wetterkulissen, Sommer- und Winterhintergründen geschieht, das gilt auch und dort besonders anrührend für Dinge, die heranwachsende Kinder tun. Die Familie steht als festes Gremium in Petersdorffs Poesie, und so ist es auch in seinem neuen Buch.
Dirk von Petersdorff ist ein meisterhafter Stimmungsmacher, ein Lyriker, der weiß, wie man die Anbahnung einer Katastrophe mit aufziehenden Wolken und im Wind schwankenden Bäumen vorbereitet. „Gewittergäste“ heißt sein neues Erzählwerk, eine Novelle, denn Petersdorff, der Neugermanist, liebt den Rückgriff auf die Formen der Klassik, den Reim in der Lyrik, das Dinggedicht und jetzt eben die auf einen Höhepunkt zusteuernde überschaubare Geschichte – man muss die formalen Traditionen nicht groß referieren.
„Gewittergäste“ ist eine Erzählung aus unseren brüchigen, von allseitigen Bedrohungen und Zumutungen umstellten Tagen. Friedrich und seine Frau Jenny leben in einer Stadt im Osten Deutschlands, nach der Wende sind sie hierhergezogen, bald vertraut mit den Idiosynkrasien der Einheimischen, deren Skepsis gegenüber dem Westen und seinen Protagonisten. Zugleich sind Jenny und Friedrich selbstkritisch genug, um keine Feindlinien in den Sand zu zeichnen, denn schließlich sind sie hierhergezogen „um eine neue Region mit anderen Hintergründen kennenzulernen“, so drückt Jenny es aus. Aber der Alltag ist oft beschwerlich, im Kindergarten ist Jenny die bedauernswerte „West-Mutti“, feindliche Blicke treffen sie überall.
Es ist Sommer, ein kritischer Sommer in mehrfacher Hinsicht. Gleich auf der ersten Seite steht der klimatische Befund: braune Rasenstücke, wochenlange Trockenheit, der Sommer von heute. Jenny bereitet eine Abendgesellschaft vor, sie hat einen Kollegen aus Brandenburg eingeladen, Rolf, der sich schon am Telefon mit bedenklicher Querdenker-Terminologie vorgestellt hatte. Dazu soll noch eine frühere Freundin von Friedrich kommen, Thea, und zu alledem passiert am Himmel eine Menge Unheil. Gewitterwolken ziehen auf, eine Drohne, die Paul, einer der beiden Söhne, startet, stürzt in einen Baum. Paul ist zudem völlig verloren an die lokale Legende von einem ehemaligen Soldaten der Roten Armee, der hier einen bei einem NVA-Manöver verunglückten Kameraden betrauern soll und durch die Gegend geistere. Konfliktfelder, wo man hinblickt, Fremdheit und Nervosität, Unbehaustheit und Beschwichtigungsversuche – einzig der ältere Sohn, Georg, fremdelt nicht mit dem Osten. Er hat hier seine Freunde, darunter den Syrer Aras, der sich mit der Geschichte deutscher Kaiser bestens auskennt und als eine Art Integrationsoriginal vorgestellt wird.
Was sich am Himmel zusammenbraut und an Windstärke durch die Tür zieht, findet gleich nach der Ankunft Rolfs und seiner Frau Beate ein atmosphärisches Pendant bei Tisch. Ein hübscher Kniff ist die verschwörungstheoretische Überlegung, dass Deutschland im Fall einer Pandemie völlig schutzlos dastünde: „Wir haben praktisch keine Schutzmasken“, sagt der wütende Rolf. Es ist Sommer 2019. „Verbots-Staat“, „Demokratur“, die rhetorische Verpanzerung weicht nicht, selbst nach Ankunft der mit der einstigen Liebschaft zu Friedrich immer offener kokettierenden Tine.
Es ist verblüffend, wie gekonnt Petersdorff sein Mentalitäten-Wetter-Drama inszeniert, bei der beinahe alle Beteiligten ihre Standort-Koordinaten verlieren. Nur Jenny besteht auf ihrer Ordnung: „Dies ist meine Insel, hier ist alles gut“, sagte sie, aber dann landet schon ein Hubschrauber im Garten, die Metaphern gewinnen plötzlich an Gestalt, und irgendwann sagt Jenny den Satz, den der Leser von Anfang an auf der Zunge hat: „Alle Ahnungen werden wahr.“ „Gewittergäste“ ist eine virtuos durchkomponierte Erzählung, die den sprachlichen Sound der Jugendlichen genauso einfängt wie die Zornessprache der vermeintlich Zukurzgekommenen, die freilich auch der manieristischen Übersteuerung nicht immer entgeht: „Der Rauchgeruch von der nahe gelegenen Holzkohlenfabrik lag wie milder Schwachsinn über der Szene.“
Man sollte nicht zu viel vom Geschehen verraten, denn Petersdorff hat sein west-/ostdeutsches Milieustück nicht nur mit genau abgelauschten Zitaten, sondern auch mit allerlei starken Motiven und Andeutungen ausgestattet, die sämtlich im Plot eingelöst werden. Und zu alledem lässt Petersdorff sein Licht- und Dunkeltheater laufen, Wind und Dämmerung, Regen und Gewitter – von allem ist ein bisschen zu viel da, aber das liegt nicht nur am Autor, sondern gewiss auch am Zustand der gegenwärtigen Welt.
HILMAR KLUTE
„Verbots-Staat“, „Demokratur“,
die rhetorische
Verpanzerung weicht nicht
Dirk von Petersdorff:
Gewittergäste.
Novelle. C.H. Beck,
München 2022.
124 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Dirk von Petersdorff ist ein meisterhafter Stimmungsmacher. ... 'Gewittergäste' ist eine virtuos durchkomponierte Erzählung, die den sprachlichen Sound der Jugendlichen genauso einfängt wie die Zornessprache der vermeintlich Zukurzgekommenen" Süddeutsche Zeitung, Hilmar Klute
"Eine Sommerlektüre, die gnadenlos ausstellt, wie es um das Deutschland der Doppelhausbesitzer am Ende der Ära Merkel steht. Geistreich bis zum Zucken des finalen Gedankenblitzes."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Christian Metz
"Dirk von Petersdorff erzählt abgründig und präzis."
NZZ am Sonntag, Manfred Papst
"Dirk von Petersdorff erzählt wie auf Zehenspitzen. Ganz vornehm, ganz leise. Und trotzdem: Da blitzt Witz auf!"
WDR 4 Buchtipps, Elke Heidenreich
"Das kann ja heiter werden: ... Über dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung brechen sich noch immer unverstandene west-östliche Seelenlagen Bahn. ... Es wird am Ende nicht nur heiter, sondern auch gruselig."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Rainer Hank
"Dirk von Petersdorff erzählt sein literarisches Kammerspiel als Novelle, auf gerade mal 124 Seiten."
BR 24, Buchtipp der Woche, Sabine Zaplin
"Oft komisch und vor allem sehr schräg"
Deutschlandfunk Kultur, Rainer Moritz
"Dirk von Petersdorff gelingt mit seiner Novelle 'Gewittergäste' ein Bravourstück des konzentrierten Erzählens"
Neue Württembergische Zeitung, Georg Leisten
"Klug komponierte, rasant erzählte und spannend zu lesende Erzählung. ... Der gegenwärtige europäischen Ost-West-Konflikt und der Krieg in der Ukraine verleihen dieser lesenswerten Novelle zusätzliche Aktualität."
Rheinische Post, Ronald Schneider
"Eine Sommerlektüre, die gnadenlos ausstellt, wie es um das Deutschland der Doppelhausbesitzer am Ende der Ära Merkel steht. Geistreich bis zum Zucken des finalen Gedankenblitzes."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Christian Metz
"Dirk von Petersdorff erzählt abgründig und präzis."
NZZ am Sonntag, Manfred Papst
"Dirk von Petersdorff erzählt wie auf Zehenspitzen. Ganz vornehm, ganz leise. Und trotzdem: Da blitzt Witz auf!"
WDR 4 Buchtipps, Elke Heidenreich
"Das kann ja heiter werden: ... Über dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung brechen sich noch immer unverstandene west-östliche Seelenlagen Bahn. ... Es wird am Ende nicht nur heiter, sondern auch gruselig."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Rainer Hank
"Dirk von Petersdorff erzählt sein literarisches Kammerspiel als Novelle, auf gerade mal 124 Seiten."
BR 24, Buchtipp der Woche, Sabine Zaplin
"Oft komisch und vor allem sehr schräg"
Deutschlandfunk Kultur, Rainer Moritz
"Dirk von Petersdorff gelingt mit seiner Novelle 'Gewittergäste' ein Bravourstück des konzentrierten Erzählens"
Neue Württembergische Zeitung, Georg Leisten
"Klug komponierte, rasant erzählte und spannend zu lesende Erzählung. ... Der gegenwärtige europäischen Ost-West-Konflikt und der Krieg in der Ukraine verleihen dieser lesenswerten Novelle zusätzliche Aktualität."
Rheinische Post, Ronald Schneider