Frederick Forsyths Bestseller "Die Akte Odessa" hat Eduard Roschmann, Ghettokommandant in Riga, weltweite Publizität verschafft. Kurz nach dem Krieg verhaftet, gelang dem "Schlächter von Riga" 1948 die Flucht über Rom nach Buenos Aires, wo er fast drei Jahrzehnte ein unauffälliges Leben führte. Von der Auslieferung bedroht, setzte er sich 1977 von Argentinien nach Paraguay ab, wo er bald darauf verstarb.Das Leben des subalternen SS-Mannes Eduard Roschmann, eines Bürokraten und Opportunisten, eines Mannes ohne besondere Eigenschaften, ist nur von begrenztem Interesse. Dass er zum Mordpersonal von Riga gehörte, steht außer Frage. Wie seine Person zum Objekt von Spekulationen und Fiktionen werden konnte, inwieweit Zeugnisse und Zeugen, Berichte und Literatur mit der historischen Forschung in Konflikt geraten, ist Thema dieser Studie.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009Rädchen auf der Rattenlinie
Der historische Eduard Roschmann hat mit der Romanfigur in "Die Akte Odessa" wenig gemein.
Von Christian Hartmann
Nur wenige nationalsozialistische Täter wurden so bekannt wie er. Das ist purer Zufall. Seit der "Akte Odessa" - dem 1972 publizierten Thriller von Frederick Forsyth - gilt Eduard Roschmann als "Inbegriff des Teuflischen". Millionen kennen ihn als "Schlächter von Riga" sowie als umtriebigen Spitzenfunktionär jenes geheimnisvollen Netzwerks "Odessa", in dem die SS nach 1945 weitergelebt und -gewirkt haben soll. Was ist daran wahr? Mit dem "Fall Roschmann" wurde Heinz Schneppen erstmals 1989 konfrontiert - nicht als Historiker, sondern als deutscher Botschafter in Paraguay. Dorthin war Roschmann 1977 aus Argentinien geflüchtet, kurz darauf starb er in Asunción. Für Schneppen wurde dies zum Beginn einer Spurensuche. Leicht war sie nicht. Denn vom Leben eines subalternen SS-Funktionärs, der noch dazu die meiste Zeit seines Lebens im Untergrund verbrachte, hat sich nur wenig erhalten. Schon deshalb ist diese biographische Rekonstruktion eine beachtliche Leistung.
Roschmann, 1908 bei Graz geboren, engagierte sich seit 1927 im Steirischen Heimatschutz, der sich schon 1933 der österreichischen NSDAP unterstellte. Von dort war der Weg zur SS nicht weit, in deren Listen Roschmann, der in seiner "zivilen" Existenz als Angestellter wenig Befriedigung fand, ab 1938 geführt wurde. Seit 1941 gehörte er zu jener Mordmaschinerie, die in Europa den Tod von Millionen Menschen organisierte. Seine Laufbahn liest sich so: 1941 Einsatzgruppe A, seit Jahresende "Judenreferent" im Ghetto von Riga, 1943 "Ghettokommandant" und 1944 beim Sonderkommando 1005, das die ermordeten Juden "enterden", verbrennen und so die Spuren der deutschen Massenverbrechen tilgen sollte. Erst 1944 wurde er Untersturmführer, erhielt den niedrigsten Führergrad der SS, obwohl er doch die Voraussetzungen für eine "Führer-Laufbahn" besaß. Sein Biograph kommt zu dem Schluss, dass der historische mit dem literarischen Eduard Roschmann nur wenig gemein hat. Ein Exzesstäter war er nicht; eine Wiener Jüdin, die ihn im Rigaer Ghetto beobachtete, beschrieb ihn als "fad".
Gleichwohl hätte Roschmann nach 1945 schon aufgrund seiner Funktionen den Tod verdient. Dies hätte, mit Verlaub, deutlicher herausgestellt werden können. Noch ärgerlicher ist es, wenn der Verfasser über Seiten die Glaubwürdigkeit der überlebenden Opfer in Zweifel zieht. Keine Frage - die "oral history" hat ihre methodischen Probleme, große sogar. Auch ist es angemessen, ja nötig, wenn Schneppen betont, dass die Zeugenaussage von allen juristischen Beweisen nun einmal der schwächste ist. Doch sollte nicht übersehen werden, wie sehr Typen wie Roschmann auf eine systematische Vernichtung aller Zeugen und Spuren hinarbeiten konnten. Schneppens Ergebnis, es gäbe "keinen Roschmann belastenden konkreten Fall, der von einem zweiten unabhängigen Zeugen bestätigt würde", mag juristisch bedeutsam sein - aber historiographisch? Zur Erinnerung: Bis zu seiner Schließung wurden im Ghetto von Riga, in das seit November 1941 auch "Reichsjuden" deportiert wurden, Zehntausende Menschen umgebracht. Dabei übernahm Roschmann eine zentrale Funktion, ganz unabhängig davon, ob er nun beim Morden selbst Hand anlegte oder nicht. Bemerkenswerterweise begann das auch Roschmann erst allmählich einzusehen. So, als sei nichts gewesen, suchte er nach Kriegsende zunächst sein Leben in Graz fortzusetzen. Erst seine Verhaftung im Dezember 1947 beendete diese Illusion. Kurz darauf gelang ihm die Flucht, bei der er sich ebenfalls jener "Rattenlinien" bediente, die ihn nach Argentinien brachten. Er war nicht der Einzige. Allerdings kursieren auch hier weit übertriebene Zahlen. Vor allem aber: Von einer clandestinen SS-Nachfolgeorganisation fehlt auch hier jede Spur. Roschmanns Fall ist dafür einmal mehr ein Beispiel.
Was folgte, war eine kümmerliche Existenz im Verborgenen, die erst "Odessa" beendete: wohlgemerkt Buch und Film, nicht aber imaginäre "alte Kameraden". Denn durch die Verfilmung des Bestsellers (Maximilian Schell als Roschmann) war er so bekannt geworden, dass ihm der Boden in Argentinien allmählich zu heiß wurde. Dass seine Flucht in Paraguay schließlich endete, war eher Zufall. Als Mann ohne Eigenschaften wird er beschrieben, aber eben auch als ein gut funktionierendes Rädchen einer monströsen Vernichtungsmaschinerie. So gesehen ist Roschmann ein weiteres Beispiel für die Banalität des Bösen.
Heinz Schneppen: Ghettokommandant in Riga - Eduard Roschmann. Fakten und Fiktionen. Metropol Verlag, Berlin 2009. 343 S., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der historische Eduard Roschmann hat mit der Romanfigur in "Die Akte Odessa" wenig gemein.
Von Christian Hartmann
Nur wenige nationalsozialistische Täter wurden so bekannt wie er. Das ist purer Zufall. Seit der "Akte Odessa" - dem 1972 publizierten Thriller von Frederick Forsyth - gilt Eduard Roschmann als "Inbegriff des Teuflischen". Millionen kennen ihn als "Schlächter von Riga" sowie als umtriebigen Spitzenfunktionär jenes geheimnisvollen Netzwerks "Odessa", in dem die SS nach 1945 weitergelebt und -gewirkt haben soll. Was ist daran wahr? Mit dem "Fall Roschmann" wurde Heinz Schneppen erstmals 1989 konfrontiert - nicht als Historiker, sondern als deutscher Botschafter in Paraguay. Dorthin war Roschmann 1977 aus Argentinien geflüchtet, kurz darauf starb er in Asunción. Für Schneppen wurde dies zum Beginn einer Spurensuche. Leicht war sie nicht. Denn vom Leben eines subalternen SS-Funktionärs, der noch dazu die meiste Zeit seines Lebens im Untergrund verbrachte, hat sich nur wenig erhalten. Schon deshalb ist diese biographische Rekonstruktion eine beachtliche Leistung.
Roschmann, 1908 bei Graz geboren, engagierte sich seit 1927 im Steirischen Heimatschutz, der sich schon 1933 der österreichischen NSDAP unterstellte. Von dort war der Weg zur SS nicht weit, in deren Listen Roschmann, der in seiner "zivilen" Existenz als Angestellter wenig Befriedigung fand, ab 1938 geführt wurde. Seit 1941 gehörte er zu jener Mordmaschinerie, die in Europa den Tod von Millionen Menschen organisierte. Seine Laufbahn liest sich so: 1941 Einsatzgruppe A, seit Jahresende "Judenreferent" im Ghetto von Riga, 1943 "Ghettokommandant" und 1944 beim Sonderkommando 1005, das die ermordeten Juden "enterden", verbrennen und so die Spuren der deutschen Massenverbrechen tilgen sollte. Erst 1944 wurde er Untersturmführer, erhielt den niedrigsten Führergrad der SS, obwohl er doch die Voraussetzungen für eine "Führer-Laufbahn" besaß. Sein Biograph kommt zu dem Schluss, dass der historische mit dem literarischen Eduard Roschmann nur wenig gemein hat. Ein Exzesstäter war er nicht; eine Wiener Jüdin, die ihn im Rigaer Ghetto beobachtete, beschrieb ihn als "fad".
Gleichwohl hätte Roschmann nach 1945 schon aufgrund seiner Funktionen den Tod verdient. Dies hätte, mit Verlaub, deutlicher herausgestellt werden können. Noch ärgerlicher ist es, wenn der Verfasser über Seiten die Glaubwürdigkeit der überlebenden Opfer in Zweifel zieht. Keine Frage - die "oral history" hat ihre methodischen Probleme, große sogar. Auch ist es angemessen, ja nötig, wenn Schneppen betont, dass die Zeugenaussage von allen juristischen Beweisen nun einmal der schwächste ist. Doch sollte nicht übersehen werden, wie sehr Typen wie Roschmann auf eine systematische Vernichtung aller Zeugen und Spuren hinarbeiten konnten. Schneppens Ergebnis, es gäbe "keinen Roschmann belastenden konkreten Fall, der von einem zweiten unabhängigen Zeugen bestätigt würde", mag juristisch bedeutsam sein - aber historiographisch? Zur Erinnerung: Bis zu seiner Schließung wurden im Ghetto von Riga, in das seit November 1941 auch "Reichsjuden" deportiert wurden, Zehntausende Menschen umgebracht. Dabei übernahm Roschmann eine zentrale Funktion, ganz unabhängig davon, ob er nun beim Morden selbst Hand anlegte oder nicht. Bemerkenswerterweise begann das auch Roschmann erst allmählich einzusehen. So, als sei nichts gewesen, suchte er nach Kriegsende zunächst sein Leben in Graz fortzusetzen. Erst seine Verhaftung im Dezember 1947 beendete diese Illusion. Kurz darauf gelang ihm die Flucht, bei der er sich ebenfalls jener "Rattenlinien" bediente, die ihn nach Argentinien brachten. Er war nicht der Einzige. Allerdings kursieren auch hier weit übertriebene Zahlen. Vor allem aber: Von einer clandestinen SS-Nachfolgeorganisation fehlt auch hier jede Spur. Roschmanns Fall ist dafür einmal mehr ein Beispiel.
Was folgte, war eine kümmerliche Existenz im Verborgenen, die erst "Odessa" beendete: wohlgemerkt Buch und Film, nicht aber imaginäre "alte Kameraden". Denn durch die Verfilmung des Bestsellers (Maximilian Schell als Roschmann) war er so bekannt geworden, dass ihm der Boden in Argentinien allmählich zu heiß wurde. Dass seine Flucht in Paraguay schließlich endete, war eher Zufall. Als Mann ohne Eigenschaften wird er beschrieben, aber eben auch als ein gut funktionierendes Rädchen einer monströsen Vernichtungsmaschinerie. So gesehen ist Roschmann ein weiteres Beispiel für die Banalität des Bösen.
Heinz Schneppen: Ghettokommandant in Riga - Eduard Roschmann. Fakten und Fiktionen. Metropol Verlag, Berlin 2009. 343 S., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heinz Schneppens Biografie Eduard Roschmanns zeichnet für den Rezensenten Christian Hartmann ein Bild des Ghettokommandanten von Riga, das mit der Romanfigur in Frederick Forsyths bekannten Thriller "Die Akte Odessa" nicht viel gemein hat. Angesichts der Schwierigkeiten der Recherche hält er die biografische Rekonstruktion des Autors für eine "beachtliche Leistung". Er hätte sich freilich gewünscht, Schneppen hätte die Verantwortlichkeit Roschmanns für den Tod von Zehntausenden von Juden im Ghetto von Riga besser herausgestellt. Dass der Autor stattdessen die Glaubwürdigkeit überlebender Zeugen in Zweifel zieht, findet er geradezu ärgerlich. Deutlich wird seines Erachtens allerdings auch, dass Roschmann ein "Mann ohne Eigenschaften" war, der in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis ein "gut funktionierendes Rädchen" darstellte.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH