Hochbrisant, Topaktuell
Der britische Ex-Premierminister Adam Lang will seine Memoiren veröffentlichen. Nach dem dubiosen Tod seines Ghostwriters recherchiert dessen Nachfolger genauer als verlangt und macht eine Entdeckung, die zu einem weltpolitischen Chaos führen kann. War der Premier im "Krieg gegen den Terror" eine Marionette der CIA?
Niemand zuvor hat Großbritannien so lange regiert wie Premierminister Adam Lang. Nun ist er aus dem Amt geschieden, und alle Welt erwartet sehnsüchtig die Memoiren des charismatischen Machtmenschen. Sensationelle zehn Millionen Dollar Vorschuss hat ihm sein amerikanischer Verleger geboten. Unter zwei Bedingungen: Das Buch muss binnen zwei Jahren auf dem Markt sein, und der Ex-Premier soll in Sachen Krieg gegen den Terror kein Blatt vor den Mund nehmen. Ein halbes Jahr vor dem Termin passiert das Undenkbare: Am Ufer der US-amerikanischen Insel Martha-s Vineyard, wohin sich Adam Lang zum Arbeiten an seinen Erinnerungen zurückgezogen hat, wird die Leiche seines Ghostwriters angeschwemmt. War es Mord? Schnell wird ein Ersatzmann gefunden, der auf eigene Faust noch genauer als sein Vorgänger in der Vergangenheit des Machtpolitikers recherchiert. Und dabei stößt er auf Dinge, die so brisant sind, dass deren Veröffentlichung zu einem weltpolitischen Chaos führen würde.
Der britische Ex-Premierminister Adam Lang will seine Memoiren veröffentlichen. Nach dem dubiosen Tod seines Ghostwriters recherchiert dessen Nachfolger genauer als verlangt und macht eine Entdeckung, die zu einem weltpolitischen Chaos führen kann. War der Premier im "Krieg gegen den Terror" eine Marionette der CIA?
Niemand zuvor hat Großbritannien so lange regiert wie Premierminister Adam Lang. Nun ist er aus dem Amt geschieden, und alle Welt erwartet sehnsüchtig die Memoiren des charismatischen Machtmenschen. Sensationelle zehn Millionen Dollar Vorschuss hat ihm sein amerikanischer Verleger geboten. Unter zwei Bedingungen: Das Buch muss binnen zwei Jahren auf dem Markt sein, und der Ex-Premier soll in Sachen Krieg gegen den Terror kein Blatt vor den Mund nehmen. Ein halbes Jahr vor dem Termin passiert das Undenkbare: Am Ufer der US-amerikanischen Insel Martha-s Vineyard, wohin sich Adam Lang zum Arbeiten an seinen Erinnerungen zurückgezogen hat, wird die Leiche seines Ghostwriters angeschwemmt. War es Mord? Schnell wird ein Ersatzmann gefunden, der auf eigene Faust noch genauer als sein Vorgänger in der Vergangenheit des Machtpolitikers recherchiert. Und dabei stößt er auf Dinge, die so brisant sind, dass deren Veröffentlichung zu einem weltpolitischen Chaos führen würde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2007Das Downing-Street-Dreieck
Polemisch, spannend, pikant: "The Ghost", der neue Roman des Bestsellerautors Robert Harris, ist ein Schlüsselroman über das Jahrzehnt, in dem Tony Blair Großbritannien regiert hat.
LONDON, im Oktober
Ein kürzlich aus dem Amt geschiedener britischer Premierminister, der sich jedem vernünftigen Rat widersetzt hat, um einen Krieg gegen den Terror zu führen, und nun für einen Vorschuss von zehn Millionen Dollar seine Erinnerungen schreiben soll. Seine launisch-herrische Ehefrau, die unbeliebt ist und oft ins Fettnäpfchen tritt, obwohl man ihr nachsagt, klüger zu sein als ihr schauspielerisch begabter Mann. Die tüchtige Privatsekretärin, die zum unverhohlenen Ärger der Ehefrau ein einmaliges Vertrauensverhältnis zu ihrem Chef genießt. Und ein nachtragender Ex-Außenminister, von dem es heißt, er habe seinen Posten verloren, weil er nicht auf die Linie Washingtons eingeschwenkt war, und der nun unter dem Deckmantel der politischen Moral Rache übt gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten, indem er dafür sorgt, dass er vor das Kriegsverbrechergericht in Den Haag gestellt wird.
Das Gerippe von "The Ghost" (gemeint ist der Ghostwriter), dem jüngsten Thriller von Robert Harris, lässt unweigerlich auf einen dünn verschleierten Roman über Tony und Cherie Blair schließen, zumal der Bestsellerautor von "Vaterland", "Enigma" und "Pompeji" in seiner Zeit als politischer Journalist die Anfänge von Neu-Labour aus nächster Nähe wohlwollend begleitet und unterdessen mit seiner Enttäuschung über die Blair-Jahre nicht hinter dem Berg gehalten hat. Bei der ersten Begegnung 1992 hatte der damalige Kolumnist der "Sunday Times" den Schattenarbeitsminister als einen Politiker erkannt, der die Labour Party nach den langen Jahren in der Opposition wieder regierungsfähig machen konnte. Es entwickelte sich eine nähere Bekanntschaft, die dazu führte, dass Harris im Wahlkampf 1997 von Blair als wohlwollender Chronist ausgewählt und überallhin mitgenommen wurde. Er erlebte, wie er selber sagt, somit "den Rausch und die Aufregung der Labour-Revolution aus erster Hand".
Wie sehr er als Romanschriftsteller von den Beobachtungen jener Monate zehrt, bezeugte schon "Imperium", der erste Band einer geplanten Trilogie über Cicero, mochte der Autor noch so sehr bestreiten, dass die altrömischen Machenschaften bloß "New Labour in Toga" seien. Als Entgegnung verweist Harris gern auf Henry James, der während eines Sommers fünf bis sechs prägende Wochen erlebte, aus denen alle späteren Werke geschöpft hätten. Aufgrund der Insider-Kenntnisse des Autors hat "The Ghost" sogar auf den Nachrichtenseiten der englischen Zeitungen Schlagzeilen mit halbernsten Spekulationen über Blairs Verhältnis zu seiner langjährigen Bürochefin Anji Hunter inspiriert. Die eifrigen Dechiffrierer des Schlüsselromans haben in der hochgeschminkten, benagellackten Blondine Amelia Bly, deren Beziehung zu ihrem Premierminster Lang über das Berufliche hinausgeht, das fiktive Alter Ego Anji Hunters erkennen wollen. Schließlich war deren gespanntes Verhältnis zu Cherie Blair im vertrauten Muster der Dreierkonstellation Chef, Ehefrau, Sekretärin ein offenes Geheimnis. "Der Premierminister, seine glamouröse Beraterin und eine eifersüchtige Ehefrau . . . Aber es ist nur ein Roman", witzelte eine Zeitung in ihrer Schlagzeile, "Staatsaffären", kalauerte eine andere, wohlwissend, dass der Wink ganz und gar unfundiert war.
Zu Beginn des Romans steht wie am Ende von Maxim Billers "Esra" der formelhafte Hinweis, dass alles nur ausgedacht und "jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder verstorben, mit Ereignissen oder Örtlichkeiten rein zufällig" ist. Und als wäre diese Aussage nicht deutlich genug, stellt Harris der Geschichte noch das Zitat voran, das Evelyn Waugh an den Anfang von "Wiedersehen mit Brideshead" setzte: "Ich bin nicht ich; du bist nicht er, nicht sie; sie sind nicht sie."
Das will dem Autor aber niemand so recht abnehmen. Sein Ex-Premierminister heißt Alan Lang, und es ist wohl kein Zufall, dass sich die Silbenzahl seines Namens mit der von Tony Blair deckt. Langs Erinnerungen werden ironisch als "the people's memoirs" bezeichnet, in Anspielung auf die von den Imagemachern der Neu-Labour-Leute in allen Varianten bemühte Possesivbezeichnung "people's", der sich besonders durch Blairs Würdigung der verunglückten Diana als "people's princess" einprägte. Obwohl Harris biographische Einzelheiten verändert hat, quillt das Buch über vor kaum versteckten Hinweisen auf die leibhafte Hauptfigur, von dem bekannten Gruppenfoto aus den Studienjahren, wo der langhaarige Student mit Strohhut abgebildet ist, über den Einschnitt, den der frühe Tod der Mutter markiert, und die Urlaube in der Karibik bis hin zum orangefarbenen Teint seiner Schminke, über den man sich in Westminster so lange lustig machte, bis im Parlament sogar eine offizielle Frage über die Höhe der Ausgaben für Blairs Kosmetika gestellt und formgerecht beantwortet wurde. Vor allem aber ist die Personenbeschreibung Langs und seiner linkischen, schwarzhaarigen Frau Ruth stechend genau, so dass man Tony und Cherie Blair ständig vor Augen hat. Großartig fängt Harris die studentisch-lässige Allüre des Politikers ein, der zur Begrüßung "Hi man" sagt und hoch und heilig beteuert, alles, was er als Parteiführer und Premierminister getan habe, aus Überzeugung getan zu haben, "weil ich glaubte, dass es das Richtige war".
Der Thriller erzählt von einem namenlosen Ghostwriter, der das dröge Manuskript Langs aufpeppen soll, damit es anders als so viele dickbändige Politikermemoiren nicht bald auf dem Remittendenstapel landet. Das Buch, dessen deutsche Übersetzung in diesen Tagen unter dem absurderweise einerseits verkürzten, andererseits nicht verdeutschten Titel "Ghost" bei uns erschienen ist (Heyne Verlag), spielt weitgehend in den Vereinigten Staaten. Langs amerikanischer Verleger hat seinen Feriensitz auf Martha's Vineyard, der bei der Hautevolee der Ostküste beliebten Insel vor Cape Cod, zur Verfügung gestellt, um das Millionenprojekt voranzutreiben. Der Vorgänger der Erzählerfigur ist auf rätselhafte Weise umgekommen. Sein in aller Eile angeheuerter Ersatz spürt bald, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht, und begibt sich wie ein Privatdetektiv des Philip-Marlowe-Typs auf Eigenrecherche. Dabei deckt er auf, was sein Vorgänger auf Kosten seines Lebens scheinbar auch herausgefunden hatte: dass Lang bis über die Ohren mit der CIA verstrickt ist und sich deswegen in allem Washington fügt.
Harris ist ein gekonnter Dramaturg, so dass sich das Buch auch als einfacher Reißer lesen lässt. Es gibt jedoch mehr her. Manche sehen darin eine Satire auf das habgierige Verlagswesen. In ihrem Hunger nach neuen Trends haben Literaturkritiker "The Ghost" aber auch als den ersten "Sat-Nav"-Roman bezeichnet, weil ein Navigationssystem eine Schlüsselrolle in der Auflösung des Rätsels spielt. Vor allem aber schreibt sich Harris seine bittere Enttäuschung über Blair von der Seele. Als enger Freund Peter Mandelsons war Harris entsetzt über Blairs Abfertigung des Ministers, als dieser 2001 beschuldigt wurde, indischen Parteispendern durch die Hintertür einen Pass verschafft zu haben. In der "Sunday Times" tat Harris seinerzeit die "Abscheu" kund, die er "für die kaltherzigen Methoden von Neu-Labour" verspürte. Zu der persönlichen Ernüchterung kam die politische hinzu. Harris fand, wie er im März 2003 schrieb, "die ganze Sache mit Irak von Anfang an inakzeptabel". Seit fast einem halben Jahrhundert, hieß es damals weiter, "hat kein britischer Premierminister einen Krieg erwogen mit so geringer öffentlicher Unterstützung und so vielen Kollegen, die dagegen sind, ungeachtet des Widerstands der meisten unserer Alliierten, und das (um es so milde wie möglich auszudrücken) bei fragwürdiger völkerrechtlicher Legitimation".
Ähnliche Sätze sind im Roman zu finden. "Nennen Sie mir eine Entscheidung, die Adam Lang als Premierminister fällte, die nicht im Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen ist", fordert der ehemalige Außenminister den Ghostwriter heraus. "Ich habe Freunde in Washington, die einfach nicht glauben können, wie Lang Außenpolitik gemacht hat. Ich meine, es war ihnen peinlich, wie viel Unterstützung er geleistet und wie wenig er im Gegenzug erhalten hat", fährt der Verdrossene fort.
"The Ghost" ist denn auch genauso als Polemik gegen Blairs "servile" Einstellung zu George W. Bush zu verstehen wie der wütende kleine Band mit dem Titel "Yo, Blair", in dem Harris' Freund, der Journalist Geoffrey Wheatcroft, behauptet, Britannien habe in dem unheilvollen Blair-Jahrzehnt aufgehört, eine unabhängige Nation zu sein. Der Roman zeichnet das Porträt eines geschickten post-ideologischen Politikers, der mehr Schau als Substanz an den Tag legt und selbst seinen engsten Vertrauten ein Rätsel bleibt. "Mir war klar, dass ich ein grundsätzliches Problem mit unserem ehemaligen Premierminister hatte", konstatiert der Ghostwriter, als er begreift, was er sich mit diesem Auftrag eingebrockt hat. "Er war keine psychologisch glaubwürdige Figur. Persönlich oder auf der Leinwand schien er eine starke Persönlichkeit zu sein. Aber wenn man sich hinsetzte und über ihn nachdachte, verschwand er irgendwie."
Diese Zeilen, geschrieben, bevor Tony Blair Downing Street verließ, wirken besonders nachhaltig, wenn man bedenkt, wie er, der die Geschicke Britanniens ein Jahrzehnt lang beherrschte, von der Bühne verschwunden ist, als sei er nie dagewesen.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Polemisch, spannend, pikant: "The Ghost", der neue Roman des Bestsellerautors Robert Harris, ist ein Schlüsselroman über das Jahrzehnt, in dem Tony Blair Großbritannien regiert hat.
LONDON, im Oktober
Ein kürzlich aus dem Amt geschiedener britischer Premierminister, der sich jedem vernünftigen Rat widersetzt hat, um einen Krieg gegen den Terror zu führen, und nun für einen Vorschuss von zehn Millionen Dollar seine Erinnerungen schreiben soll. Seine launisch-herrische Ehefrau, die unbeliebt ist und oft ins Fettnäpfchen tritt, obwohl man ihr nachsagt, klüger zu sein als ihr schauspielerisch begabter Mann. Die tüchtige Privatsekretärin, die zum unverhohlenen Ärger der Ehefrau ein einmaliges Vertrauensverhältnis zu ihrem Chef genießt. Und ein nachtragender Ex-Außenminister, von dem es heißt, er habe seinen Posten verloren, weil er nicht auf die Linie Washingtons eingeschwenkt war, und der nun unter dem Deckmantel der politischen Moral Rache übt gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten, indem er dafür sorgt, dass er vor das Kriegsverbrechergericht in Den Haag gestellt wird.
Das Gerippe von "The Ghost" (gemeint ist der Ghostwriter), dem jüngsten Thriller von Robert Harris, lässt unweigerlich auf einen dünn verschleierten Roman über Tony und Cherie Blair schließen, zumal der Bestsellerautor von "Vaterland", "Enigma" und "Pompeji" in seiner Zeit als politischer Journalist die Anfänge von Neu-Labour aus nächster Nähe wohlwollend begleitet und unterdessen mit seiner Enttäuschung über die Blair-Jahre nicht hinter dem Berg gehalten hat. Bei der ersten Begegnung 1992 hatte der damalige Kolumnist der "Sunday Times" den Schattenarbeitsminister als einen Politiker erkannt, der die Labour Party nach den langen Jahren in der Opposition wieder regierungsfähig machen konnte. Es entwickelte sich eine nähere Bekanntschaft, die dazu führte, dass Harris im Wahlkampf 1997 von Blair als wohlwollender Chronist ausgewählt und überallhin mitgenommen wurde. Er erlebte, wie er selber sagt, somit "den Rausch und die Aufregung der Labour-Revolution aus erster Hand".
Wie sehr er als Romanschriftsteller von den Beobachtungen jener Monate zehrt, bezeugte schon "Imperium", der erste Band einer geplanten Trilogie über Cicero, mochte der Autor noch so sehr bestreiten, dass die altrömischen Machenschaften bloß "New Labour in Toga" seien. Als Entgegnung verweist Harris gern auf Henry James, der während eines Sommers fünf bis sechs prägende Wochen erlebte, aus denen alle späteren Werke geschöpft hätten. Aufgrund der Insider-Kenntnisse des Autors hat "The Ghost" sogar auf den Nachrichtenseiten der englischen Zeitungen Schlagzeilen mit halbernsten Spekulationen über Blairs Verhältnis zu seiner langjährigen Bürochefin Anji Hunter inspiriert. Die eifrigen Dechiffrierer des Schlüsselromans haben in der hochgeschminkten, benagellackten Blondine Amelia Bly, deren Beziehung zu ihrem Premierminster Lang über das Berufliche hinausgeht, das fiktive Alter Ego Anji Hunters erkennen wollen. Schließlich war deren gespanntes Verhältnis zu Cherie Blair im vertrauten Muster der Dreierkonstellation Chef, Ehefrau, Sekretärin ein offenes Geheimnis. "Der Premierminister, seine glamouröse Beraterin und eine eifersüchtige Ehefrau . . . Aber es ist nur ein Roman", witzelte eine Zeitung in ihrer Schlagzeile, "Staatsaffären", kalauerte eine andere, wohlwissend, dass der Wink ganz und gar unfundiert war.
Zu Beginn des Romans steht wie am Ende von Maxim Billers "Esra" der formelhafte Hinweis, dass alles nur ausgedacht und "jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder verstorben, mit Ereignissen oder Örtlichkeiten rein zufällig" ist. Und als wäre diese Aussage nicht deutlich genug, stellt Harris der Geschichte noch das Zitat voran, das Evelyn Waugh an den Anfang von "Wiedersehen mit Brideshead" setzte: "Ich bin nicht ich; du bist nicht er, nicht sie; sie sind nicht sie."
Das will dem Autor aber niemand so recht abnehmen. Sein Ex-Premierminister heißt Alan Lang, und es ist wohl kein Zufall, dass sich die Silbenzahl seines Namens mit der von Tony Blair deckt. Langs Erinnerungen werden ironisch als "the people's memoirs" bezeichnet, in Anspielung auf die von den Imagemachern der Neu-Labour-Leute in allen Varianten bemühte Possesivbezeichnung "people's", der sich besonders durch Blairs Würdigung der verunglückten Diana als "people's princess" einprägte. Obwohl Harris biographische Einzelheiten verändert hat, quillt das Buch über vor kaum versteckten Hinweisen auf die leibhafte Hauptfigur, von dem bekannten Gruppenfoto aus den Studienjahren, wo der langhaarige Student mit Strohhut abgebildet ist, über den Einschnitt, den der frühe Tod der Mutter markiert, und die Urlaube in der Karibik bis hin zum orangefarbenen Teint seiner Schminke, über den man sich in Westminster so lange lustig machte, bis im Parlament sogar eine offizielle Frage über die Höhe der Ausgaben für Blairs Kosmetika gestellt und formgerecht beantwortet wurde. Vor allem aber ist die Personenbeschreibung Langs und seiner linkischen, schwarzhaarigen Frau Ruth stechend genau, so dass man Tony und Cherie Blair ständig vor Augen hat. Großartig fängt Harris die studentisch-lässige Allüre des Politikers ein, der zur Begrüßung "Hi man" sagt und hoch und heilig beteuert, alles, was er als Parteiführer und Premierminister getan habe, aus Überzeugung getan zu haben, "weil ich glaubte, dass es das Richtige war".
Der Thriller erzählt von einem namenlosen Ghostwriter, der das dröge Manuskript Langs aufpeppen soll, damit es anders als so viele dickbändige Politikermemoiren nicht bald auf dem Remittendenstapel landet. Das Buch, dessen deutsche Übersetzung in diesen Tagen unter dem absurderweise einerseits verkürzten, andererseits nicht verdeutschten Titel "Ghost" bei uns erschienen ist (Heyne Verlag), spielt weitgehend in den Vereinigten Staaten. Langs amerikanischer Verleger hat seinen Feriensitz auf Martha's Vineyard, der bei der Hautevolee der Ostküste beliebten Insel vor Cape Cod, zur Verfügung gestellt, um das Millionenprojekt voranzutreiben. Der Vorgänger der Erzählerfigur ist auf rätselhafte Weise umgekommen. Sein in aller Eile angeheuerter Ersatz spürt bald, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht, und begibt sich wie ein Privatdetektiv des Philip-Marlowe-Typs auf Eigenrecherche. Dabei deckt er auf, was sein Vorgänger auf Kosten seines Lebens scheinbar auch herausgefunden hatte: dass Lang bis über die Ohren mit der CIA verstrickt ist und sich deswegen in allem Washington fügt.
Harris ist ein gekonnter Dramaturg, so dass sich das Buch auch als einfacher Reißer lesen lässt. Es gibt jedoch mehr her. Manche sehen darin eine Satire auf das habgierige Verlagswesen. In ihrem Hunger nach neuen Trends haben Literaturkritiker "The Ghost" aber auch als den ersten "Sat-Nav"-Roman bezeichnet, weil ein Navigationssystem eine Schlüsselrolle in der Auflösung des Rätsels spielt. Vor allem aber schreibt sich Harris seine bittere Enttäuschung über Blair von der Seele. Als enger Freund Peter Mandelsons war Harris entsetzt über Blairs Abfertigung des Ministers, als dieser 2001 beschuldigt wurde, indischen Parteispendern durch die Hintertür einen Pass verschafft zu haben. In der "Sunday Times" tat Harris seinerzeit die "Abscheu" kund, die er "für die kaltherzigen Methoden von Neu-Labour" verspürte. Zu der persönlichen Ernüchterung kam die politische hinzu. Harris fand, wie er im März 2003 schrieb, "die ganze Sache mit Irak von Anfang an inakzeptabel". Seit fast einem halben Jahrhundert, hieß es damals weiter, "hat kein britischer Premierminister einen Krieg erwogen mit so geringer öffentlicher Unterstützung und so vielen Kollegen, die dagegen sind, ungeachtet des Widerstands der meisten unserer Alliierten, und das (um es so milde wie möglich auszudrücken) bei fragwürdiger völkerrechtlicher Legitimation".
Ähnliche Sätze sind im Roman zu finden. "Nennen Sie mir eine Entscheidung, die Adam Lang als Premierminister fällte, die nicht im Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen ist", fordert der ehemalige Außenminister den Ghostwriter heraus. "Ich habe Freunde in Washington, die einfach nicht glauben können, wie Lang Außenpolitik gemacht hat. Ich meine, es war ihnen peinlich, wie viel Unterstützung er geleistet und wie wenig er im Gegenzug erhalten hat", fährt der Verdrossene fort.
"The Ghost" ist denn auch genauso als Polemik gegen Blairs "servile" Einstellung zu George W. Bush zu verstehen wie der wütende kleine Band mit dem Titel "Yo, Blair", in dem Harris' Freund, der Journalist Geoffrey Wheatcroft, behauptet, Britannien habe in dem unheilvollen Blair-Jahrzehnt aufgehört, eine unabhängige Nation zu sein. Der Roman zeichnet das Porträt eines geschickten post-ideologischen Politikers, der mehr Schau als Substanz an den Tag legt und selbst seinen engsten Vertrauten ein Rätsel bleibt. "Mir war klar, dass ich ein grundsätzliches Problem mit unserem ehemaligen Premierminister hatte", konstatiert der Ghostwriter, als er begreift, was er sich mit diesem Auftrag eingebrockt hat. "Er war keine psychologisch glaubwürdige Figur. Persönlich oder auf der Leinwand schien er eine starke Persönlichkeit zu sein. Aber wenn man sich hinsetzte und über ihn nachdachte, verschwand er irgendwie."
Diese Zeilen, geschrieben, bevor Tony Blair Downing Street verließ, wirken besonders nachhaltig, wenn man bedenkt, wie er, der die Geschicke Britanniens ein Jahrzehnt lang beherrschte, von der Bühne verschwunden ist, als sei er nie dagewesen.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Höchst angetan zeigt sich Rezensentin Gina Thomas von Robert Harris' neuem Roman "The Ghost", den sie als "polemisch, spannend, pikant" lobt. Der Roman lässt sich ihres Erachtens als einfacher, aber fesselnder Thriller über die Verstrickungen eines ehemaligen britischen Premierministers mit der CIA lesen - nicht zuletzt wegen seiner gekonnten Dramaturgie. Darüber hinaus sieht Thomas in dem Buch allerdings einen überaus aufschlussreichen "Schlüsselroman" über die Ära Tony Blair. Trotz der Veränderung von biografischen Einzelheiten findet sie in dem Buch zahllose Anspielungen, Hinweise und Personenbeschreibungen, die für sie nur den Schluss zulassen, bei Alan Lang handle es sich um Tony Blair, bei Langs Gattin Ruth um Blairs Frau Cherie und bei Amelia Bly um Blairs Bürochefin und Vertraute Anji Hunter. Zudem spricht für diese Deutung ihrer Ansicht nach der Umstand, dass Harris 1997 als wohlwollender Chronist Tony Blairs Wahlkampf, große Hoffnungen in den Premierminister setzte und bitter enttäuscht wurde. Eine Enttäuschung, so die Rezensentin, die er sich in "The Ghost" durchaus polemisch von der Seele geschrieben habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Eine furiose Abrechnung mit dem Politiker Blair." ZDF aspekte