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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2003

Laß uns, Süße, mit Libellenflügeln in ein anderes Licht entfliegen
Das Gesamtwerk des Meisters, fabelhaft dokumentiert: Filippo Pedroccos prachtvoller Band über den Verführer Tiepolo

Casanova scheute keinen Aufwand, um die Dame des Herzens zu beglücken. Als ihm 1753 die Nonne, die er in seinen Memoiren M. M. nennt, ein nächtliches Tête-a-tête vorschlug, mietete er in Venedig ein vornehmes Haus. Alles und jedes, hebt der Autobiograph hervor, "war wohl bedacht für die Freuden der Liebe und der guten Tafel". Die Kochkunst wie die Ausstattung des Speisezimmers gehörten schon zum Spiel der Verführung: "Es war mit Spiegeln, Kronleuchtern und einem weißen Marmorkamin geschmückt, dessen prächtiger Aufsatz auf kleinen gemalten chinesischen Kacheln reizvolle Liebespaare im paradiesischen Zustand zeigte, die durch ihre lüsternen Stellungen die Phantasie entzündeten."

Venedig war längst nicht mehr die Großmacht, die den europäischen Handel bestimmte, aber es war immer noch reich genug, um sich zu einem Vergnügungsort ersten Ranges zu erheben. Das heitere Licht der Lagune wurde buchstäblich zum Zeichen der Aufklärung. Man glaubte nicht mehr an strenge himmlische Gewalten, sondern nutzte den Tag. Casanova kümmerte sich kaum noch um das Leben nach dem Tod, vielmehr suchte er nach Freuden auf Erden, die das Herz erfüllen. Nicht die Verführung, sondern der Weg der Verführung, das Gespräch, die gute Tafel, das Geplänkel, die glänzenden Stoffe, das Blenden und Enthüllen bedeuteten schon das Glück. Die venezianischen Künstler des achtzehnten Jahrhunderts waren in der Regel nicht grüblerisch, doch sie besaßen Mut und Leichtsinn genug, um das Dasein in ein gutes Licht zu rücken.

Vornehmlich die Maler der Lagunenstadt sorgten dafür, daß die venezianische Sonne in ganz Europa begehrt war. Quer durch den Kontinent verlangte man nach den lichtdurchfluteten Bildern eines Canaletto, Guardi und Tiepolo. An Heiterkeit und Witz, an Sinn für das Farbige und Epische stand Tiepolo einem Casanova nicht nach, ja der Maler scheint den Abenteurer erst möglich gemacht zu haben. Das prüde neunzehnte Jahrhundert hatte an Tiepolo nicht viel Interesse. Man hielt ihn für gehaltlos und oberflächlich. Erst das zwanzigste Jahrhundert beehrte ihn mit großen Monographien. Filippo Pedrocco legt jetzt ein Buch vor, das im Katalog alle Bilder des Meisters in Schwarzweiß erfaßt. Im Hauptteil werden Leben und Schaffen des Malers umrissen, durchsetzt mit vielen farbigen Bildern, die durch das große Format dieses hinreißenden Bandes prachtvoll in Erscheinung treten. Die Stärke des Buches liegt denn nicht in einem neuen, originellen Blick auf den Maler, sondern in der breiten, sorgfältigen Dokumentation der Werke.

Tieopolo wird 1696 in Venedig geboren und beginnt dort mit vierzehn Jahren eine Lehre in der Werkstatt von Gregorio Lazzarini, wo er die technischen Grundlagen der Malerei erlernt. Schon der zeitgenössische Biograph von Lazzarini, Da Canal, erklärt, Tiepolo habe sich rasch von der Malweise des Lehrers "entfernt, und, da voller Geist und Feuer, einer schnellen und forschen Malart zugewandt". Man könnte die behende Technik bereits als inhaltliches Programm deuten: So wie die Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts kaum noch ein geschlossenes Weltgebäude entwerfen, sondern mit essayistischer Verve das Statische, Metaphysische kritisieren, so untergräbt Tiepolo das Pathos der barocken Malerei durch seine spielerische Art. Er bietet eine heitere, offene Welt dar, einerlei, ob sie mit Heiligen, antiken Göttern, historischen Helden oder Zeitgenossen bevölkert ist.

Pedrocco hält sich allerdings von solchen Spekulationen fern. Für ihn ist Tiepolo schlicht ein Maler des Ancien régime, nicht der Aufklärung. Der venezianische Hintergrund, vor dem sich Tiepolos Kunst entwickelt, bleibt blaß und spröd. Es wird Giambattista Piazetta genannt, von dem sich der junge Künstler vorläufig die Technik der barocken Helldunkelmalerei abschaut. Daneben wird auch Sebastiano Ricci ins Feld geführt, der Tiepolo gleichzeitig zu einer aufgehellten Farbpalette anregt. Er wählt offensichtlich in jungen Jahren je nach Auftrag die eine oder andere Malweise, zumindest ist er sich seines eigenen Stils noch nicht sicher. Die Wandfelder, die er um 1715/16 in der Kirche Ospedaletto in Venedig mit Apostelpaaren bemalt, sind noch ganz der düsteren Helldunkelmalerei verpflichtet, während das Porträt des Dogen Giovanni Corner, das aus derselben Zeit stammt, bereits mit hellen, leuchtenden Farben beeindruckt. Pedrocco bringt schließlich auch die großen Maler der venezianischen Renaissance in Anschlag, Tizian und Veronese, um das Umfeld zu kennzeichnen, aus dem Tiepolo schöpft. Leider sind weder Piazetta und Ricci noch Tizian und Veronese im Buch mit Bildern vertreten. Was Tiepolo diesen Meistern verdankt, wie er über sie hinausgeht, wird nicht klar herausgearbeitet.

Aber es zeigt sich, daß Tieopolo rasch als ein Künstler berühmt wird, der Kirchen, Paläste und Schlösser farbenprächtig ausmalt. Das erste Meisterwerk stellt das Salondekor der Villa Baglioni in Massanzago von 1719/20 dar. Der Künstler findet ein Schema, das er später oft erfolgreich wiederholt. Er überzieht die gesamte Wandfläche des Saals mit Fresken und erzeugt dabei durch perspektivische Architekturmalerei ein Gerüst, hinter dem sich der unendliche Raum öffnet. Helle, freundliche Farben herrschen vor. Die Statik der Baukunst läßt die Szenen am Himmel um so bewegter erscheinen. Gestalten der antiken Mythologie schweben auf Wolken, nur leicht von aufgebauschten Stoffen umhüllt. Tiepolo lernt es mit den Jahren, die Farben sorgfältig aufeinander abzustimmen, die Leuchtkraft zu verstärken, den Takt der Linien zu verfeinern, die Szenen zu verlebendigen. Der zarte Ton, der freie Rhythmus und der Witz der Kompositionen machen jedes autoritäre Gehabe in den Palästen lächerlich.

Weitere Meisterwerke entstehen im Bischofspalast in Udine, im Palazzo Labia in Vendig oder in der Residenz in Würzburg. Das Fresko "Triumph von Zephir und Flora", das für den Pallazzo Pesaro in Venedig gemalt wird und sich heute in der Ca' Rezzonico befindet, ist nicht minder bezaubernd. Dunkle Wolken bilden ein Bett, auf dem die Hauptfiguren lässig gelagert sind. Die fast nackten Leiber werden von hellem Licht bestrahlt, umspielt von glänzender Seide. Ein Putto hebt keck das Bein der Flora, während ihr Zephir, mit transparenten Libellenflügeln ausgestattet, verführerisch unter die Achsel greift. Die Blicke der Figuren sind gegenüber dem Betrachter von blasierter Gleichgültigkeit. Zephir zeigt die Züge des jungen Tiepolo, Flora die seiner Frau Cecilia. Das Paar genießt es, der Jeunesse dorée des Himmels anzugehören.

ERWIN SEITZ

Filippo Pedrocco: "Tiepolo". Aus dem Italienischen von Suzanne Fischer und Petra Trinkaus. Dumont Buchverlag, Köln 2003. 342 S., 120 ganz- u. doppelseitige Farb-Abb., 290 S/W-Abb., geb., 78,- [Euro].

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