Die Belgierin Madeleine Bourdouxhe (1906-1966) gehörte in den dreißiger Jahren zum literarischen Kreis um Sartre und Simone de Beauvoir. Dieser Roman einer zerstörerischen Leidenschaft, entstanden im Jahr 1937, erscheint hier erstmals in deutscher Sprache. Es handelt sich um eine subtile, ausweglose Dreiecksgeschichte, angesiedelt in Fabrikarbeiterkreisen einer belgischen Industriestadt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.1996Eine Liebe von Gilles
Madeleine Bourdouxhes großer Roman · Von Eckart Kleßmann
Im Pariser Verlag Gallimard erschien 1937 - dem Verleger von Jean Paulhan empfohlen - ein Roman, der bei der französischen Kritik Bewunderung, ja Begeisterung erregte, in Deutschland damals aber nicht bekannt geworden ist: "La Femme de Gilles". Verfasserin war die bis dahin ganz unbekannte Belgierin Madeleine Bourdouxhes, damals einunddreißig Jahre alt. Nicht oft erweist sich ein Debüt als so makellos wie dieses.
Der Roman beginnt mit der Schilderung eines harmonischen Eheglücks. Elisa ist verheiratet mit dem Fabrikarbeiter Gilles, sie sind Eltern von Zwillingen. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen in der Nähe des Werks; als Ort hat man sich Lüttich, den Geburtsort der Autorin, zu denken. Was diese Ehe nicht zuletzt so glücklich macht, ist gerade auch die sexuelle Harmonie des Paares. Ohne jegliche voyeuristische Penetranz wird die starke körperliche Anziehungskraft, die beide aufeinander ausüben, beschrieben, wobei von Anfang an deutlich ist, wie sehr Elisa auf Gilles fixiert ist, den Mittelpunkt ihres Denkens und Fühlens.
Doch dann entdeckt Gilles eines Tages die erotische Faszination Victorines, Elisas jüngerer Schwester, und das Verhängnis hebt an. Was wie ein zunächst noch harmloser Flirt zu beginnen scheint, entwickelt sich zur Abhängigkeit, zur sexuellen Hörigkeit. Elisa, durch eine fortgeschrittene Schwangerschaft ein wenig abseits gestellt, fürchtet nichts so sehr wie den Verlust des geliebten Mannes. Sie demütigt sich, indem sie der Leidenschaft ihres Mannes für seine Schwägerin nichts in den Weg legt, ja sie läßt sich zur Komplizin seiner Begierde machen und tröstet ihn, als Victorine ihn verläßt. Und sie demütigt ihn, indem sie ihn durch ihr Verhalten zu brutaler Gewalttätigkeit nötigt, die ihn erniedrigt. Der von vornherein kraftlos begonnene Kampf um die Wiedergewinnung ihres Glücks bedeutet für Elisa tatsächlich nur eine Kapitulation, durch die sie Gilles vollends verliert. Und als sie spürt, daß sie von Gilles, dem nun seinerseits Verlassenen, nicht mehr geliebt wird und sich den Verlust der eigenen Liebe zu diesem Mann eingestehen muß, nimmt sie sich das Leben.
Was den Leser an dieser Geschichte sofort gefangennimmt und bis zum letzten Satz nicht mehr losläßt, ist nicht allein der fast mechanische, wie vorbestimmte Ablauf des Geschicks, das diese drei Menschen bindet und als Zerbrochene wieder aus dieser Bindung entläßt. Es ist noch mehr die Kunst der Autorin, in sehr präziser, sparsamer Sprache dieses Schicksalsknäuel zum Bild werden zu lassen, einzufangen in winzige Momentaufnahmen, Stilleben zu schaffen aus Emotionen, die sich in den Dingen wie in den Körpern abbilden. Die langsame Auflösung einer am Anfang der Erzählung unzerstörbar wirkenden Liebe, ihr allmähliches und schließlich restloses Verschwinden und am Ende die verzweifelte Fassungslosigkeit darüber, für den anderen nichts mehr empfinden zu können - wann hat man das zuletzt in solcher Meisterschaft dargestellt gefunden?
Es ist schwer zu verstehen, daß ein solches Buch so viele Jahrzehnte lang vergessen werden konnte. In Frankreich und Belgien, wo "La Femme de Gilles" erstmals 1985 wiederaufgelegt worden ist, war es wohl der Krieg, der dazu wesentlich beigetragen hat, aber warum hat in den vergangenen sechzig Jahren kein deutscher Verleger diesen Roman, der 1937 so enthusiastisch begrüßt worden war, entdecken können? Nun also lernen die Leser in Deutschland eine Autorin kennen, von der es außer "Gilles' Frau" noch weitere Romane und Erzählungen gibt (ihr zweiter Roman erschien 1943), die alle wieder gedruckt und vielleicht auch bei uns übersetzt erscheinen werden. Madeleine Bourdouxhe hat ihre so späte Wiederentdeckung noch erlebt. Am 16. April 1996 ist sie in Brüssel gestorben, neunzig Jahre alt.
Madeleine Bourdouxhe: "Gilles' Frau". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Monika Schlitzer. Mit einem Nachwort von Faith Evans. Piper Verlag, München 1996. 176S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Madeleine Bourdouxhes großer Roman · Von Eckart Kleßmann
Im Pariser Verlag Gallimard erschien 1937 - dem Verleger von Jean Paulhan empfohlen - ein Roman, der bei der französischen Kritik Bewunderung, ja Begeisterung erregte, in Deutschland damals aber nicht bekannt geworden ist: "La Femme de Gilles". Verfasserin war die bis dahin ganz unbekannte Belgierin Madeleine Bourdouxhes, damals einunddreißig Jahre alt. Nicht oft erweist sich ein Debüt als so makellos wie dieses.
Der Roman beginnt mit der Schilderung eines harmonischen Eheglücks. Elisa ist verheiratet mit dem Fabrikarbeiter Gilles, sie sind Eltern von Zwillingen. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen in der Nähe des Werks; als Ort hat man sich Lüttich, den Geburtsort der Autorin, zu denken. Was diese Ehe nicht zuletzt so glücklich macht, ist gerade auch die sexuelle Harmonie des Paares. Ohne jegliche voyeuristische Penetranz wird die starke körperliche Anziehungskraft, die beide aufeinander ausüben, beschrieben, wobei von Anfang an deutlich ist, wie sehr Elisa auf Gilles fixiert ist, den Mittelpunkt ihres Denkens und Fühlens.
Doch dann entdeckt Gilles eines Tages die erotische Faszination Victorines, Elisas jüngerer Schwester, und das Verhängnis hebt an. Was wie ein zunächst noch harmloser Flirt zu beginnen scheint, entwickelt sich zur Abhängigkeit, zur sexuellen Hörigkeit. Elisa, durch eine fortgeschrittene Schwangerschaft ein wenig abseits gestellt, fürchtet nichts so sehr wie den Verlust des geliebten Mannes. Sie demütigt sich, indem sie der Leidenschaft ihres Mannes für seine Schwägerin nichts in den Weg legt, ja sie läßt sich zur Komplizin seiner Begierde machen und tröstet ihn, als Victorine ihn verläßt. Und sie demütigt ihn, indem sie ihn durch ihr Verhalten zu brutaler Gewalttätigkeit nötigt, die ihn erniedrigt. Der von vornherein kraftlos begonnene Kampf um die Wiedergewinnung ihres Glücks bedeutet für Elisa tatsächlich nur eine Kapitulation, durch die sie Gilles vollends verliert. Und als sie spürt, daß sie von Gilles, dem nun seinerseits Verlassenen, nicht mehr geliebt wird und sich den Verlust der eigenen Liebe zu diesem Mann eingestehen muß, nimmt sie sich das Leben.
Was den Leser an dieser Geschichte sofort gefangennimmt und bis zum letzten Satz nicht mehr losläßt, ist nicht allein der fast mechanische, wie vorbestimmte Ablauf des Geschicks, das diese drei Menschen bindet und als Zerbrochene wieder aus dieser Bindung entläßt. Es ist noch mehr die Kunst der Autorin, in sehr präziser, sparsamer Sprache dieses Schicksalsknäuel zum Bild werden zu lassen, einzufangen in winzige Momentaufnahmen, Stilleben zu schaffen aus Emotionen, die sich in den Dingen wie in den Körpern abbilden. Die langsame Auflösung einer am Anfang der Erzählung unzerstörbar wirkenden Liebe, ihr allmähliches und schließlich restloses Verschwinden und am Ende die verzweifelte Fassungslosigkeit darüber, für den anderen nichts mehr empfinden zu können - wann hat man das zuletzt in solcher Meisterschaft dargestellt gefunden?
Es ist schwer zu verstehen, daß ein solches Buch so viele Jahrzehnte lang vergessen werden konnte. In Frankreich und Belgien, wo "La Femme de Gilles" erstmals 1985 wiederaufgelegt worden ist, war es wohl der Krieg, der dazu wesentlich beigetragen hat, aber warum hat in den vergangenen sechzig Jahren kein deutscher Verleger diesen Roman, der 1937 so enthusiastisch begrüßt worden war, entdecken können? Nun also lernen die Leser in Deutschland eine Autorin kennen, von der es außer "Gilles' Frau" noch weitere Romane und Erzählungen gibt (ihr zweiter Roman erschien 1943), die alle wieder gedruckt und vielleicht auch bei uns übersetzt erscheinen werden. Madeleine Bourdouxhe hat ihre so späte Wiederentdeckung noch erlebt. Am 16. April 1996 ist sie in Brüssel gestorben, neunzig Jahre alt.
Madeleine Bourdouxhe: "Gilles' Frau". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Monika Schlitzer. Mit einem Nachwort von Faith Evans. Piper Verlag, München 1996. 176S., geb., 32,- DM.
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