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Produktdetails
  • Verlag: Brill Fink
  • 1999.
  • Seitenzahl: 266
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 380g
  • ISBN-13: 9783770533411
  • ISBN-10: 3770533410
  • Artikelnr.: 07703658
Autorenporträt
Nuccio Ordine, geboren 1958, Professor für Italienische Literatur an der Universität von Kalabrien, ist einer der führenden Kenner von Giordano Bruno. Er hat zahlreiche Gastprofessuren an renommierten Universitäten in den USA (Yale, NYU) und in Europa (u.a. Paris IV/Sorbonne, Berlin/Max Planck, Warburg Institute) inne und ist Herausgeber einer Klassik-Reihe im französischen Verlag Les belles lettres. Seine Werke wurden in neun Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.1999

Philosophie des Esels und Nachtfalter des Geistes
Giordano Brunos Weg vom Scheiterhaufen in die Postmoderne · Von Gustav Falke

Mit dem Spinozabüchlein begann auch die Bruno-Renaissance. Jacobi, der große Auf-den-Punkt-Bringer, hatte dort einen Auszug aus der Schrift "Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen" beigelegt, der den anarchischen Gesprächsstil Brunos auf eine knappe und im Rahmen der Möglichkeiten klare Argumentation brachte. In der Zusammenstellung des Bruno mit dem Spinoza wollte er "gleichsam die Summa der Philosophie des Hen kai Pan darlegen", und genau so hat er gewirkt. Der Gedanke der Weltseele, das Problem des Hervorgehens des Vielen aus dem Einen, die Verschränkung innerer und äußerer Ursachen, das Prinzip der coincidentia oppositorum, die Doppelbewegung von entwickelndem Herniedersteigen und erkennendem Aufsteigen, kurz: das ganze Themenfeld des Neuplatonismus hat von hier aus die Goethezeit und insbesondere Schelling und die Schellingianer geprägt. Neuplatonismus, das heißt in der Goethezeit erst einmal Jacobis Brunoauszug.

Niemals ganz fremd geworden sei ihm dieser außergewöhnliche Mann, gesteht Goethe 1812. Aber Schlosser will er dann doch nicht zu einer näheren Beschäftigung aufgemuntert und angeregt haben. Es finde sich zwar nicht leicht ein lebhafterer Apostel der Originalität, und für das Naturstudium habe Bruno einen neuen Anfang gemacht. "Allein ich müßte mich sehr irren, oder wir sind seit jener Zeit weiter", zumal alles durch eine mystische Mathematik äußerst verfinstert sei. Die neuplatonisierten Frühromantiker drängten gerade in die Messe, und die von Goethe mitinitiierten Bemühungen um den Gott, dem es ziemt, die Welt im Innern zu bewegen, Natur in sich, sich in Natur zu heben, waren in militanten Obskurantismus umgeschlagen. Da war es doch besser, seine Einheitsspekulationen für sich zu behalten und den Weg ins Unendliche durch das Ausschreiten des Endlichen zu empfehlen.

Originalität ist auch der Punkt, auf den Hegel in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen die Sache bringt. Den Neuplatonismus schöpfte er lieber aus den Quellen. Interessant waren Bruno, Cardanus, Vannini durch ihre Lebensläufe und ihren Gestus, interessant waren sie als stilistische Phänomene, als Repräsentanten einer intellektuell-ästhetischen Subkultur. Es gibt bei Hegel den Typus der Übergangs- und Gärungszeit, den er "Rameaus Neffen" abgelesen hatte, das kaiserzeitliche Rom, das vorrevolutionäre Frankreich, die Frühromantik und eben auch die Renaissance.

Aus den tradierten Bindungen herausgetreten, schwankt das freie, aber einsame Individuum zwischen Weltflucht und Sinneslust, Aufopferung und Selbstbezug, Identifikation und Zynismus. Kohlberg hat später ähnlich bei den Stufen der Moralentwicklung eine temporäre Regression vor der Stabilisierung der Postkonventionalität festgestellt. "In solchen Zeiten", so Hegel, finden sich eine Menge Individuen, groß durch die Energie ihres Geistes, ihres Charakters zugleich, deren Schicksale, wie ihre Schriften, nur diese Unsicherheit ihres Wesens und die Empörung des Innern gegen das vorhandene Dasein und die Sucht, heraus zur Festigkeit zu gebären, bezeichnen und in denen ein heißer Trieb zum Tiefsten durch unendliche Phantastereien und Wildheit der Einbildung verunreinigt ist." Auch in Brunos Einheitsbewußtsein sei wohl etwas Bacchantisches, das dann aber, unfähig zum systematischen Gebären, in mystische Schwärmerei umschlage. Die Brunobegeisterung der Frühromantiker erscheint so als eine Wahlverwandtschaft und wird damit historisiert. In der Reihenbildung versichert sich Hegel, daß aus der frühromantischen Gärung doch noch ein guter Wein geworden ist, sein eigener.

Die deutsche Philosophie, deutlich schellingianisch dominiert, ist einstweilen zu Bruno als Neuplatoniker zurückgekehrt. In Italien ist das anders. Nuccio Ordine, Mitherausgeber der neuen kritischen Edition, hat in einer jetzt übersetzten Jugendarbeit das Bild des Esels, Beispiel eines Koinzidierens opponierender Eigenschaften, zum Leitfaden für eine durchaus unterhaltsame und zitatenreiche Werkeinführung genommen. Der Antiaristotelismus wird hervorgehoben, das Lob der Arbeit, die Aufforderungen zum Mut zur Erkenntnis und vor allem der Gedanke der varietas, des ständigen Wandels der Formen in einem pluralen Universum, der - schon von Bruno, jedenfalls aber von Ordine, philosophisch etwas unterkomplex bestimmten - "Komplexität einer sich ständig verändernden Wirklichkeit".

Bruno als Postmoderner. Schon hier resümiert Ordine allerdings auch eine Stilanalyse, die dann Gegenstand seiner, leider unübersetzten, Dissertation wurde. Die Vermischung der Gattungen, unterschiedliche Sprachebenen, ein protuberierendes Metaphernspiel, eine dissoziative Syntax - lange Reihen von Additionen, Gegenüberstellungen, Einschüben, die sich vom Satzkern lösen und autonome Bereiche bilden -, nebeneinanderherlaufende Argumentationsschichten, abgebrochene Argumentationsstränge, in den Dialogen eine antiklassische (Bembo, Castiglione) Auflösung der Entsprechung von Argumentationszeit und Geprächsdauer, ein antiklassisches Verweigern vorgängiger oder resultierender Konsense - in all dem gelingt es Bruno, einen Gestus Sprache werden zu lassen, den wir frühestens mit Jean Paul oder der frühromantischen Literaturtheorie, jedenfalls nicht mit der ausgehenden Renaissance verbinden.

Und dann gibt es den Bruno vom Campo dei Fiori, dieses römischen Kollwitzplatzes - ach, das Gequieke der winterlich heimatlosen Liebenden im Cinema Farnese, die langen Gänge des Albergo del Sole. Daß er sich hat verbrennen lassen, war seine selbstwerbungswirksamste, aber gewiß nicht seine beste Stilfigur. Schon bei Goethe wirken die einschlägigen Scherze etwas schal. "Natur und Geist - so spricht man nicht zu Christen. Deshalb verbrennt man Atheisten." Anacleto Verrechia hat noch einmal ein dickes Buch daraus gemacht. "Dies ist ein Buch der Leidenschaft. Es ist kein weiteres Buch über die Bücher von Giordano Bruno, wie es schon allzu viele gibt: weniger akademisch als voll menschlicher Anteilnahme an seinem tragischen Schicksal."

Wer trotzdem weiter liest, findet eine im Faktischen korrrekte Lebensdarstellung, versetzt mit Pathos ("Wo sonst als in der Nähe eines Vulkans konnte ein so feuriger und stürmischer Mann geboren werden?"), Lebensweisheiten ("Vertrau dich dem Strom des Lebens an, und er wird dich irgendwohin tragen"), markigen Sprüchen ("Unsere Epoche von Parasiten und Taugenichtsen"), Dingen, die der Autor immer schon mal sagen wollte ("Die koketten Autoren unserer Epoche, darunter Thomas Mann und Wittgenstein, die sogar ihre Masturbationen beschreiben, als ob diese für die Nachwelt von unverzichtbarer Bedeutung wären"), und vor allem permanentes Geschimpfe auf Wissenschaft ("Um festzustellen, ob eines seiner Werke einen Monat früher oder einen Monat später erschien, füllen die Gelehrten mehr Buchseiten, als der Philosoph zur Darlegung der Unendlichkeit des Universums geschrieben hat") und Kirche ("Noch heute riechen gewisse orthodoxe Gottgeweihte nicht unbedingt nach Zimt und Majoran"), voll ästhetischen Vergnügens an Folterkellern und Scheiterhaufen ("So weh es auch tut, müssen wir nun doch versuchen, den letzten Schritt des Kreuzwegs Brunos so genau wie möglich zu rekonstruieren") und identifikatorischen Selbstmitleides ("Was nützen Meteore, wenn die Menschen blind sind?").

Niccio Ordine: "Giordano Bruno und die Philosophie des Esels". Aus dem Italienischen von Christine Ott. Wilhelm Fink Verlag, München 1999. 266 S., br., 33 s/w Abb., 48,- DM.

Anacleto Verrechia: "Giordano Bruno". Nachtfalter des Geistes. Böhlau Verlag, Wien 1999. 424 S., geb., 68,- DM.

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