Eva und Henry teilen die gleichen Vorlieben: Alkohol, lange Nächte und kurze Erinnerungen. Sie huldigen dem Exzess wie einer Religion, und sie glauben, der Rausch von Champagner in einer Hotelbar ist eleganter als der von billigem Fusel in einer Absteige. Sie halten sich für etwas Besseres als die Süchtigen, die verloren auf der Straße torkeln. Aber wo endet die Party, und wo beginnt der Absturz?
"Giraffen" ist ein schockierender und betörender Roman über die falsche Liebe, die falschen Drogen und die falsche Party.
"Giraffen" ist ein schockierender und betörender Roman über die falsche Liebe, die falschen Drogen und die falsche Party.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2015Berlin, 2008
Oft sind genau die Beziehungen zu Menschen, Städten oder eben auch Büchern die eindrucksvollsten, die mit Abneigung beginnen - und mit der Überraschung enden, dass man sich verliebt. Wenn ein Roman von Drogen beginnt, von kalter Liebe und wechseln-den Hotelbetten, ist beim Leser natürlich erst mal der Zorn da: Das kennt man doch, sind schon wieder "Faserland"-Jubeltage? (Schon. Reicht aber nicht.) Doch Anne Philippis "Giraffen" nun wegzulegen wäre ein Fehler. Der Einstieg ist eine Finte, böse wie das ganze Buch. In Sätzen wie "Ich nehme mal ein Glas Weißwein vom Tablett. Ein Katerdämpfer, hinsetzen kann ich mich nicht" steckt purer Ekel. Auch dass es hier um eine Liebesgeschichte ginge, täuscht.
Eva und Henry, er reich, sie auf das reiche Leben erpicht, das ist nur der Auftakt zu einem grandios ausgemalten Niedergang. Der Jetset findet erst innerhalb Berlins statt, Champagner im sauberen Westen, dann MDMA oder Sex in Mitte-Clubs, Ende der nuller Jahre, als die Stadt nicht mehr ganz so glänzt. Ausflüge nach Sardinien machen nichts besser. Also demontiert sich eine Erzählstimme, die so lässig begann, und zwar gnadenlos. Der Abstieg führt aus den Luxushotels über eine Art Edelprostitution, psychologisch erzählt, bis zum Schnaps in Eckkneipen. Dies ist das Buch zur Debatte um die soziale Aufspaltung der Gesellschaft: Es gleitet durch die Schichten und säuft, kokst, raucht mit allen. Der Rausch ist nicht überall gleich, aber überall verlogen. Es gibt immer noch kein richtiges Leben im falschen.
"Giraffen" erzählt so vom Kater, dass sich einem der Magen zusammenkrampft und das Herz leer wird. Dass eine Autorin, die selbst für Hochglanzmagazine schreibt, die bitterste Farce über deren Welt formuliert, ist erstaunlich und bisher kaum gewürdigt. Selbst aus Bret Easton Ellis' "Unter Null" sprach doch Freude an der Szenerie, die durchschaut werden soll. Hier bleibt, viel konsequenter, nur noch Müdigkeit. Erschütternd.
Thomas Lindemann
Anne Philippi: "Giraffen". Roman. Rogner & Bernhard, 200 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oft sind genau die Beziehungen zu Menschen, Städten oder eben auch Büchern die eindrucksvollsten, die mit Abneigung beginnen - und mit der Überraschung enden, dass man sich verliebt. Wenn ein Roman von Drogen beginnt, von kalter Liebe und wechseln-den Hotelbetten, ist beim Leser natürlich erst mal der Zorn da: Das kennt man doch, sind schon wieder "Faserland"-Jubeltage? (Schon. Reicht aber nicht.) Doch Anne Philippis "Giraffen" nun wegzulegen wäre ein Fehler. Der Einstieg ist eine Finte, böse wie das ganze Buch. In Sätzen wie "Ich nehme mal ein Glas Weißwein vom Tablett. Ein Katerdämpfer, hinsetzen kann ich mich nicht" steckt purer Ekel. Auch dass es hier um eine Liebesgeschichte ginge, täuscht.
Eva und Henry, er reich, sie auf das reiche Leben erpicht, das ist nur der Auftakt zu einem grandios ausgemalten Niedergang. Der Jetset findet erst innerhalb Berlins statt, Champagner im sauberen Westen, dann MDMA oder Sex in Mitte-Clubs, Ende der nuller Jahre, als die Stadt nicht mehr ganz so glänzt. Ausflüge nach Sardinien machen nichts besser. Also demontiert sich eine Erzählstimme, die so lässig begann, und zwar gnadenlos. Der Abstieg führt aus den Luxushotels über eine Art Edelprostitution, psychologisch erzählt, bis zum Schnaps in Eckkneipen. Dies ist das Buch zur Debatte um die soziale Aufspaltung der Gesellschaft: Es gleitet durch die Schichten und säuft, kokst, raucht mit allen. Der Rausch ist nicht überall gleich, aber überall verlogen. Es gibt immer noch kein richtiges Leben im falschen.
"Giraffen" erzählt so vom Kater, dass sich einem der Magen zusammenkrampft und das Herz leer wird. Dass eine Autorin, die selbst für Hochglanzmagazine schreibt, die bitterste Farce über deren Welt formuliert, ist erstaunlich und bisher kaum gewürdigt. Selbst aus Bret Easton Ellis' "Unter Null" sprach doch Freude an der Szenerie, die durchschaut werden soll. Hier bleibt, viel konsequenter, nur noch Müdigkeit. Erschütternd.
Thomas Lindemann
Anne Philippi: "Giraffen". Roman. Rogner & Bernhard, 200 Seiten, 19,95 Euro
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