David Foster Wallace's debut novel, The Broom of the System, provoked comparisons to Pynchon, Coover, DeLillo, and Tom Robbins for its intellectual reach and ambition and antic spirit, and marked him as a young writer to watch. The stories in his first collection of short fiction, Girl with Curious Hair, represent an early flowering of post-postmoderism: visions of the world that reimagine reality with the eerily compelling presence of a holograph and the up-to-the-second feeling of the most advanced art.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011Hier bin ich und leg dich flach
„Alles ist grün“, und die Postmoderne war schon damals tot: Erzählungen aus der mittleren Schaffensphase von
David Foster Wallace zeigen den Autor als Saboteur an der Fiktionsmaschine Von Jörg Magenau
Es gibt bestimmte Tricks für den gewitzten Erzähler. Zum Beispiel den, immer zu erklären, was er gerade tut. Wenn sich die Geschichte etwas in die Länge zieht, schreibt er das hin, und schon verzeiht man ihm den Mangel, sieht darin gar eine besonders raffinierte Methode. Noch raffinierter ist es, auch diesen Effekt schon mitzureflektieren und zu benennen. Fiktion, Metafiktion und so weiter. Man lernte das in amerikanischen Creative-Writing-Workshops der achtziger Jahre, deren erfolgreichster und superraffiniertester Absolvent wohl David Foster Wallace gewesen ist. Die besondere Herausforderung für ihn bestand darin, Fiktion jederzeit als Fiktion kenntlich zu machen, also den Schreibenden mitzuschreiben, die Konstruktion und die handwerkliche Gemachtheit offensiv auszustellen, dabei aber trotzdem die Geschichte als Geschichte nicht zu zerstören, sondern nur umso wirkungsvoller ablaufen zu lassen.
Mit „Infinite Jest“ (deutsch: „Unendlicher Spaß“) hat David Foster Wallace 1996 so etwas wie den ultimativen Roman der Postmoderne oder eigentlich schon der Post-Postmoderne vorgelegt, und es war ein Ereignis, als vor zwei Jahren endlich Ulrich Blumenbachs meisterliche deutsche Übertragung des nahezu unübersetzbaren Romangiganten herauskam – ein Jahr, nachdem der unter schweren Depressionen leidende Autor sich in seinem Haus in Kalifornien erhängt hatte. Nun sind unter dem Titel „Alles ist grün“ – wieder von Ulrich Blumenbach übersetzt – fünf „Storys“ zu entdecken, die eigentlich in den 1990 erschienenen Band „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ gehören, in der deutschen Ausgabe von 2001 jedoch fehlten.
Es ist das Schicksal von David Foster Wallace hierzulande, dass sein Werk zerstückelt und nicht in korrekter chronologischer Reihenfolge erscheint. Aber das passt wiederum ganz gut zu einem Autor, der in seinen Texten die Realität in Fragmente zerlegt und das Zeitkontinuum aufsprengt, weil die Realität, wenn man sie nur genau genug beobachtet, eben fragmentarisch und zeitlich disparat ist.
„Alles ist grün“ ist also die zweite Hälfte seines zweiten Buchs, das irgendwo auf halber Strecke zwischen dem überambitionierten Debüt des Schreibwerkstatt-Alleskönners und „Infinite Jest“ liegt. Damit lässt sich heute die Probe darauf machen, wie modern die Postmoderne mit all ihrem Dekonstruktions-Gewedel nach zwanzig Jahren eigentlich noch ist. Erstaunlicherweise scheint sie sich schon damals überlebt gehabt zu haben. Wallace lässt in der mit knapp zweihundert Seiten mit Abstand längsten Geschichte eine knochendünne, ziemlich unsympathische Schreibwerkstattabsolventin auftreten, die sich selbst lächerlicherweise als „Postmodernistin“ vorzustellen pflegt und ihr Schreiben so charakterisiert: „Ich spezialisiere mich auf Sprachdichtung und die apokalyptisch kryptische Literatur der letzten Dinge, auf Erschöpfung im Allgemeinen sowie auf Metafiktion.“ Sie ist die Karikatur dessen, was Wallace doch allen Ernstes und in großer Perfektion zu betreiben entschlossen ist. Da erstaunt es dann auch nicht mehr, dass er seiner „Postmodernistin“ prophezeit, eines Tages als Vorsitzende einer riesigen Werbeagentur im Dienste von McDonalds zu enden.
Der schmale Raum zwischen Schreibseminar und Werbewirtschaft ist der Platz, den Wallace der Literatur zuweist. In der selben Story („Westwärts geht der Lauf der Welt“) lässt er den Werbe-Guru J.D. Steelritter über die Ähnlichkeit von Erzählungen und Werbekampagnen räsonieren: „Was das Ziel angeht, wollen beide einen ins Bett kriegen. Lass mich in dich rein, sagen beide. Willst du von jemandem flach gelegt werden, der immerzu sagt: ‚Hier bin ich und leg dich flach'? Ja? Nein? Nein. Natürlich nicht.“ Damit ist das literarische Grundproblem benannt: Wie kann man Leser fiktiver Texte überwältigen, die sich als intelligente Menschen nicht überwältigen lassen wollen und alle Überwältigungsmechanismen ebenso gut durchschauen wie der Autor als Spezialist in der Fiktionsbranche? So kommt es zum Übertrumpfungsgestus der postmodernen Fiktionsakrobatik, deren Exerzitienmeister jeder Metaebene noch eine Metaebene aufsetzen.
Das ist nichts als ein Spiel, das am Ende leerläuft, weil es immer nur den Text als Text anvisiert, aber nicht die Gesellschaft, in der er entstand. Aber auch das wusste Wallace bereits und erzählt es mit. Am Schluss dieser Geschichte, in der sechs Menschen in einem Auto westwärts fahren, um an einer gigantischen Zusammenkunft aller jemals in einem McDonalds-Werbespot Aufgetretenen teilzunehmen, lässt er einen Sturm aufkommen und das Öllämpchen so lange flackern, bis die Panne endlich eintritt und das selbstverständlich aus Einzelteilen zusammengebastelte Auto im Leerlauf aufjaulend stecken bleibt. Denn auch das gehört zu den Zaubertricks: stets vor dem Ende aufzuhören, weil der Autor die Macht dazu hat, die Fiktionsmaschine anzuhalten. Also zählt er stattdessen auf, was in einer fiktiven Geschichte als nächstes geschehen würde, unterlässt dann aber alles und beweist damit, dass es sich um etwas anderes als Fiktion handeln muss.
Die Storys von David Foster Wallace gehen nicht auf. Sie erzählen keine Geschichten. Sie führen nicht von hier nach dort, auch wenn sie als Simulation einer Road Novel genau davon handeln. Sie verlieren sich in jedem einzelnen Augenblick, der sich in den überscharf gesehenen Wahrnehmungsdetails und in der Masse der Erinnerungen vervielfältigt. Jede Sekunde ist erzählerisch tendenziell unendlich. Wallace kann Stimmungen aber auch auf kleinstem Raum verdichten, wie er in der nur wenig mehr als zwei Seiten umfassenden Titelgeschichte „Alles ist grün“ beweist. Da versucht er den melancholischen Moment der Trennung zwischen einem etwas älteren Herrn und einer jungen Geliebten festzuhalten und folgt dem Blick der Frau durchs Fenster ins üppige Grün.
Großartig auch die Begegnung eines „frisch geschiedenen Vertriebsrepräsentanten“ mit dem für Überseeproduktion verantwortlichen „Vice President“ auf der für Führungskräfte reservierten Ebene der Tiefgarage, wo letzterer eine Herzattacke erleidet und zusammenbricht. Wie auf Schienen des Schicksals fahren die beiden aufeinander und auf diesen Augenblick zu, mit identischen Aktenköfferchen in der Hand und jeweils identischen Aufzügen enteilend. „Zum Glück verstand sich der Vertriebsrepräsentant auf HLW“, also Herz-Lungen-Wiederbelebung, heißt diese kleine Skizze. Ob es dem Vice President etwas nützt, erfahren wir nicht, doch es ist anzunehmen, dass die Hilferufe des verzweifelten Retters ungehört verhallen werden. Texte wie dieser, die darauf verzichten, das ganze Arsenal der postmodernen Folterwerkzeuge vorzuführen, sind einfach nur gut. Das spricht nicht unbedingt für die Überlebensfähigkeit der Postmoderne, aber unbedingt für den Erzähler David Foster Wallace.
David Foster Wallace
Alles ist grün
Storys. Aus dem Englischen von
Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 268 Seiten, 19,99 Euro.
Die Simulation der
Road Novel führt nicht
von hier nach dort
Den Schreibenden mitschreiben:
David Foster Wallace
Foto: Effigie/Bilderberg
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„Alles ist grün“, und die Postmoderne war schon damals tot: Erzählungen aus der mittleren Schaffensphase von
David Foster Wallace zeigen den Autor als Saboteur an der Fiktionsmaschine Von Jörg Magenau
Es gibt bestimmte Tricks für den gewitzten Erzähler. Zum Beispiel den, immer zu erklären, was er gerade tut. Wenn sich die Geschichte etwas in die Länge zieht, schreibt er das hin, und schon verzeiht man ihm den Mangel, sieht darin gar eine besonders raffinierte Methode. Noch raffinierter ist es, auch diesen Effekt schon mitzureflektieren und zu benennen. Fiktion, Metafiktion und so weiter. Man lernte das in amerikanischen Creative-Writing-Workshops der achtziger Jahre, deren erfolgreichster und superraffiniertester Absolvent wohl David Foster Wallace gewesen ist. Die besondere Herausforderung für ihn bestand darin, Fiktion jederzeit als Fiktion kenntlich zu machen, also den Schreibenden mitzuschreiben, die Konstruktion und die handwerkliche Gemachtheit offensiv auszustellen, dabei aber trotzdem die Geschichte als Geschichte nicht zu zerstören, sondern nur umso wirkungsvoller ablaufen zu lassen.
Mit „Infinite Jest“ (deutsch: „Unendlicher Spaß“) hat David Foster Wallace 1996 so etwas wie den ultimativen Roman der Postmoderne oder eigentlich schon der Post-Postmoderne vorgelegt, und es war ein Ereignis, als vor zwei Jahren endlich Ulrich Blumenbachs meisterliche deutsche Übertragung des nahezu unübersetzbaren Romangiganten herauskam – ein Jahr, nachdem der unter schweren Depressionen leidende Autor sich in seinem Haus in Kalifornien erhängt hatte. Nun sind unter dem Titel „Alles ist grün“ – wieder von Ulrich Blumenbach übersetzt – fünf „Storys“ zu entdecken, die eigentlich in den 1990 erschienenen Band „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ gehören, in der deutschen Ausgabe von 2001 jedoch fehlten.
Es ist das Schicksal von David Foster Wallace hierzulande, dass sein Werk zerstückelt und nicht in korrekter chronologischer Reihenfolge erscheint. Aber das passt wiederum ganz gut zu einem Autor, der in seinen Texten die Realität in Fragmente zerlegt und das Zeitkontinuum aufsprengt, weil die Realität, wenn man sie nur genau genug beobachtet, eben fragmentarisch und zeitlich disparat ist.
„Alles ist grün“ ist also die zweite Hälfte seines zweiten Buchs, das irgendwo auf halber Strecke zwischen dem überambitionierten Debüt des Schreibwerkstatt-Alleskönners und „Infinite Jest“ liegt. Damit lässt sich heute die Probe darauf machen, wie modern die Postmoderne mit all ihrem Dekonstruktions-Gewedel nach zwanzig Jahren eigentlich noch ist. Erstaunlicherweise scheint sie sich schon damals überlebt gehabt zu haben. Wallace lässt in der mit knapp zweihundert Seiten mit Abstand längsten Geschichte eine knochendünne, ziemlich unsympathische Schreibwerkstattabsolventin auftreten, die sich selbst lächerlicherweise als „Postmodernistin“ vorzustellen pflegt und ihr Schreiben so charakterisiert: „Ich spezialisiere mich auf Sprachdichtung und die apokalyptisch kryptische Literatur der letzten Dinge, auf Erschöpfung im Allgemeinen sowie auf Metafiktion.“ Sie ist die Karikatur dessen, was Wallace doch allen Ernstes und in großer Perfektion zu betreiben entschlossen ist. Da erstaunt es dann auch nicht mehr, dass er seiner „Postmodernistin“ prophezeit, eines Tages als Vorsitzende einer riesigen Werbeagentur im Dienste von McDonalds zu enden.
Der schmale Raum zwischen Schreibseminar und Werbewirtschaft ist der Platz, den Wallace der Literatur zuweist. In der selben Story („Westwärts geht der Lauf der Welt“) lässt er den Werbe-Guru J.D. Steelritter über die Ähnlichkeit von Erzählungen und Werbekampagnen räsonieren: „Was das Ziel angeht, wollen beide einen ins Bett kriegen. Lass mich in dich rein, sagen beide. Willst du von jemandem flach gelegt werden, der immerzu sagt: ‚Hier bin ich und leg dich flach'? Ja? Nein? Nein. Natürlich nicht.“ Damit ist das literarische Grundproblem benannt: Wie kann man Leser fiktiver Texte überwältigen, die sich als intelligente Menschen nicht überwältigen lassen wollen und alle Überwältigungsmechanismen ebenso gut durchschauen wie der Autor als Spezialist in der Fiktionsbranche? So kommt es zum Übertrumpfungsgestus der postmodernen Fiktionsakrobatik, deren Exerzitienmeister jeder Metaebene noch eine Metaebene aufsetzen.
Das ist nichts als ein Spiel, das am Ende leerläuft, weil es immer nur den Text als Text anvisiert, aber nicht die Gesellschaft, in der er entstand. Aber auch das wusste Wallace bereits und erzählt es mit. Am Schluss dieser Geschichte, in der sechs Menschen in einem Auto westwärts fahren, um an einer gigantischen Zusammenkunft aller jemals in einem McDonalds-Werbespot Aufgetretenen teilzunehmen, lässt er einen Sturm aufkommen und das Öllämpchen so lange flackern, bis die Panne endlich eintritt und das selbstverständlich aus Einzelteilen zusammengebastelte Auto im Leerlauf aufjaulend stecken bleibt. Denn auch das gehört zu den Zaubertricks: stets vor dem Ende aufzuhören, weil der Autor die Macht dazu hat, die Fiktionsmaschine anzuhalten. Also zählt er stattdessen auf, was in einer fiktiven Geschichte als nächstes geschehen würde, unterlässt dann aber alles und beweist damit, dass es sich um etwas anderes als Fiktion handeln muss.
Die Storys von David Foster Wallace gehen nicht auf. Sie erzählen keine Geschichten. Sie führen nicht von hier nach dort, auch wenn sie als Simulation einer Road Novel genau davon handeln. Sie verlieren sich in jedem einzelnen Augenblick, der sich in den überscharf gesehenen Wahrnehmungsdetails und in der Masse der Erinnerungen vervielfältigt. Jede Sekunde ist erzählerisch tendenziell unendlich. Wallace kann Stimmungen aber auch auf kleinstem Raum verdichten, wie er in der nur wenig mehr als zwei Seiten umfassenden Titelgeschichte „Alles ist grün“ beweist. Da versucht er den melancholischen Moment der Trennung zwischen einem etwas älteren Herrn und einer jungen Geliebten festzuhalten und folgt dem Blick der Frau durchs Fenster ins üppige Grün.
Großartig auch die Begegnung eines „frisch geschiedenen Vertriebsrepräsentanten“ mit dem für Überseeproduktion verantwortlichen „Vice President“ auf der für Führungskräfte reservierten Ebene der Tiefgarage, wo letzterer eine Herzattacke erleidet und zusammenbricht. Wie auf Schienen des Schicksals fahren die beiden aufeinander und auf diesen Augenblick zu, mit identischen Aktenköfferchen in der Hand und jeweils identischen Aufzügen enteilend. „Zum Glück verstand sich der Vertriebsrepräsentant auf HLW“, also Herz-Lungen-Wiederbelebung, heißt diese kleine Skizze. Ob es dem Vice President etwas nützt, erfahren wir nicht, doch es ist anzunehmen, dass die Hilferufe des verzweifelten Retters ungehört verhallen werden. Texte wie dieser, die darauf verzichten, das ganze Arsenal der postmodernen Folterwerkzeuge vorzuführen, sind einfach nur gut. Das spricht nicht unbedingt für die Überlebensfähigkeit der Postmoderne, aber unbedingt für den Erzähler David Foster Wallace.
David Foster Wallace
Alles ist grün
Storys. Aus dem Englischen von
Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 268 Seiten, 19,99 Euro.
Die Simulation der
Road Novel führt nicht
von hier nach dort
Den Schreibenden mitschreiben:
David Foster Wallace
Foto: Effigie/Bilderberg
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011Diamanten im Heu
Im Sprachlabor der Metafiktion: Fünf frühe Erzählungen von David Foster Wallace zeigen den Schriftsteller als Autor mit unbegrenzten Möglichkeiten.
Von Paul Ingendaay
Mit Ausnahme von William Gaddis hat es bei keinem der bedeutenden amerikanischen Postmodernisten so lange gedauert wie bei David Foster Wallace, bis seine Bücher auf Deutsch erschienen. Das lag nicht nur am manchmal gewaltigen Umfang; sein Hauptwerk "Unendlicher Spaß" kostete den Übersetzer Ulrich Blumenbach zwar sechs Jahre, doch zwischen dem Erscheinen der Originalausgabe 1996 und der Veröffentlichung der deutschen Version 2009 lag gut die doppelte Zeit. Leichter wurde es mit den teils erzählenden, teils essayistischen kürzeren Texten, auf die Wallace sich nach Abschluss seines Megaromans verlegt hatte. Nach dem Freitod des Schriftstellers 2008 im Alter von sechsundvierzig Jahren änderte sich die Lage noch einmal. Jetzt war es unvermeidlich, das Selbstmordmotiv im Werk des Autors und die düsteren Visionen eines Amerika, das sich besinnungslos dem Entertainment überlässt, autobiographisch zu lesen.
Man kann selbst die Probe machen. In Videos der seltenen Gelegenheiten, zu denen Wallace sich vor der Kamera äußerte, erlebt man einen scheuen, sensiblen und seiner eigenen Prominentenrolle gründlich misstrauenden Mann, der innezuhalten vermag und sich immer wieder fragt, ob das, was ihm aus dem Gehirn stürzt, überhaupt eine verständliche Antwort darstellt. Selten sieht man einen Künstler, der sich in Gesellschaft so unwohl fühlt. Gelegentlich rückt er nervös die Brille zurecht oder fasst sich an das Piratenkopftuch, das er trug, um seine Schweißausbrüche zu verbergen. Ja, er sei Mathematiker, sagt er in der Talkshow von Charlie Rose, und sein Roman "Unendlicher Spaß" sei gebaut wie ein "einfaches Fraktal". Nein, mit der Postmoderne könne er nichts anfangen, der Begriff sei verbraucht. Und nein, Bücher könnten kaum direkten Einfluss auf ihre Leser ausüben, weil es so lange dauere, einen dicken Roman zu lesen, und wenn der Autor zu Ruhm komme, helfe ihm das auch nicht, die wesentlichen Probleme seines Lebens zu lösen, man bleibe doch immer derselbe. Nur dass wir, seine Leser, seit seinem Todesjahr 2008 nicht mehr dieselben sind.
Jetzt hat sein deutscher Verlag frühe Erzählungen vorgelegt, genau die fünf, die beiseiteblieben, als 2001 fünf der zehn Geschichten des Originalbandes "Girl With Curious Hair" (1989) unter dem Titel "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" auf Deutsch erschienen. "Alles ist grün", so der Titel, ist eine sehr gemischte Lieferung, nicht nur vom Umfang her, der von drei Seiten bis knapp zweihundert reicht, sondern auch in Bezug auf Themen, Stil und die erzählerischen Mittel. Die Eröffnungsstory ist stark: Zwei Manager lange nach Büroschluss in der riesigen Tiefgarage, einer droht zu sterben, der andere probiert Herz-Lungen-Wiederbelebung, sie sind allein, und Wallace nimmt das alles auf, als wäre er Mensch, Luchs und Spinne in einem. Ulrich Blumenbachs Übersetzung ist nicht nur brillant, sondern eine sprachschöpferische Leistung von eigenem Witz.
Obwohl Wallace' frühreife Begabung in jeder Geschichte anders pulsiert, hat man immer das Gefühl, einen Autor mit unbegrenzten Möglichkeiten zu lesen, den buchstäblich die Angst vor Langeweile und Konventionalität hinderte, massenmarkttauglicher zu schreiben. Dabei hätte er sie alle in die Tasche stecken können, seinen Freund Jonathan Franzen eingeschlossen. Wallace besaß eine wilde Phantasie, war fähig zum Kammerton, zur Stimmenimitation, zur Bauchrednerei, er konnte Dialoge schreiben und mit drei Zeilen durch eine Szene segeln, er hatte einen Blick für junge Menschen, alte Menschen, alte Sachen (wie in der anrührenden Story "Sag nie"), vorüberhuschende Landschaften und hinter der Mülltonne aufblitzende Epiphanien, und natürlich mochte er auch den Klamauk der Popkultur, nicht immer zu seinem Vorteil. In diesen frühen Erzählungen ist die Nähe zu Thomas Pynchon mit Händen zu greifen, den Hang zur Naturwissenschaft haben ja beide, doch Wallace wirkt wärmer und verletzlicher, als wäre sein persönlicher Einsatz noch etwas höher. Wenn das nicht schon eine rückwärtsgerichtete Projektion ist.
In "Hier und dort", einer dreißigseitigen Erzählung über eine gescheiterte Liebesbeziehung, ruft Wallace nicht die gemeinsame Geschichte des Paares auf, sondern schneidet die nachträglichen Rechtfertigungsmonologe der beiden so geschickt gegeneinander, dass sich beim Lesen die Empfindung von Schmerz und Vergeblichkeit einstellt. Der Zank der beiden Liebenden über den Wert von Gedichten gleicht in einer Nussschale dem Problem des Mathematikers Wallace gegenüber seinem Material. Während die Frau auf den Gefühlen besteht, die Lyrik in ihr wecke, redet der Mann von Axiomen, Zeichen und Funktionen. Wie überhaupt noch etwas darstellen, wenn die künstlerischen Darstellungsmittel durch Fernsehblödsinn und Konsumkultur längst absorbiert sind? "Er sagt, eine Epoche sterbe und er könne das Röcheln hören." Solche Verzweiflungssätze ragen immer wieder aus Wallace' Texten hervor und überstrahlen viel Begriffsgerümpel, das der damals jugendliche Autor im Überschwang in seine Bücher gekippt hat.
Das gilt besonders für die lange Erzählung "Westwärts geht der Lauf des Weltreichs", die drei Viertel des Bandes ausmacht und von der Wallace selbst sich später distanzierte, was uns wiederum nicht zu kümmern braucht. Schon in der grotesken Konstellation - ein PR-Mann will alle 44 000 Menschen, die jemals Fernsehwerbung für McDonald's gemacht haben, in einem Ort namens Collision in einem "Juxhaus" versammeln - liegt eine Auseinandersetzung des ehemaligen Creative-Writing-Studenten David Foster Wallace mit "Lost in the Funhouse", einem programmatischen Text des Schriftstellers und Postmoderne-Theoretikers John Barth. Die in die Story gestreuten Debatten über Realismus oder Metafiktion können schon damals nicht mehr taufrisch gewesen sein und sind es heute noch weniger; oft wirkt die bizarre Handlung um drei Studenten, die mit dem Werbemenschen und seinem Sohn durch die Maisfelder von Illinois reisen, bemüht und von nervigem College-Humor durchzogen.
Doch dann kommen Sätze wie diese: "Ein Winternachmittag in Illinois, der Schnee auf den Stoppelfeldern ein gutgebügeltes Laken, der Himmel blau wie brennendes Benzin, flach und weit wie alles im Freien, eine Untertasse mit unsanft geschwärzten Rändern." Es ist, als strömte eine Erinnerung herein und brächte die Seiten zum Leuchten; vielleicht hat Wallace auch nur dem getraut, was man mangels eines besseren Wortes poetische Eingebung nennen könnte, seinem hyperempfindlichen Sinn für Bilder, in denen lässiges Beobachten und äußerste Verletzbarkeit zusammenfinden. Gewiss ist, dass sein Produktionsrhythmus schon damals hoch war und unterschiedslos Banales wie umstürzend Schönes ausgestoßen hat. David Foster Wallace war ein Schriftsteller des Exzesses im anstrengenden und beflügelnden Sinn des Wortes, und es wäre einfältig, nur den einen der beiden haben zu wollen. So schaufelt man das Heu beiseite, um an die Diamanten zu kommen, und sagt sich: Es ist in Ordnung.
David Foster Wallace: "Alles ist grün". Storys.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 268 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Sprachlabor der Metafiktion: Fünf frühe Erzählungen von David Foster Wallace zeigen den Schriftsteller als Autor mit unbegrenzten Möglichkeiten.
Von Paul Ingendaay
Mit Ausnahme von William Gaddis hat es bei keinem der bedeutenden amerikanischen Postmodernisten so lange gedauert wie bei David Foster Wallace, bis seine Bücher auf Deutsch erschienen. Das lag nicht nur am manchmal gewaltigen Umfang; sein Hauptwerk "Unendlicher Spaß" kostete den Übersetzer Ulrich Blumenbach zwar sechs Jahre, doch zwischen dem Erscheinen der Originalausgabe 1996 und der Veröffentlichung der deutschen Version 2009 lag gut die doppelte Zeit. Leichter wurde es mit den teils erzählenden, teils essayistischen kürzeren Texten, auf die Wallace sich nach Abschluss seines Megaromans verlegt hatte. Nach dem Freitod des Schriftstellers 2008 im Alter von sechsundvierzig Jahren änderte sich die Lage noch einmal. Jetzt war es unvermeidlich, das Selbstmordmotiv im Werk des Autors und die düsteren Visionen eines Amerika, das sich besinnungslos dem Entertainment überlässt, autobiographisch zu lesen.
Man kann selbst die Probe machen. In Videos der seltenen Gelegenheiten, zu denen Wallace sich vor der Kamera äußerte, erlebt man einen scheuen, sensiblen und seiner eigenen Prominentenrolle gründlich misstrauenden Mann, der innezuhalten vermag und sich immer wieder fragt, ob das, was ihm aus dem Gehirn stürzt, überhaupt eine verständliche Antwort darstellt. Selten sieht man einen Künstler, der sich in Gesellschaft so unwohl fühlt. Gelegentlich rückt er nervös die Brille zurecht oder fasst sich an das Piratenkopftuch, das er trug, um seine Schweißausbrüche zu verbergen. Ja, er sei Mathematiker, sagt er in der Talkshow von Charlie Rose, und sein Roman "Unendlicher Spaß" sei gebaut wie ein "einfaches Fraktal". Nein, mit der Postmoderne könne er nichts anfangen, der Begriff sei verbraucht. Und nein, Bücher könnten kaum direkten Einfluss auf ihre Leser ausüben, weil es so lange dauere, einen dicken Roman zu lesen, und wenn der Autor zu Ruhm komme, helfe ihm das auch nicht, die wesentlichen Probleme seines Lebens zu lösen, man bleibe doch immer derselbe. Nur dass wir, seine Leser, seit seinem Todesjahr 2008 nicht mehr dieselben sind.
Jetzt hat sein deutscher Verlag frühe Erzählungen vorgelegt, genau die fünf, die beiseiteblieben, als 2001 fünf der zehn Geschichten des Originalbandes "Girl With Curious Hair" (1989) unter dem Titel "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" auf Deutsch erschienen. "Alles ist grün", so der Titel, ist eine sehr gemischte Lieferung, nicht nur vom Umfang her, der von drei Seiten bis knapp zweihundert reicht, sondern auch in Bezug auf Themen, Stil und die erzählerischen Mittel. Die Eröffnungsstory ist stark: Zwei Manager lange nach Büroschluss in der riesigen Tiefgarage, einer droht zu sterben, der andere probiert Herz-Lungen-Wiederbelebung, sie sind allein, und Wallace nimmt das alles auf, als wäre er Mensch, Luchs und Spinne in einem. Ulrich Blumenbachs Übersetzung ist nicht nur brillant, sondern eine sprachschöpferische Leistung von eigenem Witz.
Obwohl Wallace' frühreife Begabung in jeder Geschichte anders pulsiert, hat man immer das Gefühl, einen Autor mit unbegrenzten Möglichkeiten zu lesen, den buchstäblich die Angst vor Langeweile und Konventionalität hinderte, massenmarkttauglicher zu schreiben. Dabei hätte er sie alle in die Tasche stecken können, seinen Freund Jonathan Franzen eingeschlossen. Wallace besaß eine wilde Phantasie, war fähig zum Kammerton, zur Stimmenimitation, zur Bauchrednerei, er konnte Dialoge schreiben und mit drei Zeilen durch eine Szene segeln, er hatte einen Blick für junge Menschen, alte Menschen, alte Sachen (wie in der anrührenden Story "Sag nie"), vorüberhuschende Landschaften und hinter der Mülltonne aufblitzende Epiphanien, und natürlich mochte er auch den Klamauk der Popkultur, nicht immer zu seinem Vorteil. In diesen frühen Erzählungen ist die Nähe zu Thomas Pynchon mit Händen zu greifen, den Hang zur Naturwissenschaft haben ja beide, doch Wallace wirkt wärmer und verletzlicher, als wäre sein persönlicher Einsatz noch etwas höher. Wenn das nicht schon eine rückwärtsgerichtete Projektion ist.
In "Hier und dort", einer dreißigseitigen Erzählung über eine gescheiterte Liebesbeziehung, ruft Wallace nicht die gemeinsame Geschichte des Paares auf, sondern schneidet die nachträglichen Rechtfertigungsmonologe der beiden so geschickt gegeneinander, dass sich beim Lesen die Empfindung von Schmerz und Vergeblichkeit einstellt. Der Zank der beiden Liebenden über den Wert von Gedichten gleicht in einer Nussschale dem Problem des Mathematikers Wallace gegenüber seinem Material. Während die Frau auf den Gefühlen besteht, die Lyrik in ihr wecke, redet der Mann von Axiomen, Zeichen und Funktionen. Wie überhaupt noch etwas darstellen, wenn die künstlerischen Darstellungsmittel durch Fernsehblödsinn und Konsumkultur längst absorbiert sind? "Er sagt, eine Epoche sterbe und er könne das Röcheln hören." Solche Verzweiflungssätze ragen immer wieder aus Wallace' Texten hervor und überstrahlen viel Begriffsgerümpel, das der damals jugendliche Autor im Überschwang in seine Bücher gekippt hat.
Das gilt besonders für die lange Erzählung "Westwärts geht der Lauf des Weltreichs", die drei Viertel des Bandes ausmacht und von der Wallace selbst sich später distanzierte, was uns wiederum nicht zu kümmern braucht. Schon in der grotesken Konstellation - ein PR-Mann will alle 44 000 Menschen, die jemals Fernsehwerbung für McDonald's gemacht haben, in einem Ort namens Collision in einem "Juxhaus" versammeln - liegt eine Auseinandersetzung des ehemaligen Creative-Writing-Studenten David Foster Wallace mit "Lost in the Funhouse", einem programmatischen Text des Schriftstellers und Postmoderne-Theoretikers John Barth. Die in die Story gestreuten Debatten über Realismus oder Metafiktion können schon damals nicht mehr taufrisch gewesen sein und sind es heute noch weniger; oft wirkt die bizarre Handlung um drei Studenten, die mit dem Werbemenschen und seinem Sohn durch die Maisfelder von Illinois reisen, bemüht und von nervigem College-Humor durchzogen.
Doch dann kommen Sätze wie diese: "Ein Winternachmittag in Illinois, der Schnee auf den Stoppelfeldern ein gutgebügeltes Laken, der Himmel blau wie brennendes Benzin, flach und weit wie alles im Freien, eine Untertasse mit unsanft geschwärzten Rändern." Es ist, als strömte eine Erinnerung herein und brächte die Seiten zum Leuchten; vielleicht hat Wallace auch nur dem getraut, was man mangels eines besseren Wortes poetische Eingebung nennen könnte, seinem hyperempfindlichen Sinn für Bilder, in denen lässiges Beobachten und äußerste Verletzbarkeit zusammenfinden. Gewiss ist, dass sein Produktionsrhythmus schon damals hoch war und unterschiedslos Banales wie umstürzend Schönes ausgestoßen hat. David Foster Wallace war ein Schriftsteller des Exzesses im anstrengenden und beflügelnden Sinn des Wortes, und es wäre einfältig, nur den einen der beiden haben zu wollen. So schaufelt man das Heu beiseite, um an die Diamanten zu kommen, und sagt sich: Es ist in Ordnung.
David Foster Wallace: "Alles ist grün". Storys.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 268 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
This collection of ten tales provides ample proof of his virtuosity for the uninitiated... This is not a writer for the squeamish... but his satirical mastery of speech patterns and his eye for the grotesque can astonish. DAILY TELEGRAPH