Es gibt viele wichtige Bücher über Feminismus. Aber keine ihrer Autorinnen hat derart viele Leben gelebt wie Melissa Febos: glückliche Kindheit auf Cape Cod, mit zwanzig heroinabhängig, das Studium finanziert als Domina. Heute führt sie mit ihrer Ehefrau ein bürgerliches Leben und unterrichtet an der Universität. In ihrem Kultbuch »Girlhood« erkundet Melissa Febos die Gemeinsamkeiten aller Lebensphasen, um herauszufinden, welche Wunden das Patriarchat in einem Frauenleben schlägt. Wie wir sie freilegen, wie wir sie heilen. Sie findet beunruhigend eindrückliche Beispiele, wie Frauen von klein auf darauf konditioniert sind, an ihrer eigenen Herabwürdigung mitzuwirken. Von misogyner Gewalt und Mobbing, vom Belästigen, Stalken, Spannen bis zur Evolution falsch gedeuteten Einverständnisses. »Girlhood« handelt von der Rückeroberung des eigenen Körpers und vom Ende der Ausbeutung durch das Patriarchat.Für Leser:innen von Sophie Passmann, »Pick me Girls« und Seyda Kurt, »Radikale Zärtlichkeit«
»Eine überwältigende Kartographie der Gewalt, Scham und Kontrolle, der Frauen unterworfen sind. Melissa Febos zeichnet einen befreienden Ausweg aus all dem.« Esquire
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit Gewinn liest Rezensentin Aurelie von Blazekovic Melissa Febos' Buch über ihre Teenagerjahre, die Zeit, in der im Leben der meisten Frauen Entscheidendes passiert hinsichtlich Sexualität, Selbstbild und oft auch Traumatisierung. Febos bringt, lernen wir, ihre eigenen Erfahrungen unter anderem mit sexuellen Übergriffen, Drogenmissbrauch und Sexarbeit in das Buch ein, das letztlich von einer Prägung des weiblichen Körpers durch das Patriarchat handelt. Welches, das stellt die Autorin laut Blazekovic klar, keineswegs alle Frauen in gleicher Weise affiziert, in ihrem Fall jedoch ergaben sich große Schwierigkeiten, zu einer Form von Einvernehmlichkeit in Bezug auf Sex zu gelangen. Inwieweit Febos' Schicksal ein individuelles oder ein kollektiv-weibliches ist, ist eine der zentralen Fragen, die dieses Buch laut Rezensentin verhandelt, unter anderem mithilfe von Gesprächen, die die Autorin mit anderen Frauen über deren Jugendzeit geführt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2023Verflixtes
Nein
Die amerikanische Autorin Melissa Febos schreibt in
„Girlhood“ über den Schrecken ihrer Mädchenjahre.
Wie war das, ein Mädchen zu sein? Mit 12 Jahren in der Umkleide? Mit 13 auf dem Pausenhof? Schlimme und schöne Erinnerungen werden bei jeder Frau so individuell abgemischt sein wie die Hormonlevel in dieser rasanten Zeit. Was in den Lebensjahren von erstem BH und ersten Männerblicken in den Körpern, Gefühlswelten, Familien und Freundschaften von Mädchen passiert, ist umwälzend und prägend. Gibt es da, wie der Buchtitel „Girlhood“ andeutet, so etwas wie eine universelle Erfahrung?
Eine Allerweltsjugend hat die amerikanische Autorin Melissa Febos, heute Anfang 40, nicht hinter sich. Auf den ersten Seiten ihres nun auf Deutsch erschienenen biografischen Essays „Girlhood“ kündigen sich zunächst in 15 traumhaften Fragmenten Stationen in ihrem Leben an, die man mitunter extrem nennen könnte, oder traumatisch. Febos schreibt von einer gegen ihren eigenen Körper gerichteten jugendlichen Gewalt. Von Fingernägeln, die Halbmondrillen in der Haut, von Radiergummis, die abgeschältes rosa Fleisch hinterlassen. Und von sexuellen Übergriffen, von ihrer späteren Heroinsucht, ihrer Zeit als Domina. Sie sucht in ihrem Text aber auch nach den gesellschaftlichen Zusammenhängen.
Febos schreibt vom „Haus, in dem wir leben“, oder vom „Gespenst“, das sie als Mädchen fest im Griff hatte „und heute noch beherrscht, das mir ein Ja aus dem Mund presst, obwohl mein Körper Nein sagt“. Gemeint ist, selbstverständlich, das Patriarchat. Im jüngeren feministischen Diskurs werden gerade zwar allzu viele biografische Erlebnisse gleich in die gemeinschaftliche Erfahrungswelt erhoben, mit Formeln wie „alle Frauen kennen das“. Dass das Bewohnen dieses Hauses sehr unterschiedlich aussehen kann, unterschlägt Febos hingegen nicht, im Gegenteil.
Zum dunklen Rhythmus des Buchs werden die übergriffigen, in ihrer Einvernehmlichkeit zumindest höchst ambivalenten sexuellen Erlebnisse aus der frühen Jugend der Autorin. Mit 12 stand sie in einem Badezimmer voller älterer Jungs, eine giftige Mischung aus Angst, Verlangen und Unterwerfung, steckte mit ihnen auch in Wandschränken oder im Laub neben ihrem Elternhaus in New England. Sie wurde befummelt, verfolgt und angespuckt. Den Ruf als „Schlampe“ bringt das einem Mädchen schnell ein. Dabei waren es Berührungen, die in Melissa Febos nur Leere auslösten und auf die sie sich in einer Erstarrung einließ, die ihr lange rätselhaft bleiben sollte. Warum konnte sie das nicht, Nein sagen?
Zum Erweckungserlebnis wird dann eine New Yorker Kuschelparty, die Febos lange nach ihrer Mädchenzeit besucht, mit ihrer heutigen Frau, der Dichterin Donika Kelly. Dort stellt sie fest, dass sie es nach all den Jahren, viele von ihnen in Therapie, immer noch nicht kann, das Nein-Sagen. Also an einer Einvernehmlichkeit teilnehmen, die nicht auf ihrer, wie sie schreibt „leeren Zustimmung“ beruht. „Girlhood“ ist in erster Linie das: eine Suche nach Einvernehmlichkeit, eine Betrachtung der Bedingungen, unter denen Mädchen heranwachsen, in ihren Körpern und ihrer Sexualität, die echte Einvernehmlichkeit erschweren. „Wo die Grenze zwischen dem missbräuchlichen Wesen einer patriarchalen Gesellschaft und den missbräuchlichen Taten Einzelner verläuft, ist nicht immer klar“, schreibt sie. Sie selbst dagegen verstehe immer mehr, „auf welche Arten ich zur Misshandlung meines eigenen Körpers beigetragen habe“.
Ist sie nur eine Frau, der es niemand besser beibrachte? Oder eine ganz gewöhnliche Bewohnerin des patriarchalen Hauses? In Bezug auf ihre Heroinsucht, nicht auf ihr Verhältnis zu Männern, schreibt sie: „Du suchst es dir, dann sucht es dich.“
Melissa Febos hat für ihr Buch auch andere Frauen nach ihren Mädchenerlebnissen befragt und findet Parallelen. Im dringenden Wunsch, Männern zu gefallen, im Glauben, man müsse für sie im einen oder anderen Sinne verfügbar sein, man müsse sich um sie kümmern, sich ihnen aber auch unterwerfen. Als Domina tat Melissa Febos mit Anfang zwanzig gegen Geld dann das glatte Gegenteil. Oder war es am Ende dasselbe? Zu einer Eindeutigkeit findet sie nicht. Sie generalisiert ihre Erlebnisse auch nicht, gerade deswegen kann man sich in ihren Nöten wiederfinden. Wo auch immer man selbst am großen Pausenhof der Mädchenjahre mal stand.
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Melissa Febos:
Girlhood.
Essays. Aus dem
Amerikanischen
von Stefanie Jacobs.
Kjona, München 2023.
336 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nein
Die amerikanische Autorin Melissa Febos schreibt in
„Girlhood“ über den Schrecken ihrer Mädchenjahre.
Wie war das, ein Mädchen zu sein? Mit 12 Jahren in der Umkleide? Mit 13 auf dem Pausenhof? Schlimme und schöne Erinnerungen werden bei jeder Frau so individuell abgemischt sein wie die Hormonlevel in dieser rasanten Zeit. Was in den Lebensjahren von erstem BH und ersten Männerblicken in den Körpern, Gefühlswelten, Familien und Freundschaften von Mädchen passiert, ist umwälzend und prägend. Gibt es da, wie der Buchtitel „Girlhood“ andeutet, so etwas wie eine universelle Erfahrung?
Eine Allerweltsjugend hat die amerikanische Autorin Melissa Febos, heute Anfang 40, nicht hinter sich. Auf den ersten Seiten ihres nun auf Deutsch erschienenen biografischen Essays „Girlhood“ kündigen sich zunächst in 15 traumhaften Fragmenten Stationen in ihrem Leben an, die man mitunter extrem nennen könnte, oder traumatisch. Febos schreibt von einer gegen ihren eigenen Körper gerichteten jugendlichen Gewalt. Von Fingernägeln, die Halbmondrillen in der Haut, von Radiergummis, die abgeschältes rosa Fleisch hinterlassen. Und von sexuellen Übergriffen, von ihrer späteren Heroinsucht, ihrer Zeit als Domina. Sie sucht in ihrem Text aber auch nach den gesellschaftlichen Zusammenhängen.
Febos schreibt vom „Haus, in dem wir leben“, oder vom „Gespenst“, das sie als Mädchen fest im Griff hatte „und heute noch beherrscht, das mir ein Ja aus dem Mund presst, obwohl mein Körper Nein sagt“. Gemeint ist, selbstverständlich, das Patriarchat. Im jüngeren feministischen Diskurs werden gerade zwar allzu viele biografische Erlebnisse gleich in die gemeinschaftliche Erfahrungswelt erhoben, mit Formeln wie „alle Frauen kennen das“. Dass das Bewohnen dieses Hauses sehr unterschiedlich aussehen kann, unterschlägt Febos hingegen nicht, im Gegenteil.
Zum dunklen Rhythmus des Buchs werden die übergriffigen, in ihrer Einvernehmlichkeit zumindest höchst ambivalenten sexuellen Erlebnisse aus der frühen Jugend der Autorin. Mit 12 stand sie in einem Badezimmer voller älterer Jungs, eine giftige Mischung aus Angst, Verlangen und Unterwerfung, steckte mit ihnen auch in Wandschränken oder im Laub neben ihrem Elternhaus in New England. Sie wurde befummelt, verfolgt und angespuckt. Den Ruf als „Schlampe“ bringt das einem Mädchen schnell ein. Dabei waren es Berührungen, die in Melissa Febos nur Leere auslösten und auf die sie sich in einer Erstarrung einließ, die ihr lange rätselhaft bleiben sollte. Warum konnte sie das nicht, Nein sagen?
Zum Erweckungserlebnis wird dann eine New Yorker Kuschelparty, die Febos lange nach ihrer Mädchenzeit besucht, mit ihrer heutigen Frau, der Dichterin Donika Kelly. Dort stellt sie fest, dass sie es nach all den Jahren, viele von ihnen in Therapie, immer noch nicht kann, das Nein-Sagen. Also an einer Einvernehmlichkeit teilnehmen, die nicht auf ihrer, wie sie schreibt „leeren Zustimmung“ beruht. „Girlhood“ ist in erster Linie das: eine Suche nach Einvernehmlichkeit, eine Betrachtung der Bedingungen, unter denen Mädchen heranwachsen, in ihren Körpern und ihrer Sexualität, die echte Einvernehmlichkeit erschweren. „Wo die Grenze zwischen dem missbräuchlichen Wesen einer patriarchalen Gesellschaft und den missbräuchlichen Taten Einzelner verläuft, ist nicht immer klar“, schreibt sie. Sie selbst dagegen verstehe immer mehr, „auf welche Arten ich zur Misshandlung meines eigenen Körpers beigetragen habe“.
Ist sie nur eine Frau, der es niemand besser beibrachte? Oder eine ganz gewöhnliche Bewohnerin des patriarchalen Hauses? In Bezug auf ihre Heroinsucht, nicht auf ihr Verhältnis zu Männern, schreibt sie: „Du suchst es dir, dann sucht es dich.“
Melissa Febos hat für ihr Buch auch andere Frauen nach ihren Mädchenerlebnissen befragt und findet Parallelen. Im dringenden Wunsch, Männern zu gefallen, im Glauben, man müsse für sie im einen oder anderen Sinne verfügbar sein, man müsse sich um sie kümmern, sich ihnen aber auch unterwerfen. Als Domina tat Melissa Febos mit Anfang zwanzig gegen Geld dann das glatte Gegenteil. Oder war es am Ende dasselbe? Zu einer Eindeutigkeit findet sie nicht. Sie generalisiert ihre Erlebnisse auch nicht, gerade deswegen kann man sich in ihren Nöten wiederfinden. Wo auch immer man selbst am großen Pausenhof der Mädchenjahre mal stand.
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Melissa Febos:
Girlhood.
Essays. Aus dem
Amerikanischen
von Stefanie Jacobs.
Kjona, München 2023.
336 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de