Ausgezeichnet mit dem Bremer Literaturpreis 2016
Ein wilder Reigen, ein irrwitziger Traum, eine deutsche Geschichte.
Rock Oldekop kehrt nach Glantz im Düster, in seine alte Heimat zurück, um herauszufinden, was sich wirklich zugetragen hat, damals, in der Nacht, als seine Eltern bei einem Brand umkamen. Tiefer und tiefer gerät er in einen wahnwitzigen rasenden Albtraum. Fürchterlich und barbarisch geht es zu in diesem fiktiven Mittelgebirge. Radikal phantastisch, mit einer zärtlichen Absolutheit und virtuosen Wucht erzählt Henning Ahrens von der Suche nach der Herkunft, einer Identität, einer Lebensgeschichte.
Ein wilder Reigen, ein irrwitziger Traum, eine deutsche Geschichte.
Rock Oldekop kehrt nach Glantz im Düster, in seine alte Heimat zurück, um herauszufinden, was sich wirklich zugetragen hat, damals, in der Nacht, als seine Eltern bei einem Brand umkamen. Tiefer und tiefer gerät er in einen wahnwitzigen rasenden Albtraum. Fürchterlich und barbarisch geht es zu in diesem fiktiven Mittelgebirge. Radikal phantastisch, mit einer zärtlichen Absolutheit und virtuosen Wucht erzählt Henning Ahrens von der Suche nach der Herkunft, einer Identität, einer Lebensgeschichte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2015Der wahre Mann trinkt herben Jauchensaft
Ein düsteres Märchen mitten aus unserer Gegenwart: Henning Ahrens schickt
in seinem neuen Roman „Glantz und Gloria“ seinen Helden auf einen Trip in den deutschen Urschlamm
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Provinz war für Henning Ahrens noch nie ein Schimpfwort. Sein Roman „Tiertage“ aus dem Jahr 2007 beispielsweise schlug auf wundersame und wunderbare Weise Brücken zwischen der Mensch- und Tierwelt; vereinte die Liebessehnsucht aller Geschöpfe in einem niedersächsischen Kaff zu einem sommerlichen Reigen von Begierde, Einsamkeit und Tod. Andererseits aber ist Ahrens kein Idylliker, kein Verklärer. Aus seinem 2009 erschienenen „Provinzlexikon“, einer Art von versponnener Phänomenologie des ländlichen Daseins, ließ sich unter anderem die Erkenntnis ableiten, dass geistige Enge und Verstocktheit nicht zwangsläufige Begleiterscheinungen der Provinz sein müssen, aber durchaus sein können. Anders gesagt: Es gibt keinen bösen Ort, nur eine gefährliche Haltung, die sich in Zäunen und anderen Abgrenzungsmaßnahmen manifestieren kann.
So geschieht es in „Glantz und Gloria“, Ahrens’ neuem Buch, das den Untertitel „Ein Trip“ trägt. Völlig zu Recht. Denn schon nach wenigen Seiten dieses schmalen, aber sprachlich und motivisch hochverdichteten Buchs stellt sich die Frage, ob uns der Erzähler hier nicht auf eine ganz üble Albtraumreise in ein durchgeknalltes Dunkeldeutschland mitgenommen hat. Ein Land, das sich aus reiner Fantasie speist und das doch, gerade angesichts der Massen von besorgten Bürgern in Freital und anderen Gemeinden, sehr viel mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Karl-Otto Oldekop, genannt Rock, heißt der Mann, der die Geschichte seiner Rückkehr in das Dorf Glantz, den Ort seiner Kindheit, erzählt. Standesgemäß kommt er dort mit dem Fahrrad den Berg heruntergesaust, denn Glantz liegt in einem Mittelgebirge namens Düster (in dem, wie es heißt, „die Teutschen ihre Seele begraben haben“), und wenn man weiß, dass Henning Ahrens in Peine, unweit des Harzes, geboren wurde, hat man eine ungefähre Vorstellung von der Landschaft, zumal Ahrens dem Buch einen Satz aus Heines Harzreise vorangestellt hat, nach dem jeder Deutsche immer noch einen Verrückten finde, der noch verrückter sei als er selbst.
Von Beginn wird in „Glantz und Gloria“ mit Paradoxien gearbeitet, mit Mutmaßungen, Unwahrscheinlichkeiten und Halbwahrheiten. Rock kehrt zurück nach Glantz, um etwas über das Schicksal seiner Eltern zu erfahren, die bei einem Brand ums Leben gekommen sind, als er selbst fünf Jahre alt und gerade bei einer Sandkastenfreundin zu Besuch war. Auch über diesen Brand gibt es im Dorf Widersprüchliches zu hören: Kabelbrand? Brandstiftung? Eine im Bett gerauchte Zigarette (dann hätten sie es ja verdient!).
Ziemlich schnell wird deutlich: Glantz ist ein böser Ort, und es ist ein böser deutscher Ort, und das schon seit Langem. Die Niedertracht vieler Jahrhunderte, von der Hexenverfolgung bis zum jüngsten durch die Straßen ziehenden Lynchmob, liegt in Schichten auf den Bewohnern, denen nichts wichtiger zu sein scheint als unter sich zu bleiben. Wer hierher kommt, wird bestenfalls geduldet, aber nur, wenn er sich wohl verhält.
Rock Oldekop, 45 Jahre alt, nach einer gescheiterten Beziehung und einem ausgedehnten Kreta-Aufenthalt in der Midlife-Crisis, findet Unterschlupf bei einem anderen Außenseiter: Landauer, der geläuterte ehemalige Chef einer Wurstfabrik, bekämpft nun als militanter Tierschützer und Vegetarier das Glantzer Hauptgeschäft, die Schweinemast, und hat den Hass vor allem der Bauern auf sich gezogen. Das Volk rottet sich zusammen, in schwarzen Messen, die in Bauernhofkellern gefeiert werden, in Fackelzügen, mit gegrölten Parolen: „Scheiße ist unser Eigentum, / wir geben sie nicht her! Kacke ist unser Glantzer Ruhm / und Pisse noch viel mehr! Wir trinken herben Jauchesaft / und mästen uns am Mist, / denn nur der Mann hat wahre Kraft, / der Exkremente frisst . . . “. Schon an der teils brillanten, teils unfreiwillig komischen Sprachkraft der Pöbel-Sprechchöre wird deutlich, dass „Glantz und Gloria“ alles andere ist als ein realistischer Roman.
Das ist nicht Henning Ahrens’ Sache. Vielmehr fließen in diesem Glantzer Urschlamm sämtliche (zum Teil auch im Lauf der Geschichte unzulässig missbrauchten) Versatzstücke des unheilvollen Teutschtums zusammen: Romantische Dichtung und Richard Wagner, Gottfried Benn und Thomas Mann, dazu ein Schuss Fantasy-Literatur und Zombieästhetik.
In „Glantz und Gloria“ ist der Ahrens’sche Kosmos so massiv konzentriert wie nie zuvor; ein wilder Tanz aus literarischen Anspielungen und Zitaten, Mythen, Lyrismen und Fantasiegebilden. Das ist virtuos gemacht, Erkenntnis stiftend und noch dazu auch oft sehr lustig. Psychologische Tiefenschärfe darf man hier nicht erwarten; Ahrens’ Figuren sind überwiegend, auch das hat er bereits in seinem zweiten Roman „Langsamer Walzer“ erprobt, Figuren eines groß angelegten Programms, das nach den Gesetzen einer Computerspielästhetik organisiert ist. Sie bewegen sich über ein durch und durch künstliches und frappierenderweise doch mit der Realität abgleichbares Terrain. Die Wirklichkeit wird verdreht, umgebaut, verzerrt, so weit und so lange, bis die deutsche Seele kenntlich wird.
Eine irre Geschichte, im Wortsinn. So etwas kann nur Henning Ahrens. Aber wie kommt er da am Ende wieder heraus? Gibt es einen Ausweg aus dem Trip, ein Aufwachen aus dem Albtraum? Sicher ist: Rock muss wieder weg aus Glantz. Er geht nicht allein. Die Liebesgeschichte lässt Ahrens zwischen all den Monstrositäten die ganze Zeit über mitlaufen. Am Ende sagt Helene, die mit ihm geht: „Ich bin der Beginn eines Romans, der auf einer wahren Begebenheit beruht.“ Das ist möglicherweise ein kleiner Trost. Die Welt aber bleibt heillos. „Glantz und Gloria“ ist ein düsteres Märchen, mitten aus unserer Zeit.
Dieser Trip ist eine Reise durch
die Niedertracht: von den Hexen-
verfolgungen bis zum Lynchmob
Wagner, Benn und Thomas Mann
werden hier mit einem Schuss
Zombie-Ästhetik versetzt
Henning Ahrens:
Glantz und Gloria. Ein Trip.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2015. 174 Seiten, 18,99 Euro, E-Book 16,99 Euro.
In einem Mittelgebirge namens Düster, dort, „wo die Teutschen ihre Seele
begraben haben“, hat Henning Ahrens seinen Roman angesiedelt. Der Realismus hat dort
keine Chance gegen die Herrschaft der Albträume. Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein düsteres Märchen mitten aus unserer Gegenwart: Henning Ahrens schickt
in seinem neuen Roman „Glantz und Gloria“ seinen Helden auf einen Trip in den deutschen Urschlamm
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Provinz war für Henning Ahrens noch nie ein Schimpfwort. Sein Roman „Tiertage“ aus dem Jahr 2007 beispielsweise schlug auf wundersame und wunderbare Weise Brücken zwischen der Mensch- und Tierwelt; vereinte die Liebessehnsucht aller Geschöpfe in einem niedersächsischen Kaff zu einem sommerlichen Reigen von Begierde, Einsamkeit und Tod. Andererseits aber ist Ahrens kein Idylliker, kein Verklärer. Aus seinem 2009 erschienenen „Provinzlexikon“, einer Art von versponnener Phänomenologie des ländlichen Daseins, ließ sich unter anderem die Erkenntnis ableiten, dass geistige Enge und Verstocktheit nicht zwangsläufige Begleiterscheinungen der Provinz sein müssen, aber durchaus sein können. Anders gesagt: Es gibt keinen bösen Ort, nur eine gefährliche Haltung, die sich in Zäunen und anderen Abgrenzungsmaßnahmen manifestieren kann.
So geschieht es in „Glantz und Gloria“, Ahrens’ neuem Buch, das den Untertitel „Ein Trip“ trägt. Völlig zu Recht. Denn schon nach wenigen Seiten dieses schmalen, aber sprachlich und motivisch hochverdichteten Buchs stellt sich die Frage, ob uns der Erzähler hier nicht auf eine ganz üble Albtraumreise in ein durchgeknalltes Dunkeldeutschland mitgenommen hat. Ein Land, das sich aus reiner Fantasie speist und das doch, gerade angesichts der Massen von besorgten Bürgern in Freital und anderen Gemeinden, sehr viel mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Karl-Otto Oldekop, genannt Rock, heißt der Mann, der die Geschichte seiner Rückkehr in das Dorf Glantz, den Ort seiner Kindheit, erzählt. Standesgemäß kommt er dort mit dem Fahrrad den Berg heruntergesaust, denn Glantz liegt in einem Mittelgebirge namens Düster (in dem, wie es heißt, „die Teutschen ihre Seele begraben haben“), und wenn man weiß, dass Henning Ahrens in Peine, unweit des Harzes, geboren wurde, hat man eine ungefähre Vorstellung von der Landschaft, zumal Ahrens dem Buch einen Satz aus Heines Harzreise vorangestellt hat, nach dem jeder Deutsche immer noch einen Verrückten finde, der noch verrückter sei als er selbst.
Von Beginn wird in „Glantz und Gloria“ mit Paradoxien gearbeitet, mit Mutmaßungen, Unwahrscheinlichkeiten und Halbwahrheiten. Rock kehrt zurück nach Glantz, um etwas über das Schicksal seiner Eltern zu erfahren, die bei einem Brand ums Leben gekommen sind, als er selbst fünf Jahre alt und gerade bei einer Sandkastenfreundin zu Besuch war. Auch über diesen Brand gibt es im Dorf Widersprüchliches zu hören: Kabelbrand? Brandstiftung? Eine im Bett gerauchte Zigarette (dann hätten sie es ja verdient!).
Ziemlich schnell wird deutlich: Glantz ist ein böser Ort, und es ist ein böser deutscher Ort, und das schon seit Langem. Die Niedertracht vieler Jahrhunderte, von der Hexenverfolgung bis zum jüngsten durch die Straßen ziehenden Lynchmob, liegt in Schichten auf den Bewohnern, denen nichts wichtiger zu sein scheint als unter sich zu bleiben. Wer hierher kommt, wird bestenfalls geduldet, aber nur, wenn er sich wohl verhält.
Rock Oldekop, 45 Jahre alt, nach einer gescheiterten Beziehung und einem ausgedehnten Kreta-Aufenthalt in der Midlife-Crisis, findet Unterschlupf bei einem anderen Außenseiter: Landauer, der geläuterte ehemalige Chef einer Wurstfabrik, bekämpft nun als militanter Tierschützer und Vegetarier das Glantzer Hauptgeschäft, die Schweinemast, und hat den Hass vor allem der Bauern auf sich gezogen. Das Volk rottet sich zusammen, in schwarzen Messen, die in Bauernhofkellern gefeiert werden, in Fackelzügen, mit gegrölten Parolen: „Scheiße ist unser Eigentum, / wir geben sie nicht her! Kacke ist unser Glantzer Ruhm / und Pisse noch viel mehr! Wir trinken herben Jauchesaft / und mästen uns am Mist, / denn nur der Mann hat wahre Kraft, / der Exkremente frisst . . . “. Schon an der teils brillanten, teils unfreiwillig komischen Sprachkraft der Pöbel-Sprechchöre wird deutlich, dass „Glantz und Gloria“ alles andere ist als ein realistischer Roman.
Das ist nicht Henning Ahrens’ Sache. Vielmehr fließen in diesem Glantzer Urschlamm sämtliche (zum Teil auch im Lauf der Geschichte unzulässig missbrauchten) Versatzstücke des unheilvollen Teutschtums zusammen: Romantische Dichtung und Richard Wagner, Gottfried Benn und Thomas Mann, dazu ein Schuss Fantasy-Literatur und Zombieästhetik.
In „Glantz und Gloria“ ist der Ahrens’sche Kosmos so massiv konzentriert wie nie zuvor; ein wilder Tanz aus literarischen Anspielungen und Zitaten, Mythen, Lyrismen und Fantasiegebilden. Das ist virtuos gemacht, Erkenntnis stiftend und noch dazu auch oft sehr lustig. Psychologische Tiefenschärfe darf man hier nicht erwarten; Ahrens’ Figuren sind überwiegend, auch das hat er bereits in seinem zweiten Roman „Langsamer Walzer“ erprobt, Figuren eines groß angelegten Programms, das nach den Gesetzen einer Computerspielästhetik organisiert ist. Sie bewegen sich über ein durch und durch künstliches und frappierenderweise doch mit der Realität abgleichbares Terrain. Die Wirklichkeit wird verdreht, umgebaut, verzerrt, so weit und so lange, bis die deutsche Seele kenntlich wird.
Eine irre Geschichte, im Wortsinn. So etwas kann nur Henning Ahrens. Aber wie kommt er da am Ende wieder heraus? Gibt es einen Ausweg aus dem Trip, ein Aufwachen aus dem Albtraum? Sicher ist: Rock muss wieder weg aus Glantz. Er geht nicht allein. Die Liebesgeschichte lässt Ahrens zwischen all den Monstrositäten die ganze Zeit über mitlaufen. Am Ende sagt Helene, die mit ihm geht: „Ich bin der Beginn eines Romans, der auf einer wahren Begebenheit beruht.“ Das ist möglicherweise ein kleiner Trost. Die Welt aber bleibt heillos. „Glantz und Gloria“ ist ein düsteres Märchen, mitten aus unserer Zeit.
Dieser Trip ist eine Reise durch
die Niedertracht: von den Hexen-
verfolgungen bis zum Lynchmob
Wagner, Benn und Thomas Mann
werden hier mit einem Schuss
Zombie-Ästhetik versetzt
Henning Ahrens:
Glantz und Gloria. Ein Trip.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2015. 174 Seiten, 18,99 Euro, E-Book 16,99 Euro.
In einem Mittelgebirge namens Düster, dort, „wo die Teutschen ihre Seele
begraben haben“, hat Henning Ahrens seinen Roman angesiedelt. Der Realismus hat dort
keine Chance gegen die Herrschaft der Albträume. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Über den neuen, nun unter dem Titel "Glantz und Gloria" erschienenen Roman von Henning Ahrens freut sich Rezensent Christopher Schröder ganz besonders. Denn zum einen lobt der Kritiker Ahrens' Kunst, ebenso märchenhaft-fantasievolle wie abgründig-düstere Geschichten aus der Provinz zu erzählen, zum anderen erscheint ihm dieses Buch, das sich wie eine "Albtraumreise in ein durchgeknalltes Dunkeldeutschland" liest angesichts der Ereignisse in Freital und anderen Gemeinden äußerst aktuell. Der Rezensent begibt sich mit Protagonist Rock Oldekop in das kleine Dorf Glantz, "einen bösen Ort", wo Rock versucht, den Jahrzehnte zurückliegenden Tod seiner Eltern aufzuklären, und er erlebt vor allem den durch die Straße ziehenden Lynchmob, der sich im gemeinsamen Hass gegen einen Tierschützer zusammengefunden hat. Großartig, wie Ahrens das alles mit einer Portion Zombieästhetik und Fantasy mischt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2016Unser täglich Gerücht gib uns heute
Phantastik des Fanatischen: Henning Ahrens hat mit "Glantz und Gloria" den Roman zum Wutbürger parat
Wer als Kind "Lucky Luke" gelesen hat, wird sich an die kuriosen Ortsschilder erinnern, mit denen Wildwest-Kaffs ihre Unwillkommenskultur zelebrierten: Einschusslöcher und martialische Warnungen an alle Fremden. Ähnlich wird im neuen Roman von Henning Ahrens der Schauplatz eingeführt: "Ein Ortsschild, mit Fastfoodmüll verziert, von Kugeln durchsiebt: GLANTZ IM DÜSTER."
Schon diese Verbindung von Orts- und Landschaftsnamen ist preiswürdig. Zumal sich durch das Tal des Düsters ein Flüsschen namens "Schwarte" windet. Ein "Hauch von Schweinegülle" liegt in der Luft, der Ostwind trägt den Gestank der Mastanlagen herüber, vor den Häusern stehen große Autos mit Anhängerkupplung, "Mahnmale des Wohlstands". Glantz sorgt für Nachschub auf Grill und Bräter, hier wird Fleisch en gros produziert. Die wenigen Straßen sind meist menschenleer, nur ein paar dickliche Teenager hocken in den Bushaltestellen, die Blicke "leerer als eine bis auf den Grund geleerte Colaflasche".
Zwei Menschen bewegen sich zu Beginn auf Glantz zu. Der eine sucht die Vergangenheit, die andere die Zukunft und ihre Handtasche. Gloria Mayer will eine Stelle als Landärztin antreten, der Ich-Erzähler Rock Oldekop, ein Mittvierziger, kehrt in einer Lebenskrise erstmals an die Brandstätte seiner frühen Kindheit zurück. Als er fünf war, ging sein Glantzer Elternhaus aus ungeklärter Ursache in Flammen auf, die Eltern starben. Kürzlich hat Rock, der eigentlich Karl-Otto heißt, zudem eine "Mehrfachfraktur" seiner Existenz erlitten: Seine Lebensgefährtin hat ihn betrogen. Auf Kreta hat er vorübergehend eine Zuflucht gefunden, allerdings ist er dort immer wieder auf die Spuren der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gestoßen - Massaker, Geiselerschießungen, Taten enthemmter deutscher Biedermänner und Brutalgermanen, von denen er sich nun wiederum in Glantz umstellt und verfolgt fühlt.
Oldekop gerät in die Frontlinie eines hasserfüllten Konflikts. Auf der einen Seite steht der Ex-Wurstfabrikant Landauer, der sich zu militantem Vegetariertum und Öko-Esoterik bekehrt hat, in einer restaurierten Mühle lebt, in der auch Rock und Gloria Unterschlupf finden, und die große Schweinebefreiung plant. Auf der anderen Seite steht der Großbauer Harm Kremser, Schweinemonopolist, Milchvieholigarch, Windradkönig. Er will die Mühle kaufen und eine Großschlachterei errichten; vor allem will er den "Zugewanderten" Landauer vertreiben. Fremde sind in Glantz unerwünscht, es gilt: einmal Fremder, immer Fremder. Wutbürger stimmen Sprechchöre an: "Merkt ihr den Zorn? Merkt ihr den Groll? / Wir sind das Maß, und das Maß ist voll!" Ahrens überspitzt die Beschreibungen ins Surreale, so dass man bei der Lektüre das Gefühl hat, in eine merkwürdig aus Nachrichten und Albträumen zusammengeknetete Welt geraten zu sein: Phantastik des Fanatischen.
Bei aller ungeplanten Aktualität ist "Glantz und Gloria" ein hintersinniges artifizielles Werk mit Zeitsprüngen, Rückblenden, Andeutungen und Aussparungen. Ahrens strebt keine psychologische Plausibilität an, er setzt auf die Anreicherung des Geschehens durch Subtexte und Anspielungen; bisweilen hat die überdrehte Handlung etwas von einem Computerspiel. Die "Pummels und Prolls", die in Glantz aufmarschieren, erscheinen zugleich in eine grimmige altdeutsche Märchenwelt getaucht mit ihren derben Sinnsprüchen ("Hurra, hurra - / Präteritum ist wieder da"), dann wieder wie Orks aus einen Fantasy-Spektakel oder wie die modriggesichtigen Zombies einer Horror-Farce. Nachts entsteigen sie den Gräbern, zuerst kommt die Hand mit dem irrlichternden Smartphone aus der Erde.
Henning Ahrens wurde 1964 als Sohn eines niedersächsischen Landwirts geboren und hat als Übersetzer, Lyriker, Romancier ("Lauf Jäger lauf", "Tiertage") noch lange in der Provinz gelebt, in der jemand, der morgens nicht das Haus Richtung Arbeitsstätte verlässt, leicht zum suspekten Subjekt wird. Offenbar ist in "Glantz und Gloria" ein gewisses Rachebedürfnis stilbildend geworden. Scharfe, pointierte Literatur entsteht ja nicht immer aus edlen Antrieben, Thomas Mann hat das in seinen jüngeren Jahren zugegeben, als er den "treffenden Ausdruck" als Waffe bezeichnete, die dem Schriftsteller die "Rache an seinem Erlebnis" ermögliche. In diesem Sinn macht Ahrens von der Waffe Gebrauch.
Zugleich schafft er seinem lyrischen Talent Anwendungsmöglichkeiten in den Reimen der Protestler, die so witzig wie martialisch sind. Am Ende greift Landauer, der "eingefleischte Vegetarier" und wahnhafte Idealist, zum Sprengstoffpaket. Auf eine Riesenschweinerei läuft es hinaus. Die Hassbürger-Farce bietet keine "Strandkorbprosa", sondern eine Story, wie man sie "seinen Enkeln im Schein des brennenden Wohnzimmers erzählt" - so die prahlerische Warnung, die Ahrens seiner Geschichte vorangestellt hat, ganz im Geist der treffenden Übertreibung, die dieses Buch kennzeichnet.
WOLFGANG SCHNEIDER
Henning Ahrens: "Glantz und Gloria". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 176 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Phantastik des Fanatischen: Henning Ahrens hat mit "Glantz und Gloria" den Roman zum Wutbürger parat
Wer als Kind "Lucky Luke" gelesen hat, wird sich an die kuriosen Ortsschilder erinnern, mit denen Wildwest-Kaffs ihre Unwillkommenskultur zelebrierten: Einschusslöcher und martialische Warnungen an alle Fremden. Ähnlich wird im neuen Roman von Henning Ahrens der Schauplatz eingeführt: "Ein Ortsschild, mit Fastfoodmüll verziert, von Kugeln durchsiebt: GLANTZ IM DÜSTER."
Schon diese Verbindung von Orts- und Landschaftsnamen ist preiswürdig. Zumal sich durch das Tal des Düsters ein Flüsschen namens "Schwarte" windet. Ein "Hauch von Schweinegülle" liegt in der Luft, der Ostwind trägt den Gestank der Mastanlagen herüber, vor den Häusern stehen große Autos mit Anhängerkupplung, "Mahnmale des Wohlstands". Glantz sorgt für Nachschub auf Grill und Bräter, hier wird Fleisch en gros produziert. Die wenigen Straßen sind meist menschenleer, nur ein paar dickliche Teenager hocken in den Bushaltestellen, die Blicke "leerer als eine bis auf den Grund geleerte Colaflasche".
Zwei Menschen bewegen sich zu Beginn auf Glantz zu. Der eine sucht die Vergangenheit, die andere die Zukunft und ihre Handtasche. Gloria Mayer will eine Stelle als Landärztin antreten, der Ich-Erzähler Rock Oldekop, ein Mittvierziger, kehrt in einer Lebenskrise erstmals an die Brandstätte seiner frühen Kindheit zurück. Als er fünf war, ging sein Glantzer Elternhaus aus ungeklärter Ursache in Flammen auf, die Eltern starben. Kürzlich hat Rock, der eigentlich Karl-Otto heißt, zudem eine "Mehrfachfraktur" seiner Existenz erlitten: Seine Lebensgefährtin hat ihn betrogen. Auf Kreta hat er vorübergehend eine Zuflucht gefunden, allerdings ist er dort immer wieder auf die Spuren der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gestoßen - Massaker, Geiselerschießungen, Taten enthemmter deutscher Biedermänner und Brutalgermanen, von denen er sich nun wiederum in Glantz umstellt und verfolgt fühlt.
Oldekop gerät in die Frontlinie eines hasserfüllten Konflikts. Auf der einen Seite steht der Ex-Wurstfabrikant Landauer, der sich zu militantem Vegetariertum und Öko-Esoterik bekehrt hat, in einer restaurierten Mühle lebt, in der auch Rock und Gloria Unterschlupf finden, und die große Schweinebefreiung plant. Auf der anderen Seite steht der Großbauer Harm Kremser, Schweinemonopolist, Milchvieholigarch, Windradkönig. Er will die Mühle kaufen und eine Großschlachterei errichten; vor allem will er den "Zugewanderten" Landauer vertreiben. Fremde sind in Glantz unerwünscht, es gilt: einmal Fremder, immer Fremder. Wutbürger stimmen Sprechchöre an: "Merkt ihr den Zorn? Merkt ihr den Groll? / Wir sind das Maß, und das Maß ist voll!" Ahrens überspitzt die Beschreibungen ins Surreale, so dass man bei der Lektüre das Gefühl hat, in eine merkwürdig aus Nachrichten und Albträumen zusammengeknetete Welt geraten zu sein: Phantastik des Fanatischen.
Bei aller ungeplanten Aktualität ist "Glantz und Gloria" ein hintersinniges artifizielles Werk mit Zeitsprüngen, Rückblenden, Andeutungen und Aussparungen. Ahrens strebt keine psychologische Plausibilität an, er setzt auf die Anreicherung des Geschehens durch Subtexte und Anspielungen; bisweilen hat die überdrehte Handlung etwas von einem Computerspiel. Die "Pummels und Prolls", die in Glantz aufmarschieren, erscheinen zugleich in eine grimmige altdeutsche Märchenwelt getaucht mit ihren derben Sinnsprüchen ("Hurra, hurra - / Präteritum ist wieder da"), dann wieder wie Orks aus einen Fantasy-Spektakel oder wie die modriggesichtigen Zombies einer Horror-Farce. Nachts entsteigen sie den Gräbern, zuerst kommt die Hand mit dem irrlichternden Smartphone aus der Erde.
Henning Ahrens wurde 1964 als Sohn eines niedersächsischen Landwirts geboren und hat als Übersetzer, Lyriker, Romancier ("Lauf Jäger lauf", "Tiertage") noch lange in der Provinz gelebt, in der jemand, der morgens nicht das Haus Richtung Arbeitsstätte verlässt, leicht zum suspekten Subjekt wird. Offenbar ist in "Glantz und Gloria" ein gewisses Rachebedürfnis stilbildend geworden. Scharfe, pointierte Literatur entsteht ja nicht immer aus edlen Antrieben, Thomas Mann hat das in seinen jüngeren Jahren zugegeben, als er den "treffenden Ausdruck" als Waffe bezeichnete, die dem Schriftsteller die "Rache an seinem Erlebnis" ermögliche. In diesem Sinn macht Ahrens von der Waffe Gebrauch.
Zugleich schafft er seinem lyrischen Talent Anwendungsmöglichkeiten in den Reimen der Protestler, die so witzig wie martialisch sind. Am Ende greift Landauer, der "eingefleischte Vegetarier" und wahnhafte Idealist, zum Sprengstoffpaket. Auf eine Riesenschweinerei läuft es hinaus. Die Hassbürger-Farce bietet keine "Strandkorbprosa", sondern eine Story, wie man sie "seinen Enkeln im Schein des brennenden Wohnzimmers erzählt" - so die prahlerische Warnung, die Ahrens seiner Geschichte vorangestellt hat, ganz im Geist der treffenden Übertreibung, die dieses Buch kennzeichnet.
WOLFGANG SCHNEIDER
Henning Ahrens: "Glantz und Gloria". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 176 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ahrens inszeniert das als wüsten Comic-Strip und wortwitzigen Horror-Trip. Wolf Ebersberger Nürnberger Zeitung 20150829