Nationalsymbole als Spiegelbild einer Nation: über Denkmäler, Bauten, Hymnen, Farben und Feiertage.Als eine sinnliche Nation ist Deutschland kaum auffällig geworden. Aber auch mit der SinnBILDlichkeit tut man sich hierzulande schwer, zumal in der Politik. Sie spiegelt in zeichenhaft verdichteter Weise, wovon hier berichtet werden soll: von Glanz und Elend der Selbstdarstellung einer Nation, die erst in jüngerer Zeit ein neues Verhältnis zu ihren politischen Farben, Festen und Liedern findet.Der kriegerische Kampf Deutschlands um seine national-staatliche Einheit hat den Deutschen viel und der Welt noch mehr zugemutet. Fünf verschiedene politische Systeme sind in gut einhundert Jahren ausprobiert und verschlissen worden. Revolutionen, Weltkriege, Gewaltverbrechen, Besatzungsherrschaft und Teilung waren der Preis, unser Land aus expansionistischer Aggression und politischer Regression herauswachsen zu lassen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland ein zivilisierter und fest integrierter Partner der Staatengemeinschaft geworden. In der Geschichte der symbolischen Selbstdarstellung Deutschlands sehen wir in das Spiegelbild einer Nation, die mehr als drei Generationen gebraucht hat, in diesem Sinne politisch erwachsen zu werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2012Von Sedan ins
Hofbräuhaus
Nationalsymbole sind unvermeidlich, aber
was sprechen sie aus? Peter Reichel nimmt
sich die deutsche Selbstdarstellung vor
VON STEPHAN SPEICHER
Am 18. April 1950 sprach Konrad Adenauer auf einer Kundgebung im Berliner Titania-Palast. Am Ende der Veranstaltung bat er das Publikum, mit ihm die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu singen; den Text hatte er auslegen lassen. Den Zeitgenossen war sofort klar, was das bedeutete. Jakob Kaiser, Minister für Gesamtdeutsche Fragen, freute sich über den „schönen Staatsstreich“, Teile der SPD waren missvergnügt. Denn die Frage der Nationalhymne war bis dahin offen. Theodor Heuss hatte einen neuen Text bei Rudolf Alexander Schröder in Auftrag gegeben, doch Adenauer hatte begonnen, Tatsachen zu schaffen. Auch die Hohen Kommissare machten sich Gedanken und sprachen den deutschen Kanzler zehn Tage später sorgenvoll auf die Sache an. Adenauer rechtfertigte sich mit dem Druck, unter dem er sich fühle: Kürzlich seien in Berlin bei einem großen Sportereignis die Hymnen der beteiligten Nationen gespielt worden. Als die Reihe an die Deutschen kam, gab die Kapelle „In München steht ein Hofbräuhaus“. Und in Köln in ähnlicher Situation sei es der Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ gewesen. So werde die Bundesrepublik „etwas lächerlich gemacht“.
Was Adenauer nicht erwähnte: Die DDR hatte mit „Auferstanden aus Ruinen“ die Frage bereits entschieden, das Werk Bechers und Eislers hatte in seiner getragenen Art viel Zustimmung gefunden. Wie die Sache im Westen ausging, ist bekannt. Schröders Hymnenversuch („Land des Glaubens, deutsches Land“) fiel durch, in einem Briefwechsel verständigten sich Adenauer und Heuss 1952 auf die dritte Strophe des Deutschlandliedes. Was die Sache so interessant macht, ist die von allen stark empfundene Notwendigkeit einer Hymne, im Osten und im Westen, bei den Siegern und den Deutschen, und namentlich bei dem stocknüchternen Adenauer, der Hoffmann von Fallersleben illusionslos sah: dessen erste Strophe „so antiquiert, dass sie kein halbwegs vernünftiger Mensch mehr singen kann“, die zweite „ein bisschen dumm“, die dritte aber mit einer „Wahrheit, die auch jetzt noch gilt“.
Peter Reichel, emeritierter Professor der Politikwissenschaften in Hamburg, hat solchen Fragen nun ein Buch gewidmet, unter dem stockig riechenden Titel „Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung“. In einer Reihe von Längsschnitten behandelt er Parlamentsbauten, Hymnen, Farben/Fahnen, Nationalfeiertage, Totengedenken und zuletzt das Brandenburger Tor. Sehr viel Neues hat er nicht ermittelt. Wir lesen vom bekannten Streit um den Reichstagsbau Wallots, von Kampf um die Reichsfarben in der Weimarer Republik und den nie gelösten Schwierigkeiten, einen Staatsfeiertag für die erste Demokratie zu finden.
Doch auch das Kaiserreich hatte das Problem. Der Sedantag wurde nicht etwa gesetzlicher Feiertag; der Mainzer Erzbischof Ketteler untersagte seinen Geistlichen, zum 2. September die Glocken zu läuten, der Sedantag sei ein Tag des nationalliberalen Protestantismus. Wilhelm I. lehnte es ab, einen Staatsfeiertag zu bestimmen, ein solches Fest müsse aus dem „freien Antrieb“ des Volkes hervorgehen. Kalt Bismarck, dem die möglichen Reichsfarben „ganz einerlei“ waren, und der einen engagierten Beamten zurechtwies: „Wir haben mehr zu tun, und wer über solche Dinge stutzt, ist nicht reif.“ Für Bismarck war neben einer gewissen Grundlässigkeit Rücksicht auf die Einzelstaaten des Reiches entscheidend und die Loyalität, die Bürger bzw. Untertanen zu den angestammten Dynastien empfanden. Erst Wilhelm II. sah sich – durchaus im Einklang mit der Bevölkerung – mehr als deutscher Kaiser denn als preußischer König. Hier stellt sich die Frage, ob Reichel klug war, als er sein Buch nicht chronologisch, sondern nach den einzelnen Ausstattungstücken der Nationalsymbolik gliederte. So treten die Zeichen, die Bilder nach vorn; was sie aber bezeichnen, das verliert sich. Was macht die „Nation“ aus, die sich ihre Symbolik schafft? Der Verfassungszustand, die Geschichte, gar gemeinsame Abkunft, Zukunftshoffnungen? Bezeichnend der Optimismus des Autors, Deutschland habe mit sich und seinen Symbolen inzwischen Frieden gemacht, „fremdenfreundliche Heiterkeit“ sei an die Stelle alter Peinlichkeit getreten. Er nimmt natürlich Bezug auf die Fußball-WM 2006, doch wissen wir, was da Spaß machte? Wollten die Deutschen nicht bloß mal südliche Daseinsfreude ausleben – bei allerdings gesunkenem Verdruss am eigenen Land?
Der Leser ahnt bald, was zu dieser Disposition des Stoffes geführt hat. Der Autor nämlich hält die deutsche Staatssymbolik in allen Teilen für verfehlt. Reichstagsumbau, Hymne, 3. Oktober, Holocaust-Mahnmal, das behagt ihm nicht, und insofern er diese Dinge Kapitel für Kapitel traktiert, hat er jedesmal eine neue Gelegenheit zu kritischer Schlusswendung. Das Problem dabei ist weniger, dass man das bald durchschaut. Das Problem liegt darin, dass das ganze widersprüchliche Geschiebe aus Traditionen, Ansprüchen, Vorlieben und Schmerzen, wie es sich in einer historischen Situation darstellt und in die Symbolik eingehen muss, von Reichel nicht ernst genommen wird – was sich auch darin zeigt, dass er wenig in den Quellen gearbeitet hat und stattdessen die einschlägigen Darstellungen ausschreibt.
So zählt er zu denen, die statt des 3. Oktober lieber den 9. November begehen würden, als Erinnerung an die Revolution 1918, den Hitler-Putsch 1923, die Pogromnacht 1938 und den Mauerfall 1989. Zwar referiert er, dass Ignaz Bubis als Vorsitzender des Zentralrats der Juden entschieden gegen diesen Plan war. Aber er nimmt das nicht ernst, obwohl doch auf der Hand liegt, dass dem Zentralrat hier ein Vetorecht zukommt. Unverdrossen votiert Reichel für ein Datum, dem er besondere Komplexität zuschreibt und von dem man doch fürchten müsste, es werde, weil es seine Gesichtspunkte so deutlich aufzählt, zu einer ermüdend simplen Mechanik führen. Es ist eine richtige Professoren- und Feuilletonistenidee, aus der ersehnten Gedenkrednerperspektive entwickelt. Sie bringt das Glückliche und das Verfehlte der deutschen Geschichte zur Sprache, nur leider im Ton des Strebers: Herr Lehrer, nun habe ich alles richtig gemacht!
Peter Reichel: Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung. Nationalsymbole in Reich und Republik. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 381 Seiten, 29,90 Euro.
Manchmal muss man den Adler neu kostümieren: SPD-Wahlplakat zur Wahl der verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919.
FOTO: ARCHIV DER SOZIALEN DEMOKRATIE DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG/AUS DEM BESPROCHENEN BAND
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hofbräuhaus
Nationalsymbole sind unvermeidlich, aber
was sprechen sie aus? Peter Reichel nimmt
sich die deutsche Selbstdarstellung vor
VON STEPHAN SPEICHER
Am 18. April 1950 sprach Konrad Adenauer auf einer Kundgebung im Berliner Titania-Palast. Am Ende der Veranstaltung bat er das Publikum, mit ihm die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu singen; den Text hatte er auslegen lassen. Den Zeitgenossen war sofort klar, was das bedeutete. Jakob Kaiser, Minister für Gesamtdeutsche Fragen, freute sich über den „schönen Staatsstreich“, Teile der SPD waren missvergnügt. Denn die Frage der Nationalhymne war bis dahin offen. Theodor Heuss hatte einen neuen Text bei Rudolf Alexander Schröder in Auftrag gegeben, doch Adenauer hatte begonnen, Tatsachen zu schaffen. Auch die Hohen Kommissare machten sich Gedanken und sprachen den deutschen Kanzler zehn Tage später sorgenvoll auf die Sache an. Adenauer rechtfertigte sich mit dem Druck, unter dem er sich fühle: Kürzlich seien in Berlin bei einem großen Sportereignis die Hymnen der beteiligten Nationen gespielt worden. Als die Reihe an die Deutschen kam, gab die Kapelle „In München steht ein Hofbräuhaus“. Und in Köln in ähnlicher Situation sei es der Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ gewesen. So werde die Bundesrepublik „etwas lächerlich gemacht“.
Was Adenauer nicht erwähnte: Die DDR hatte mit „Auferstanden aus Ruinen“ die Frage bereits entschieden, das Werk Bechers und Eislers hatte in seiner getragenen Art viel Zustimmung gefunden. Wie die Sache im Westen ausging, ist bekannt. Schröders Hymnenversuch („Land des Glaubens, deutsches Land“) fiel durch, in einem Briefwechsel verständigten sich Adenauer und Heuss 1952 auf die dritte Strophe des Deutschlandliedes. Was die Sache so interessant macht, ist die von allen stark empfundene Notwendigkeit einer Hymne, im Osten und im Westen, bei den Siegern und den Deutschen, und namentlich bei dem stocknüchternen Adenauer, der Hoffmann von Fallersleben illusionslos sah: dessen erste Strophe „so antiquiert, dass sie kein halbwegs vernünftiger Mensch mehr singen kann“, die zweite „ein bisschen dumm“, die dritte aber mit einer „Wahrheit, die auch jetzt noch gilt“.
Peter Reichel, emeritierter Professor der Politikwissenschaften in Hamburg, hat solchen Fragen nun ein Buch gewidmet, unter dem stockig riechenden Titel „Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung“. In einer Reihe von Längsschnitten behandelt er Parlamentsbauten, Hymnen, Farben/Fahnen, Nationalfeiertage, Totengedenken und zuletzt das Brandenburger Tor. Sehr viel Neues hat er nicht ermittelt. Wir lesen vom bekannten Streit um den Reichstagsbau Wallots, von Kampf um die Reichsfarben in der Weimarer Republik und den nie gelösten Schwierigkeiten, einen Staatsfeiertag für die erste Demokratie zu finden.
Doch auch das Kaiserreich hatte das Problem. Der Sedantag wurde nicht etwa gesetzlicher Feiertag; der Mainzer Erzbischof Ketteler untersagte seinen Geistlichen, zum 2. September die Glocken zu läuten, der Sedantag sei ein Tag des nationalliberalen Protestantismus. Wilhelm I. lehnte es ab, einen Staatsfeiertag zu bestimmen, ein solches Fest müsse aus dem „freien Antrieb“ des Volkes hervorgehen. Kalt Bismarck, dem die möglichen Reichsfarben „ganz einerlei“ waren, und der einen engagierten Beamten zurechtwies: „Wir haben mehr zu tun, und wer über solche Dinge stutzt, ist nicht reif.“ Für Bismarck war neben einer gewissen Grundlässigkeit Rücksicht auf die Einzelstaaten des Reiches entscheidend und die Loyalität, die Bürger bzw. Untertanen zu den angestammten Dynastien empfanden. Erst Wilhelm II. sah sich – durchaus im Einklang mit der Bevölkerung – mehr als deutscher Kaiser denn als preußischer König. Hier stellt sich die Frage, ob Reichel klug war, als er sein Buch nicht chronologisch, sondern nach den einzelnen Ausstattungstücken der Nationalsymbolik gliederte. So treten die Zeichen, die Bilder nach vorn; was sie aber bezeichnen, das verliert sich. Was macht die „Nation“ aus, die sich ihre Symbolik schafft? Der Verfassungszustand, die Geschichte, gar gemeinsame Abkunft, Zukunftshoffnungen? Bezeichnend der Optimismus des Autors, Deutschland habe mit sich und seinen Symbolen inzwischen Frieden gemacht, „fremdenfreundliche Heiterkeit“ sei an die Stelle alter Peinlichkeit getreten. Er nimmt natürlich Bezug auf die Fußball-WM 2006, doch wissen wir, was da Spaß machte? Wollten die Deutschen nicht bloß mal südliche Daseinsfreude ausleben – bei allerdings gesunkenem Verdruss am eigenen Land?
Der Leser ahnt bald, was zu dieser Disposition des Stoffes geführt hat. Der Autor nämlich hält die deutsche Staatssymbolik in allen Teilen für verfehlt. Reichstagsumbau, Hymne, 3. Oktober, Holocaust-Mahnmal, das behagt ihm nicht, und insofern er diese Dinge Kapitel für Kapitel traktiert, hat er jedesmal eine neue Gelegenheit zu kritischer Schlusswendung. Das Problem dabei ist weniger, dass man das bald durchschaut. Das Problem liegt darin, dass das ganze widersprüchliche Geschiebe aus Traditionen, Ansprüchen, Vorlieben und Schmerzen, wie es sich in einer historischen Situation darstellt und in die Symbolik eingehen muss, von Reichel nicht ernst genommen wird – was sich auch darin zeigt, dass er wenig in den Quellen gearbeitet hat und stattdessen die einschlägigen Darstellungen ausschreibt.
So zählt er zu denen, die statt des 3. Oktober lieber den 9. November begehen würden, als Erinnerung an die Revolution 1918, den Hitler-Putsch 1923, die Pogromnacht 1938 und den Mauerfall 1989. Zwar referiert er, dass Ignaz Bubis als Vorsitzender des Zentralrats der Juden entschieden gegen diesen Plan war. Aber er nimmt das nicht ernst, obwohl doch auf der Hand liegt, dass dem Zentralrat hier ein Vetorecht zukommt. Unverdrossen votiert Reichel für ein Datum, dem er besondere Komplexität zuschreibt und von dem man doch fürchten müsste, es werde, weil es seine Gesichtspunkte so deutlich aufzählt, zu einer ermüdend simplen Mechanik führen. Es ist eine richtige Professoren- und Feuilletonistenidee, aus der ersehnten Gedenkrednerperspektive entwickelt. Sie bringt das Glückliche und das Verfehlte der deutschen Geschichte zur Sprache, nur leider im Ton des Strebers: Herr Lehrer, nun habe ich alles richtig gemacht!
Peter Reichel: Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung. Nationalsymbole in Reich und Republik. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 381 Seiten, 29,90 Euro.
Manchmal muss man den Adler neu kostümieren: SPD-Wahlplakat zur Wahl der verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919.
FOTO: ARCHIV DER SOZIALEN DEMOKRATIE DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG/AUS DEM BESPROCHENEN BAND
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nahezu nur Lob hat Rainer Blasius übrig für Peter Reichels Versuch, Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung festzuhalten. Zwar hätte er sich eine großzügigere Bebilderung gewünscht. Meisterhaft wie pointiert aber scheint ihm Reichels Annäherung an Hymnen, Feiertage, Trikolore und Adler und die denkbaren Kritikpunkte und Alternativen. Dass die "Topografie des Terrors" etwa als nationaler Gedächtnisort der Bundesrepublik schlechthin gelten könne, wie der Autor zu bedenken gibt, leuchtet Blasius offenbar ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2013Sehnsucht nach einer Identität
Deutsche Nationalsymbole
Durch Symbole wird der Staat für den Einzelnen wahrnehmbar. Doch damit tun wir Deutsche uns schwerer als andere Länder. "Fünf verschiedene politische Systeme sind in gut hundert Jahren ausprobiert und verschlissen worden. Revolutionen, Weltkriege, Gewaltverbrechen, Besatzungsherrschaft und Teilung waren der Preis, unser Land aus expansionistischer Aggression und politischer Regression herauswachsen zu lassen", schreibt Peter Reichel. Die wilhelminische und die nationalsozialistische Dekoration der Macht hätten den Deutschen "die Unbefangenheit" im Umgang mit nationalen Symbolen genommen. Der Autor erzählt meisterhaft und pointiert von der staatsoffiziellen Selbstdarstellung, konfrontiert diese "mit ihren oppositionellen Alternativen und Infragestellungen". Oft klagt er darüber, dass sich Besseres hätte finden lassen - auch im Hinblick auf das "geschichtslose, bedeutungsarme Datum" des 3. Oktober, das seit der Wiedervereinigung als Feiertag dient.
Der Paulskirche und dem Reichstag als den "Geburtshäusern der Nation", der "Haydn-Hoffmann-Hymne", der "deutschen Trikolore" und der Frage des Nationalfeiertags sind eigene Kapitel gewidmet, leider mickrig und monoton schwarzweiß bebildert. Vom Farbenkrieg, Adlerstreit und Liederkampf wird hier berichtet, vom Sedantag und von "Gegenfesten" der Arbeiter, vom Reichsgründungstag der Kaiserzeit sowie vom Verfassungstag der Weimarer Republik, dem Kanzler Hermann Müller (SPD) 1928 vergeblich als "Tag des Aufbaus" eine reichsgesetzliche Grundlage geben wollte. Über den "Feierrausch" des NS-Regimes und der SED-Diktatur heißt es, beiden sei es um den "glaubwürdigen Anschein" gegangen, um "die fiktive Übereinstimmung von Herrschenden und Beherrschten".
Reichel weist darauf hin, dass die DDR erst von 1950 an den 8. Mai als "Tag der Befreiung" zelebrierte: "Offensichtlich hat dieses Datum zunächst jene negative Bedeutungen, die ihm auch im Westen anhängen." Und überhaupt zum 8. Mai: "Wäre es nach Konrad Adenauer gegangen, hätte dieser schon früh westdeutscher Nationalfeiertag werden sollen." Doch die "clevere DDR" habe das Datum "exklusiv für sich in Anspruch" genommen. Später habe sich der 17. Juni zu einem "Herzstück" der gesamt- und ostdeutschen Identität entwickelt, sei aber nach 1990 "wie ein überflüssiges Spielzeug auf der deutschen Symbolmüllhalde" entsorgt worden. Ausführlich befasst sich der Autor mit dem Totengedenken und übt Kritik an dem "Mega-Mahnmal für den Judenmord". Im öffentlichen Bewusstsein sei viel zu wenig verankert, dass die Dokumentation "Topographie des Terrors" auf dem früheren Gelände des Reichssicherheitshauptamtes "der nationale Gedächtnisort der Bundesrepublik schlechthin" sei. Schließlich schildert Reichel gekonnt, wie das Brandenburger Tor zu einem Weltsymbol wurde - vom Siegestor zum Sinnbild für die Überwindung der Unfreiheit und für den Frieden.
RAINER BLASIUS
Peter Reichel: Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung. Nationalsymbole in Reich und Republik. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 381 S., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsche Nationalsymbole
Durch Symbole wird der Staat für den Einzelnen wahrnehmbar. Doch damit tun wir Deutsche uns schwerer als andere Länder. "Fünf verschiedene politische Systeme sind in gut hundert Jahren ausprobiert und verschlissen worden. Revolutionen, Weltkriege, Gewaltverbrechen, Besatzungsherrschaft und Teilung waren der Preis, unser Land aus expansionistischer Aggression und politischer Regression herauswachsen zu lassen", schreibt Peter Reichel. Die wilhelminische und die nationalsozialistische Dekoration der Macht hätten den Deutschen "die Unbefangenheit" im Umgang mit nationalen Symbolen genommen. Der Autor erzählt meisterhaft und pointiert von der staatsoffiziellen Selbstdarstellung, konfrontiert diese "mit ihren oppositionellen Alternativen und Infragestellungen". Oft klagt er darüber, dass sich Besseres hätte finden lassen - auch im Hinblick auf das "geschichtslose, bedeutungsarme Datum" des 3. Oktober, das seit der Wiedervereinigung als Feiertag dient.
Der Paulskirche und dem Reichstag als den "Geburtshäusern der Nation", der "Haydn-Hoffmann-Hymne", der "deutschen Trikolore" und der Frage des Nationalfeiertags sind eigene Kapitel gewidmet, leider mickrig und monoton schwarzweiß bebildert. Vom Farbenkrieg, Adlerstreit und Liederkampf wird hier berichtet, vom Sedantag und von "Gegenfesten" der Arbeiter, vom Reichsgründungstag der Kaiserzeit sowie vom Verfassungstag der Weimarer Republik, dem Kanzler Hermann Müller (SPD) 1928 vergeblich als "Tag des Aufbaus" eine reichsgesetzliche Grundlage geben wollte. Über den "Feierrausch" des NS-Regimes und der SED-Diktatur heißt es, beiden sei es um den "glaubwürdigen Anschein" gegangen, um "die fiktive Übereinstimmung von Herrschenden und Beherrschten".
Reichel weist darauf hin, dass die DDR erst von 1950 an den 8. Mai als "Tag der Befreiung" zelebrierte: "Offensichtlich hat dieses Datum zunächst jene negative Bedeutungen, die ihm auch im Westen anhängen." Und überhaupt zum 8. Mai: "Wäre es nach Konrad Adenauer gegangen, hätte dieser schon früh westdeutscher Nationalfeiertag werden sollen." Doch die "clevere DDR" habe das Datum "exklusiv für sich in Anspruch" genommen. Später habe sich der 17. Juni zu einem "Herzstück" der gesamt- und ostdeutschen Identität entwickelt, sei aber nach 1990 "wie ein überflüssiges Spielzeug auf der deutschen Symbolmüllhalde" entsorgt worden. Ausführlich befasst sich der Autor mit dem Totengedenken und übt Kritik an dem "Mega-Mahnmal für den Judenmord". Im öffentlichen Bewusstsein sei viel zu wenig verankert, dass die Dokumentation "Topographie des Terrors" auf dem früheren Gelände des Reichssicherheitshauptamtes "der nationale Gedächtnisort der Bundesrepublik schlechthin" sei. Schließlich schildert Reichel gekonnt, wie das Brandenburger Tor zu einem Weltsymbol wurde - vom Siegestor zum Sinnbild für die Überwindung der Unfreiheit und für den Frieden.
RAINER BLASIUS
Peter Reichel: Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung. Nationalsymbole in Reich und Republik. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 381 S., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»eine lohnende Lektüre« (Praxis Geschichte, Heft 5/2017)