Produktdetails
  • Verlag: Tropen Verlag
  • ISBN-13: 9783932170997
  • ISBN-10: 3932170997
  • Artikelnr.: 22835748
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2007

Im Rausch der Schmiere
Johanna Sinisalo lässt eine Drehbuchautorin böse enden

Vor dem Roman, um den es hier geht, sei ausdrücklich gewarnt. Er raubt seinen Lesern den Schlaf, verändert ihre Wahrnehmung und pflanzt ihnen Gedanken ein, über die sie noch lange nachdenken werden. Er schleicht sich unter charmanten Plänkeleien ins Bewusstsein, krallt sich dort fest, und ehe man sich's versieht, bekommen die Seiten unschöne Flecken, weil man das Buch auch während des Essens oder Kaffeetrinkens nicht weglegen kann; es will sofort durchgelesen werden.

Die finnische Autorin Johanna Sinisalo hat da eine veritable Droge verfasst, und zwar eine synthetische. "Glasauge" spielt in der künstlichen Welt einer Seifenoper, deren Drehbuchautoren zwischen dem Hochgefühl ihrer Allmacht und nur selten erzwungener Bodenhaftung die Figuren durch Freud und vor allem Leid schicken. Denn "eine Soap ist vor allem eins: ein ewig fortgesetztes Buch Ijob". Dieser Olymp des Größenwahns wird aus der Perspektive der schüchternen Taru beschrieben. Sie kommt direkt vom Drehbuchseminar und kann ihr Glück anfangs kaum fassen: Die Kollegen sind interessant, der Job abwechslungsreich. Dann bekommt sie auch noch ihr eigenes Baby, die Serienfigur Satu. Von da an wird sie äußerst übellaunig, wenn andere Geschichten für Satu schreiben, die sie für unpassend hält.

Und da schlägt die Geschichte um. Der fröhlich aufgeschriebene Roman verwandelt sich in den Strudel eines fein gesponnenen Psychothrillers. Die Dramen, die Satu auf den Leib geschrieben werden, durchläuft Taru fast synchron in der Realität. Verzweifelt versucht sie gegenzusteuern, gerät dabei mit ihrer intriganten Chefin aneinander und vertauscht schließlich heimlich Drehbücher, damit ihre Schwester - Satus Cousine - nicht im Hafenbecken ertrinkt, wie das Team es vorgesehen hat. Dadurch lernt Taru in Rekordgeschwindigkeit, ihre Kollegen zu manipulieren. Sie hat wieder Oberwasser und wendet sogar Gewalt an. Während sie am Anfang noch das selbstironische Mädchen ist, das sowohl seinen Studienplatz als auch seinen Job eher durch glückliche Zufälle erhalten zu haben glaubt, wird sie später immer dominanter. Ähnlich ergeht es Satu, die am Anfang vor allem für die peinlichen Momente in der Serie zuständig war, um später, nach Tarus Eingreifen, clever zu agieren.

Diese Entwicklung hat Johanna Sinisalo derart geschickt angelegt, dass sie trotz ihrer Rasanz glaubwürdig bleibt. Ihre eigene schriftstellerische Vergangenheit ist hier erkennbar, denn sie schrieb früher selbst Fernsehdrehbücher, außerdem Fantasy- und Science-Fiction-Romane. Sorgfältig erschafft sie Meta-Ebene um Meta-Ebene, die die Perspektive in Frage stellen.

Dabei bleibt der Roman allerdings stets leichtfüßig. Sinisalo erzählt in frischem Tonfall, dem die Übersetzerin Elina Kritzokat einen dezent jugendlichen Sprachstil angepasst hat. Die Sätze sind voller Adjektive und präziser Beschreibungen der Umwelt - eine Sprache, in der man entweder umstandslos ersäuft oder von der man sich über weite Strecken wie auf Salzwasserwogen hinweggetragen fühlt. In letzterem Fall ist sie überaus angenehm und passt hervorragend zum Sujet des Romans.

JULIA BÄHR

Johanna Sinisalo: "Glasauge". Roman. Aus dem Finnischen übersetzt von Elina Kritzokat. Tropen Verlag, Leipzig 2007. 249 S., geb., 21,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Buch wie eine Droge erblickt Rezensentin Julia Bähr in Johanna Sinisalos Roman, der in der Welt der Drehbuchautoren von Seifenopern angesiedelt ist. Ausdrücklich warnt sie den Leser vor der Lektüre: das Buch raube einem den Schlaf, verändere die Wahrnehmung und flöße Gedanken ein, die einen noch lange beschäftigen würden. Im Mittelpunkt des Geschehens sieht sie die junge Drehbuchautorin Taru, die gerade das Drehbuchseminar hinter sich hat, einen Job bei einer Seifenoper ergattert und auch gleich eine eigene Serienfigur erhält. Doch aus der netten Geschichte wird zur Freude Bährs rasch ein subtiler Psychothriller: Taru erlebt die Widerfahrnisse ihrer Figur fast gleichzeitig in der Realität und mutiert von der schüchternen Berufsanfängerin zu einer dominanten Frau, die ihre Kollegen manipuliert und auch vor Gewalt nicht zurückschreckt. Bähr bescheinigt der Autorin, diese Entwicklung überaus gekonnt, rasant, aber glaubwürdig aufzuzeigen. Besonders gefallen haben ihr die Leichtigkeit und Frische von Sinisalos Tonfall, den Elina Kritzokat gut in die deutsche Sprache übersetzt hat.

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