Glas ist der Stoff, aus dem die Transparenzträume der Architektur und Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht sind. Für gewöhnlich wird die Geschichte dieser geteilten Faszination in der Forschung beider Bereiche anhand von einigen kanonischen Werken männlicher Akteure erzählt. Der Essay nimmt diese historiographische Schieflage zum Anlass, um in der Glaskultur der Moderne dezidiert weiblichen Entwürfen nachzuspüren, deren Geschichten sich oft gleichzeitig auf unterschiedlichen Kontinenten abspielen. Während die ehemalige Stummfilmschauspielerin Evelyn Word Leigh in Nyack, New York ein Glashaus für sich erbaut, gestalten in Europa ansässige Künstlerinnen und Autorinnen - wie Claude Cahun, Anaïs Nin und Hilda 'H.D.' Doolittle - imaginäre Glaskuppeln als Baustellen künstlerischer Subjektivitäten aus. Ob Häuser oder Kuppeln, diese schöpferischen Frauen nutzen gläserne Umgebungen, um ihre 'natürlich' zugewiesenen Plätze in westlichen Gesellschaften und die damit verbundenen Grenzen der weiblichen Handlungsmacht zu hinterfragen und neu zu verhandeln.