Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2005In Winterzungen
Körniger Sprechgesang, finnisch geprägt: Neue Gedichte von Dorothea Grünzweig
Für einen Dichter, eine Dichterin gibt es keine Zufälle. Wo der Zufall endet, setzt das Werk an. Bei Dorothea Grünzweig endete er, als sie fünfundvierzigjährig nach Finnland ging. Nach Aufenthalten in England und Schottland arbeitet sie dort an der deutschen Schule in Helsinki. Dort ist sie geblieben. Von dort kommen ihre Gedichtbücher: "Mittsommerschnitt" (1997), "Vom Eisgebreit" (2000) und nun "Glasstimmen lasinäänet". Die Titel verabschieden sich sukzessive vom Lokalkolorit, vom allenfalls noch Gefälligen. Sie sind auf dem Weg in ein poetisches Exil.
Man sollte mit dem Begriff "Exil" vorsichtig sein. Auch dann, wenn das Adjektiv "selbstgewählt" die Sache modifiziert. Grünzweigs um eine Generation älterer Kollege Manfred Peter Hein hat seinerzeit die Übersiedlung nach Finnland mit einer poetischen Formel beschrieben: "Ich habe den Winter gewählt." Auch Dorothea Grünzweig hat so gewählt. "Ich sprech in Winterzungen", bekennt sie in ihrem neuen Band. Aber sie hat auch nicht unterschlagen, was solche Wahl bedeutet.
In ihrem Debüt "Mittsommerschnitt" spricht sie von ihrem Assimilationsproblem im "Freizeitpark Finnland", der ihr "zusagt" und sie zugleich "kalt läßt". Sie hat anfangs auch das Problem der persönlichen Akzeptanz: "Deutschland wie aus dem Gesicht / geschnitten / heißt es von mir / seitdem verhäng ich die Spiegel." Der Band "Vom Eisgebreit" bringt die schmerzhafte Distanzierung zu "D": "In Nacht und Schnee gepackt / ist meine Sprache / mein Was ich bin und / Post aus D."
Aus diesem "Eisgebreit" tönt Grünzweigs Stimme von Buch zu Buch eigener und deutlicher; und die Autorin weiß sehr wohl, was sie Finnland zu verdanken hat: die Initiation ihrer Poesie: "Und da wo ich jetzt bin / im Ankommland / sind meine Worte leicht / sind aufgehoben / begann das Schauen." Schauen - nicht Sehen! Der emphatische Begriff ist mit Bedacht gewählt. Die Gedichte suchen nicht das präzise Bild, sondern die Evokation. Sie vertrauen weniger dem Auge als der Stimme. Sie suchen nicht die geschmeidige Melodie, sondern den gestauten körnigen Sprechgesang.
Dorothea Grünzweig liebt die raffenden eigenwilligen Komposita. Sie schwelgt in originellen, manchmal auch gewollten Fügungen, in Adjektiven wie "schlafschnurrgeschwisterlich", "augenblicklieb" oder "immerfremd", in Substantiven wie "Schneehoffnung", "Sturzackerzeit" oder "Greisbettliegen". Zunehmend wirkt das "Ankommland" auch in die Texte hinein. In vielen Gedichten gibt es finnische Einsprengsel, die im Anhang erläutert werden, aber auch ganze Sequenzen, die unübersetzt bleiben. Auf den des Finnischen unkundigen Leser wirken sie wie Zaubersprüche: "kellojenkieli kilisee helisee / kilkatus kimallus / Glas lasi lasienäänet."
Das sind die Glasstimmen, die der Titel meint. Sie sind aber nicht auf bloßen Klang aus, auf keine Artistik oder absolute Poesie. Im Gegenteil. Dorothea Grünzweig hat einen fast religiösen Begriff von Sprache und Namengebung und glaubt: "die wahrhaften Namen stammen aus der Dingmitte / ja sie waren vor den Dingen da / die um sie wuchsen." Das ist ein Stück Erbe, das Erbe des schwäbischen Pfarrhauses, dem sie entstammt. Zu ihm gehört auch die Erinnerung an den Vater. Er erscheint als jemand, der erkannte, "was geschehen war / mit dem Volk seines Gotts", und der darum "Verbrennungen im Innern" erlitten habe. Daher scheint die "Schneebedürftigkeit" der Tochter zu rühren, also wohl auch die Wahl ihres Exils.
Grünzweigs finnische Existenz ist nicht ohne ein Element von Zeitkritik, das den biographischen Bezug transzendiert. In einigen ihrer Gedichte erreicht das eine apokalyptische Dimension: Die Zeitangst wird zur Weltangst. "Es ist ein Sterben angebrochen", beginnt eines der Gedichte, das immer wieder zu der Vorstellung zurückkehrt, der klein gewordene Erdball könne dem "Druck der Menschenschwere" nicht mehr standhalten. Nicht von ungefähr erinnert dieser Ton an das wundersam-traurige Gedicht der Else Lasker-Schüler, das anhebt: "Es ist ein Weinen in der Welt, / als ob der liebe Gott gestorben wär." Es spricht sehr für Dorothea Grünzweigs Gedichte, daß man sie in einen solchen Zusammenhang stellen darf.
Dorothea Grünzweig: "Glasstimmen lasinäänet". Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 110 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Körniger Sprechgesang, finnisch geprägt: Neue Gedichte von Dorothea Grünzweig
Für einen Dichter, eine Dichterin gibt es keine Zufälle. Wo der Zufall endet, setzt das Werk an. Bei Dorothea Grünzweig endete er, als sie fünfundvierzigjährig nach Finnland ging. Nach Aufenthalten in England und Schottland arbeitet sie dort an der deutschen Schule in Helsinki. Dort ist sie geblieben. Von dort kommen ihre Gedichtbücher: "Mittsommerschnitt" (1997), "Vom Eisgebreit" (2000) und nun "Glasstimmen lasinäänet". Die Titel verabschieden sich sukzessive vom Lokalkolorit, vom allenfalls noch Gefälligen. Sie sind auf dem Weg in ein poetisches Exil.
Man sollte mit dem Begriff "Exil" vorsichtig sein. Auch dann, wenn das Adjektiv "selbstgewählt" die Sache modifiziert. Grünzweigs um eine Generation älterer Kollege Manfred Peter Hein hat seinerzeit die Übersiedlung nach Finnland mit einer poetischen Formel beschrieben: "Ich habe den Winter gewählt." Auch Dorothea Grünzweig hat so gewählt. "Ich sprech in Winterzungen", bekennt sie in ihrem neuen Band. Aber sie hat auch nicht unterschlagen, was solche Wahl bedeutet.
In ihrem Debüt "Mittsommerschnitt" spricht sie von ihrem Assimilationsproblem im "Freizeitpark Finnland", der ihr "zusagt" und sie zugleich "kalt läßt". Sie hat anfangs auch das Problem der persönlichen Akzeptanz: "Deutschland wie aus dem Gesicht / geschnitten / heißt es von mir / seitdem verhäng ich die Spiegel." Der Band "Vom Eisgebreit" bringt die schmerzhafte Distanzierung zu "D": "In Nacht und Schnee gepackt / ist meine Sprache / mein Was ich bin und / Post aus D."
Aus diesem "Eisgebreit" tönt Grünzweigs Stimme von Buch zu Buch eigener und deutlicher; und die Autorin weiß sehr wohl, was sie Finnland zu verdanken hat: die Initiation ihrer Poesie: "Und da wo ich jetzt bin / im Ankommland / sind meine Worte leicht / sind aufgehoben / begann das Schauen." Schauen - nicht Sehen! Der emphatische Begriff ist mit Bedacht gewählt. Die Gedichte suchen nicht das präzise Bild, sondern die Evokation. Sie vertrauen weniger dem Auge als der Stimme. Sie suchen nicht die geschmeidige Melodie, sondern den gestauten körnigen Sprechgesang.
Dorothea Grünzweig liebt die raffenden eigenwilligen Komposita. Sie schwelgt in originellen, manchmal auch gewollten Fügungen, in Adjektiven wie "schlafschnurrgeschwisterlich", "augenblicklieb" oder "immerfremd", in Substantiven wie "Schneehoffnung", "Sturzackerzeit" oder "Greisbettliegen". Zunehmend wirkt das "Ankommland" auch in die Texte hinein. In vielen Gedichten gibt es finnische Einsprengsel, die im Anhang erläutert werden, aber auch ganze Sequenzen, die unübersetzt bleiben. Auf den des Finnischen unkundigen Leser wirken sie wie Zaubersprüche: "kellojenkieli kilisee helisee / kilkatus kimallus / Glas lasi lasienäänet."
Das sind die Glasstimmen, die der Titel meint. Sie sind aber nicht auf bloßen Klang aus, auf keine Artistik oder absolute Poesie. Im Gegenteil. Dorothea Grünzweig hat einen fast religiösen Begriff von Sprache und Namengebung und glaubt: "die wahrhaften Namen stammen aus der Dingmitte / ja sie waren vor den Dingen da / die um sie wuchsen." Das ist ein Stück Erbe, das Erbe des schwäbischen Pfarrhauses, dem sie entstammt. Zu ihm gehört auch die Erinnerung an den Vater. Er erscheint als jemand, der erkannte, "was geschehen war / mit dem Volk seines Gotts", und der darum "Verbrennungen im Innern" erlitten habe. Daher scheint die "Schneebedürftigkeit" der Tochter zu rühren, also wohl auch die Wahl ihres Exils.
Grünzweigs finnische Existenz ist nicht ohne ein Element von Zeitkritik, das den biographischen Bezug transzendiert. In einigen ihrer Gedichte erreicht das eine apokalyptische Dimension: Die Zeitangst wird zur Weltangst. "Es ist ein Sterben angebrochen", beginnt eines der Gedichte, das immer wieder zu der Vorstellung zurückkehrt, der klein gewordene Erdball könne dem "Druck der Menschenschwere" nicht mehr standhalten. Nicht von ungefähr erinnert dieser Ton an das wundersam-traurige Gedicht der Else Lasker-Schüler, das anhebt: "Es ist ein Weinen in der Welt, / als ob der liebe Gott gestorben wär." Es spricht sehr für Dorothea Grünzweigs Gedichte, daß man sie in einen solchen Zusammenhang stellen darf.
Dorothea Grünzweig: "Glasstimmen lasinäänet". Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 110 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zu einer kleinen Hymne hat Dorothea Grünzweigs neuer Gedichtband Rezensent Harald Hartung inspiriert, für den einige Gedichte der seit in Finnland lebenden deutschen Lyrikerin in Ton und Qualität an Gedichte Else Lasker-Schülers heranreichen. Grünzweigs Gedichte vertrauten weniger dem Auge als der Stimme. Doch auch hier suchten die Gedichte nicht nach der "geschmeidigen Melodie" sondern vielmehr den "gestauten körnigen Sprechgesang". Hartung zeigt sich beeindruckt von "raffgierigen, eigenwilligen Komposita", und der wortschöpferischen Fantasie besonders ihrer Substantive und Adjektive. In vielen Gedichten gebe es außerdem finnische Einsprengsel, die zwar im Anhang erläutert würden, auf Hartung aber trotzdem wie "Zaubersprüche" wirkten. "Das sind die Glasstimmen, die der Titel meint!" ruft er aus und kniet vor dem fast religiösen Sprachbegriff der Dichterin, die für ihn nicht auf bloßen Klang sondern absolute Poesie aus ist. In einigen Gedichten erreicht sie für ihn durch die Transzendierung biografischer Bezüge apokalyptische Dimensionen, in denen Zeitangst zur Weltangst wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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