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Stettin, Frühjahr 1945. Krieg und Euphorie, Liebe und Tod: Clara S. gehört zu den wenigen Frauen, die in der pommerschen Hauptstadt zurückgeblieben sind. Während die Rote Armee auf der anderen Oderseite steht, glaubt die Vierundzwanzigjährige endlich gefunden zu haben, was sie immer gesucht hat: das wahre, das "heroische" Leben und die große Liebe noch dazu. In ihrer Götterdämmerungs-Euphorie verfasst die junge BDM-Führerin ein einzigartiges Zeitdokument: ein Bündel Briefe, die überdauern, nachdem sie selbst Anfang Mai 1945 auf Rügen verschwindet. Rügen, Frühjahr 2015: Warum die Spuren einer…mehr

Produktbeschreibung
Stettin, Frühjahr 1945. Krieg und Euphorie, Liebe und Tod: Clara S. gehört zu den wenigen Frauen, die in der pommerschen Hauptstadt zurückgeblieben sind. Während die Rote Armee auf der anderen Oderseite steht, glaubt die Vierundzwanzigjährige endlich gefunden zu haben, was sie immer gesucht hat: das wahre, das "heroische" Leben und die große Liebe noch dazu. In ihrer Götterdämmerungs-Euphorie verfasst die junge BDM-Führerin ein einzigartiges Zeitdokument: ein Bündel Briefe, die überdauern, nachdem sie selbst Anfang Mai 1945 auf Rügen verschwindet. Rügen, Frühjahr 2015: Warum die Spuren einer verschollenen Tante suchen, deren Ende einen zum Blick in Abgründe zwingt, die eigentlich niemand mehr ausloten möchte? Können wir damit nicht endlich abschließen? Nein, denn Susanne und Jan Peter Wiborg suchen hier eben nicht eine Tante, sondern einen Prototyp, den fremden, scheinbar fernen Schatten, das "da war doch mal was, damals " in fast jeder deutschen Familie. Hier ist es die weibliche Seite des Fanatismus: ein intelligentes Mädchen, das ursprünglich nur ein wenig mehr wollte als die in Hinterpommern vorgezeichnete Frauenrolle. Was hat sie zur ebenso naiven wie bis in den Tod gläubigen Hitler-Anhängerin gemacht?
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Susanne Wiborg, Jahrgang 1957, studierte Geschichte und schreibt als freie Journalistin unter anderem für DIE ZEIT, bevorzugt Hanseatisches und Historisches. Mit dem Dritten Reich dagegen wollte sie sich beruflich möglichst nicht mehr befassen. Wozu immer wieder in Abgründe blicken, die nie wirklich zu überbrücken sind?
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2015

Die Tante wurde gar nicht von den Russen ermordet
Der Krieg so nah: Susanne und Jan Peter Wiborg zeigen, welche Karrieren Frauen im Nationalsozialismus machten

Mit den Frauen beschäftigt sich die Forschung über den Nationalsozialismus schon seit geraumer Zeit. Untersucht wird, auf welche Weise und in welchen Tätigkeitsfeldern sie aktiv waren. Im Ergebnis traten Frauen nicht weniger engagiert für den Nationalsozialismus ein als Männer. Neu war im NS-Staat nicht die Geschlechterdifferenz, sondern vielmehr der Umstand, dass das Regime (trotz seiner Fokussierung auf die Mutterschaft) Frauen nicht von der Teilnahme am öffentlichen politischen Leben ausschloss, im Gegenteil: Massenorganisationen speziell für Frauen entstanden.

Sie boten eine Vielzahl von Ämtern und Posten, besaßen Integrationskraft und wirkten in hohem Maße loyalitätstiftend. Frauen ließen sich denn auch rasch vom Regime mobilisieren: Nicht weniger als zwölf Millionen gehörten 1939 einem der großen frauenspezifischen NS-Verbände an - dies entsprach etwa einem Drittel der weiblichen Bevölkerung. Viele, vor allem junge Frauen machten in den Massenorganisationen des NS-Staates Karriere. Gerade der Bund Deutscher Mädel (BDM) bot seinen Führerinnen reichlich Profilierungschancen - und den Aufstieg zur Berufsfunktionärin.

Clara S. war eine solche Funktionärin. Ihr kurzes Leben - sie starb im Alter von vierundzwanzig Jahren unter ungeklärten Umständen in den letzten Kriegstagen - stand ganz im Zeichen ihres unverbrüchlichen Glaubens an die Kraft des Nationalsozialismus. Von ihrer Hingabe an die Idee und den "Führer" zeugen die Briefe, die sie zwischen Jahresbeginn und Ostern 1945 an ihre Mutter richtete. Es sind einzigartige Dokumente, die vor Augen führen, wie weltentrückt, wie rauschhaft, wie besessen eine ranghohe Funktionärin im Angesicht des Untergangs des Dritten Reiches die Welt um sich wahrnahm. "Unser Leben ist im Augenblick derart schön, dass Du es nicht glauben wirst und dazu auch nicht vorstellen kannst, Mutsch", schrieb sie Ende März 1945 und ließ ihre Mutter auch wissen: "Der Frühling so schön. Der Krieg so nah. Alles Leben gesteigert."

Die Briefe der Clara S., ihre persönlichen Notizen und Aufzeichnungen, die ebenfalls in das Buch einfließen, das Susanne Wiborg und ihr Bruder Jan Peter Wiborg verfasst haben, bereichern die historische Forschung, denn zeitgenössische Selbstzeugnisse wie diese liegen bislang nicht vor. Zudem ist über die Berufsfunktionärinnen des NS-Staats, von Ausnahmen abgesehen, wenig bekannt. Die Geschwister Wiborg, beide von Beruf Journalisten und Historiker, haben auf der Basis der Dokumente ein Buch über ihre Tante Clara geschrieben. Sie waren mit der Familienlegende groß geworden, Clara sei von "den Russen" auf Rügen ermordet worden; dass ihre Tante eine ranghohe BDM-Funktionärin gewesen war, wurde indes mit Schweigen übergangen. Erst der Blick in die Briefe, die ihnen nach dem Tod ihrer Großmutter in die Hände gefallen waren, brachte die Autoren auf Claras Fährte.

Nach jahrelanger akribischer Recherche schrieben sie ein Buch, das es in sich hat und eines klar zeigt: "Die Russen" waren es nicht. Es ist ein Buch über die Geschichte der aus einer deutschnational-konservativen, einst kaiser-, später führertreuen Familie stammenden Clara Sabrowski, die sich gern des slawischen Beiklangs ihres Nachnamens entledigt und den nordisch klingenden Namen "Saber" angenommen hätte, was ihr allerdings ihr Vater verbot. Es ist außerdem ein Buch über die Kriegsendphase in der Provinz Pommern, also dem Raum Stettin, Greifswald, Stralsund und Rügen, wo eine ausnehmend verbrecherische Gauführung agierte, was packend erzählt wird. Und es ist schließlich auch ein Buch über die de facto zwar nur rudimentär organisierte, aber propagandistisch vom Regime lautstark inszenierte NS-Untergrundbewegung "Werwolf".

Auf Rügen überstürzten sich im Frühjahr 1945 die Ereignisses: Auf die Insel flüchteten sich deutsche Zivilisten aus den östlich gelegenen Regionen, um der Roten Armee zu entkommen, hierhin strömten Wehrmachtssoldaten von der zusammengebrochenen Ostfront zurück, hier verschanzten sich der Gauleiter und seine Entourage, und hier taten sich die Anhänger im "Werwolf" zusammen, die wankend gewordene Volksgenossen und -genossinnen mit Terror überzogen, um aus derart "revolutionärem" Geist den Nationalsozialismus von neuem erstehen zu lassen; vieles deutet darauf hin, wenngleich einzelne Fragen nicht mehr zu klären sind, dass Clara S. dem "Werwolf" angehörte.

Wenn die Autoren meinen, ihre Tante stehe prototypisch für Frauen im Dritten Reich, haben sie insofern recht, als Claras BDM-Karriere - mit neunzehn Jahren hauptamtliche Führerin, dann Aussicht auf das Amt der obersten BDM-Funktionärin im Gau - davon zeugt, welche Chancen das Regime jungen Mädchen bot und wie sehr sich diese ernst genommen und bedeutend fühlten. Die Autoren zeigen zudem - bedauerlich nur, dass sie dabei auf Anmerkungen verzichten -, dass in der Weltuntergangsstimmung des Kriegsendes auch Frauen bedingungslos gewaltsam agierten, um die Herrschaft des Dritten Reiches zu verlängern. So genau hat man das noch nicht gewusst.

SYBILLE STEINBACHER

Susanne Wiborg und Jan Peter Wiborg: "Glaube, Führer, Hoffnung". Der Untergang der Clara S.

Antje Kunstmann Verlag, München 2015. 320 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieses Buch über die Tante der Autoren Susanne und Jan Peter Wiborg hat es in sich, verspricht Rezensentin Sybille Steinbacher. In akribischer Recherche rekonstruieren die beiden Journalisten und Historiker nicht nur anhand von Briefen und Notizen die kurze Lebensgeschichte der Clara Sabrowski, die als fanatische Funktionärin beim Bund Deutscher Mädel Karriere machte, sondern liefern auch zeitgenössische Selbstdokumente, die in der historischen Forschung so bisher nicht vorlagen, berichtet die Kritikerin. So erfährt sie etwa, wie besessen Frauen teilweise im Dritten Reich angesichts der sich ihnen eröffnenden Teilnahme am politischen Leben agierten. Darüber hinaus lernt die Rezensentin in diesem ebenso lesenswerten wie fesselnden Buch viel über die Kriegsendphase auf der Insel Rügen, die im Frühjahr 1945 zum Fluchtort für Zivilisten und Wehrmachtsoldaten und zum Sammelpunkt der NS-Untergrundbewegung "Werwolf" wurde.

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