Helen Brindle auf dem Weg ins Glück. Helen hat einen Ehemann, der sie gerne mit Schlägen malträtiert, und bittet deshalb des Öfteren Gott um Hilfe oder auch um einen sanfteren Liebhaber. So einer scheint der Psychologie-Professor Edward E. Gluck zu sein, doch auch er erliegt den Verlockungen der Gewalt - nicht ganz so handfest wie Helens Mann, aber um so erfinderischer. Doch Helen bekommt ihr Happyend: Mr. Brindle segnet das Zeitliche und Mr. Gluck erfährt eine erfreuliche Wesensänderung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000Kommt ein Symptombündel gelaufen
A. L. Kennedys Roman vom gleißenden Glück / Von Christoph Bartmann
Mrs. Brindle, die Hauptperson in A. L. Kennedys kleinem, aber merkwürdigem Roman "Gleißendes Glück", haben wir uns als eines jener weiblichen Wesen vorzustellen, hinter derem einförmigen Ehefrauenalltag mit lauter einförmigen Verrichtungen, wie etwa dem Anrühren eines Fleischpastetenteigs, sich unermeßliche Weiten des Tagträumens auftun. Aber gibt es sie denn überhaupt noch, könnte man sogleich einwenden, gibt es noch solche inständig den eigenen kleinen Irrsinn bewirtschaftenden Mittelstandsexistenzen wie Mrs. Brindle, gibt es sie vielleicht besonders dort, wo Mrs. Brindle und A. L. (das ist Alison Louise) Kennedy zu Hause sind, im regnerischen und puritanischen Schottland? Wir wissen nicht, ob Mrs. Brindle einen halbwegs repräsentativen schottischen Frauentypus verkörpert. Wir wissen aber, daß A. L. Kennedy in Mrs. Brindle eine Romanfigur geschaffen hat, die mit all ihrer sanften Abwegigkeit geeignet ist, im Leser ein bleibendes Andenken zu hinterlassen.
Um Mrs. Brindle und ihre wahrlich idiosynkratische Beziehung zu drei Männern geht es in diesem Roman. Die Namen der drei Herren sind Gott, Gluck und Mr. Brindle. Mit dem letzteren, einem tumben Tyrannen, kohabitiert Mrs. Brindle, bis der Tod sie scheidet, in einer durchschnittlich kleinbürgerlichen Ehehölle. Eine Linderung ihrer Leiden hatte ihr lange Jahre die Kommunikation mit Gott verschafft: "Unendlich zugänglich, ein Trost ihres Fleisches. Er war ihre schönste Liebe. Er war ihr gern ein Gefährte, ein Vater, ein Freund gewesen und Er hatte ihr etwas geschenkt, das sie bei anderen Menschen nur selten entdeckte: eine Seele voller Vertrauen." Im Gespräch mit Gott und nur in ihm hatte Mrs. Brindle "ihr natürliches, gleißendes Glück" (oder, schöner noch, im Englischen: "the original bliss") gefunden, eine permanente Adresse der Zuflucht und des Freispruchs von den Zumutungen des Lebens. Aber das wird sich mit Beginn des Romans ändern, denn hier macht Mrs. Brindle vor dem Fernseher die Bekanntschaft mit einem Kybernetiker des Glücks, mit Professor Edward E. Gluck. Und fortan wird sie der Gluckschen Lehre zu folgen trachten, ein jeder Mensch sei "das Wunder, das sich selbst erschafft".
Man könnte leicht denken, die Autorin mache sich über das reich möblierte Innenleben ihrer Heldin lustig, sie beute die Seelenqualen von Mrs. Brindle auf eigene Rechnung aus. Aber A. L. Kennedy hat den Verrat an ihren arg zerrütteten Figuren wunderbarerweise vermieden; sie will nichts und niemanden karikieren, auch nicht den eitlen Therapieguru Edward E. Gluck, hinter dessen kybernetischen Parolen sich, wie bald zu sehen ist, das heulende Elend verbirgt. Zum einen verfügt sie zwar über einen wachen Sinn für das abgrundtief Komische in Mrs. Brindles Kampf um Gluck und Glück, zum anderen läßt sie den Ernst gelten, mit dem ihre Protagonistin diesen Kampf führt. Man zögert, Kennedy eine "Erzählerin" ihrer Geschichte zu nennen. Sie arrangiert nichts, malt nichts aus, kommentiert nicht viel, sondern sie läßt einfach die Symptome ihrer Figuren sprechen. Wir könnten weder sagen, wie Mrs. Brindle aussieht, noch wo sie wohnt, und kommen ihr doch im Lauf des Romans fast unheimlich nahe. Eben darin, in dieser verhaltenen, aber signifikanten Art des Aussprechens, liegt wohl A. L. Kennedys Kunst.
Mrs. Brindle also "lag in ihrem Wohnzimmer auf dem Boden und blickte an die Decke, auf der die kalten Farben und Schatten der BBC-Beleuchtung wogten und umherzogen. Ein wahrscheinlich lehrreiches Gespräch rauschte an ihr vorbei, sie war viel zu müde, um einzuschlafen oder zuzuhören, aber das war nicht schlimm, das war wirklich ganz und gar in Ordnung." Ein Bildungsprogramm, die Fernsehuniversität, auf dem Bildschirm ein Mann, der mit sanfter Stimme über Selbstbefriedigung, intime Kontakte und die seismische Wirkung des Innern auf die äußere Welt referiert: Edward E. Gluck. Am nächsten Morgen ist er wieder da, diesmal im Radio. Mrs. Brindle eilt in die nächste Buchhandlung, sich sein Buch "Gluck - Die neue Kybernetik" zu besorgen. Die neue Kybernetik ist eine Art Theologie, nur besser, denn ihr Gott soll Mrs. Brindles Geliebter werden. Sie reist Gluck zu einer Tagung nach Stuttgart hinterher, wo er, der Ingenieur der menschlichen Seele, wieder einmal seine Lehren verkündet. "Ich bin der Glaube", läßt er Mrs. Brindle wissen, nachdem sie für ihn schon Helen heißt, "der Berge versetzt, ich bin ein Höhenflug. Um die Sprache der Physik zu benutzen: Ich bin eine permanente Singularität - ein ständiger Prozeß massiver Veränderungen. Du natürlich genauso." Professor Gluck ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, und für Helen Brindle ist er noch viel mehr, der geliebte Mann, den Gott ihr in schlaflosen Nächten verheißen hatte. Wie aber soll denn die Liebe zwischen dem kybernetischen Genie und dem dahergelaufenen Symptombündel funktionieren? Sie funktioniert, und zwar deshalb, weil sich binnen kurzem das Seelenleben von Edward E. Gluck als mindestens ebenso bizarr erweist wie das seiner Verehrerin.
Was sich zwischen den beiden in der Folge abspielt, ist ein Pas de deux der Anziehungen und Abstoßungen, der Ungelenkigkeiten und Unbeholfenheiten, der in einem der zeitraubendsten und erfolglosesten Kußversuche der Literaturgeschichte einen vorläufigen Höhepunkt findet. Überdies wird der Guru, wie dann ans Licht kommt, von ebenden Furien gehetzt, deren Steuermann er doch zu sein behauptet. Edward E. Gluck ist nämlich ein Sklave der Pornographie, und ausgerechnet Mrs. Brindle soll ihn nun erlösen - was ihr leichter fiele, wenn da nicht noch Mr. Brindle wäre, mit seiner wachsenden Verwunderung über die häufigen Abwesenheiten seiner Frau und seinem hochentwickelten Sinn fürs Überwachen und Strafen.
Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto grauenvoller wird sie, Sex, Gewalt und Wahn, die anfangs noch unter dem Polster der Spleens schliefen, erheben brüllend ihre Häupter - um zuallerletzt, in einer Coda, sehr überraschend einer fast noch unheimlicheren Windstille zu weichen, in der die Liebenden einander gefunden zu haben scheinen. "Und sie sind dann", heißt es am Ende von Kennedys verwirrendem und glänzendem Roman, "eine gemeinsame und vollständige Bewegung vor Gott, dem Geduldigen, Eifernden Liebhaber: der Eifernden, Geduldigen Liebe."
A. L. Kennedy: "Gleißendes Glück". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2000. 192 S., geb., 34,- DM.
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A. L. Kennedys Roman vom gleißenden Glück / Von Christoph Bartmann
Mrs. Brindle, die Hauptperson in A. L. Kennedys kleinem, aber merkwürdigem Roman "Gleißendes Glück", haben wir uns als eines jener weiblichen Wesen vorzustellen, hinter derem einförmigen Ehefrauenalltag mit lauter einförmigen Verrichtungen, wie etwa dem Anrühren eines Fleischpastetenteigs, sich unermeßliche Weiten des Tagträumens auftun. Aber gibt es sie denn überhaupt noch, könnte man sogleich einwenden, gibt es noch solche inständig den eigenen kleinen Irrsinn bewirtschaftenden Mittelstandsexistenzen wie Mrs. Brindle, gibt es sie vielleicht besonders dort, wo Mrs. Brindle und A. L. (das ist Alison Louise) Kennedy zu Hause sind, im regnerischen und puritanischen Schottland? Wir wissen nicht, ob Mrs. Brindle einen halbwegs repräsentativen schottischen Frauentypus verkörpert. Wir wissen aber, daß A. L. Kennedy in Mrs. Brindle eine Romanfigur geschaffen hat, die mit all ihrer sanften Abwegigkeit geeignet ist, im Leser ein bleibendes Andenken zu hinterlassen.
Um Mrs. Brindle und ihre wahrlich idiosynkratische Beziehung zu drei Männern geht es in diesem Roman. Die Namen der drei Herren sind Gott, Gluck und Mr. Brindle. Mit dem letzteren, einem tumben Tyrannen, kohabitiert Mrs. Brindle, bis der Tod sie scheidet, in einer durchschnittlich kleinbürgerlichen Ehehölle. Eine Linderung ihrer Leiden hatte ihr lange Jahre die Kommunikation mit Gott verschafft: "Unendlich zugänglich, ein Trost ihres Fleisches. Er war ihre schönste Liebe. Er war ihr gern ein Gefährte, ein Vater, ein Freund gewesen und Er hatte ihr etwas geschenkt, das sie bei anderen Menschen nur selten entdeckte: eine Seele voller Vertrauen." Im Gespräch mit Gott und nur in ihm hatte Mrs. Brindle "ihr natürliches, gleißendes Glück" (oder, schöner noch, im Englischen: "the original bliss") gefunden, eine permanente Adresse der Zuflucht und des Freispruchs von den Zumutungen des Lebens. Aber das wird sich mit Beginn des Romans ändern, denn hier macht Mrs. Brindle vor dem Fernseher die Bekanntschaft mit einem Kybernetiker des Glücks, mit Professor Edward E. Gluck. Und fortan wird sie der Gluckschen Lehre zu folgen trachten, ein jeder Mensch sei "das Wunder, das sich selbst erschafft".
Man könnte leicht denken, die Autorin mache sich über das reich möblierte Innenleben ihrer Heldin lustig, sie beute die Seelenqualen von Mrs. Brindle auf eigene Rechnung aus. Aber A. L. Kennedy hat den Verrat an ihren arg zerrütteten Figuren wunderbarerweise vermieden; sie will nichts und niemanden karikieren, auch nicht den eitlen Therapieguru Edward E. Gluck, hinter dessen kybernetischen Parolen sich, wie bald zu sehen ist, das heulende Elend verbirgt. Zum einen verfügt sie zwar über einen wachen Sinn für das abgrundtief Komische in Mrs. Brindles Kampf um Gluck und Glück, zum anderen läßt sie den Ernst gelten, mit dem ihre Protagonistin diesen Kampf führt. Man zögert, Kennedy eine "Erzählerin" ihrer Geschichte zu nennen. Sie arrangiert nichts, malt nichts aus, kommentiert nicht viel, sondern sie läßt einfach die Symptome ihrer Figuren sprechen. Wir könnten weder sagen, wie Mrs. Brindle aussieht, noch wo sie wohnt, und kommen ihr doch im Lauf des Romans fast unheimlich nahe. Eben darin, in dieser verhaltenen, aber signifikanten Art des Aussprechens, liegt wohl A. L. Kennedys Kunst.
Mrs. Brindle also "lag in ihrem Wohnzimmer auf dem Boden und blickte an die Decke, auf der die kalten Farben und Schatten der BBC-Beleuchtung wogten und umherzogen. Ein wahrscheinlich lehrreiches Gespräch rauschte an ihr vorbei, sie war viel zu müde, um einzuschlafen oder zuzuhören, aber das war nicht schlimm, das war wirklich ganz und gar in Ordnung." Ein Bildungsprogramm, die Fernsehuniversität, auf dem Bildschirm ein Mann, der mit sanfter Stimme über Selbstbefriedigung, intime Kontakte und die seismische Wirkung des Innern auf die äußere Welt referiert: Edward E. Gluck. Am nächsten Morgen ist er wieder da, diesmal im Radio. Mrs. Brindle eilt in die nächste Buchhandlung, sich sein Buch "Gluck - Die neue Kybernetik" zu besorgen. Die neue Kybernetik ist eine Art Theologie, nur besser, denn ihr Gott soll Mrs. Brindles Geliebter werden. Sie reist Gluck zu einer Tagung nach Stuttgart hinterher, wo er, der Ingenieur der menschlichen Seele, wieder einmal seine Lehren verkündet. "Ich bin der Glaube", läßt er Mrs. Brindle wissen, nachdem sie für ihn schon Helen heißt, "der Berge versetzt, ich bin ein Höhenflug. Um die Sprache der Physik zu benutzen: Ich bin eine permanente Singularität - ein ständiger Prozeß massiver Veränderungen. Du natürlich genauso." Professor Gluck ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, und für Helen Brindle ist er noch viel mehr, der geliebte Mann, den Gott ihr in schlaflosen Nächten verheißen hatte. Wie aber soll denn die Liebe zwischen dem kybernetischen Genie und dem dahergelaufenen Symptombündel funktionieren? Sie funktioniert, und zwar deshalb, weil sich binnen kurzem das Seelenleben von Edward E. Gluck als mindestens ebenso bizarr erweist wie das seiner Verehrerin.
Was sich zwischen den beiden in der Folge abspielt, ist ein Pas de deux der Anziehungen und Abstoßungen, der Ungelenkigkeiten und Unbeholfenheiten, der in einem der zeitraubendsten und erfolglosesten Kußversuche der Literaturgeschichte einen vorläufigen Höhepunkt findet. Überdies wird der Guru, wie dann ans Licht kommt, von ebenden Furien gehetzt, deren Steuermann er doch zu sein behauptet. Edward E. Gluck ist nämlich ein Sklave der Pornographie, und ausgerechnet Mrs. Brindle soll ihn nun erlösen - was ihr leichter fiele, wenn da nicht noch Mr. Brindle wäre, mit seiner wachsenden Verwunderung über die häufigen Abwesenheiten seiner Frau und seinem hochentwickelten Sinn fürs Überwachen und Strafen.
Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto grauenvoller wird sie, Sex, Gewalt und Wahn, die anfangs noch unter dem Polster der Spleens schliefen, erheben brüllend ihre Häupter - um zuallerletzt, in einer Coda, sehr überraschend einer fast noch unheimlicheren Windstille zu weichen, in der die Liebenden einander gefunden zu haben scheinen. "Und sie sind dann", heißt es am Ende von Kennedys verwirrendem und glänzendem Roman, "eine gemeinsame und vollständige Bewegung vor Gott, dem Geduldigen, Eifernden Liebhaber: der Eifernden, Geduldigen Liebe."
A. L. Kennedy: "Gleißendes Glück". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2000. 192 S., geb., 34,- DM.
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Meisterin im Verfassen menschlicher Dramen. Rolf Hürzeler kulturtipp 20161126