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Michael Stegemann porträtiert sensibel und genau das vielseitigste und eigenwilligste Musik-Genie dieses Jahrhunderts. Dieses Buch ist ein Muß für alle 'Gouldianer' und Musikliebhaber. Mit aktueller Diskographie.

Produktbeschreibung
Michael Stegemann porträtiert sensibel und genau das vielseitigste und eigenwilligste Musik-Genie dieses Jahrhunderts. Dieses Buch ist ein Muß für alle 'Gouldianer' und Musikliebhaber. Mit aktueller Diskographie.
Autorenporträt
Michael Stegemann, geboren 1956 in Osnabrück, studierte in Münster Musikwissenschaft, Romanistik, Philosophie und Kunstgeschichte sowie Komposition bei Olivier Messiaen in Paris. Der Komponist und Musikpublizist lehrt seit 2002 als Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund. Er ist Autor von Hörspielen, von zahllosen CD-Booklets und von vielteiligen Sendereihen für den Rundfunk (unter anderem über Glenn Gould, Schubert und Mozart).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2007

Ein Spiel im liturgischen Sinne
Mythos von 75 und 25 Jahren: Zum Geburts- und Todestag wird das verzückende Rätsel Glenn Gould weiter erkundet
Unvorstellbar so ein Bild: Glenn Gould ist nicht gestorben, sondern sitzt als 75 Jahre alter Mann mit schütterem Haar, irgendwie angeschlagen, auf seinem Küchenstuhl am betagten Flügel und spielt die Goldberg-Variationen Johann Sebastian Bachs, genial-exzentrisch und vollendet oder genial-brüchig oder manieriert, wie auch immer.
Die letzten, erschreckenden Photographien des knapp fünfzigjährigen Künstlers am Klavier, wie er zum zweiten Mal die Goldberg-Variationen mehr meditiert als spielt, sprechen die Sprache körperlichen Verfalls. Man mag sich den alten Glenn Gould nicht vorstellen, auch nicht, dass er sein Repertoire vielleicht doch erweitert hätte um etwas, das er immer verschmäht hat: Klavierromantik à la Schumann, Chopin, Rachmaninow.
Glenn Gould, der heute vor 75 Jahren geborene, am 4. Oktober 1982 gestorbene, er ist und bleibt immer der genialische junge Mann. Wie zu sehen ist in den hinreißenden Foto-Porträts aus Jugendtagen, die einen autonom werdenden Künstler zeigen, der davon träumt, endlich auszusteigen aus dem Konzertbetrieb, frei zu sein von den Konventionen und Zwängen eines gefräßigen Musikmarkts. Wie zu hören ist aus den Dutzenden von Einspielungen, die längst den Rang des Mythischen besitzen (und jetzt in einer 80-CD-Jubiläums-Edition von Sony komplett vorliegen). Wie zu lesen ist in der Ausgabe von Goulds Essays oder in den abgeschriebenen Telefongesprächen, die er mit allen möglichen Leuten des Nachts zu führen pflegte – ein Ausbund an Originalität und Spontaneität des Denkens.
Dort beginnen seine Antworten öfters so: „In jenen Tagen, als ich vierzehn, fünfzehn, sechzehn war . . .” Da erinnert sich Gould an seinen frühen Kampf um das richtige – das trockene, unromantische, radikal polyphone – Bach-Spiel, an die große Pianistin und Interpretin Rosalyn Tureck, von deren Bach-Platten er so viel gelernt habe. „Ihre Platten waren für mich der erste Beweis, dass ich nicht allein kämpfte. Es war ein so aufrechtes Spiel, um es auf die moralische Ebene zu bringen. Es lag ein solcher Frieden darin, der nichts mit Sehnsucht zu tun hatte, sondern eher mit moralischer Redlichkeit im liturgischen Sinne”. War er der verhinderte Mönch im klösterlichen Dienst einer insgeheim als heilig empfundenen Kunst? Gleicht er nicht einem Beter, wenn er Bachs Contrapunctus XIV aus der „Kunst der Fuge” spielt und die linke Hand dirigierend, beschwörend, flehend dem Himmel entgegenstreckt?
Den besonderen Einblick in das spontane Denken und Reden eines Künstlers, der eigentlich der unbedingten Kontrolle über die Musik und sich selbst ergeben war, bietet das Wiedererscheinen der erstmals 1987 veröffentlichten Telefongespräche, die der Musikpublizist Jonathan Cott 1974 während sechs Stunden an drei Tagen mit Glenn Gould für die Zeitschrift Rolling Stone führte. Gould, der der Einsamkeit im Studio und im Hotel verfallen war, der autistische Züge an sich hatte, mied seit Mitte der sechziger Jahre nicht nur die Konzertsäle, sondern auch weitgehend den Kontakt mit Menschen. Stattdessen ließ er sich gern am Telefon interviewen in stundenlangen Gesprächen, verführen zu allen möglichen musikalischen, philosophischen, historischen, religiösen Erkundungen.
Goulds Leben und Kunst, sie sind reich an Merkwürdigkeiten – da gibt es etwa das künstlerische „Schicksalsmotiv” der doppelten Einspielung der Goldberg-Variationen. Bachs grandioser Klavierzyklus, mit dem Gould als Nachwuchspianist mit einem Schlag weltberühmt wurde, spannt sich wie ein Bogen über seine musikalische Existenz, bis zum Schluss. Und Bach, das Denken in musikalischer Vielstimmigkeit, blieb für ihn immer im Zentrum – so sehr Gould dazwischen mit Haydn- oder Beethoven-Sonaten, mit Brahms oder Hindemith oder all den anderen Raritäten zwischen Gibbons und Krenek, Byrd und Sibelius beschäftigt war. Erst nachdem er die Goldberg-Variationen noch einmal für die Platte und den Film aufgenommen hatte, diesmal in einer unerhört konzentrierten, analytisch bis ans Ende ausgezirkelten Manier, kam der Tod.
Eine Jahrhundertfigur der Musik, nur die Callas wäre mit Gould zu vergleichen – ein Künstlertum, das die Vorstellungen und Phantasien bis heute in Verwunderung, Verzückung, eine schwer erklärbare Betroffenheit versetzt. Und das noch immer Rätsel aufgibt. Auch die Lust befördert, ihm sein „Geheimnis” endlich, ein Vierteljahrhundert nach dem Tod, doch noch zu entreißen. Kevin Bazzana hat in seiner Biographie vor vier Jahren den Gould-Kosmos ausgeleuchtet, Michael Stegemann in seiner jetzt aktualisierten Monographie vieles zusammengetragen, was an auditiven, literarischen, visuellen Dokumenten zirkuliert.
Es ist nicht leicht, den eigentümlichen Zauber, den Sog des Klavierspiels und überhaupt des Phänomens Glenn Gould zu ergründen. Sind es die ständigen Überraschungen im Musikalischen, in Tempi, Artikulation oder Phrasierung, oder das exquisite Repertoire Goulds und die stets triumphierende geistige Individualität dieses durch und durch widersprüchlichen Künstlers, die das Hören entweder düpieren oder betören? Im neuen Heft der Zeitschrift Fono Forum ist gesammelt, was Goulds Kollegen heute dazu sagen. Alfred Brendel begründet seine Abneigung und Andras Schiff seine Zuneigung, Licht und Schatten bei Gould erlebt Pierre-Laurent Aimard, und als die schlechthin besondere Figur sieht ihn der junge Lars Vogt. Glenn Gould, das ist für ihn gleichbedeutend mit: „Befreiung”. WOLFGANG SCHREIBER
JONATHAN COTT: Nahaufnahme. Telefongespräche mit Glenn Gould. Alexander Verlag, Berlin 2007. 135 Seiten, 9,90 Euro.
MICHAEL STEGEMANN: Glenn Gould. Leben und Werk. Piper Verlag München und Zürich 1992 und 2007. 541 Seiten, 14,40 Euro.
Ein junger Künstler in der Weltabgeschiedenheit – Glenn Gould, genialer Bach-Interpret, Eigenbrötler, Jahrhundertfigur am Klavier, wie er in dem Fotoband von Jock Carroll 1995 lebendig wurde. Das von Schirmer/Mosel herausgegebene Buch zeigte ausschließlich den jungen Pianisten. Foto: Jock Carroll/Schirmer Mosel
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