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Produktdetails
  • Verlag: Norton / Princeton University Press
  • Seitenzahl: 576
  • Erscheinungstermin: 6. Februar 2008
  • Englisch
  • Abmessung: 206mm x 146mm x 36mm
  • Gewicht: 504g
  • ISBN-13: 9780393329810
  • ISBN-10: 039332981X
  • Artikelnr.: 22530158
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2007

Die im Schatten sieht man nicht
Zwei Bücher über die Geschichte der Globalisierung

Die Debatte über die Globalisierung hat glücklicherweise ihre zweite und anspruchsvollere Stufe erreicht. In der ersten Stufe erschienen zahlreiche häufig platte Werke, die ohne bedeutenden theoretischen oder empirischen Tiefgang die Globalisierung entweder (meist) in Bausch und Bogen verdammten oder sie (seltener) glorifizierten. Dieses Schwarzweißdenken gehört in der Fachwelt mittlerweile weitgehend der Vergangenheit an; materialreichere und differenziertere Einschätzungen setzen sich durch. Man fühlt sich an eine Bemerkung Joseph Schumpeters über ökonomische Fragen im Allgemeinen erinnert. "Wollen Sie eine simple oder eine nützliche Antwort?", fragte Schumpeter einmal. "Man kann entweder das eine oder das andere haben, aber nicht beides zugleich." Der Harvard-Ökonom Dani Rodrik hat den neuen Konsens in der Fachwelt über die Globalisierung kürzlich sinngemäß in die Antwort verpackt: "Ja, aber..."

"Ja, aber..." lautet auch das Fazit des Harvard-Professors Jeffry A. Frieden, der einen fundierten, wohltuend sachlichen und nie den roten Faden verlierenden Abriss der Geschichte des internationalen Kapitalismus seit Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben hat. Frieden beginnt mit dem Scheitern der Freihandelszeit vor dem Ersten Weltkrieg, die gelegentlich als "Erste Globalisierung" bezeichnet wird und die mit dem Ersten Weltkrieg endete. Diese "Erste Globalisierung" wird insgesamt als Erfolgsgeschichte geschildert, allerdings mit Einschränkungen, die ihren Untergang mit herbeiführten: Neben der wachsenden Rivalität der großen Nationen war dies vor allem die ungleiche Verteilung der Früchte des Wohlstands auf zu wenige Menschen.

Die darauffolgenden Jahrzehnte beschreibt Frieden als eine Epoche unterschiedlicher Versuche, durch Protektionismus (bis zum extremen Fall der Autarkie) zum Erfolg zu gelangen. Alle diese Versuche scheiterten, ob es sich um den eher milden Protektionismus der westlichen Industrienationen in der Zwischenkriegszeit, die Abschottungen des deutschen Nationalsozialismus und des sowjetisch geprägten Sozialismus oder die (auch wirtschaftlichen) Autonomiebestrebungen lateinamerikanischer Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg handelte.

Auf den richtigen Pfad gelangte die Welt nach Friedens Ansicht erst wieder mit der Liberalisierung des Handels in den vergangenen Jahrzehnten, die zur "Zweiten Globalisierung" führte. Doch wiederum warnt der Amerikaner vor zu viel Euphorie. Die Globalisierung könne auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn sie von den Menschen akzeptiert werde. Dies aber setze voraus, die Verlierer der Globalisierung nicht alleine zu lassen, schlussfolgert Frieden: "Theorie und Geschichte verdeutlichen, dass es möglich ist, die Globalisierung mit sozialem Fortschritt zu verbinden."

Furioser als Frieden geht der norwegische Ökonom und ehemalige Unternehmer Erik Reinert (Technische Universität Tallinn) zu Werke. Reinerts Thema ist die Frage, warum es überhaupt arme und reiche Nationen gibt und warum die Unterschiede zwischen ihnen immer größer werden. Die Ursache sieht er in Schwächen der herrschenden, Liberalisierung und Freihandel empfehlenden ökonomischen Theorie ("Neoklassik") und ihrer Anwendung durch die Politik.

Reinerts wichtigste These lautet: Kein Land kann dauerhaft reich werden, ohne eine leistungsfähige und moderne Industrie zu beheimaten. Der Aufbau einer solchen Industrie ist armen Ländern aber nur möglich, wenn sie sie vorübergehend von der Konkurrenz der Konzerne aus den reichen Ländern abschotten. Das ist nun kein origineller Grundgedanke, sondern eine neue Version von Friedrich Lists (1789 bis 1846) Idee eines Schutzzolls, den wirtschaftlich zurückgebliebene Länder zur Förderung ihrer Industrie erheben sollten.

Reinert hält es für eine Legende, dass die heute reichen Industrienationen ihren Aufstieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Freihandel verdankten. Vielmehr hätten sie allesamt ihre nationalen Industrien beschützt, konstatiert der Norweger, und aus diesen historischen Beispielen sollten die armen Länder heute ihre Lehren ziehen. Den armen Ländern, zum Beispiel in Afrika, empfiehlt der Autor die Gründung einer regionalen Freihandelszone, die aber gegenüber den reichen Nationen auf Handelsbeschränkungen beharre.

Neben diesem Blick auf die Praxis will Reinert aber auch noch eine theoretische Schlacht gegen die (toten oder lebendigen) Großmeister der herrschenden Lehre wie Adam Smith, David Ricardo, Paul Samuelson oder Milton Friedman gewinnen. Gegen diese Koryphäen lässt der Norweger in einem Anfall äußerster Verwegenheit nicht nur List antreten, sondern eine ziemlich disparate Truppe meist vergessener Denker aus mehreren Jahrhunderten, darunter die Deutschen Veit von Seckendorff, Johann Heinrich Justi, Werner Sombart und Gustav Schmoller. Das kann ja wohl nicht gutgehen, oder?

Wer weiß. In einem Internetforum der "Financial Times", das unter anderem Reinerts Buch behandelte, meldete sich kürzlich der amerikanische Nobelpreisträger Edmund Phelps zu Wort. Phelps kritisierte Globalisierungsskeptiker wie Reinert, gestand aber gleichzeitig zu, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich möglicherweise auch kulturelle Ursachen besäßen. Das wussten, mit allem Respekt vor dem Nobelpreisträger, Sombart und Schmoller schon vor einem Jahrhundert.

Natürlich überzieht Reinert. Ob die These Lists, dass arme Nationen durch einen zeitlich begrenzten Schutz ihrer Industrien Vorteile erzielen können, grundsätzlich falsch ist, steht auf einem anderen Blatt.

GERALD BRAUNBERGER

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