Globalgeschichte ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Felder der Geschichtswissenschaft geworden. Aber was ist unter dem Begriff genau zu verstehen?
Geht es um die Geschichte des gesamten Planeten? Um die Geschichte der menschlichen Spezies, gar um "Big history", die Zeit seit dem Urknall? Oder handelt es sich eher um eine bestimmte Perspektive, anhand derer auch die Geschichte eines kleinen Dorfes untersucht werden kann? Welche Fragen lassen sich in globaler Perspektive besser beantworten, welche Zusammenhänge kommen dadurch erst in den Blick? Sebastian Conrad, neben Jürgen Osterhammel wohl der bekannteste Vertreter der Globalgeschichte in Deutschland, führt in diesem Buch anschaulich und anhand konkreter Beispiele in das Forschungsfeld ein und stellt die zentralen Fragen und Theorien sowie die wichtigsten Themen und Kontroversen vor.
Geht es um die Geschichte des gesamten Planeten? Um die Geschichte der menschlichen Spezies, gar um "Big history", die Zeit seit dem Urknall? Oder handelt es sich eher um eine bestimmte Perspektive, anhand derer auch die Geschichte eines kleinen Dorfes untersucht werden kann? Welche Fragen lassen sich in globaler Perspektive besser beantworten, welche Zusammenhänge kommen dadurch erst in den Blick? Sebastian Conrad, neben Jürgen Osterhammel wohl der bekannteste Vertreter der Globalgeschichte in Deutschland, führt in diesem Buch anschaulich und anhand konkreter Beispiele in das Forschungsfeld ein und stellt die zentralen Fragen und Theorien sowie die wichtigsten Themen und Kontroversen vor.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein paar Fragen hat Hedwig Richter schon noch nach der für sie alles in allem erfrischenden wie hilfreichen Lektüre von Sebastian Conrads Einführung in die Globalgeschichte. Zum Beispiel stellt sich der Rezensentin angesichts der im Band präsentierten mannigfachen Perspektiven auf Geschichte die Frage, was wirklich dran ist am Eurozentrismus oder wie normativ Wissenschaft sein darf. Oder auch, wenn der Autor den Kitsch bei der Darstellung indigener Völker verurteilt, was solche Ablehnungen westlicher Narrative eigentlich bringen, wenn sich ex negativo doch wieder alles um den Westen dreht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2013Der hegemoniale Westen vergisst sich nicht so leicht
Grenzenlose Kontexte: Der Berliner Historiker Sebastian Conrad führt umsichtig in die Globalgeschichte ein
Eins ist klar: Der Westen ist der Kontrahent. Da ist beispielsweise der ägyptische Philosoph Hassan Hanafi. Der stand früher der Muslimbrüderschaft nahe, ließ sich an der Sorbonne vom Marxismus inspirieren, war damals schon ein guter Geiger, erwarb sich an der Universität Kairo mit seinen liberalen Ansichten über den Islam den Ruf eines Häretikers, um schließlich bei seinem großem Thema anzukommen: der Bekämpfung westlicher Hegemonie. In einem ironisch als "Okzidentalistik" bezeichneten Ansatz versucht Hanafi unter den Schuttbergen westlicher Zivilisation einen modernen Islam zu identifizieren.
Die Einführung in die Globalgeschichte des Berliner Historikers Sebastian Conrad ist voll von solchen Geschichten und funkelnden Gestalten: ein Institut für History and Civilization in Malaysia, an dem eine an muslimischer Offenbarung inspirierte Weltgeschichte gelehrt wird; der in Kalifornien forschende Wirtschaftshistoriker Paul Tiyambe Zeleza aus Malawi, der die Abhängigkeit von westlichen Quellen überwinden will; der Chinese Wang Hui, der in einer Ideengeschichte die Überlegenheit chinesischen Denkens nachweisen möchte.
Doch trotz der mannigfaltigen Perspektiven scheut Conrad nicht die Definition: Globalgeschichte sei eine Form der historischen Analyse, bei der Phänomene, Ereignisse oder Prozesse in globale Kontexte eingeordnet werden. Zudem habe Globalgeschichte eine "polemische Dimension": Sie setze sich ab von großen Erzählungen wie der Nationalgeschichte oder der Modernisierungstheorie und wende sich gegen den Eurozentrismus. So wie sich im neunzehnten Jahrhundert die Meistererzähler vornahmen, mit ihrer Nationalgeschichte den Staatsbürger hervorzubringen, trage Globalgeschichte zu einem Weltbürgertum bei. All das ist zweifellos zeitgemäß und, wie der Autor unterstreicht, von "emanzipatorischer Wirkung".
In acht Kapiteln umreißt Conrad unter anderem die "Geschichte der Weltgeschichte", beurteilt "Kritik und Grenzen" der Globalgeschichte, benennt thematische Schwerpunkte und skizziert zentrale Werke. Das Buch bietet einen guten Einstieg in die Materie. Trotz aller Geschütze, die gegen nationalstaatliche Erzählungen aufgefahren werden, betont Conrad die anhaltende Bedeutung des Nationenkonzepts für historische Analysen. Angesichts von Darstellungen der heilen Welt indigener Völker warnt er vor verkitschtem Essentialismus, diagnostiziert "poststrukturalistischem Jargon" und ist auch für globalhistorischen Jubel nicht zu haben.
Doch so faszinierend die Lektüre ist, ein Stachel bleibt: Wie lässt sich eine Globalgeschichte in Ablehnung des westlichen Narrativs der Moderne schreiben, wenn sich letztlich, selbst in der Zurückweisung, doch alles um den Westen dreht? Und wenn auf jeder zweiten Seite des Buches die Untauglichkeit des Eurozentrismus a priori gesetzt wird - warum bleibt dann die "Königsfrage der Weltgeschichtsschreibung", so Conrad, doch die nach dem Sonderweg Europas?
Das rührt auch an die prinzipielle Frage, wie viel Normativität Wissenschaft verträgt. Gewiss entkommen Forscher nicht ihrem "Werturteil", das hat bereits Max Weber festgestellt. Aber ist es eine gute Idee, darüber hinaus das Ergebnis der Forschung vorzugeben? Was, wenn für die Entwicklung Europas vielleicht doch indigene Faktoren verantwortlich wären und weniger globale Transferprozesse? Was, wenn sich eine Dichotomie West-Rest ausmachen ließe?
Von normativen Dogmen dirigiert, stolpern manche der Welthistoriker von einem Dilemma ins nächste: Wenn der Westen nicht so wichtig ist, warum wird die westliche Kolonialherrschaft immer wieder als primäre Erzählung des Sündenfalls ins Feld geführt? Das gilt gewiss nicht für alle Globalhistoriker; Jürgen Osterhammel etwa wird mit dem Bekenntnis zitiert, "vielleicht etwas ,eurozentrischer' eingestellt" zu sein. Doch wenn große Narrative abgelehnt werden, wie viel Thesen- und Interpretations-Abstinenz kann Historiographie ertragen? Und ist es nicht ein frappantes Outing, wenn manche Zeitgenossen von "Weltgeschichte als falschem Bewusstsein" sprechen, weil sie ein britisch-amerikanisches Exportprodukt sei, oder wenn andere Globalhistoriker wissenschaftliche Standards als hegemonial zurückweisen? Warum vergisst der eingangs erwähnte Philosoph Hassan Hanafi nicht einfach den Westen? Vielleicht hat das etwas mit seiner Geige zu tun.
HEDWIG RICHTER.
Sebastian Conrad: "Globalgeschichte". Eine Einführung.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 300 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grenzenlose Kontexte: Der Berliner Historiker Sebastian Conrad führt umsichtig in die Globalgeschichte ein
Eins ist klar: Der Westen ist der Kontrahent. Da ist beispielsweise der ägyptische Philosoph Hassan Hanafi. Der stand früher der Muslimbrüderschaft nahe, ließ sich an der Sorbonne vom Marxismus inspirieren, war damals schon ein guter Geiger, erwarb sich an der Universität Kairo mit seinen liberalen Ansichten über den Islam den Ruf eines Häretikers, um schließlich bei seinem großem Thema anzukommen: der Bekämpfung westlicher Hegemonie. In einem ironisch als "Okzidentalistik" bezeichneten Ansatz versucht Hanafi unter den Schuttbergen westlicher Zivilisation einen modernen Islam zu identifizieren.
Die Einführung in die Globalgeschichte des Berliner Historikers Sebastian Conrad ist voll von solchen Geschichten und funkelnden Gestalten: ein Institut für History and Civilization in Malaysia, an dem eine an muslimischer Offenbarung inspirierte Weltgeschichte gelehrt wird; der in Kalifornien forschende Wirtschaftshistoriker Paul Tiyambe Zeleza aus Malawi, der die Abhängigkeit von westlichen Quellen überwinden will; der Chinese Wang Hui, der in einer Ideengeschichte die Überlegenheit chinesischen Denkens nachweisen möchte.
Doch trotz der mannigfaltigen Perspektiven scheut Conrad nicht die Definition: Globalgeschichte sei eine Form der historischen Analyse, bei der Phänomene, Ereignisse oder Prozesse in globale Kontexte eingeordnet werden. Zudem habe Globalgeschichte eine "polemische Dimension": Sie setze sich ab von großen Erzählungen wie der Nationalgeschichte oder der Modernisierungstheorie und wende sich gegen den Eurozentrismus. So wie sich im neunzehnten Jahrhundert die Meistererzähler vornahmen, mit ihrer Nationalgeschichte den Staatsbürger hervorzubringen, trage Globalgeschichte zu einem Weltbürgertum bei. All das ist zweifellos zeitgemäß und, wie der Autor unterstreicht, von "emanzipatorischer Wirkung".
In acht Kapiteln umreißt Conrad unter anderem die "Geschichte der Weltgeschichte", beurteilt "Kritik und Grenzen" der Globalgeschichte, benennt thematische Schwerpunkte und skizziert zentrale Werke. Das Buch bietet einen guten Einstieg in die Materie. Trotz aller Geschütze, die gegen nationalstaatliche Erzählungen aufgefahren werden, betont Conrad die anhaltende Bedeutung des Nationenkonzepts für historische Analysen. Angesichts von Darstellungen der heilen Welt indigener Völker warnt er vor verkitschtem Essentialismus, diagnostiziert "poststrukturalistischem Jargon" und ist auch für globalhistorischen Jubel nicht zu haben.
Doch so faszinierend die Lektüre ist, ein Stachel bleibt: Wie lässt sich eine Globalgeschichte in Ablehnung des westlichen Narrativs der Moderne schreiben, wenn sich letztlich, selbst in der Zurückweisung, doch alles um den Westen dreht? Und wenn auf jeder zweiten Seite des Buches die Untauglichkeit des Eurozentrismus a priori gesetzt wird - warum bleibt dann die "Königsfrage der Weltgeschichtsschreibung", so Conrad, doch die nach dem Sonderweg Europas?
Das rührt auch an die prinzipielle Frage, wie viel Normativität Wissenschaft verträgt. Gewiss entkommen Forscher nicht ihrem "Werturteil", das hat bereits Max Weber festgestellt. Aber ist es eine gute Idee, darüber hinaus das Ergebnis der Forschung vorzugeben? Was, wenn für die Entwicklung Europas vielleicht doch indigene Faktoren verantwortlich wären und weniger globale Transferprozesse? Was, wenn sich eine Dichotomie West-Rest ausmachen ließe?
Von normativen Dogmen dirigiert, stolpern manche der Welthistoriker von einem Dilemma ins nächste: Wenn der Westen nicht so wichtig ist, warum wird die westliche Kolonialherrschaft immer wieder als primäre Erzählung des Sündenfalls ins Feld geführt? Das gilt gewiss nicht für alle Globalhistoriker; Jürgen Osterhammel etwa wird mit dem Bekenntnis zitiert, "vielleicht etwas ,eurozentrischer' eingestellt" zu sein. Doch wenn große Narrative abgelehnt werden, wie viel Thesen- und Interpretations-Abstinenz kann Historiographie ertragen? Und ist es nicht ein frappantes Outing, wenn manche Zeitgenossen von "Weltgeschichte als falschem Bewusstsein" sprechen, weil sie ein britisch-amerikanisches Exportprodukt sei, oder wenn andere Globalhistoriker wissenschaftliche Standards als hegemonial zurückweisen? Warum vergisst der eingangs erwähnte Philosoph Hassan Hanafi nicht einfach den Westen? Vielleicht hat das etwas mit seiner Geige zu tun.
HEDWIG RICHTER.
Sebastian Conrad: "Globalgeschichte". Eine Einführung.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 300 S., br., 14,95 [Euro].
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