Hier legt einer der führenden englischsprachigen Wirtschaftshistoriker beredt und pointiert seine Antwort auf die Frage vor, ob bzw. wie weit Kultur die Wirtschaft bestimmt oder umgekehrt von dieser bestimmt wird. Anhand zahlreicher anschaulicher Beispiele aus fünf Erdteilen und verschiedensten Zeitaltern stellt Jones, der selbst Lehrerfahrungen auf drei Kontinenten hat, einseitig kulturelle Erklärungen sozialen und wirtschaftlichen Verhaltens in Frage und arbeitet die Wechselwirkungen zwischen Kultur und wirtschaftlicher Entwicklung heraus. Seine Analyse der viel und teilweise angstvoll kritisierten (aber keineswegs neuartigen) Globalisierung zeigt, daß jahrhundertelanger wirtschaftlicher Wettbewerb dazu geführt hat, dass Kulturen zu weniger und größeren Einheiten verschmolzen. Das hatte kulturelle Veränderungen zur Folge, die regelmäßig wichtige soziale Weichenstellungen bewirkt haben. Heute gehen diese Veränderungen vor allem mit Hilfe der neuesten Kommunikationstechniken vor sich, die stärker als je zuvor auch in weniger entwickelten Ländern einen individuellen Zugang zu kultureller wie ökonomischer Information erlauben. Kultur ist für wirtschaftliche Ergebnisse entscheidend, doch reagieren Kulturen ihrerseits ständig auf die Kräfte des Marktes, oft freilich um eine Generation zeitverzögert. Langfristig jedoch, wie der Historiker Jones zeigen kann, sind Kulturen bemerkenswert formbar und anpassungsfähig. Sie sind wandlungsfähiger, als Nichtökonomen behaupten, und doch einflußreicher, als Ökonomen gewöhnlich zugeben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2008Für gewöhnlich langweilig
Die Kultur als Bremse oder Filter der Wirtschaftsentwicklung
Es gibt einige überflüssige Studiengänge. Die Kulturwissenschaft gehört ohne Zweifel dazu. So sehen es nicht selten die Vertreter der Ökonomik. Ihr Forschungsgegenstand ist der Mensch, und dieser Akteur handelt nach Bedürfnissen. Ziel ist die Wohlfahrtsmaximierung - für Kultur ist da wenig Platz. Über diese Einstellung ärgert sich der emeritierte australische Professor Eric L. Jones. Der Wirtschaftshistoriker fragt sich, wieso manche Völker weniger weit entwickelt sind als andere. Grund sei unter anderem, dass sie an "weniger kompetitiven" religiösen Bräuchen und kulturellen Sitten festhalten, was das Wachstum hemmt. Kommen sie aber mit fortgeschrittenen Gruppen in Kontakt, wird das Selektionsumfeld stärker und das Überkommene nach und nach abgelegt. Das aber kann durchaus Jahrhunderte dauern.
Jones illustriert es an vielen Beispielen. So weisen die japanischstämmigen Amerikaner eine fünf Prozent höhere Sparquote aus als der Rest der amerikanischen Bevölkerung - bei gleichem politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Die Frage ist also, so der Verlag auf der Buchumschlagseite, "ob beziehungsweise wie weit Kultur die Wirtschaft bestimmt oder umgekehrt von dieser bestimmt wird". Jones gibt darauf folgende Antwort: "Was die Wirtschaftsentwicklung angeht, so vermag Kultur als Bremse oder Filter zu wirken, wird aber wahrscheinlich nicht selbst zur Ursache von Wandel und sollte nur mit Vorsicht als treibende Kraft behandelt werden."
Das ist nicht der erste, sondern der vorletzte Satz des Buches. Auf den 191 Seiten zuvor schreibt Jones, was ihm zum Thema Kultur alles einfällt (ohne den Versuch einer Definition zu wagen). Seine Erfahrungen speisen sich weniger aus empirischen Untersuchungen, vielmehr aus Gesprächen mit Studenten "vieler Nationalitäten" im Laufe der Jahre. Freimütig bekennt er im Vorwort, dass "der Großteil des Buches an meinem neuen Wohnsitz auf dem Lande in England entstand, weitab von jedem bequemen Zugang zu Universitätsbibliotheken".
Dies erklärt möglicherweise, weshalb die Forschungsergebnisse aus Mitteleuropa keinen Eingang in die Arbeit gefunden haben; so sucht man beispielsweise Luhmann vergeblich. Sehr häufig findet sich dagegen das Wort "vielleicht". Eine typische Aussage des Buches ist: Vielleicht ist manches so, aber vielleicht ist es gerade auch nicht so. Vielleicht hat Jones mit zwei sich widersprechenden Studenten aus einem Land geredet?
Manchmal aber ist er sich ganz sicher, etwa, dass in Ostdeutschland der Homo sovieticus nur ganz langsam dem Homo oeconomicus weicht. Darauf folgen Thesen wie: "So besehen wird Kultur von vielen Menschen in jeder historischen Phase internalisiert", oder: "Es mag schon einen kleinen Fortschritt bedeuten, wenn man einsieht, dass Kultur zufallsbedingt und an für sich unbeständig ist." Ökonomen können dieses Buch ruhigen Gewissens den Kulturwissenschaftlern überlassen. Der letzte Satz kann erhellend sein für deren Forschungen: "Kulturen sind für gewöhnlich langweilig, mitunter aber in großer Aufregung." Dem bleibt nur hinzuzufügen: Vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht.
JOCHEN ZENTHÖFER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Kultur als Bremse oder Filter der Wirtschaftsentwicklung
Es gibt einige überflüssige Studiengänge. Die Kulturwissenschaft gehört ohne Zweifel dazu. So sehen es nicht selten die Vertreter der Ökonomik. Ihr Forschungsgegenstand ist der Mensch, und dieser Akteur handelt nach Bedürfnissen. Ziel ist die Wohlfahrtsmaximierung - für Kultur ist da wenig Platz. Über diese Einstellung ärgert sich der emeritierte australische Professor Eric L. Jones. Der Wirtschaftshistoriker fragt sich, wieso manche Völker weniger weit entwickelt sind als andere. Grund sei unter anderem, dass sie an "weniger kompetitiven" religiösen Bräuchen und kulturellen Sitten festhalten, was das Wachstum hemmt. Kommen sie aber mit fortgeschrittenen Gruppen in Kontakt, wird das Selektionsumfeld stärker und das Überkommene nach und nach abgelegt. Das aber kann durchaus Jahrhunderte dauern.
Jones illustriert es an vielen Beispielen. So weisen die japanischstämmigen Amerikaner eine fünf Prozent höhere Sparquote aus als der Rest der amerikanischen Bevölkerung - bei gleichem politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Die Frage ist also, so der Verlag auf der Buchumschlagseite, "ob beziehungsweise wie weit Kultur die Wirtschaft bestimmt oder umgekehrt von dieser bestimmt wird". Jones gibt darauf folgende Antwort: "Was die Wirtschaftsentwicklung angeht, so vermag Kultur als Bremse oder Filter zu wirken, wird aber wahrscheinlich nicht selbst zur Ursache von Wandel und sollte nur mit Vorsicht als treibende Kraft behandelt werden."
Das ist nicht der erste, sondern der vorletzte Satz des Buches. Auf den 191 Seiten zuvor schreibt Jones, was ihm zum Thema Kultur alles einfällt (ohne den Versuch einer Definition zu wagen). Seine Erfahrungen speisen sich weniger aus empirischen Untersuchungen, vielmehr aus Gesprächen mit Studenten "vieler Nationalitäten" im Laufe der Jahre. Freimütig bekennt er im Vorwort, dass "der Großteil des Buches an meinem neuen Wohnsitz auf dem Lande in England entstand, weitab von jedem bequemen Zugang zu Universitätsbibliotheken".
Dies erklärt möglicherweise, weshalb die Forschungsergebnisse aus Mitteleuropa keinen Eingang in die Arbeit gefunden haben; so sucht man beispielsweise Luhmann vergeblich. Sehr häufig findet sich dagegen das Wort "vielleicht". Eine typische Aussage des Buches ist: Vielleicht ist manches so, aber vielleicht ist es gerade auch nicht so. Vielleicht hat Jones mit zwei sich widersprechenden Studenten aus einem Land geredet?
Manchmal aber ist er sich ganz sicher, etwa, dass in Ostdeutschland der Homo sovieticus nur ganz langsam dem Homo oeconomicus weicht. Darauf folgen Thesen wie: "So besehen wird Kultur von vielen Menschen in jeder historischen Phase internalisiert", oder: "Es mag schon einen kleinen Fortschritt bedeuten, wenn man einsieht, dass Kultur zufallsbedingt und an für sich unbeständig ist." Ökonomen können dieses Buch ruhigen Gewissens den Kulturwissenschaftlern überlassen. Der letzte Satz kann erhellend sein für deren Forschungen: "Kulturen sind für gewöhnlich langweilig, mitunter aber in großer Aufregung." Dem bleibt nur hinzuzufügen: Vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht.
JOCHEN ZENTHÖFER
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