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Europa braucht neue Gesellschaftsverträge, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Produktbeschreibung
Europa braucht neue Gesellschaftsverträge, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2000

Positionen diesseits von Wert und Macht
Welche Eliten für Europa in Zeiten der Globalisierung?

Hermann Schwengel: Globalisierung mit europäischem Gesicht. Der Kampf um die politische Form der Zukunft. Aufbau Verlag, Berlin 1999. 360 Seiten, 39,90 Mark.

Der Begriff "Globalisierung" ist heute in aller Munde. Aber was bedeutet eigentlich die Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in der Welt und die parallel verlaufende kommunikative Vernetzung? Hat der Staat als Kerninstanz politischer Einflussnahme ausgedient? Kann Politik nur noch als dezentrale Subpolitik gesellschaftliche Steuerungspotentiale entbinden? Spielen Parteien überhaupt noch eine Rolle? Löst sich Macht aufgrund der ansteigenden gesellschaftlichen Komplexität fast gänzlich von Personen ab? Kann Europa mit den Vereinigten Staaten konkurrieren, die - wie es scheint - nicht nur militärisch und ökonomisch die Weltführung übernommen haben, sondern auch im Bereich der Ideenproduktion über die ergiebigsten Quellen verfügen?

Auf all diese Fragen gibt der Freiburger Soziologe Hermann Schwengel eine klare Antwort. In seinem Buch trägt er Material zusammen, das die Transformation des Staates, die Personalisierung der Macht, das Revival der Parteien und schließlich die Verlagerung der Innovationspools nach Europa belegt. Kein Argument, welches Schwengel vorträgt, ist auf vorschnellen Konsens angelegt. Der regulierte Streit wird nicht nur als Form zukünftiger Weltgestaltung dargestellt, sondern auch als Stil wissenschaftlicher Arbeit praktiziert.

Das tritt besonders deutlich im Kapitel über die aktuellen Elitekonflikte zutage. Schwengel betont hier nicht allein die große Bedeutung von Eliten, sondern führt auch schrittweise vor, in welcher Weise der Kampf zwischen Macht- und Werteliten mit der "globalen Regionalisierung" und der "europäischen Verfassung von Institutionen und Märkten" zusammenhängt. Auch und gerade die "virtuelle Elite" der Computerfachleute, deren Formierung auf breiter Front unübersehbar ist, wird von der Dialektik des Wert-Macht-Konflikts erfasst. Wer - wie etwa Ulrich Beck - den Mitgliedern des "digitalen Clans" eine soziale Position jenseits von Wert und Macht zuweist, überschätzt die Neutralität informatischer Weltmodelle und Problemlösungsstrategien.

Schwengel ist ein Anwalt des dynamischen Widerspruchs. Er vermittelt die Extreme, aber versöhnt sie nicht. Er benennt Scheinwidersprüche und löst falsche Fronten auf. Die Spielräume freiheitssüchtiger Individuen werden ebenso plastisch geschildert wie die Mechanismen, die das Wir-Bewusstsein der Eliten hervorbringen. Ohne zu zögern, überschreitet Schwengel die Grenze zwischen wissenschaftlicher Beobachtung und politischem Traktat. Denn der Moment des Eingreifens ist gekommen. Die alten Bestände sind verbraucht: Personal, Institutionen, Standorte. All das muss neu "formatiert" werden.

Der privilegierte Raum, an dem sich die Zukunft der Globalisierung entscheidet, heißt Europa. Und als Akteure kommen nur die frisch ausgehobenen Macht- und Werteliten in Betracht, die im Vollzug ihres Streits eine handlungsfähige Mitte konstituieren müssen, die sich den herandrängenden Problemen gewachsen zeigt. Die derzeit in Europa vorhandene politische Mitte ist dazu noch nicht in der Lage. Sie ist um Flankenschutz besorgt und will sich keine Blöße geben, die die Medien ausschlachten könnten. Aber nur wenn die Widersprüche ausgereizt werden, lassen sich "kühne Modernisierungskompromisse" finden. Voreiliger Opportunismus schadet dem weltoffenen Projekt, dessen Gelingen heute auf dem Spiel steht.

Schwengel liefert mit seinem Text ein Exempel für zeitgemäßes Denken. Der institutionelle Umbau der spätmodernen Gesellschaft wird nur erfolgreich sein, wenn "zuerst europäische Ideologien verfasster Globalisierung entstehen", die die unterschiedlichen internationalen Interessen "in eine Hierarchie bringen". Nicht die Machtmechanik einer vorweg etablierten europäischen Behörde kann die Zukunft lenken, sondern allein die Kraft überzeugender Ideen, die unbequeme Entschlüsse ins Recht setzen.

LUTZ ELLRICH

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